[Pressereise] Als Kunsthistoriker, Kurator und Kritiker zählte Curt Glaser (1879–1943) zu den wichtigsten Persönlichkeiten in den Berliner Kulturkreisen der 1910er und 20er Jahre. Das Kunstmuseum Basel beleuchtet nun in einer Ausstellung nicht nur das Leben von Glaser, sondern auch seine Kunstsammlung, die er gemeinsam mit seiner Frau Elsa aufgebaut hatte. In den Blick rücken dabei Werke von Edvard Munch, Henri Matisse, Franz Marc oder Max Beckmann. Dass diese Arbeiten heute zusammen gezeigt werden können, war nicht einfach, denn aufgrund seiner jüdischen Herkunft musste Glaser vor dem NS-Regime fliehen; die Kunstsammlung wurde verkauft und in die ganze Welt verstreut. Die Ausstellung begibt sich nun auf eine Spurensuche.
Ein Berliner Sammlerpaar
Jeden Montag lud das Ehepaar Curt und Elsa Glaser in seine Berliner Wohnung zu Empfängen ein. Beide waren in der Kunstwelt zu Hause, sie als Übersetzerin französischer Kunstpublikationen, er als Kunstkritiker, -wissenschaftler und schließlich als Direktor der Berliner Kunstbibliothek. Entsprechend verkehrten die Glasers in Künstlerkreisen, sowohl in Berlin, aber auch auf ihren Reisen in ganz Europa, etwa zu Henri Matisse nach Paris oder zu Edvard Munch nach Oslo. Sie sammelten die Werke zahlreicher bedeutender Kunstschaffender und ließen sich auch immer wieder von ihnen porträtieren, etwa von Max Beckmann.
Ihre Wohnung in der Prinz-Albrecht-Straße füllte sich schnell mit einer umfangreichen und vielfältigen Sammlung, die neben Kunst der Moderne auch die der Alten Meister umfasste, aber auch ostasiatische, arabische und afrikanische Kunst. Einen Schwerpunkt bildeten Zeichnungen und Druckgrafiken der Moderne, allen voran im Stil des Expressionismus. Edvard Munch und Max Beckmann nahmen hier eine besondere Stellung ein, auch weil das Ehepaar Glaser mit beiden eine gute persönliche Beziehung verband. Mit Munch bestand sogar eine langjährige Brieffreundschaft. Die Glasers waren hier nicht nur Sammler, sondern auch Förderer. So fand die erste große Ausstellung von Munch in der Schweiz dank der Vermittlung durch das Ehepaar 1922 im Kunsthaus Zürich statt.
Die Ausstellung im Kunstmuseum Basel zeigt hier zentrale Werke aus der Sammlung der Glasers, etwa Max Beckmanns Porträt von Curt Glaser, ein Porträt des Ehepaars, gemalt von Edvard Munch, Radierungen von Odilon Redon, Grafiken von Marc Chagall und Henri Matisse, aber auch das Gemälde „Die großen Blauen Pferde“ (1911) von Franz Marc. Daneben sind zahlreiche Fotos des Ehepaars Glaser zu sehen, aus ihrer kunstvoll eingerichteten Berliner Wohnung, aber auch von ihren Reisen, bei denen sie Künstlerfreunde besuchten. Ihre Kunstbücher geben einen Einblick in ihre publizistische Tätigkeit, während Postkarten und Briefe persönliche Einblicke gewähren.
Die Zerstreuung einer Sammlung
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 begann in Deutschland die systematische Verfolgung von Menschen jüdischer Herkunft. Auch Curt Glaser war betroffen; seine Frau war ein Jahr zuvor verstorben. Glaser verlor seine Position als Direktor der Berliner Kunstbibliothek und musste auch seine Wohnung in der Prinz-Albrecht-Straße aufgeben, da das Gebäude als Sitz der Geheimen Sicherheitspolizei genutzt werden sollte. Der Kunstsammler war gezwungen, seine Sammlung aufzulösen. Anfang Mai 1933 ließ er in zwei umfangreichen Auktionen einen Großteil seines Besitzes versteigern. Mit seiner zweiten Frau Maria emigrierte er kurz darauf in die Schweiz; 1941 wanderte das Ehepaar in die USA aus und ließ sich in New York nieder, wo Curt Glaser 1943 schließlich verstarb.
Das Kunstmuseum Basel zeigt in der Ausstellung nicht nur Unterlagen zu den Versteigerungen der Kunstsammlung, sondern versucht auch zu verfolgen, was aus den Werken wurde. Nicht immer lässt sich dies nachvollziehen; tatsächlich sind heute die wenigsten Eigentümer der Bilder und Kunstobjekte aus der Sammlung Glaser bekannt. Das Kunstmuseum Basel selbst besitzt die größte zusammenhängende Werkgruppe aus der Sammlung: 200 Zeichnungen und Druckgrafiken, die 1933 für das Kupferstichkabinett bei einer Auktion angekauft wurden.
Ergänzend zur Ausstellung „Der Sammler Curt Glaser“ im Neubau zeigt das Museum 40 Karikaturen von Honoré Daumier (1808–1879) aus der Sammlung von Curt Glaser in der Ausstellung „Galop charivarique“ in den Grafikkabinetten des Hauptbaus. Bei rund der Hälfte der 200 von Glaser angekauften Werke handelt es sich nämlich um Druckgrafiken von Daumier, die dieser überwiegend für die französische Satirezeitschrift Le Charivari schuf. Die kleine Ausstellung bietet einen Überblick über die inhaltliche Vielfalt von Daumiers Beiträgen für die Zeitschrift, in der dieser sich über die Pariser Politik und das Alltagsgeschehen lustig machte.
Aufarbeitung der Geschichte
Wie kaum ein anderes Schweizer Museum setzt sich das Kunstmuseum Basel aktuell mit seinen Sammlungsbeständen auseinander, besser gesagt mit der Herkunft der hier präsenten Kunstwerke. In der Ausstellung „Zerrissene Moderne“, die noch bis 19. Februar 2023 zu sehen ist, geht es darum, wie Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten als „entartet“ eingestuft, aus deutschen Museen entfernt und ins Ausland verkauft wurden, letztendlich im Kunstmuseum Basel den Grundstein der Sammlung zur Kunst der Moderne bilden konnten. Eine gelungene Ergänzung hierzu bildet vor allem die Ausstellungen „Der Sammler Curt Glaser“ der beiden Kuratorinnen Anita Haldemann und Judith Rauser.
Auch diese Ausstellung stellt eine Auseinandersetzung mit der Herkunft der Sammlung des Kustmuseum Basel dar: Im Jahr 2007 machten die Erben Glasers erstmals Ansprüche an das Museum geltend, doch diese wurden zunächst vom Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt abgewiesen. Erst als die Erbengemeinschaft 2017 erneut mit Basel Kontakt aufnahm, um eine „faire und gerechte Lösung“ entsprechend der „Washingtoner Richtlinien“ zu ersuchen, wurde der Fall Curt Glaser eingehend geprüft. Im März 2020 kam es zu einer Einigung: Die Werke aus der Sammlung Glaser werden im Kunstmuseum Basel bleiben. Im Gegenzug erhielten die Erben eine finanziellen Entschädigung – doch auch die Aufarbeitung der Geschichte hinter den Werken war Teil des Übereinkommens. Das Ergebnis sind nun die große Ausstellung „Der Sammler Curt Glaser“ und die kleine Schau „Galop charivarique. Karikaturen von Daumier aus der Sammlung Curt und Elsa Glaser“.
- Infos zur Provenienzforschung im Kunstmuseum Basel: Der Fall Curt Glaser
Begleitend zur Ausstellung im Kunstmuseum Basel erscheint die Publikation „Der Sammler Curt Glaser. Vom Verfechter der Moderne zum Verfolgten“, herausgegeben von Anita Haldemann und Judith Rauser, 2022 im Deutschen Kunstverlag (ISBN: 978-3-422-98876-7). Das Buch beinhaltet, neben zahlreichen farbigen Werkabbildungen und historischen Fotografien, auch Beiträge von u.a. Joachim Brand, Max Koss, Lynn Rother, Andreas Schalhorn, Noemi Scherrer, Joachim Sieber, Jennifer Tonkovich und Felix Uhlmann.
Der Sammler Curt Glaser. Vom Verfechter der Moderne zum Verfolgten
Kunstmuseum Basel, Neubau
22.10.2022–12.02.2023
Galop charivarique. Karikaturen von Daumier aus der Sammlung Curt und Elsa Glaser
Kunstmuseum Basel, Hauptbau – Grafikkabinette
22.10.2022-05.02.2023
musermeku dankt dem Kunstmuseum Basel für die Einladung zum Besuch des Museums und für die Übernahme der Kosten der Reise.
Header-Bild: Edvard Munch: Madonna (1895/1902) – Kupferstichkabinett – gemeinfrei (beschnitten)
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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