[City Card] Im Film „Pi“ (USA, 1998) von Darren Aronofsky glaubt der Protagonist Maximillian Cohen, dass die Welt anhand von Zahlen analysiert werden könne. Für ihn ist Mathematik die Sprache der Natur und alles um ihn herum lässt sich, seiner Vorstellung nach, durch Zahlen wiedergeben und verstehen. Eine seiner Hypothesen, die er zu Beginn des Films formuliert, ist es, dass wenn man die Zahlen eines beliebigen Systems grafisch darstellt, Muster entstehen. Da sich überall in der Natur Muster finden lassen, lässt sich alles durch Zahlen erklären. Während Max im Film immer tiefer in die Erforschung einer mysteriösen Zahlenfolge eintaucht, nehmen auch seine mentalen Beschwerden zu – von Paranoia über Halluzinationen.
Aronofsky gibt in seinem Film einen Einblick, wie psychische Krankheit sich in der Besessenheit von Zahlen zeigen kann. Doch das Thema ist nicht nur reine Fiktion. Tatsächlich ist die Obsession für Nummern und Schemata bei einigen psychisch Kranken zu finden und spielt auch in der sogenannten Outsider Art eine wichtige Rolle. Das Museum van de Geest in Amsterdam widmet sich dieser Kunst und zeigt nun in der Ausstellung „31553580 (Obsession) für Nummern und Schemata“, wie Kunstschaffende mit und ohne psychische Krankheiten sich mit der Strukturierung durch Zahlen auseinandersetzen.
Struktur im Chaos finden
Das niederländische Museum van de Geest, auf Deutsch das „Museum des Geistes“, widmet seine Ausstellungen dem menschlichen Verstand und der Psyche. Im Zentrum stehen dabei Kunstwerke, die sich mit mentaler Gesundheit, aber auch mit Krankheit auseinandersetzen. An seinem Standort in Amsterdam, im Gebäude der Eremitage, konzentriert sich das Museum auf Werke aus dem Bereich der Outsider Art, insbesondere von Menschen mit psychischen Erkrankungen oder geistigen Behinderungen.
In der aktuellen Ausstellung „31553580“ geht es nun um ein Thema, das für viele eine besondere Anziehungskraft ausübt: die Obsession für Zahlen und Schemata. Die Werke der hier vertretenen Kunstschaffenden zeigen Versuche, eine chaotische Welt mit einer Reihe von klaren Linien zu ordnen oder durch die Reduktion auf Zahlen eine Struktur wiederzufinden. Meist sind die Arbeiten, die vom Mutter-Sohn Kuratoren-Duo Hanne Hagenaars und Jan Hoek ausgewählt wurden, ein Hinweis auf die Suche nach einer Methode, die Realität in den Griff zu bekommen. In Kooperation mit dem Designer Tariq Heijboer entstand so eine Ausstellung, in der sich der Besucher ein bisschen verlieren kann, allerdings streng strukturiert natürlich.
Listen und Pläne
Jeder von uns braucht Struktur in seinem Alltag. Wir alle leben, mal mehr und mal weniger, nach Zeit- und Terminplänen, schreiben uns vielleicht To-Do-Listen oder brauchen Einkaufszettel, um nichts zu vergessen. Dabei ist die Strukturierung des Lebens immer auch eine individuelle Angelegenheit: Während manche immer alles exakt planen müssen, um die Kontrolle zu behalten, setzt andere so ein Denken extrem unter Druck. So bedeuten Listen und Tabellen für die einen etwas Befreiendes und werden von anderen als einengend empfunden. Vor diesem Hintergrund konfrontiert die Ausstellung „31553580“ den Besucher immer mit der Frage, welche Rolle Zahlen und Schemata im eigenen Leben spielen.
Hier werden diverse Ansätze deutlich, wie Strategien zur Schaffung von Ordnung entworfen und Systeme zur Kategorisierung entwickelt werden. Dass diese Mechanismen jeder auf die eine oder andere Art benötigt, wird klar, wenn man bedenkt, was uns täglich umgibt: neben Schule oder Job, Familie und Freunden müssen irgendwie auch Haushalt und Verpflichtungen eingehalten werden – und das alles inmitten einer Pandemie, der Klimakrise und Kriegsmeldungen. Wo schon psychisch gesunde Menschen an ihre Grenzen kommen, wird es für Menschen mit psychischen Erkrankungen noch schwieriger, sich hier zu organisieren.
Die Werke von rund 40 Kunstschaffenden, darunter Doerte Weber, Eiko Ishizawa, George Widener oder Lionel Plak, eröffnen einen völlig anderen Blick auf die Welt, in der alles ganz berechenbar erscheint. Um dem chaotischen Alltag außerhalb des Museums für einen Moment zu entfliehen, wird der Besucher bereits zu Beginn der Ausstellung von einem riesigen Zeitplan begrüßt, auf dem die Werke in einem großen, geordneten Raster zu sehen sind. Von hier aus beginnt der Weg durch die Welt der Zahlen, Tabellen und geordneten Linien, hinein in eine Schau, die wie ein riesiger Terminplan strukturiert ist und bei der selbst der Titel „31553580“ entziffert werden will. Rückwärts und auf den Kopf gestellt, ergibt die Zahlenreihe übrigens den niederländischen Begriff „obsessie“, also Obsession. Der Titel steht damit exemplarisch für die Botschaft der Ausstellung: Zahlen können die Welt ordnen – aber nur für denjenigen, der sie zu entziffern weiß.
31553580 (obsessie) voor nummers & schema’s
Museum van de Geest – Outsider Art
Hermitage, Amstel 51, 1018 EJ Amsterdam
22.09.2022-27.08.2023
musermeku dankt amsterdam&partners für die Bereitstellung der I amsterdam City Card, mit der ein Besuch von über 70 Museen und Sehenswürdigkeiten sowie die Nutzung des ÖPNV in Amsterdam möglich ist.
Header-Bild: Angelika Schoder – Museum van de Geest, Amsterdam 2023
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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