[Pressereise] Warum so ernst? Moderne Kunst kann spielerisch und witzig sein; in den meisten Museen kommt sie dennoch eher sachlich daher. Auch die aktuelle Ausstellung zu Wayne Thiebaud in der Fondation Beyeler macht da keine Ausnahme. Obwohl der US-amerikanische Künstler bunte Spielautomaten, lustige Eiscreme-Tüten und Mikey Mouse malte, präsentiert das Museum seine knallbunten Werke eher konventionell: Luftig gehängt, an weißen Wänden, blitzen Thiebauds Werke wie leuchtende Farbtupfer in den 9 Ausstellungsräumen zwar auf, finden aber in der Ausstellungsgestaltung keine kreativen Bezugspunkte, in die sie sich einfügen könnten. Auch das Begleitheft ist nüchtern gestaltet, ebenso wie der Ausstellungskatalog. Aber nochmal: Warum so ernst? Dass es auch anders geht, zeigt die Kunstvermittlung für Kinder. Die macht so viel Spaß, dass man sich fragt, warum die Fondation Beyeler den spielerischen Zugang zur Ausstellung nicht für alle zum Standard gemacht hat.
„Ich versuche immer, jede Farbe in möglichst vielen verschiedenen Bereichen des Bildes einzusetzen, denn so entsteht eine Art Aura, fast so etwas wie ein Sonnen- oder Regenbogeneffekt.“
Wayne Thiebaud
Kunterbunt und Hoch hinaus
In der Fondation Beyeler wurde der spielerische Zugang zum Ausstellungsthema in die Hände der Kunstvermittlung gelegt. Ob im Rahmen eines interaktiven Familienrundgangs oder mit einem bunten Mitmachheft: Der Pop-Art Künstler Wayne Thiebaud (1920-2021) wird vor allem den jüngsten Besuchern humorvoll präsentiert. Erwachsene sind hier nur Zaungäste, nicht die primäre Zielgruppe. Aber warum eigentlich?
Schon der Saalplan im Mitmachheft, das von den beiden Kunstvermittlerinnen Julia Beyer und Victoria Gellner konzipiert wurde, ist deutlich einladender als das Begleitheft für Erwachsene. Wenn es um leckere Kuchen oder verrückte Stadtansichten geht, kann man sich unter Raumthemen wie „Geschmacksache“ oder „Hoch hinaus“ jedenfalls mehr vorstellen als unter dem Namen „Saal 1 bis 9“. Im Mitmachheft wird Wayne Thiebaud den kleinen Museumsbesuchern zudem als Künstler auf Augenhöhe vorgestellt. Ziel ist es, die Kunstwerke zu entdecken, spannende Geschichten zu erfahren und Tiebaud als Künstler kennenzulernen. Und das gelingt ziemlich gut.
Schon zu Beginn bricht das Mitmachheft ein Tabu in der Kunstvermittlung für Erwachsene mit einem Trick, der allerdings bei Kindern recht oft angewendet wird: So malen wie der Künstler? Klar, das kannst Du auch! Man erfährt, dass Wayne Thiebaud als 15-jähriger Schüler in den Sommerferien in L.A. in einem Trickfilmstudio arbeitete und daher auch selbst Mickey Mouse immer wieder sein ganzes Leben lang zeichnete. Wer selbst Disneys berühmteste Maus zeichnen möchte, bekommt im Mitmachheft Unterstützung durch eine Vorlage, die nach dem Malen-nach-Zahlen Prinzip funktioniert.
Den Blick für Kunst öffnen
Kunst aufmerksam zu betrachten und sich wirklich Zeit für die Details eines Werks zu nehmen, machen die wenigsten Menschen in einem Museum. Eine Studie, die 2001 im Metropolitan Museum of Art durchgeführt wurde, zeigte, dass nur wenige Werke über 15 Sekunden lang betrachtet wurden. [1] Rund 15 Jahre später wurde eine ähnliche Studie im Art Institute of Chicago durchgeführt. Hier wurde eine durchschnittliche Zeit für das Anschauen eines Gemäldes von 21 Sekunden gemessen. [2] Und auch eine Analyse der Istituzione Bologna Musei im Jahr 2021 belegte, dass viele Werke in Museen nur wenige Sekunden Aufmerksamkeit erhalten. [3] Tatsächlich würde man aber eigentlich länger brauchen, um ein Werk nicht nur im Gesamteindruck auf sich wirken zu lassen, sondern auch Details zu betrachten und vielleicht auch die Technik dahinter zu erfassen.
Um sich wirklich Zeit für einen Blick auf einzelne Kunstwerke zu nehmen, bieten sich Ausstellungsführungen an. Nicht weil man sich nicht auch alleine ein Kunstwerk so lange anschauen kann, wie man möchte. Sondern weil man es erwiesenermaßen bei einem selbständigen Ausstellungsbesuch eben kaum macht. Eine Führung „zwingt“ stattdessen zum Verweilen, weil man das Tempo des Ausstellungsbesuchs eben nicht selbst bestimmen kann. Die Kuratoren oder Kunstvermittler lenken bei einer Führung meist gezielt den Blick auf Aspekte, die man sonst vielleicht übersehen hätte. Für Kinder kann das ganz gut über ein Suchhspiel funktionieren: Findet man eine bestimmte Figur im Bild? In welcher Farbe wurde ein bestimmtes Objekt gemalt? Auch das Mitmachheft zur Wayne-Thiebaud-Ausstellung lädt zum Suchspiel ein. Unter dem Motto „Finde die Fehler“ soll im Ausstellungsraum zunächst das Gemälde „Jackpot“ (2005) gefunden werden, das einen historischen Spielautomaten zeigt. Im Heft ist dazu eine Version des Gemäldes abgebildet, allerdings mit Veränderungen. Nur durch eine aufmerksame Betrachtung des Werks in der Ausstellung schafft man es, alle vier Fehler im Heft zu finden.
Auch in einem weiteren Ausstellungsraum heißt es „Augen auf!“, wenn es um das Spiel aus Strukturen und Farben geht, das für Wayne Thiebaud typisch ist. Im Mitmachheft sind dazu vergrößert drei Details zu sehen, die sich in den Gemälden im Raum wiederfinden lassen. Aber zu welchem Bild gehört welcher Bildausschnitt; sind es die Eiswaffeln „Jolly Cones“ (2002), die „Eating Figures“ (1963) mit ihrem Fast-Food-Snack oder die bunten Bonbons aus dem „Peppermint Counter“ (1963)? Wer alle Details richtig zuordnen will, muss die Bilder ganz genau betrachten und dazu mehr Zeit mit den Kunstwerken verbringen, als nur wenige Sekunden. Durch das Suchspiel wird vielleicht das Interesse geweckt, auch andere Werke in der Ausstellung ganz genau anzuschauen.
Schräge Städte und bunte Törtchen
Es geht aber nicht nur darum, sich mit der Maltechnik von Wayne Thiebaud auseinanderzusetzen, sondern auch seine Motive zu hinterfragen. Im Raum, der für Kinder mit dem Thema „Von ganz oben“ betitelt ist, erfährt man, dass die hier gezeigten Landschaftsbilder vom Wohnort des Künstlers in Kalifornien inspiriert wurden. Auf den Bildern der Kulturlandschaften mit Feldern, Baumgruppen und Wasserreservoirs, wie sie rund um Sacramento typisch sind, ist allerdings kein Himmel zu sehen. Es ist ein Blick, den man nur erhält, wenn man von oben auf eine Landschaft schaut. Aber von wo aus könnte der Maler die Landschaften so gesehen haben? Das Mitmachheft gibt diverse Möglichkeiten vor, über die diskutiert werden kann: Sieht die Lanschaft so aus, wenn man von einem Kran, einem Leuchtturm, einem Wasserturm oder aus einem Flugzeug schaut?
Das Mitmachheft lädt außerdem dazu ein, seine eigene künstlerische Beobachtungsgabe zu schulen. Dabei geht es etwa darum, die Wolken vor dem Fenster zu zeichnen, herauszufinden aus welcher Richtung das Licht kommt, um Schatten richtig abzubilden, oder das Bild „Big Condominium“ (2021) von Wayne Thiebaud zu ergänzen, auf dem steil abfallende Straßen und Hochhausansichten aus einer ungewöhnlichen Perspektive zu sehen sind. Wie könnten weitere Häuser und Straßen in der Umgebung aussehen? Ein Vorbild liefern auch andere Gemälde mit Stadtlandschaften im Ausstellungsraum, bei denen man sich Inspiration holen kann.
Schließlich gibt es noch eine Aufgabe, die im Anschluss an den Museumsbesuch umgesetzt werden kann: ein Backrezept. Wer beim Anblick von Wayne Thiebauds Gemälden von bunten Törtchen, Torten, Kuchenstücken und typisch amerikanischen Pies Hunger bekommen hat, wird im Mitmachheft zur Ausstellung von der Fondation Beyeler unter dem Motto „Kunst zum Essen“ mit einem Rezept für leckere Muffins versorgt. So bleibt der Museumsbesuch auf jeden Fall auch noch zu Hause in süßer Erinnerung.
Wayne Thiebaud
Fondation Beyeler
29.01.-21.05.2023
musermeku dankt dem Kunstmuseum Basel für die Übernahme der Kosten der Reise.
Header-Bild: Angelika Schoder – Wayne Thiebaud, Fondation Beyeler, 2023
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
Fußnoten
[1] Jeffrey K. Smith, Lisa F. Smith: Spending Time on Art, In: Empirical Studies of the Arts, Vol 19, Issue 2, 2001.
[2] Lisa F. Smith, Jeffrey K. Smith, Pablo P. L. Tinio: Time spent viewing art and reading labels, In: Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts, 11(1), 2017, S. 77–85.
[3] S. Shah: Italian museum uses cameras to gauge the attractiveness of art, In: engadget, 19.07.2021.
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