[Pressereise] Es gibt Bilder, die werden bei Instagram nicht geduldet. Bestimmte Fotos des Künstlers Wolfgang Tillmans etwa. Wer sie postet, dessen Instagram-Account wird gelöscht. Ausnahmsweise geht es dabei aber nicht um eine Frage des Urheberrechts, sondern tatsächlich um Zensur in Social Media…
Bildrechte und Anarchie
Ob man Fotos von Kunstwerken zeitgenössischer Künstler in Social Media veröffentlicht, müsste eigentlich jeder Nutzer mit sich selbst ausmachen. In Deutschland sind hier meist rechtliche Rahmenbedingungen zu beachten. Viele Künstler und deren Erben lassen sich durch die VG Bild-Kunst vertreten, die zur Kasse bittet, wenn Abbildungen von entsprechenden Kunstwerken veröffentlicht werden. Eine Ausnahme bildet eine aktuelle Berichterstattung, also die Nutzung eines Werkes im Rahmen des § 50 UrhG. In dem Fall können kurz vor und bis 6 Wochen nach einer Ausstellung Bilder von Kunstwerken veröffentlicht werden.
Davon abgesehen: Wo kein Kläger, da kein Richter. Wer Bilder von Kunstwerken in Social Media posten möchte, tut dies heute in der Regel einfach. In einem Interview mit uns lobte vor kurzem der Direktor des Marta Museums in Herford dieses Vorgehen sogar als eine Art anarchischen Akt, der zur Verbreitung von Kunst beiträgt:
Es läuft […] eine fortwährende Urheberrechtsverletzung durch die ’normalen‘ Kunstinteressierten, indem sie Werke fotografieren, teilen, auf Plattformen hochladen, kommentieren, collagieren oder individuell verändern etc. Diese ‚Anarchie der Rezipientenpraxis‘ hat auch etwas Hoffnungsvolles, denn die Flut ist schon längst nicht mehr einzudämmen und wird es auch hoffentlich nie sein.
Roland Nachtigäller
Instagram-Account gesperrt
Welche Inhalte bei Instagram gepostet werden, entscheidet zunächst also der Nutzer. Was aber letztendlich auf der Plattform zu sehen sein darf, dazu behält Instagram – und damit der Facebook-Konzern – das letzte Wort. Diese Erfahrung musste jetzt auch der in Basel lebende Instagrammer Panos Chasapis machen. Kaum veröffentlicht, landete ein Bild aus seiner Instagram-Story aus der aktuellen Wolfgang Tillmans Ausstellung in der Fondation Beyeler im digitalen Nirvana – und Chasapis‘ Instagram Account gleich mit.
Für mehrere Stunden konnte der Instagrammer nicht mehr auf seinen Account zugreifen. Etwa 560 Bilder und rund 11.900 Follower schienen verschwunden zu sein. Irgendwann erhielt Chasapis doch wieder Zugriff zu seinem Instagram-Profil, versehen mit einer Nachricht, dass ein Bild in seiner Instagram-Story gegen die Nutzungsbedingungen des Netzwerk verstoßen hatte. Eine andere Nutzerin hatten Bilder des Accounts als „unangemessen“ gemeldet und Instagram war dieser Meldung nachgegangen – mit allen Konsequenzen. Tatsächlich reicht eine einzige Meldung, um Instagram auf eine mögliche policy violation aufmerksam zu machen.
Kunst-Zensur bei Instagram
Vor kurzem kamen Unterlagen von Facebook an die Öffentlichkeit, die darlegten, nach welchen Kriterien der Konzern, zu dem auch Instagram gehört, Inhalte entfernt. Neben Definitionen zu Hate Speech oder selbstverletzendem Verhalten, ging es darin um die Definition von pornographischen Inhalten. Die sogenannten „Facebook-Files“ gaben dabei auch Einblicke in die Don’ts des Konzerns, die sich auf die Darstellung von Nacktheit und Sexualität in Kunstwerken beziehen. Dabei wird nicht generell unterschieden, ob Kunst zu sehen ist oder nicht. Es zählt, um welche Art von Kunst es sich handelt.
In den internen Facebook-Dokumenten, die dem Guardian vorliegen, heißt es:
We allow nudity when it is depicted in art like paintings, sculptures, and drawings. We do not allow digitally created nudity or sexual activity.
Facebook
Möglich sind also Fotografien von nackten Skulpturen oder Abbildungen von Aktgemälden oder Aktzeichnungen. Zulässig sind zudem digitale Zeichnungen von primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen, wenn diese nicht „ausreichend detailliert“ dargestellt sind.
Das Problem: Über das Medium Fotografie als Kunstform äußert sich der Facebook-Konzern nicht. Vor diesem Hintergrund haben Fans von Wolfgang Tillmans, die Bilder seiner Werke bei Facebook oder Instagram veröffentlichen wollen, schlechte Karten – zumindest wenn es sich um Fotografien handelt, in denen sich der Künstler mit dem menschlichen Körper auseinandersetzt.
L’Origine du monde
Instagrammer wissen um das Problem, dass auf der Plattform vor allem sogenannte „NSFW-Inhalte“ (not safe for work) zensiert werden. Insbesondere wenn es um Kunst geht, stellt es für viele aber eine Art challenge dar, dennoch entsprechenden Content zu veröffentlichen – und auszutesten, ob es funktioniert. Ein bisschen Nervenkitzel, beaking the law.
Instagrammer Chasapis hatte es in der Fondation Beyeler darauf ankommen lassen. Er prostete Bilder in seiner Instagram-Story, auf denen zum einen das Foto „man pissing on chair, 1997“ und zum anderen das Werk „nackt, 2003“ von Wolfgang Tillmans zu erkennen war. Letzteres erinnert an „L’Orinine du monde“ von Gustave Courbet (1819-1877). Doch Instagram interessiert sich nicht für Kunst. Fotos von Courbets Ölgemälde aus dem Jahr 1866 werden wohl ebenso gelöscht wie Bilder von Wolfgang Tillmans Fotografie aus dem Jahr 2003 – beides zu „ausreichend detailliert“, nach der Definition des Facebook-Netzwerks.
Wohlgemerkt, die Beanstandung von Instagram gegenüber der Story von Chasapis richtete sich nicht gegen Tillmans Bild, auf dem ein junger Mann zu sehen ist, der auf einen Stuhl uriniert. Ein Penis scheint also völlig ok, ebenso wie Männer mit freiem Oberkörper als unbedenklich gelten, selbst wenn keine flache Männerbrust zu sehen ist, sondern ein paar stattliche „moobs“ (men-boobs) abgebildet sind. Der Inhalt, an dem in der Instagram-Story Anstoß genommen wurde, war das zweite Bild, auf dem ein Foto mit den gespreizten Beinen einer Frau zu erkennen ist. Eine interessante Zensur, die das Netzwerk hier vornimmt – und reichlich misogyn. Seitdem die Fotografin Petra Collins 2013 für deutlich weniger Explizites bei Instagram zunächst gesperrt wurde, hat sich also auch heute nur wenig geändert – Kunst hin oder her.
Wolfgang Tillmans in der Fondation Beyeler
Wenn man sich einige Bilder von Wolfgang Tillmans aufgrund der Zensur also nicht bei Instagram ansehen kann, hilft nur eines: Man sollte sie sich vor Ort im Museum anschauen. Im Interview mit dem Monopol Magazin betonte Tillmans ohnehin, dass das, was man in einer Ausstellung direkt körperlich vor einem Bild erleben könne, nicht ersetzbar oder austauschbar sei durch eine gedruckte Seite oder ein elektronisches Bild. Die viel zitierte „Aura des Originals“ also. Wer hätte damit gerechnet, dass ein Künstler, der häufig mit den Mitteln der analogen und digitalen Vervielfältigung arbeitet, den physischen Kontakt im Ausstellungsraum so schätzt.
Die Fondation Beyeler besitzt in ihrer Sammlung bereits eine Reihe an Werken von Wolfgang Tillmans, der sich übrigens nicht als „Fotokünstler“ bezeichnen lassen möchte, wie er im Gespräch mit Anika Meier betonte. Jetzt zeigt das Museum erstmals eine Einzelausstellung zu Tillmans – gleichzeitig die erste reine Fotografie-Ausstellung in der bisherigen Geschichte der Institution.
Die Ausstellung zeigt Portraits, Landschaftsbilder, Stillleben und eine Video-Installation mit Bildern von schäumendem Meer, Pflanzen und Polizisten mit Schlagstöcken, dazu Techno-Sound. Tillmans, der im Jahr 2000 als erster Fotograf und nicht-britischer Künstler mit dem Turner Prize ausgezeichnet wurde, experimentiert mit verschiedenen Mitteln der Fotografie und mit unterschiedlichen Bildtypen. Besonders bewegend sind dabei die einfühlsamen, intimen Auseinandersetzungen mit den Menschen in seinem Umfeld, mit den Körpern von ihm nahen und fremden Personen. Dass es sich dabei um Instagram-Zensurmaterial handelt, erscheint regelrecht absurd.
Der Katalog zur Ausstellung „Wolfgang Tillmans“, herausgegeben von Theodora Vischer für die Fondation Beyeler, ist 2017 im Hatje Cantz Verlag erschienen (ISBN: 978-3-7757-4328-0). Der Band enthält, neben einer Biografie des Künstlers, einer Bibliographie sowie einer Reihe an Interviews, großformatige Werkabbildungen sowie ein Abbildungsverzeichnis.
Wolfgang Tillmans
Fondation Beyeler
28.05. – 01.10.2017
musermeku dankt der Fondation Beyeler für die Einladung zum Besuch des Museums und für die Übernahme der Kosten der Reise.
Bilder: Angelika Schoder – Fondation Beyeler, 2017
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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