[Werbung] Typischerweise hängen in Museen Kunstwerke an der Wand oder sind im Raum platziert. Besucher können dann wahlweise andächtig, begeistert oder einfach interessiert davor stehen und die Kunst auf sich wirken lassen. Diese Art der unmittelbaren Begegnung mit Kunst hat meist ein bestimmtes Publikum, das man als klassische Museumsgänger bezeichnen könnte. Oft sind diese Personen eher gut gebildet und in der Regel ist diese Zielgruppe auch schon etwas älter. Natürlich stellen sich Museen deshalb die Frage: Wie kann man noch weitere Zielgruppen erreichen und für die Inhalte des Museums begeistern? Auch die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe hat sich diese Frage gestellt – und viel wichtiger: Das Museum hat direkt die Menschen befragt, die keine klassischen Museumsgänger sind. Statt theoretisch etwas auf Verdacht zu konzipieren, hat das Museum mit sogenannten Fokusgruppen gearbeitet. Als Ergebnis entstand das digitale Angebot „Art of“ das online unter moodfor.art zugänglich ist. Im Interview berichten verschiedene Akteure des Museums, wie das Projekt entstand.
Ein Teil der Digitalen Strategie
Die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe sieht das Projekt „Art of“ als wichtigen Baustein ihrer Digitalen Strategie an. Das Projekt, das durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg im Rahmen des Programms „Digitale Wege ins Museum II“ gefördert wurde, ist seit Juli 2020 online, wobei die drei inhaltlichen Schwerpunkte zeitversetzt zugänglich gemacht werden und sich so nach und nach entdecken lassen.
Art of Wasting Time
Nutzer werden anhand verschiedener Themen durch die Werke der Sammlung der Kunsthalle Karlsruhe gelotst und können sich anhand eigener Interessen Moodboards erstellen.
Art of Creating Stuff
Im Collage-Verfahren können Nutzer beliebte Werke aus der Sammlung der Kunsthalle verändern und bearbeiten. Die entstandene Eigenkreation kann als Motiv auf T-Shirts, Kissen oder Taschen gedruckt werden.
Art of Chit-Chatting
Hier erfahren Nutzer Anekdoten und spannende Fakten rund um die Sammlung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe und erhalten einen Blick hinter die Kulissen des Museums.
Interview
Wie entstand „Art of“?
Am Anfang stand für die Kunsthalle Karlsruhe die Idee „Deine Kunsthalle 24/7“. Wie hat sich daraus „Art of“ entwickelt?
Florian Trott, Projektleiter und Leiter der Abteilung Kommunikation: „Der ursprüngliche Arbeitstitel ‚Deine Kunsthalle 24/7‘ steht quasi bildlich für das Konzept der Website [moodfor.art]: Das Projekt sollte einen persönlichen Zugang zu den Kunstwerken der Kunsthalle ermöglichen und jederzeit von überall zugänglich sein. In den Fokusgruppenbefragungen, die begleitend zur Entwicklung der Projektidee durchgeführt wurden, kristallisierten sich unter den breitgefächerten Interessen und Vorlieben der Teilnehmer*innen Gemeinsamkeiten heraus. Die drei Bereiche tragen diesen ähnlich formulierten Bedürfnissen Rechnung: Individuelle kreative Entfaltungsmöglichkeiten, Kommunikation, Verständnis und Wissenserwerb auf eine zeitgemäße unterhaltsame Weise, die ohne großen Aufwand in den Alltag integriert werden können. Die anvisierte Dreigliederung des Projekts lieferte so den Grundstein für „Art of“. Während die drei Bausteine in verschiedenen Workshops und Team-Meetings konzeptionell weiterentwickelt wurden, kristallisierte sich der Wunsch nach einem Naming heraus, das die drei unterschiedlichen Angebote miteinander verbindet.“
Dr. Heidi Pfeiffenberger, digitale Kuratorin: „Idealerweise sollte der Name auch einen Hinweis zu Inhalt und Zweck der neuen Website liefern: einen niederschwelligen Einstieg zu Kunst, Spaß und Zeitvertreib. ‚Art of Wasting Time‘, ‚Art of Creating Stuff‘ und ‚Art of Chit-Chatting‘ beschreiben für uns diese verschiedenen Zugänge am besten.“
Warum hat sich die Kunsthalle Karlsruhe für einen Titel bzw. für Themenschwerpunkte auf Englisch entschieden?
Felicitas Hilge, wissenschaftliche Volontärin: „Englische Termini sind längst Teil des alltäglichen Sprachgebrauchs – wir denken, dass auch Personen, die diese Sprache selbst nicht beherrschen, die englischen Begriffe schnell erschließen können. Auf der anderen Seite eignen sich die englischen Titel gerade für Menschen, die möglicherweise noch nicht oder weniger gut Deutsch verstehen, aber sehr wohl mit der englischen Sprache vertraut sind, und so eine Brücke zu den vorwiegend sinnlichen Aspekten der Anwendungen finden.“
Tabea Schwarze, digitale Kommunikation: „Unsere Fokusgruppe hat die englischen Bezeichnungen ganz selbstverständlich angenommen. Das hat uns in unserer Entscheidung bestärkt. Daneben hat uns auch die Evidenz der englischen Sprache überzeugt: Die Kunst des Alltags bzw. der Kunst im Alltag Zeit einräumen, ist in „Art of“ prägnant zusammengefasst.“
„Art of“ entstand innerhalb von nur 18 Monaten. Das ist eine relativ kurze Zeitspanne von der Idee für ein Digitalangebot bis zur Veröffentlichung. Wie waren die organisatorischen Schritte, um das Projekt so zügig umzusetzen?
Florian Trott: „Vor der eigentlichen Projektarbeit stand die Phase der Ideenentwicklung und Konzeption, die mit Ausschreibung des Förderprogramms im Frühjahr 2018 begann. Mit der Beratung von Anke von Heyl (aka Kulturtussi) sowie wertvollem Feedback aus einer ersten Fokusgruppen-Befragung konnte so ein belastbarer und detaillierter Projektantrag eingereicht werden, der schließlich im Herbst 2018 bewilligt wurde. Diese Vorarbeit ermöglichte eine konzentrierte Projektarbeit, so dass die Umsetzung in 18 arbeitsintensiven Monaten erfolgen konnte. Bestandteil der Förderung war eine Vollzeitstelle für die Projektkoordination, Content-Kreation und Projektumsetzung.“
Heidi Pfeiffenberger: „Eine rasche Weiterentwicklung der Idee zu klar definierten Teilprojekten, mehrere Workshops zu fachspezifischen Themen, das Ausschreibungsverfahren und die Beauftragung der Agentur trugen dazu bei, dass das Projekt schnell an Fahrt aufnahm.“
Tabea Schwarze: „Wichtig war uns zudem, Kolleginnen und Kollegen aus anderen Abteilungen in das Projekt einzubinden; dies nicht nur mit dem Ziel, das Projekt besser intern zu kommunizieren, sondern auch um die Kolleginnen und Kollegen zur aktiven Mitarbeit zu gewinnen. So konnten Fokusgruppen-Befragungen, Testings und die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit ermöglicht werden. Insbesondere bei digitalen Angeboten ist es essenziell, die Umsetzungsphase so kurz wie möglich zu gestalten. Andernfalls wird riskiert, dass die Idee und/ oder die Technologie vor dem Livegang schon nicht mehr so innovativ ist wie in der Konzeption – oder im schlimmsten Fall bereits überholt.“
Florian Trott: „Möglich war diese Arbeitsweise auch dank der sehr freien Ausschreibung des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst, das mit dieser bewusst eine experimentellere, zeitgemäße Arbeitsweise in Museen unterstützen wollte.“
Die Kunsthalle Karlsruhe hat, wie bereits angesprochen, in den Entwicklungsprozess des Angebots Fokusgruppen mit einbezogen. Nach welchen Kriterien wurden die Teilnehmer der Fokusgruppen ausgewählt und wie genau sah die Zusammenarbeit aus?
Felicitas Hilge: „Bei der Auswahl unserer Personen lag ein Fokus auf dem Stichwort ’nicht-museumsaffin‘. Einige der befragten Teilnehmer*innen hatten die Kunsthalle zuvor nie besucht oder sogar noch nie von ihr gehört. Bewusst haben wir hierbei methodisch die Stärken der freien Fokusgruppen-Befragung (z.B. spontane Reaktionen und Assoziationen) mit den Vorteilen qualitativer Einzelinterviews (mit dem Ausschluss einer gegenseitigen Beeinflussung) kombiniert, um so klare und zielführende Ergebnisse zu erhalten.“
Heidi Pfeiffenberger: „Die Fokusgruppe war integraler Bestandteil der Projektarbeit, sie war daher in alle wichtigen Schritte involviert, von der Projektidee vor der Antragsstellung über die Konzeptionsphase bis hin zum Look and Feel. Auch ganz konkrete Entscheidungen wie das Naming, das Logo, den Aufbau von Wireframes, Text und Bildinhalte wurden mit den Teilnehmer*innen anhand von Entwürfen diskutiert. Zuletzt fand per Videokonferenz ein Website-Testing statt, bei dem die Userinnen ihre Erfahrungen hinsichtlich UX und UI mitteilen konnten. Nach dem Launch aller Bausteine ist ein weiterer Austausch mit der Fokusgruppe geplant.“
Tabea Schwarze: „Das Feedback der Fokusgruppen fungierte dabei nicht als Rückversicherung, sondern war mehrfach der Auslöser dafür, dass Ideen, Perspektiven und Funktionsweisen völlig neu gedacht wurden. Dass dieses Feedback derart ernst genommen und die Zielgruppe vor und während der Entwicklung mit einbezogen wird, ist in der Museumswelt leider noch immer eine recht seltene Vorgehensweise, die aber durchaus das Potenzial hat, Ressourcen-aufwendige Fehlentwicklungen (vor allem auch im digitalen Raum) zu vermeiden.“
Das Ziel von ‚Art of‘ dürfte vielen Kulturinstitutionen bekannt vorkommen: Es soll eine jüngere, sogar nicht-museumsaffine Zielgruppe angesprochen werden. Wieso ist hierfür, aus Sicht der Kunsthalle, ein digitales Angebot unerlässlich?
Heidi Pfeiffenberger: „Im digitalen Raum werden Inhalte schneller konsumiert und anders wahrgenommen: Was nicht online ist, existiert für viele nicht. Will man eine Zielgruppe erreichen, die das Museum nicht kennt, sollte man sich dahin begeben, wo sich die Zielgruppe aufhält.“
Tabea Schwarze: „In den vergangenen Jahren hat sich in der Umsetzung kleinerer digitaler Projekte immer wieder bestätigt, dass diese Zielgruppe digital erreicht werden kann. In diesem Kontext spielen die Leichtigkeit des Zugangs und niedrigere Barrieren sicherlich auch eine wichtige Rolle. In der Konzeption von ‚Art of‘ war es uns zudem wichtig, dass es verschiedene Tiefen der Beschäftigung erlaubt: User*innen können die Beschäftigung auf der spielerischen/ kreativen/ unterhaltenden Ebene beruhen lassen, oder aber durch Querverweise in die Onlinesammlung der Kunsthalle eintauchen und sich intensiv mit den einzelnen Werken befassen.“
„Art of“ wird auf einer eigenständigen Website umgesetzt: moodfor.art. Warum ist das Angebot nicht Teil der Website der Kunsthalle?
Florian Trott: „Die Projektidee zielt darauf ab, eine neue Zielgruppe zu erschließen, die die Kunsthalle – auch online – noch nicht kennt. Für das Erreichen des Ziels war es wichtig und unerlässlich, ‚Art of‘ von der Kunsthalle zu trennen. Nur so konnten Look and Feel, Content etc. authentisch auf die Bedürfnisse und Vorstellungen der Zielgruppe abgestimmt werden. Im Rahmen der Kunsthallen-Website, die sich – im Sinne des Bildungsauftrags des Museums – an ein breiteres Publikum richtet und richten muss, wäre das nicht derart konsequent möglich gewesen.“
Tabea Schwarze: „Zudem verbinden viele Personen der Zielgruppe Museen mit zu didaktischen und zu pädagogischen Angeboten, so dass auch die Option einer Subdomain, die SEO-technisch vielleicht sinnvoller gewesen wäre, für uns nicht in Frage kam. Dennoch verweisen und verlinken die beiden Seiten an zahlreichen Stellen aufeinander.“
Wie findet eine Erfolgsmessung des Projektes statt? Also wie wird analysiert, ob das Ziel, junges und nicht-museumsaffines Publikum mit den Inhalten der Kunsthalle zu erreichen, verwirklicht werden kann?
Heidi Pfeiffenberger: „Spätestens seit die DSGVO in Kraft getreten ist, haben sich hier die Rahmenbedingungen verändert. Auch wenn wir durch die entsprechenden Bestimmungen nur einen Bruchteil der Daten erhalten, können Websiteaufrufe, Klickzahlen, Absprungraten, vor allem aber auch die Einstiege, Verweildauer und Anmeldungen für das Benutzer*innen-Konto Parameter für die Art und Weise der Websitenutzung sein. Auch wird der Austausch mit der Fokusgruppe fortgeführt.“
Tabea Schwarze: „Kommunikation und Imagebuilding unseres digitalen Angebots finden vor allem in den sozialen Medien statt. Auch hier lassen sich aus den Entwicklungen und Resonanzen Rückschlüsse ziehen. Zudem haben wir den Schwerpunkt auf Medien und Online-Multiplikatorinnen der Zielgruppe gelegt, so dass das Projekt auch in den entsprechenden Communities platziert wird.“
Zur Platzierung von ‚Art of‘ im Online-Bereich dient ja auch das offizielle Hashtag #wastingtimewithart. Wie ist das gemeint, dass hier die Auseinandersetzung mit Kunst als Zeitverschwendung bezeichnet wird?
Heidi Pfeiffenberger: „Zeit mit Kunst ‚zu verschwenden‘ versteht sich als kreative Auszeit im Alltag oder als Aufruf, der Kunst im Alltag einen Platz einzuräumen. Prokrastination, eine kurze Ablenkung oder etwas Entschleunigung in Kombination mit der Auseinandersetzung mit Kunst kann – das ist durch Studien bewiesen – Kreativität fördern.“
Felicitas Hilge: „Die Doppeldeutigkeit des Begriffs hat uns gereizt. Wobei wir uns von der negativen Konnotation immer mehr verabschiedeten hin zu einem wertschätzenden Verständnis von Zeitverschwendung. Das Produktivitätscredo redet uns ein schlechtes Gewissen für vermeintlich verlorene Zeit beim ziellosen Surfen ein. Flaneur*innen im Analogen sind dem Vorwurf der vergeudeten Zeit selten ausgesetzt. Eine nicht zweckgebundene Beschäftigung bietet auch im Digitalen Mehrwert: Man lernt nebenbei oder erhält Anregungen, sich eingehender mit einer Thematik zu beschäftigen. Gedanken lassen sich durch eine solche Form der Ablenkung häufig klarer fassen und auch die Kreativität kann gefördert werden.“
Tabea Schwarze: „Der Hashtag entstand dann während einer gemeinsamen Onlineaktion mit den Herbergsmüttern [Anke von Heyl, Ute Vogel und Wibke Ladwig], die noch vor Livegang zu ‚Art of‘ stattfand. Die Fokusgruppe sowie erste Resonanzen nach Livegang bestärken die Entscheidung.“
Vielen Dank für das Interview!
Dieser Beitrag entstand im Auftrag der Kunsthalle Karlsruhe zum Digitalangebot „Art of“.
Header-Bild: Art of Creating Stuff mit Carl Velten: Bildnis der Mona Lisa (ca. 1859), Staatliche Kunsthalle Karlsruhe – CC0 – bearbeitet
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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