[Ausstellung] Eine Spinne, so groß wie eine dicke Katze, kauert auf dem Fußboden einer historischen Bauernstube und scheint Münzen zu horten. Nebenan leuchtet das Wort „love“ in Neonbuchstaben hinter Bleiglasfenstern und wieder einen Raum weiter finden sich traditionell bemalte Kacheln mit blauem Zwiebelmuster, auf denen in Altdeutscher Schrift Begriffe wie „verfolgung“ oder „volksverhetzung“ stehen. All dies sind Arbeiten von Kunstschaffenden aus dem FRISE Künstlerhaus und Ausbildungszentrum in Hamburg, die das Altonaer Museum in seiner Dauerausstellung platziert hat. Die Ausstellung „Kunst | Stube | Bauern | Raum“ zeigt, wie sich aus dem Kontrast zwischen einer historischen Sammlung und moderner Kunst neue Blickwinkel ergeben können.
Störung im Raum
Zeitgenössische Kunst an historischen Orten zu platzieren oder sie in Dialog mit Kunstwerken vergangener Jahrhunderte treten zu lassen, ist mittlerweile keine Seltenheit mehr. Aktuelle Beispiele sind etwa die Skulpturen von Rogério Timóteo in der Zitadelle von Cascais oder die Gegenüberstellung von Kunstwerken von Louise Bourgeois und den historischen Sammlungsbeständen im Kunstmuseum Basel. Für die Ausstellung „Kunst | Stube | Bauern | Raum“ hat sich nun auch das Altonaer Museum dazu entschlossen, seine Räumlichkeiten als Rahmen für aktuelle Kunst zur Verfügung zu stellen. Insgesamt 14 Kunstschaffende des FRISE Künstlerhaus und des Abbildungszentrum e.V. (ABZ) in Hamburg sind nun noch bis zum 30. Mai 2022 im 2. und 3. Stock des Museums zu Gast.
Platziert sind die Skulpturen und Licht- und Sound-Installationen nicht etwa in neutralen Ausstellungsräumen, sondern ausgerechnet in Räumen der norddeutschen Bauernkultur. Dieses ungewöhnliche Aufeinandertreffen von Kunst und historischem Rahmen ermöglicht einen neuen Blick auf die Dauerausstellung des Museums und erweitert gleichzeitig den musealen Raum um neue Impulse.
Die Besucher sind dazu eingeladen, zwölf Installationen in der Dauerausstellung des Museums zu entdecken. Sie sind teils unauffällig platziert, wie die bedruckten und bemalten Delfter Fliesen von Youssef Tabti mit dem Titel „Migration“ (2020), in denen der Künstler das Thema Flucht und Migration mit einem typischen Element der norddeutschen Bauernstube verbindet. Teils sind die Kunstwerke in den Ausstellungsräumen aber auch unübersehbar, wie Rolf Bergmeiers Skulptur einer dicken, Silbermünzen hortende Spinne. Die Arbeit trägt den Titel „rien ne va plus“ (2021) und soll an Ferdinand Wöbber erinnern, der in der Zeit zwischen den Weltkriegen reiche Bauernhöfe ausraubte, um die Beute an die arme Bevölkerung zu verteilen.
Von Stubenfliegen und Liebe
Wie der Ausstellungstitel „Kunst | Stube | Bauern | Raum“ verrät, geht es um den Kontrast zwischen norddeutscher bäuerlicher Tradition und aktueller Kunst. Das Aufeinandertreffen erscheint dabei manchmal ganz harmonisch und manchmal als Störfaktor. Im 2. Stock des Altonaer Museum fügt sich die Sound-Installation „Solo für eine Stubenfliege“ (2021) beispielsweise eher subtil in eine sogenannte Vierländer Großkate aus dem Jahr 1745. Das historische Gebäude, das einst im Osten Hamburgs stand, wurde komplett innerhalb des Museums wieder aufgebaut und ist nun als „Haus im Haus“ begehbar. Die Kate mit Reetdach und offener Feuerstelle teilten sich einst Mensch und Nutzvieh. Lebhaft kann man sich vorstellen, dass hier Stubenfliegen zum Inventar gehörten. Die Künstlerin Doro Carl lässt in ihrer Sound-Installation das Summen einer einzelnen Fliege erklingen, zusammen mit dem Brummen von Bienen. Mit ihrer Arbeit macht sie auf das Insektensterben aufmerksam.
Als Störfaktor in der Dauerausstellung des Museums wirken hingegen einige Installationen in den historischen Bauernstuben. Für Irritation sorgt hier etwa die Arbeit „Gute Partie“ (2021) von Christian F. Kintz, die (wie die meisten Werke in der Ausstellung) extra für das Altonaer Museum entstand. Die Rauminstallation besteht unter anderem aus einer Perücke, einem Strumpfband und einem Tanga, platziert auf einer Fensterbank. Hinter Bleiglasfenstern leuchtet der Schriftzug „love“ auf. Die Installation in der holzgetäfelten Stube, die sich um 1700 nur reiche Bauern leisten konnten, verweist darauf, dass einst in gewissen Schichten vor allem geheiratet wurde, um seinen Besitz zu sichern oder zu vermehren. Gesucht wurde also vor allem die titelgebende „Gute Partie“. Mit der Neonschrift erinnert die Installation aber auch etwas an das Rotlichtviertel St. Pauli, das nur wenige Minuten vom Altonaer Museum entfernt liegt.
Ähnlich vieldeutig wirkt auch die Arbeit „wo es war“ (2021) von Helene von Oldenburg und Claudia Reiche in einer Stube aus Kirchwerder von 1812. Zwischen zwei Glasplatten sind hier getrocknete Pflanzen im Raum platziert, ergänzt durch einen Gummihandschuh und eine OP-Maske. Letztere erinnert direkt an die Umweltverschmutzung, die seit der Pandemie allgegenwärtig ist – überall findet man nun verlorene oder weggeworfene Einwegmasken. Tatsächlich hatten sich die Künstlerinnen auf die Suche nach dem Herkunftsort der Bauernstube begeben. Im Osten Hamburgs, in den Vierlanden, wollten sie herausfinden, was heute dort ist „wo es war“. Was sie vorfanden, war offensichtlich vermüllte Natur.
Kunst trifft auf Geschichte
Die Stuben aus dem 18. und frühen 19. Jhd., die im Altonaer Museum detailgetreu wieder aufgebaut wurden, stammen ursprünglich aus verschiedenen Orten in Norddeutschland, etwa aus Sylt oder von der Hallig Hooge, aus dem Alten Land oder aus Süderdithmarschen. So historisch bedeutend diese Bauernstuben auch sein mögen, vermutlich zählen sie wohl nicht zu den Besucher-Highlights des Museums. Zumindest als wiederkehrender Besucher sieht man sich die Stuben eher nicht häufiger an, zumal sie im oberen, hinteren Teil des Gebäudes platziert sind, ein Stück von den Räumen der Sonderausstellungen entfernt.
Die Ausstellung „Kunst | Stube | Bauern | Raum“ bietet nun auch Besuchern, die das Museum bereits kennen, einen aktuellen Anlass, die Stuben in der Dauerausstellung neu zu entdecken. Durch den Dialog mit zeitgenössischer Kunst wirken die historischen Räume nicht nur als Rahmen, als ungewöhnlicher Ort mit maximalem Kontrast zu den gezeigten Skulpturen und Installationen. Dadurch dass die Kunstwerke ortsspezifisch sind, laden sie auch dazu ein, die Stuben selbst noch einmal ganz anders wahrzunehmen und neue Details zu entdecken. So schärft etwa die Sound-Installation „klock twalf“ (2021) von Eva Riekehof die Besucher-Sinne, indem mit Geräuschen aus den historischen Räumen gespielt wird. Hier eine tickende Uhr, dort das Knarzen von Balken – sich bewegende Klänge. Ziel der Arbeit ist es, das Zeit- und Raumerleben beim Gang durch die Stuben des Museums zu „verrücken“. Und tatsächlich trägt die Installation dazu bei, die Zimmer bewusster und aufmerksamer zu durchschreiten, genauer hinzuhören und auch hinzusehen.
Kunst | Stube | Bauern | Raum
26.11.2021-30.05.2022
Altonaer Museum
Bilder: Angelika Schoder – Ausstellung „Kunst | Stube | Bauern | Raum“ im Altonaer Museum (2022)
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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