[Rezension] Der Künstler Stephen Cripps (1952-1982) brachte sein Publikum regelmäßig fast in Lebensgefahr. Seine Performances waren oft eine Zumutung: Zuschauer mussten mit Gestank und Hitze rechen, auch bestand die Gefahr, von Funken und anderen herumfliegenden Dingen getroffen und vielleicht sogar verletzt zu werden. Die Publikation „Stephen Cripps. Performing Machines“, für die das umfangreiche Material des Stephen Cripps Archive erstmals wissenschaftlich aufgearbeitet und katalogisiert wurde, rückt die Arbeit des britischen Künstlers in den Fokus und verortet sein Werk im kulturellen und künstlerischen Kontext der Londoner Kunstszene in den 1970er und 80er Jahren.
„Maschinen können sehr beängstigend sein, aber für mich ist die Angst genauso aufregend, wie keine Angst zu haben, diese Anspannung, die in der Angst liegt, oder dass man einfach darüber nachdenken muss, ob man näher gehen sollte, oder nicht, diese Entscheidung, die damit verbunden ist – ich finde das sehr aufregend.“
Stephen Cripps in einem Interview 1976 [1]
Das Potenzial der Zerstörung
Es fällt schwer, Stephen Cripps als Künstler einer festen Kategorie zuzuordnen, denn der Brite, der nur 29 Jahre alt wurde, arbeitete mit einer großen Bandbreite an Formaten und Materialien. Seit seiner Ausbildung an der Bath Academy of Art in Corsham (1970-1974) baute Cripps kinetische, mechanische Skulpturen und Maschinen, konzipierte interaktive Installationen und führte pyrotechnische Performances durch. Zudem produzierte er Klangarbeiten, setzte Filmexperimente um, fertigte Collagen an und zeichnete. Das Flüchtige, Provisorische und Experimentelle zeichnet sein Werk, das häufig mehrere Medien und Herangehensweisen kombiniert, aus.
Künstlerischer Ausgangspunkt für Stephen Cripps war sein Interesse für kinetische Skulpturen und Maschinen. Hinzu kam seine Faszination für Feuerwerk und Pyrotechnik und das damit verbundene Prinzip der Zerstörung. Auch neue Formen der Musik weckten sein Interesse. Dies alles verband Cripps in experimentellen Performances. Heute wären seine radikalen Auftritte wahrscheinlich undenkbar – viel zu gefährlich für das Publikum und die Umgebung.
„Einige betrachten [meine Arbeiten] einfach als eine Art Spektakel, aber es gibt auch psychologische und physische Aspekte, wenn das Publikum eine Explosion tatsächlich spürt und [ihm] danach die Ohren sausen. All das ist Teil der Klänge, die in einer Performance entstehen.“
Stephen Cripps in einem Interview 1981 [2]
Explosionen und Schüsse
Ein Helikopterrotor sollte etwa nach Cripps Vorstellung als Teil einer Maschine den Galerieraum attackieren und sich dabei selbst in seine Einzelteile zerlegen. In der Installation „Shooting Gallery“ sollten Ausstellungsbesucher mit einer modifizierten Pistole auf klangerzeugende Objekte wie ein Xylophon schießen. Oder Zuschauer wurden in pyrotechnischen Performances von ohrenbetäubendem Lärm und beißendem Rauch eingehüllt. Teilnehmer spürten zudem unerträgliche Hitze und mussten sich vor Funken in Acht nehmen. Zu rechen war auch mit Querschlägern aus Lebensmitteln, von denen man jederzeit getroffen werden konnte. Der Künstler plante mit Vorliebe radikale Interventionen, die faszinieren und erschrecken sollten.
Was von Stephen Cripps‘ Werk bleibt, sind Filme und Aufzeichnungen, Fotografien und ein großer Fundus an Zeichnungen des Künstlers, die auch zahlreiche Ideen abbilden, welche letztendlich nicht verwirklicht wurden. Aufbewahrt werden diese im „Archive of British sculptor and performance artist Stephen Cripps (1952-82)“ im Henry Moore Institute, Leeds. Die Publikation „Stephen Cripps. Performing Machines“ gibt auf Basis der Auswertung dieses Archivs einen eindrucksvollen Ein- und Überblick zur faszinierenden Lust am Wechselspiel aus Bewegung, Ton und Zerstörung, welche das Werk von Stephen Cripps ausmacht.
Die Publikation „Stephen Cripps. Performing Machines“, herausgegeben vom Museum Tinguely, ist 2017 im VfmK Verlag für moderne Kunst erschienen (ISBN: 978-3-903131-91-0). Der Band enthält, neben zahlreichen Werk-Abbildungen und einem vollständigen Objektverzeichnis, Texte u.a. von Sandra Beate Reimann, Lisa Le Feuvre, David Toop, Dominic Johnson und Jeni Walwin. Enthalten sind zudem Interviews mit Stephen Cripps.
musermeku dankt dem Museum Tinguely für die kostenfreie Überlassung der Publikation als Rezensions-Exemplar.
Header-Bild: Angelika Schoder – Leipzig 2010
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
Fußnoten
[1] Stephen Cripps im Interview mit Paul Burwell, 29.03.1976, In: Stephen Cripps. Performing Machines, Hg.v. Museum Tinguely, 2017, S. 159-168, hier S. 161.
[2] Stephen Cripps im Interview, 29.07.1981, In: Ebd., S. 173.
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