[City Card] Im Norden von Amsterdam befand sich einst Europas größte Schiffswerft: die Nederlandsche Dok en Scheepsbouw Maatschappij (NDSM). Wo bis in die 1980er Frachtschiffe, Passagierschiffe und Tanker gebaut wurden, ist heute die Kunst- und Kultur-Szene zuhause. Auf dem Industriegelände und in den Hallen der ehemaligen NDSM-Werft sind nun Handwerksbetriebe und Kunstschaffende aktiv. Auch das Street-Art-Museum SRAAT ist hier untergebracht. Neben Ausstellungen, Musik-Events und Kulturveranstaltungen findet hier zudem jeden Monat der beliebteste Flohmarkt in Amsterdam statt, der gleichzeitig auch als der größte Trödelmarkt von ganz Europa gilt.
Das NDSM-Werftgelände
Die Geschichte der Nederlandsche Scheepsbouw Maatschappij (NSM) reicht bis ins Jahr 1894 zurück, als in Oostenburg die Niederländische Schiffsbaugesellschaft gegründet wurde. Um das Produktionsgelände erweitern zu können, war ein Umzug vom Osten Amsterdams in den Norden der Stadt notwendig. So entstand 1915 ein neues Werftgelände am Fluss IJ, auf dem sich 1920 auch die Nederlandse Dok Maatschappij (NDM) ansiedelte. Nach dem Zweiten Weltkrieg fusionierten beide Unternehmen und aus der NDM und der NSM entstand im Jahr 1946 die NDSM. Das Geschäft florierte, es bestand ein großer Bedarf an Transportschiffen und so wurde die NDSM zu einer der fortschrittlichsten und weltweit führenden Werften mit rund 6.000 Mitarbeitenden.
Nach dem wirtschaftlichen Aufstieg folgte in den 1970er Jahren eine Krise. Letztendlich musste die Schiffswerft 1984 geschlossen werden. Was blieb, war ein riesiges Industriegelände in Amsterdam-Noord, das über Jahre leer stand und langsam dem Verfall preisgegeben wurde. Aber auch soziale Folgen zeigten sich, denn die Schließung der Werft führte zu hoher Arbeitslosigkeit und wirkte sich finanziell auf die Gemeinden aus, in denen die betroffenen Arbeiter lebten. Ebenso waren mehrere Hundert „Gastarbeiter“ betroffen, die in den 1960er und 70er Jahren vor allem aus der Türkei nach Amsterdam gekommen waren, um in der Werft zu arbeiten. Noch heute gibt es auf dem Gelände die Straße Atatürk, die daran erinnert, wo die türkischen Arbeiter einst lebten.
In den 1990er Jahren begann dann ein Transformationsprozess des Industriegeländes. 1999 schrieb die Stadtverwaltung von Amsterdam einen Wettbewerb aus, um eine neue Nutzung für die stillgelegte Werft zu finden. Der Siegerentwurf stammte von einer Gruppe von Kunstakteuren mit dem Namen Kinetisch Noord, die einen experimentellen, multidisziplinären Kulturbetrieb vorschlugen. Der von ihnen errichteten Art City folgten viele weitere Initiativen, die sich von den postindustriellen Gebäuden und der kreativen Atmosphäre auf dem ehemaligen Werftgelände inspirieren ließen. Mittlerweile entstanden auf dem Gelände und in dessen Umgebung auch Wohnhäuser und Bürogebäude, parallel wird die Entwicklung des Kulturstandorts weiter vorangetrieben.
- NDSM-Gelände | NDSM-Plein 28, 1033 WB Amsterdam-Noord
Kunst und Kultur auf dem Industriegelände
Die NDSM-Werft-Stiftung, die heute für die Entwicklung des Geländes zuständig ist, sieht den Standort gerne als „die schroffe, widerspenstige Schwester des Museumplein“. Der Museumsplatz im Herzen der historischen Innenstadt von Amsterdam steht für Hochkultur, immerhin sind hier u.a. das Stedelijk Museum, das Van Gogh Museum und das Rijksmuseum angesiedelt. Das ehemalige NDSM-Gelände will hierzu einen Gegenpart bilden, mit Festivals, Kreativ-Ateliers und dem Amsterdamer Street-Art-Museum.
Wo früher Schiffe gefertigt wurden, ist heute einer der Kultur-Hotspots von Amsterdam entstanden. Das ganze Jahr über finden auf dem NDSM-Gelände verschiedene Festivals statt, etwa das DGTL Festival für elektronische Musik, das Wicked Jazz Sounds Festival oder das Over het IJ Theaterfestival. Mit NDSM Loods entstand zudem eine Kulturhalle, in der rund 250 Ateliers aus den Bereichen Kunst, Design und Handwerk angesiedelt sind. In der gesamten Halle verteilen sich Kunstwerke und alte Maschinen, etwa eine riesige in Schottland gefertigte Biegemaschine aus den 1950er Jahren, mit der Stahlplatten für den Bau von Schiffsrümpfen in Form gebracht wurden.
In Ausstellungsvitrinen, die historische Fotos und Schiffsmodelle zeigen, wird in der Halle zudem mit Infotafeln an die Vergangenheit der Werft erinnert und erläutert, wozu die Maschinen einst genutzt wurden. Auf einem Zwischenboden können darüber hinaus wechselnde Kunstausstellungen besucht werden. Im Gegensatz dazu sind die Ateliers im hinteren Abschnitt der Halle regulär nicht zugänglich. Nur bei „NDSM Open“, einem Tag der offenen Tür, wird ein Blick in die Ateliers der hier ansässigen Kunstschaffenden gewährt.
Neben der Halle von NDSM Loods befindet sich das STRAAT, das Amsterdamer Street-Art-Museum. Es widmet sich vor allem Graffiti-Kunst und hat es sich zum Ziel gesetzt, neben bekannten Namen auch aufstrebenden Talenten einen Raum zu bieten. Auf über 8.000 Quadratmetern in einem ehemaligen Lagerhaus der NDSM-Werft präsentiert das STRAAT über 160 Werke von rund 150 Kunstschaffenden. Die meisten der im Street-Art-Museum ausgestellten künstlerischen Arbeiten entstanden direkt vor Ort auf dem NDSM-Gelände. Dabei sind die Graffiti und weitere Werke nicht nur in der Halle des Museums zu sehen, sondern auch auf dem ganzen umliegenden Gelände. Überall an Wänden, Mauern und Containern in der Umgebung ist Kunst zu finden.
- STRAAT Museum | NDSM-Plein 1, 1033 WC Amsterdam
- NDSM Loods | NDSM-Plein 85, 1033 WC Amsterdam
Der größte Flohmarkt in Amsterdam
Auf dem NDSM-Werftgelände findet meist am zweiten Wochenende im Monat der beliebteste Flohmarkt in Amsterdam statt. In den kalten Monaten bietet der Trödelmarkt rund 500 Verkaufsstände in den IJ-Hallen. Im Sommer sind es sogar bis zu 750 Stände im Außenbereich um die Hallen. Damit ist es auch der größte Flohmarkt Europas. Schnäppchenjäger und Vintage-Fans finden hier Außergewöhnliches, Nützliches, Trödel und Skurriles. Der Markt bietet typische Flohmarkt-Fundstücke, also vor allem 2nd-Hand Ware wie Kleidung und Accessoires. Besonders Vintage-Herzen schlagen höher, denn man entdeckt immer wieder außergewöhnliche Stücke aus früheren Jahrzehnten. Daneben gibt es auch Kleinmöbel und Einrichtungsgegenstände. Von Tischen, Stühlen und Schränkchen bis hin zu Lampen und Vasen werden hier alle fündig, die den Charme vergangener Zeiten lieben.
Hochwertige Antiquitäten wie teure Möbel, edlen Schmuck oder Design-Klassiker braucht man auf einem der beliebtesten Flohmärkte in Amsterdam übrigens nicht zu suchen. Der Markt in und um die IJ-Hallen bietet eher etwas für den kleinen Geldbeutel und macht einfach nur Spaß, um zu stöbern und sich auf Entdeckungsreise durch längst Vergangenes zu begeben. In jedem Fall bleibt man nicht hungrig, denn beim Angebot der zahlreichen Streetfood-Stände findet sich etwas für jeden Geschmack.
- Flohmarkt in den Amsterdamer IJ-Hallen | T.T. Neveritaweg 15, 1033 WB Amsterdam-Noord
Wie kommt man zur NDSM-Werft?
Das ehemalige Werftgelände befindet sich auf der anderen Flussseite, nördlich von der historischen Innenstadt. Vom Hauptbahnhof von Amsterdam aus gelangt man mit öffentlichen Verkehrsmitteln in nur wenigen Minuten zur NDSM-Werft, entweder mit der regelmäßig pendelnden Fähre oder mit dem Bus.
Anreise mit der Fähre: Die Fähre in Richtung NDSM-Werft legt direkt hinter dem Bahnhof Amsterdam Centraal ab. Die Fahrt dauert etwa 10-15 Minuten und vom Fähranleger sind es nur knapp 5 Minuten Fußweg zu den IJ-Hallen bzw. zum Flohmarkt. In der Hauptverkehrszeit pendelt die Fähre alle 15 Minuten, sonst alle 30 Minuten. Die Fähre ist übrigens kostenlos und kann als Fußgänger oder von Radfahrern genutzt werden.
Anreise mit dem Bus: Wenn man nicht den Umweg über den Hauptbahnhof von Amsterdam nehmen möchte, kommt man mit der Bus-Linie 391 in Richtung Zaandam Zaanse Schans oder auch mit der Bus-Linie 394 in Richtung Zaandam Station bis zur Haltestelle Klaprozenweg/ Atatürk. Von hier aus sind es etwa 5 Minuten zu Fuß zum Flohmarkt bzw. zum STRAAT Museum.
musermeku dankt amsterdam&partners für die Bereitstellung der I amsterdam City Card, mit der ein Besuch von über 70 Museen und Sehenswürdigkeiten sowie die Nutzung des ÖPNV in Amsterdam möglich ist.
Bilder: Angelika Schoder – NDSM-Werf, Amsterdam 2023
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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