Anja Schindler: Die Wunderkammer als Spiegel der Welt

In der Ausstellung „Spiegel der Welt“ treffen die rätselhaften Werke und cyanblauen Installationen der Bremer Künstlerin Anja Schindler auf historische Objekte aus der Sammlung von Schloss Gottorf.

In der Ausstellung "Spiegel der Welt" treffen Installationen der Künstlerin Anja Schindler auf historische Objekte aus der Sammlung von Schloss Gottorf.

[Ausstellung] Immer mehr Museen setzen auf künstlerische Interventionen und laden Kunstschaffende dazu ein, ihre Werke in Dauerausstellungen zwischen historischen Objekten zu platzieren und mit der Sammlung in Dialog zu treten. Im Kunstmuseum Basel wurde in den letzten Jahren schon mehrfach diese Art der Präsentation gewählt, etwa bei der Inszenierung der Werke von Louise Bourgeois durch die Künstlerin Jenny Holzer (2022) oder bei der Ausstellung von Andrea Büttner (2023). Auch das Altonaer Museum in Hamburg hat bereits Kunstschaffenden die Möglichkeit geboten, ihre Werke in einem historischen Kontext zu platzieren, und zwar in historischen Bauernstuben. Aktuell kann man einen solchen künstlerischen Dialog im Museum für Kunst und Kulturgeschichte Schloss Gottorf erleben. Die aus Bremen stammende Künstlerin Anja Schindler (*1963) lädt in der Ausstellung „Spiegel der Welt“ dazu ein, ihre rätselhaften, leuchtend blauen Objekte und Installationen zu entdecken – und dabei auch die historische Sammlung von Schloss Gottorf neu zu erkunden.


Reflexionen zum Gottorfer Codex, Installation (2012-24) von Anja Schindler in der sogenannten Gotischen Halle von Schloss Gottorf.
Reflexionen zum Gottorfer Codex, Installation (2012-24) von Anja Schindler in der sogenannten „Gotischen Halle“ von Schloss Gottorf.

„Anja Schindler hat sich in ihrer künstlerischen Spurensuche […] dem ‚ganzen Gottorf‘ gewidmet und Raumkompartimente der Gotik, der Renaissance sowie des Barock und Rokoko als Orte des epochenübergreifenden Dialogs belegt und neu belebt.“

Ingo Borges, Schloss Gottorf

Verstreute Wunderkammer-Objekte

Ausgangspunkt für Anja Schindler, die bereits ähnliche Interventionen im Botanischen Museum Berlin (2015), im Ägyptischen Museum Bonn (2017) oder im Naturhistorischen Museum Mainz (2020) realisierte, ist diesmal die Geschichte des Schloss Gottorf. Das Anwesen war von der Mitte des 17. bis ins frühe 18. Jahrhundert die Residenz der Herzöge von Schleswig-Holstein-Gottorf. In dieser Zeit war das Schloss besonders bekannt für seine umfangreiche Bibliothek, eine außergewöhnliche Kunst- und Wunderkammer sowie einen aufwändig gestalteten Terrassengarten mit einer einzigartigen Pflanzensammlung. Nach 1720 gingen viele der Kostbarkeiten aus der Sammlung des Schlosses verloren, wurden weggebracht oder verkauft. In der Ausstellung „Spiegel der Welt“ hat es sich Anja Schindler nun zum Ziel gesetzt, sich auf eine Suche nach diesen verschwundenen Objekten zu begeben. Hierzu greift sie barocke Ideen und Konzepte auf und verwandelt diese in ihre gegenwärtige Bildsprache. Dahinter steht die Idee der Wunderkammer, in der Objekte aus aller Welt an einem Ort zusammenkamen, um erforscht, verglichen und vor allem bestaunt zu werden.

Durch ihre Installationen schafft Anja Schindler im Schloss Gottorf einen neuen „Spiegel der Welt“, in der Vergangenheit und Zukunft in einen Dialog miteinander treten sollen. Über zwei Etagen hinweg ziehen sich die leuchtend blauen Objekte durch die Dauerausstellung des Schlosses. Teils wirken sie wie surreale Fremdkörper zwischen Ritterrüstungen oder in einer historischen Bauernstube; teils fügen sich Schindlers Objekte aber auch ganz organisch in ihr Umfeld ein, etwa in Vitrinen oder unter Glasglocken, und wären ohne ihre cyanblaue Farbe kaum als moderne Elemente erkennbar.


Gardino, Installation (2023/24) von Anja Schindler im "Plöner Saal" aus dem Spätbarock im 1. Stock von Schloss Gottorf.
Gardino, Installation (2023/24) von Anja Schindler im „Plöner Saal“ aus dem Spätbarock im 1. Stock von Schloss Gottorf.

„Anja Schindler hat mit Spiegel der Welt Schloss Gottorf verwandelt, sie hat dreidimensionale Stilleben geschaffen, die eine Brücke vom Barock ins Heute schlagen.“

Ingo Borges, Schloss Gottorf

Relikte einer Wunderkammer

Der Ausstellungsrundgang beginnt in der um 1500 erbauten „Gotischen Halle“ im Erdgeschoss von Schloss Gottorf. Anja Schindler knüpft hier mit ihrer großen Installation an die historische Nutzung dieses Raumes an, der im 17. Jahrhundert als Hofbibliothek diente. Im heutigen Saal wurden einst die wertvolle Büchersammlung aufbewahrt; die Tierkreiszeichen an der Decke zeugen von der früheren Anordnung der Bücher nach Wissensgebieten. Ein besonderer Schatz war der sogenannte „Gottorfer Codex“, ein vierbändiger Pflanzen- und Blütenatlas von 1649/59, der 1.180 Pflanzenbilder enthielt. Schindler verweist auf diesen Codex mit in Öl eingelegten Pflanzen-Zeichnungen auf alten Dokumenten und in Gläsern konservierten Früchten und Pflanzenteilen, die sie in cyanblauen Vitrinen präsentiert. Aus vielen Zeichnungen ragen zarte Fäden, die organisch wirken und laut Schindler für die „Verbundenheit aller Dinge“ stehen sollen.

Die Räume die auf die „Gotische Halle“ folgen, beherbergten von der Mitte des 17. bis ins frühe 18. Jahrhundert die Gottorfer Kunst- und Wunderkammer, die von Herzog Friedrich III und Adam Olearius, seinem Hofbibliothekar und Berater, begründet wurde. Die enzyklopädisch und universal angelegte Sammlung wertvoller und ungewöhnlicher Objekte aus Kunst, Wissenschaft und Natur sollte den barocken Fürsten und Gelehrten Erkenntnisse über die Natur und das Leben ermöglichen und war damit eine Art Vorgänger des heutigen Museums.

Die Wunderkammer-Objekte von damals sind heute allerdings nicht mehr in der Sammlung des Schloss Gottorf zu finden; bereits vor rund 300 Jahren wurden sie nach Kopenhagen verlegt, nachdem man im Großen Nordischen Krieg gegen Dänemark unterlag. Diese Leerstelle, die Abwesenheit der einstigen Sammlung, inspirierte Anja Schindler zu ihren Installationen in den heute wieder teils rekonstruierten Räumen. So platziert die Künstlerin exotische Früchte, kleine Kabinette mit rätselhaftem Inhalt oder cyan-gefärbte Pflanzen und Tiere mal halb versteckt und mal ganz prominent zwischen den Kunstwerken der heutigen Museumssammlung.


Insgesamt 20 Installationen hat die Künstlerin Anja Schindler im Verlauf des historischen Rundgangs in der Sammlungsausstellung von Schloss Gottorf platziert.
Insgesamt 20 Installationen hat die Künstlerin Anja Schindler im Verlauf des historischen Rundgangs in der Sammlungsausstellung von Schloss Gottorf platziert.

„Wie man mit der Kunst- und Wunderkammer als orbis in domo, die ganze Welt in einen Raum holen, erforschen und verstehen wollte, so spiegeln auch Schindlers Werke den Kosmos in Objekten“.

Ingo Borges, Schloss Gottorf

Ein Dialog mit der Sammlung

Adam Olearius, der Universalgelehrte am herzoglichen Hof, beschrieb 1666 die Gottorfer Kunst- und Wunderkammer als „das grosse Wunderbuch […] mit den zwey grossen Blättern nemlich Himmel und Erde“. Als Gegenstück zu dieser Kunst- und Wunderkammer und um das „Wunderbuch“ auch um lebende Organismen zu erweitern, ließ Herzog Friedrich III ab 1637 seinen Hofgärtner Johannes Clodius nördlich des Schlosses einen barocken Garten anlegen. Sein Nachfolger Herzog Christian Albrecht ließ diesen ab 1660 um vier Terrassen erweitern. Ähnlich wie die Wunderkammer Exotisches aus aller Welt enthielt, konnten so im Barockgarten auch botanische Raritäten gesammelt werden.

Anja Schindler ließ sich von den hier einst angepflanzten Spezies anregen und schuf für das 1. Obergeschoss des Schloss Gottorf diverse Installationen mit getrockneten Pflanzen. Hierzu nutzt die Künstlerin teils Fayence-Vasen und Blumen-Steckkästen des 18. Jahrhunderts aus der Museumssammlung und setzt ihre Werke mal für sich stehend und mal als Erweiterung bestehender Ausstellungsräume in Szene. So verwandelt sie etwa den Tisch in einer historischen Bauernstube in ein surreal bewachsenes Objekt oder bietet in den großen Fensternischen in einem Barockzimmer, dem „Plöner Saal“, einen Ausblick in eine außerirdisch bewachsene Welt mit getrockneten Agapanthus-Blütenstengeln. Die als „Liebesblumen“ bekannten Gewächse verweisen auch auf die heute Nutzung des Raumes; dieser dient nämlich als Ort für standesamtliche Trauungen.


Anja Schindler: Spiegel der Welt

09.03.-06.10.2024
Museum für Kunst und Kulturgeschichte Schloss Gottorf, Schleswig


Header-Bild: Angelika Schoder – Camera delle Meraviglie, Installation (2023/24) von Anja Schindler im Schloss Gottorf, Schleswig 2024,
Bilder: Angelika Schoder – Schleswig 2024


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Angelika Schoder

Über die Autorin

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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