Fotoausstellung Menschen auf See: Kreuz und queer übers Meer

In Amsterdam beleuchtet eine Fotoausstellung im Maritimen Museum die Schicksale verschiedener Menschen, die mit dem Meer verbunden sind. Dabei geht es um Themen wie Geschlecht, Sexualität, Integration oder Migration.

In Amsterdam beleuchtet Het Scheepvaartmuseum mit einer Fotoausstellung die Schicksale von Menschen, die mit der See verbunden sind.

[City Card] Wie werden Menschen vom Leben auf See beeinflusst? Und wie prägte das Meer ihren Charakter und ihr Schicksal? Mit diesen Fragen setzt sich aktuell die Fotoausstellung „Menschen auf See“ im Nationalen Maritimen Museum in Amsterdam auseinander. Die Ausstellung, die in Kooperation mit der Dutch National Portrait Gallery entstand, zeigt in erster Linie Porträtaufnahmen von Menschen, um persönliche Geschichten und historische Hintergründe zu beleuchten, und diverse Fotografien, welche die Schönheit, aber auch die Naturgewalt des Meeres zeigen. In einem kleinen Atelierraum gibt das Oral-History-Projekt „Queer Spaces at Sea“ zudem einen Einblick in die queere Kultur auf Handelsschiffen ab den 1950er Jahren.


Die Ausstellung „Menschen auf See“ wird im Zeemagazijn in Amsterdam gezeigt.
Die Fotoausstellung „Menschen auf See“ wird im Zeemagazijn gezeigt, dem ehemaligen Arsenal der Admiralität von Amsterdam aus dem 17. Jhd. Hier ist seit 1973 das Nationale Maritime Museum von Amsterdam ansässig.

„Auf hoher See sind wir zwischen zwei Welten gefangen: dem trockenen Land hinter uns und neuen Ufern vor uns. Beim Segeln zwischen bekannten Welten schwanken wir zwischen Kontrolle und Hingabe. Zwischen dem, was wir waren, und dem, was wir sein könnten.“

Aus der Ausstellung „Mens op Zee“

Der Mensch und das Meer

In der von Sara Keijzer und Rose leneke van Kalsbeek kuratierten Ausstellung „Menschen auf See“ treffen diverse Perspektiven und persönliche Geschichten aufeinander. Jede bietet einen anderen Zugang zum Thema Seefahrt. Ein verbindendes Element stellt dabei das Medium der Fotografie dar, von historischen Aufnahmen bis hin zu zeitgenössischen Porträts und Videoinstallationen. Es geht um Seeleute, deren Arbeitsort die Weltmeere sind, um Passagiere, die zum Vergnügen einige Zeit auf dem Meer verbringen, und um Menschen, die sich ganz alleine in den Weiten des Ozeans sportlichen Herausforderungen stellen. Ihre Geschichten erzählen von Reisen zwischen den Welten und von einem Leben jenseits des Vertrauten.

Ziel der Fotoausstellung ist es zu zeigen, wie das Leben auf See die Menschen zu einer neuen Beziehung zu sich selbst führen kann, aber wie es auch das Verhältnis zu anderen Menschen, zum Schiff und zum Meer verändert. Dabei werden auch Themen wie Geschlecht, Integration und Migration angesprochen. Erzählt werden diese Geschichten anhand von Exponaten aus der Fotosammlung des Maritimen Museums in Amsterdam, die übrigens rund 150.000 Bilder umfasst, sowie durch Objekte aus der Sammlung der Dutch National Portrait Gallery, ergänzt mit Leihgaben aus anderen Museen, Bibliotheken und Archiven. Die Vielfalt der gezeigten Werke, die teils erstmals öffentlich zugänglich sind, reicht dabei vom ältesten bekannten Porträt eines niederländischen Seemanns, Jan Carel Thierry de Bye aus dem Jahr 1845, über aktuelle Seestücke bis hin zu einer immersiven Installation mit Dias des ersten niederländischen Solo-Weltumseglers Herman Jansen (1924-2017).


Anhand des Mediums der Fotografie beleuchtet die Ausstellung persönliche Schicksale
Ob historische Aufnahmen oder zeitgenössische Porträts und Videoinstallationen: Anhand des Mediums der Fotografie beleuchtet die Ausstellung persönliche Schicksale und Vorstellungen von der Schönheit und Gewalt des Meeres.

„Für die einen bietet das Meer Freiheit, Entfaltung, Träume und Ehrgeiz, für die anderen Ordnung und Rhythmus, aber auch Krisen und sogar Einschränkungen.“

Aus der Ausstellung „Mens op Zee“

Einblicke in das Leben an Bord

Die Ausstellung bietet einen historischen Einblick in das Leben von Menschen auf See, wobei indirekt auch das Medium der Fotografie zum Thema wird. Ab Mitte des 19. Jhd. ließen sich immer mehr Seeleute in Fotostudios ablichten, um ihren Angehörigen ein Andenken hinterlassen zu können, während sie die Weltmeere bereisten. Die Porträts zeigen oft Bezüge zum Beruf der Seeleute, etwa Schiffsmodelle oder eine gemalte Meereslandschaft im Hintergrund. Die Bilder kosteten damals bis zu 15 Gulden, was heute etwa bis zu 200 Euro entsprechen würde. Daher konnten sich nur wohlhabendere Seeleute den Besuch im Fotostudio leisten.

Mehr Bewegung kam in die Sache, als gegen Ende des 19. Jhd. Handkameras mit an Bord genommen werde konnten. Diese benötigen eine viel kürzere Belichtungszeit, daher konnten auch spontanere Aufnahmen auf Schiffen entstehen. Zudem konnten auch Amateurfotografen die Kameras bedienen. In der Ausstellung sind hier Fotografien zu sehen, die das Geschehen an Deck dokumentierten. Dabei tauchen allerdings nur selten Menschen auf, die den unteren sozialen Schichten angehörten. Die Technik der Fotografie war nicht günstig, daher hatten Besatzungsmitglieder wie Heizer, einfache Matrosen, Kombüsen- und Wäschereiarbeiter nur selten eine Kamera und fotografierten sich kaum gegenseitig. Die wenigen Fotos, auf denen diese Menschen an Bord zu sehen sind, zeigen das lebendige Miteinander der verschiedenen Kulturen, aber auch die starre hierarchische Ordnung.

Mit zu den eindrücklichsten Exponaten in der Fotoausstellung gehören die Aufnahmen des Filmemachers Alphons Hustinx (1900-1972). Er war 1938 damit beauftragt, einen Werbefilm zu drehen, um den Tourismus in Niederländisch-Ostindien zu fördern. Neben Aufnahmen aus den Kolonien zeigt der Film „Farbe und Ruhm unserer Tropen“ auch das Leben an Bord der MS Johan van Oldenbarnevelt. Hierbei entstanden auch beeindruckende Fotoporträts des javanischen Dienstpersonals. Die Aufnahmen von Hustinx, die stolze Crewmitglieder zeigen, unterscheiden sich stark von vergleichbaren Aufnahmen dieser Zeit, die sonst oft eine rassistische Perspektive einnehmen.

Während die Porträtierten von Hustinx anonym bleiben, werden die Bilder aus der Serie „Marinefrauen“ von Colette Lukassen (*1967) von persönlichen Geschichten begleitet. Die Fotos dokumentieren, wie in der niederländischen Marine immer mehr Frauen wichtige Positionen übernahmen. Unter ihnen sind Mary Riemens, die 1992 weltweit die erste Frau war, die als Taktische Koordinatorin bei einem Marinefliegerdienst arbeitete, und Annette van der Kaaii, die 1983 mit zu den ersten Frauen am Königlichen Marineinstitut zählte. Alle hier porträtierten Frauen berichten in ihren Statements, wie sie sich ihren Platz in der maritimen Männerwelt hart erkämpfen mussten, entgegen aller Vorurteile und Diskriminierung.


Das erste bekannte Foto eines niederländischen Seemanns wurde 1845 in Amsterdam angefertigt.
Das erste bekannte Foto eines niederländischen Seemanns wurde 1845 in Amsterdam angefertigt, bevor der Matrose zu einer Fahrt nach Afrika aufbrach, von der er nicht wieder zurück kehrte.

Eduard François: Porträt von Jan Carel Thierry de Bye (1845) – Universitaire Bibliotheken LeidenCC BY 4.0

Schönheit und Zerstörung

Auch wenn der Titel „Menschen auf See“ suggeriert, es ginge ausschließlich um persönliche Geschichten und Personen, verschiebt die Ausstellung immer wieder ihren Fokus auch auf das Meer selbst, auf dessen Schönheit und Gefahren. Doch auch hier geht es im Kern um Menschen und ihre Beziehungen zur See, wie Kuratorin Sara Keijzer betont: „Mischa Keijsers Serie ‚MARO‘ [in der Aufnahmen der Meeresoberfläche zu sehen sind] fungiert als Prolog zur Ausstellung und führt den Besucher auf poetische Weise vom Land zum Meer. Seine Serie dokumentiert ein Kräftemessen zwischen dem Individuum und dem Ozean, denn Keijser versucht, mit der Kamera in der Hand und fasziniert von der wilden Weite des Wassers, Schritt für Schritt und ohne Hilfsmittel so weit wie möglich ins Meer vorzudringen.“ Was also auf den ersten Blick wie ein fotografisches Beobachten des Wassers wirkt, ist verbunden mit der persönlichen Annäherung des Fotografen Mischa Keijser (*1974) an das Meer.

Als Kontrast wirken die Fotografien von Jonathan Danko Kielkowski (*1988), der sich in seiner Serie „Concordia“ mit dem Unglück des Kreuzfahrtschiffs Costa Concordia befasst. Das 2012 havarierte Schiff wurde in den Hafen von Genua geschleppt, wo der deutsche Fotograf 2014 die Auswirkungen des Unglücks dokumentierte. Das einst aufwändig designte Luxusinnenleben des Schiffs zeigt sich in den Bildern stark zerstört und dem Verfall preisgegeben; Kielkowskis Aufnahmen erinnern dabei an den Untergang der Titanic.

„Die Concordia-Serie atmet die Abwesenheit von menschlicher Aktivität auf dem Schiff und deutet gleichzeitig stark auf die Zeiten hin, in denen es sie gab“, kommentiert Keijzer ihre Entscheidung, die Fotografien in die Ausstellung mit aufzunehmen. „Die Fotoserie zeigt die beeindruckende Kraft des Meeres und den schmalen Grat, den wir Menschen überschreiten, wenn wir uns dorthin begeben. In den Bildern gehen verschiedene Zeitmomente gewissermaßen ineinander über“, so die Kuratorin. Insofern war es für das Museum wichtig, sich in der Ausstellung nicht nur auf persönliche Schicksale zu konzentrieren, sondern anhand ausgewählter Fotoserien auch die Art und Weise zu diskutieren, wie Menschen mit dem Meer umgehen.


Ein Atelierraum zum Thema "Queer Spaces at Sea" ergänzt die Ausstellung.
Ein Atelierraum zum Thema „Queer Spaces at Sea“ ergänzt die Ausstellung. An einer Audio-Station können Zeitzeugen-Interviews gehört werden und an einer Magnetwand kann diskutiert werden, wie das Leben auf See Menschen verändert.

Queere Räume auf See

Die Ausstellung wird von einem Atelierraum begleitet, der im Rahmen des Oral-History-Projekts „Queer Spaces at Sea“ unter der Leitung von Bob van de Poll and Sara Keijzer entstand. Im Atelier, das sich eine Etage unterhalb der Fotoausstellung befindet, ist zum einen ein Videointerview mit Charles and Gillis zu sehen, zwei ehemalige Besatzungsmitglieder des Ocean Liner SS Rotterdam. Zum anderen können an Audio-Stationen weitere Interviewausschnitte angehört werden. Im Zentrum stehen dabei Berichte und Erlebnisse vom Leben queerer (*) Menschen an Bord von Handelsschiffen zwischen den 1950er und 80er Jahren.

Die Interviews sind Teil eines weit angelegten Oral-History-Projekts, wie die Kuratorin Sara Keijzer erklärt: „Das Museum sammelt mündliche Überlieferungen, die zeigen, auf welche vielfältigen Weisen Menschen mit der maritimen Welt verbunden sind. Denn die Auseinandersetzung mit persönlichen Geschichten kann festgefahrene Sichtweisen um eine neue Dimension erweitern und Einblicke in Erzählungen geben, die sonst vielleicht unerzählt blieben.“ Für das Projekt „Queer Spaces at Sea“ sei es jedoch zunächst schwierig gewesen, Menschen zu finden, die bereit waren ihre sehr persönlichen Geschichten zu erzählen, so die Kuratorin. „Dies erfordert natürlich ein Vertrauensverhältnis, das sich im Laufe der Zeit herausbildet. Wir wollten diesen Prozess auf keinen Fall überstürzen“, so Keijzer weiter. Letztendlich konnten die Interviews erst durchgeführt werden, als das recht aufwändige Design der Fotoausstellung bereits fertig war. Daher ist der Themenbereich nicht Teil der Hauptausstellung, sondern wird in einem eigenen Bereich, dem Atelier, aufgegriffen.

Tatsächlich bringt es aber auch Vorteile mit sich, den persönlichen Einblicken queerer Menschen einen eigenen Raum zu geben. Das Atelier bietet nämlich direkt die Möglichkeit, sich in einem interaktiven Bereich mit den in den Interviews angesprochenen Themen weiter auseinanderzusetzen und diese zu diskutieren. „Als Partizipationsraum neben der Hauptausstellung lädt das Atelier die Besuchenden dazu ein, darüber nachzudenken, wie sich die eigene Identität ‚verschiebt‘ (oder auch nicht), während man auf See ist, weit weg von den sozialen Codes an Land. Dies ist ein Hauptthema der Ausstellung und auch in den Geschichten, die unsere Interviewpartner erzählen: über die Zugehörigkeit zu einer schwulen Gemeinschaft an Bord der SS Rotterdam und darüber, wie das Leben auf See unter Gleichgesinnten als Flucht vor dem Leben an Land erlebt wurde. Immerhin war das zu einer Zeit, als Homosexualität in den Niederlanden noch nicht so akzeptiert war wie heute – auch wenn es noch einen langen Weg zu gehen gilt“, erklärt Sara Keijzer.

Um diesen Weg vielleicht auch ein Stück mit zu gestalten, wird das Atelier vom Museum in ein breiteres öffentliches Programm eingebunden. So fand während der Museumsnacht im November 2022 hier eine Diskussionsrunde mit Menschen aus der queeren Community über Safe Spaces statt und im Frühjahr 2023 soll eine Veranstaltung rund um das Oral-History-Projekt organisiert werden, bei dem weitere Geschichten über queere Kultur an Bord von Schiffen vorgestellt werden. Beteiligte am Projekt sind dazu eingeladen, sich im Rahmen des Events in der Ausstellung zu treffen und über ihre Erinnerungen auszutauschen. Dafür ist das Museum übrigens auch immer noch auf der Suche nach Zeitzeugen, die von ihrer Zeit auf See in der niederländischen Handelsmarine zwischen 1950 und den 80er Jahren berichten und sich so am Oral-History-Projekt beteiligen möchten.

* Das Wort „queer“ wird in der Ausstellung stellvertretend genutzt für Personen mit einer nicht-heterosexuellen Präferenz und/oder einer nicht-heteronormativen Geschlechtsidentität.

Noch bis Ende Mai 2023 ist im Nationalen Maritimen Museum in Amsterdam die Ausstellung "Menschen auf See" zu sehen.
Noch bis Ende Mai 2023 ist im Nationalen Maritimen Museum in Amsterdam die Ausstellung „Menschen auf See“ zu sehen.

Mens op Zee

het scheepvaart national maritime museum, Amsterdam
07.10.2022-02.07.2023 (verlängert)

Die Ausstellung ist zweisprachig gestaltet, auf Niederländisch und Englisch.

musermeku dankt amsterdam&partners für die Bereitstellung der I amsterdam City Card, mit der ein Besuch von über 70 Museen und Sehenswürdigkeiten sowie die Nutzung des ÖPNV in Amsterdam möglich ist.


Header-Bild: Porträts von Alphons Hustinx und Bilder aus der Serie „Marinefrauen“ von Colette Lukassen in der Ausstellung „Mens op Zee“,
Fotos: Angelika Schoder – het scheepvaart national maritime museum, Amsterdam 2023


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Angelika Schoder

Über die Autorin

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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