Die Kabbalah in der Pop-Kultur: Von Madonna bis Anselm Kiefer

Die Kabbalah hat Spuren in der Pop-Kultur hinterlassen, von Musik über Architektur bis zur Malerei. Das zeigt eine Ausstellung in Wien und Amsterdam.

Die Kabbalah hat Spuren in der Pop-Kultur hinterlassen, von Musik über Architektur bis zur Malerei. Das zeigt eine aktuelle Ausstellung in Wien und Amsterdam.

[Rezension] Was umfasst Kabbalah? Dieser Frage geht das Jüdische Museum Wien und das Joods Historisch Museum Amsterdam in einer gemeinsamen Ausstellung nach. Der begleitende Katalog betrachtet, ebenso wie die Ausstellung, die Kabbalah im weitesten Sinne. Es geht um ihre historischen Entwicklungen – von der klassischen Kabbalah, der frühen jüdischen Mystik, über die praktische Kabbalah und Magie, bis hin zu modernen Ausprägungen. Dabei wird deutlich, dass die Kabbalah ihre Spuren in den unterschiedlichsten Formen moderner Kunst hinterließ: in der Malerei, in der Architektur, in der Literatur, im Film und in der Musik. Ein roter Faden* , der sich durch die Pop-Kultur zieht…


Kabbalah, Okkultismus und Pop-Kultur

Die Kabbalah ist vielschichtig und wandelbar. Bereits in der Renaissance entstand aus der traditionellen jüdischen Kabbalah eine christliche Version, etwa durch Johannes Reuchlin (1455-1522). So gelangten Ideen und Elemente der Kabbalah in Texte von Alchemisten, etwa bei Jacob Böhme (1575–1624). Sogar in den Lehren des Okkultisten Aleister Crowley (1875-1947) sind Ansätze davon zu finden. Tatsächlich stehen okkulte Traditionen schon früh im Zentrum der christlichen Kabbalah. Oft wurde diese als Synonym für Magie verstanden.

Bis ins frühe 20. Jhd. entstanden entsprechend vielfältige Geheimgesellschaften, die sich auf diese magischen Aspekte konzentrierten. Ein Beispiel war der Hermetic Order of the Golden Dawn in England. Hier wurde 1891 der Okkultist Arthur Edward Waite (1857-1942) Mitglied und verfasste zahlreiche durch die Kabbalah inspirierte Werke, etwa „The Book of Black Magic and of Pacts“ (1898). Dies inspirierte wiederum den heute bekanntesten Okkultisten, Aleister Crowley. Dieser ging durch seine exzentrischen Sex- und Drogen-Rituale in die Geschichte ein und wurde, trotz seinem Hang zum Faschismus, zum Referenzpunkt für viele Pop-Stars der späten 1960er. So findet sich Crowley etwa auf dem LP-Cover von „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ (1967) von den Beatles. [1]


„Die Another Day“ von Madonna

Der modernen Kabbalismus wurde maßgeblich von Yehuda Ashlag (1884-1954) geprägt. Durch die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs kam Ashlag zu dem Schluss, dass die Mächte des Bösen so stark geworden seien, dass die Kabbalah nun nicht mehr als verborgene Lehre betrachtet werden könne, sondern verbreitet werden müsse. Grundprinzip ist die Überwindung der Ich-Bezogenheit als ein im Menschen angelegter spiritueller Kampf. Diese moderne Deutung der lurianischen Lehren wird heute oft als ökologisch-orientierte und Kapitalismus-kritische Haltung vermittelt.

Mit dieser Lehre beschäftigte sich auch die Musikerin Madonna. Zum Ausdruck kommt ihre Auseinandersetzung mit der modernen Kabbalah in ihrem Musik-Video „Die Another Day“ (2002), das zum gleichnamigen James-Bond-Film entstand. Hier stellt die Überwindung des Egos ein zentrales Element dar, verkörpert durch eine weiß gekleidete Madonna, die gegen ihr schwarz gekleidetes Double kämpft. Im Songtext heißt es dazu: „Sigmund Freund, analyze this. I’m gonna break the cycle, I’m gonna shake up the system, I’m gonna destroy my ego.“ Im Video geht es um die Zerstörung der Ich-Bezogenheit und damit um eine Überwindung des Kreislaufs aus Schmerzen. Am Ende siegt Madonna über ihr düsteres Ego.

Schließlich finden sich in Madonnas Video „Die Another Day“ auch Anspielungen auf den Gottesnamen, der aus 72 Gruppen mit je 3 Buchstaben besteht. Dies geht zurück auf Schlomo ben Jizchak (1040-1105). Der rabbinische Gelehrte erkannte den Namen Gottes in drei Versen aus Exodus 14, 19-21, die alle drei je 72 Buchstaben haben. Aus einer Kombination der Buchstaben leitete der Gelehrte 72 Namen mit je 3 Buchstaben ab. Eine dieser Buchstabengruppen erscheint am Ende des Madonna-Videos. Auch das Anlegen der Gebetsriemen spielt in Madonnas Video eine Rolle. [2] Damit zeigt Madonna bereits Anfang der 2000er übrigens eine Praxis, die noch bis heute für Frauen stark diskutiert wird, wie Juna Grossmann in ihrem Blog irgendwie jüdisch beschreibt.


Kabbalistische Einflüsse in der Kunst

Bei zahlreichen bildenden Künstlern finden sich Einflüsse der Kabbalah, etwa bei William Blake (1757-1827), der in seinen Werken das Motiv der Himmelsreisen aufgreift. Diese sind im Judentum seit der Antike bekannt, wobei Menschen zwischen Himmel und Erde wandeln und dabei die Kluft zwischen Mensch und Gott überbrücken. [3] Von Schilderungen zur spirituellen Himmelsreise ließ sich auch der Künstler Anselm Kiefer (*1945) inspirieren. In Werken wie „Merkaba“ (2004) oder „Die sieben Himmelspaläste“ (2004-15) verbinden sich bei Kiefer himmlische und irdische Aspekte. [4]

Von der Kabbalah beeinflusst zeigte sich auch Leonard Nimoy (1931-2015), der in seiner Rolle als Mr. Spock in der Serie Star Trek berühmt wurde. Nimoy war nicht nur Schauspieler und Regisseur, sondern auch Fotograf. In seinem über 8 Jahre andauernden Fotoprojekt „Shekhina“ (göttliche Gegenwart) versuchte er, sich der weiblichen Seite Gottes anzunähern. Die Werke sind ein Versuch der fotografischen Abbildung des Unsichtbaren, das stets wachend und in Bewegung ist. [5]

Sehr textbezogen arbeitet der Künstler Ghiora Aharoni. Häufig sind seine Skulpturen mit kalligraphischen Verzierungen versehen. Aber auch Reagenzgläser und Ampullen finden sich in den Werken, was wiederum auf das Alchimistische der Kabbalah verweist und an Laborapparate erinnert. So verbinden sich in den Werken von Aharoni religiöse Tradition und Wissenschaft. Eine seiner Skulpturen trägt den Titel „What’s in the Rose?“ (2017), eine Anspielung auf den einleitenden Satz des kabbalistischen Hauptwerks, des Zohar. Das Objekt ist mit spiegelverkehrten hebräischen Buchstaben bedeckt, die sich nur von innen lesen lassen. Der Betrachter wird damit vom Künstler dazu aufgefordert, hinter die Oberfläche zu schauen. Die thematisierte Rose gilt übrigens nicht nur als Symbol für Schönheit, sondern auch von Dornen umgeben als Sinnbild für Israel. Im Werk wird die Rose zur Allegorie für die menschliche Existenz. [6]


Architektur, beeinflusst durch die Kabbalah

Zahlreiche Architekten geben an, sich von der Kabbalah beeinflussen zu lassen, etwa Frank Gehry oder Steven Holl. Architektur ist zwar kein traditionelles Studienfach der Kabballah oder der jüdischen Mystik, doch es bestehen enge Bezüge – schließlich geht es um die Vorstellung von Gott als Erbauer des Universums. [7] Hier spielt auch das Konzept Tzimtzum eine Rolle, die Leere im Herzen der Schöpfung. Dies bezeichnet einen Vorgang, in dem sich Gott zusammenzieht oder sich aus einem Raum zurückzieht, um Platz für die Schöpfung zu machen.

Um dieses Konzept des Leerraums geht es auch bei Daniel Libeskind und Peter Eisenman, insbesondere wenn es um Architektur geht, die den Holocaust thematisiert. Ein Beispiel ist Libeskinds leerer Turm im Jüdischen Museum Berlin, der den Holocaust als Sich-Zurückziehen Gottes interpretiert. Tzimtzum verkörpert hier den vorübergehenden Triumph des Bösen. Auch das von Peter Eisenman entworfene Denkmal für die ermordeten Juden Europas greift diese Idee auf. Es besteht aus Betonblöcken unterschiedlicher Höhe, zwischen denen beklemmende Leerräume entstehen, die keine Orientierung ermöglichen – nur der Himmel ist zu sehen. Auch das kann als physische Verkörperung von Tzimtzum verstanden werden. [8]


Der Begleitband zur Ausstellung „Kabbalah“, herausgegeben von Domagoj Akrap, Klaus Davidowicz und Mirjam Knotter im Auftrag des Jüdischen Museums Wien und des Joods Historisch Museum Amsterdam, ist 2018 im Kerber Verlag erschienen (ISBN: 978-3-7356-0518-4). Der Band in Deutsch und Englisch enthält, neben zahlreichen Abbildungen, einem Glossar sowie einer Übersicht zu weiterer Literatur, Texte von Mirjam Knotter, Domagoj Akrap, Klaus Davidowicz, Alexander Gorlin und Conny Cossa.


Kabbalah. The Art of Jewish Mysticism

Joods Historisch Museum Amsterdam
29.03. – 25.08.2019

musermeku dankt dem Kerber Verlag für die kostenfreie Überlassung des Ausstellungskatalogs als Rezensions-Exemplar.


Header-Bild: Detail aus: Amphiteatrum sapientiae aeternae, Darstellung zum Christlichen Kabbalismus von Heinrich Khunrath, Peter van der Doort nach Hans Vredeman de Vries (16. Jhd.) – Metropolitan Museum of ArtPublic Domain


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Angelika Schoder

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* Das „rote Band“ wurde besonders durch Madonna in der Pop-Kultur bekannt. Es geht zurück auf eine mystische Tradition aus Israel. Aus einem Band, das siebenmal um das Grab der Rachel nahe Bethlehem gewunden wurde, werden Armbänder hergestellt. Diese sollen Schutz vor dem Bösen Blick verleihen. Siehe: Klaus Davidowicz: Was ist Kabbala? In: Kabbalah, Hg.v. Domagoj Akrap, Klaus Davidowicz und Mirjam Knotter im Auftrag des Jüdischen Museums Wien und des Joods Historisch Museum Amsterdam, 2018, S. 16-31, hier S. 31.


Fußnoten

[1] Klaus Davidowicz: Tarot-Decks. In: Ebd., S. 82f

[2] Ders.: Was ist Kabbala? In: Ebd., S. 16-31, hier S. 30f

[3] Domagoj Akrap: Himmelsreisen. In: Ebd., S. 75-81, hier S. 79

[4] Mirjam Knotter: Anselm Kiefer. In: Ebd., S. 88ff

[5] Domagoj Akrap: Leonard Nimoy. In: Ebd., S. 222f

[6] Ders: Ghiora Aharoni. In: Ebd., S. 64ff

[7] Alexander Gorlin: Architektur und die Kabbala. In. Ebd., S. 231-237, hier S. 231

[8] Ebd., S. 234


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