[Pressereise] Im Rahmen der Ausstellungsreihe „Graphic Lab“ bietet das Kunstmuseum Basel abwechslungsreiche Perspektiven auf die Sammlung des Kupferstichkabinetts. Es geht dabei um Präsentationen, Prozesse und Forschungsfragen, die in Zusammenhang mit der umfangreichen Sammlung von Grafiken und Radierungen stehen. Den Anfang der Reihe macht nun die Ausstellung „The Acid Lab“ unter der Projektleitung von Marion Heisterberg, die sich mit dem Thema Säure in der Druckgrafik befasst. Zu sehen sind dabei Highlights aus der Sammlung, etwa von Dürer, Rembrandt, James Ensor, James Turrell oder Andrea Büttner, deren Arbeiten aktuell auch in der Ausstellung „Der Kern der Verhältnisse“ gezeigt werden. Begleitet wird „The Acid Lab“ von einem Pop-up-Studienraum, in dem Mitarbeitende des Kupferstichkabinetts Druckgrafiken zugänglich machen, die sonst im Depot des Museums verborgen bleiben.
Neue Perspektiven auf die Sammlung
Es lohnt sich, im Kunstmuseum Basel nicht nur die großen Sonderausstellungen zu besuchen, sondern bei einem Abstecher ins Museums auch die Räume der Grafikkabinette im Blick zu behalten. Immer wieder zeigt das Kunstmuseum hier kleine, minimalistische Ausstellungen, die sich besonders durch originelle Themenschwerpunkte auszeichnen und eine neue Perspektive auf den Reichtum der Sammlung ermöglichen. Gelungene Beispiele waren zuletzt etwa die Ausstellungen „Schatten: Abbild und Inszenierung“ im Jahr 2021 oder die Ausstellung „Körper und Schrift – Werke auf Papier“ im Jahr darauf, bei der die Künstlerin Jenny Holzer einige Werke aus der Sammlung des Museums zu den Arbeiten von Louise Bourgeois in Bezug setzte.
Ging es in den genannten Ausstellungen um künstlerische Motive, steht nun die Technik im Mittelpunkt. „The Acid Lab“ befasst sich mit der Rolle, die die Arbeit mit Säure für die Geschichte der Druckgrafik spielt. Bereits im 16. Jhd. begann man damit, Druckplatten mit Säure zu bearbeiten. Bis heute nutzt man die Methode, um Vertiefungen in Metallplatten zu ätzen, diese mit Farbe zu füllen und damit zu drucken. Der künstlerischen Experimentierfreude, um ganz unterschiedliche Effekte zu erzielen, sind dabei kaum Grenzen gesetzt. Um dies zu verdeutlichen, lädt das Kunstmuseum Besucher dazu ein, selbst in einem Säurelabor zu experimentieren; rein digital natürlich. An einem interaktiven „Ätztisch“, einem großen Touch-Display, stehen alle nötigen Utensilien virtuell bereit. Mit Platten, Säuren, Lacken und Nadeln können Ausstellungsbesucher hier diverse Ätz-Techniken ausprobieren und kombinieren.
Säure trifft auf Metall
Als Vorbereitung für den Ätz-Prozess wird Metall zunächst mit einer säurefesten Schicht überzogen. Mit einer Nadel werden dann Linien hineingekratzt, so dass das Metall wieder freigelegt wird; dieser Prozess wird als Radierung bezeichnet. Der Begriff kommt vom lateinischen Wort radere, übersetzt „kratzen“. Dann kommt die Säure zum Einsatz: Sie greift an den freigelegten Stellen das Metall an, bis Vertiefungen entstehen. Im Mittelalter wurde das Ätzen zunächst zur Verzierung von Rüstungen und Waffen genutzt. Erst im 16. Jhd. wendete man diese Technik auch auf Metallplatten an, um damit zu drucken.
Der erste Künstler, der die Technik des Ätzens für die Herstellung von Druckplatten nutzte, war Daniel Hopfer aus Augsburg. Das Kupferstichkabinett zeigt in der Ausstellung ein Brustbild, das Hopfer um 1516 von Karl V. anfertigte. Im gleichen Jahr versuchte sich Albrecht Dürer an der neuen Technik; sie entsprach aber wohl nicht seinem Geschmack. Während seines ganzen Schaffens fertigte der Künstler nur sechs Radierungen an. Für die Radierungen wurden zunächst Platten aus Eisen genutzt. Diese wurden schließlich von Kupfer abgelöst, da dies nicht so anfällig für Rost ist. Als Vergleich zeigt die Ausstellung hier Drucke von Hans Sebald Beham, der in der Werkstatt von Albrecht Dürer lernte. Verrostete Stellen der Eisenplatten erkennt man hier als dunkle Stellen im Druck.
Bis zur Etablierung der Radierung waren Holzschnitt und Kupferstich die gängigen Druckverfahren. Im Gegensatz dazu bot die Radierung nun die Möglichkeit, auch Drucke anzufertigen, die den leichten Charakter von Zeichnungen oder Skizzen einnehmen können, weil man für die Anfertigung viel weniger Kraft benötigt. Diese Leichtigkeit zeigt sich etwa in den Arbeiten von Rembrandt, die tatsächlich fast wie Zeichnungen wirken. Für diesen Effekt nutzte er einen besonders weichen Ätzgrund.
Aquatina und andere Techniken
Radierung ist nicht gleich Radierung, dies zeigt die Ausstellung zum „Acid Lab“ anhand diverser Techniken. Beim Verfahren der Crayonmanier lassen sich etwa Werke erstellen, die den Eindruck von gezeichneten Kreidelinien erwecken, wie Arbeiten von Antoine Jean Defehrt oder Gilles Demarteau aus dem späten 18. Jhd. zeigen. Mit anderen Techniken wie der Aquatinta konnte die Wirkung von Aquarellen oder Tuschezeichnungen als Druck wiedergegeben werden, etwa bei den Radierungen von Francisco de Goya für seine Serie der „Caprichos“. Hierfür wird Harzpulver auf die Druckplatte gestäubt und durch Wärme mit dieser verschmolzen. Wird Säure aufgebracht, greift diese um das Pulver herum das Metall an und ätzt ein strukturiertes Netz in die Platte.
Insbesondere die Impressionisten faszinierte diese Technik, mit der sich ein flüchtiger Seheindruck erzielen lässt. Für seinen verregneten Blick auf den Place de la République in Rouen arbeitete Camille Pissarro etwa mit diversen Aquatinta-Techniken. Für die spiegelnden Pfützen hatte der Künstler Abdecklack mit dem Pinsel auf die Druckplatte aufgetragen; für das verschwimmende Grau des Regens bearbeitete er den weichen Ätzgrund mit Sandpapieren, und für die Regenschlieren wischte er mit einer kleinen Eisenbürste über die Platte.
Auch im 20. Jhd. bedienten sich Kunstschaffende der Radierung, etwa Käthe Kollwitz für ihre „Arbeiterfrau mit Ohrring“ oder für den Bilderzyklus „Bauernkrieg“, für den sie mit einem Preis für ihre innovative Nutzung der Ätztechnik gewürdigt wurde. Weitere Künstler der Moderne wie Edvard Munch, James Turrell oder William Kentridge experimentierten mit dem Medium, von klassischer Linienätzung bis zur Aquatinta.
Aktuell nutzt die deutsche Künstlerin Andrea Büttner die Radierung, um die Spuren ihrer digitalen Mediennutzung darzustellen. Ein Bild ihrer Serie „Phone Etching“ von 2015 ist in der Ausstellung „Acid Lab“ zu sehen; weitere Werke der Serie werden aktuell im Bau für Gegenwartskunst des Kunstmuseum Basel gezeigt. Ihre Radierungen zeigen die Fingerspuren der Künstlerin, die sie auf dem Display ihres Smartphones hinterließ. In monumentaler Vergrößerung geätzt und gedruckt, holt sie ihre Gesten aus einem digitalen Kontext in die Welt des Analogen, mit Hilfe einer über 500 Jahre alten Technik.
The Acid Lab. Säure in der Druckgrafik von Albrecht Dürer bis William Kentridge
Kunstmuseum Basel
Hauptbau | Zwischengeschoss
12.11.2022-14.05.2023
musermeku dankt dem Kunstmuseum Basel für die Einladung zum Besuch des Museums und für die Übernahme der Kosten der Reise.
Header-Bild: Edvard Munch: Mädchen auf einer Landungsbrücke (1903) – Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett – gemeinfrei, bearbeitet
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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