Jakob Kudsk Steensen: The Ephemeral Lake in der Hamburger Kunsthalle

Für seine immersive Installation „The Ephemeral Lake“ in der Hamburger Kunsthalle ließ sich Jakob Kudsk Steensen von den Werken von Caspar David Friedrich inspirieren.

Für seine immersive Installation "The Ephemeral Lake" ließ sich Jakob Kudsk Steensen von Caspar David Friedrich inspirieren.

[Ausstellung] Der in Berlin lebende dänische Künstler Jakob Kudsk Steensen (*1987) verbindet in seinen Arbeiten 3D-Animation, interaktives Design, Virtual Worldbuilding und Ambisonic Sound zu immersiven Installationen. Im Zentrum stehen dabei oft Landschaften und rätselhafte Naturräume. Für „Berl-Berl“, eine Installation die 2021 in der Halle am Berghain in Berlin zu sehen war, erkundete der Künstler zum Beispiel eine 10.000 Jahre alte Sumpflandschaft, die einst Berlin gewesen sein könnte. Bei „The Ephemeral Lake“ in der Hamburger Kunsthalle ließ er sich nun, anlässlich des diesjährigen 250. Geburtstags von Caspar David Friedrich (1774–1840), von den Werken des romantischen Malers inspirieren. In seinen Installationen im Kuppelsaal und in der Rotunde des Museums zeigt Steensen faszinierende digitale Landschaften und klangsensible, leuchtende Kristalle.


Caspar David Friedrich als Inspiration

In Anlehnung an die Werke von Caspar David Friedrich untersucht Steensen in seiner futuristisch und fast postapokalyptisch wirkenden Arbeit das Naturphänomen eines temporären Sees, ein sogenannter „Ephemeral Lake“. Dieser geologische Begriff beschreibt das periodische Entstehen von Wasseransammlungen in trockenen, kargen und oft wüstenartigen Landschaften. In seine Arbeit ließ Steensen dafür Tausende von Fotografien und Scans der Landschaft sowie der Flora und Fauna von seiner jüngsten Forschungsreise einfließen, die ihn ins Death Valley und in die Mojave-Wüste in Kalifornien führte. Diese Aufnahmen wandelte er in 3D-Animation um und ergänzte sie mit Sound- und Lichteffekten.

Die virtuelle Welt, die in „The Ephemeral Lake“ zu sehen ist, befindet sich stetig im Wandel, denn Steensens Arbeiten generieren in Echtzeit neue Variationen und interagieren mit speziell für die Installation geschaffenen Glas-Skulpturen, die wie Kristalle blinken und leuchten. Kombiniert werden diese visuellen Elemente mit einer Klanglandschaft, die in Zusammenarbeit mit der Cellistin Okkyung Lee und dem Komponisten Lugh O’Neill entstand. Die Audio-Installation ist so angelegt, dass sie auf atmosphärische Veränderungen in der virtuellen Welt reagiert. Dafür werden Tonaufnahmen aus dem Death Valley mit instrumentalen Klängen kombiniert, die die seismischen Verschiebungen in der Tiefe des Wüstensees aufgreifen. Ganz im Geiste der romantischen Malerei soll Steensens Werk die Betrachtenden zur Auseinandersetzung mit der Natur anregen und dazu inspirieren, über die Beziehung zwischen Mensch und Landschaft nachzudenken.


Eine Collage aus Elementen der Natur

Jakob Kudsk Steensen hat sich in den letzten Jahren besonders mit der Erforschung der Beziehungen zwischen dem Klima, unserer Vorstellungskraft und unserer psychischen Gesundheit beschäftigt. In Anlehnung an Caspar David Friedrichs Werk wollte der Künstler für „The Ephemeral Lake“ über die Perspektive der Gegenüberstellung von Mensch und Umwelt hinausgehen. „Ich fühle mich viel mehr zu einer Weltsicht hingezogen, in der unsere Körper und unser Geist mit den Umwelt-Energien und anderen Spezies verschmelzen und in der unsere Grenzen unschärfer werden“, betont Steensen im Interview zur Ausstellung.

Den Künstler faszinieren vor allem die großen Landschaftsgemälde von Caspar David Friedrich, die sich aber eigentlich auf kleine Zeichnungen beziehen. Friedrich fertigte sie an vielen verschiedenen Orten an und setzte diese dann, wie eine Collage, für seine Gemälde neu zusammen. Diese Herangehensweise ähnelt der Art und Weise, wie Steensen selbst seine Kunstwerke erschafft. Für seine Arbeit begibt er sich an verschiedene Orte, um Klänge aufzunehmen und Naturelemente zu digitalisieren. Am Ende setzt er die so entstandenen Elementen zu neuen Umgebungen zusammen, ähnlich wie Caspar David Friedrichs Collage-Ansatz.


Der Temporäre See

Für sein Werk „Ephemeral Lake“ dokumentierte Jakob Kudsk Steensen in der kalifornischen Mojave-Wüste ein Ökosystem, das nur alle fünf Jahre auftaucht und dann nur für ein paar Monate existiert, bevor es wieder verschwindet. Was auf den ersten Blick wie eine große Wüste erscheint, in der ab und zu ein See entsteht, verbirgt in Wirklichkeit im Untergrund eine riesige Wasserwelt. Dieses Oben und Unten des Sees greift Steensen auch in der Hamburger Kunsthalle auf und nutzt die beiden Stockwerke des Museums, um die beiden Welten des Sees zu repräsentieren: oben im Kuppelsaal und darunter in der Rotunde.

Für seine Installation nahm der Künstler Geräusche auf und erfasste natürliche Formationen, Felsen, Pflanzen und verschiedene Insekten in digitaler Form. Daraus entwickelte er dann ein „Videospiel“, das alles steuert, was in der Ausstellung zu sehen und zu hören ist. Im oberen Stockwerk der Hamburger Kunsthalle befindet sich im Kuppelsaal ein Live-Bildschirm, dieser verändert sich ständig und zeigt, was in dem virtuellen See passiert. Davon gesteuert wird alles, was Ausstellungsbesucher im Raum um sich herum wahrnehmen können. Gleichzeitig steuert der virtuelle „Ephemeral Lake“ auch das, was im Ausstellungsraum darunter passiert, in der Rotunde des Museums. Hier sind auch 3D-gedruckte Glaslampen platziert, die von der Decke hängen. Für die Form der Lampen dienten verschiedene Felsen als Vorlage, die Steensen in der Mojave-Wüste einem 3D-Scan unterzog. Sie sind mit musikalischen Schwingungen verbunden und passen ihr Licht an diese an.


Die Musik der Natur

Für seine Werke arbeitet Steensen mit dem Konzept der Polyphonie und versucht, vielstimmige Welten zu erschaffen. In der Installation „The Ephemeral Lake“ wird das Kunstwerk nun erstmals selbst zu einem Instrument. „Es hat den Klang einer Welt, die normalerweise jenseits unseres menschlichen Verständnisses liegt. Wenn man all den Lebensformen Aufmerksamkeit schenkt, wie dem Wasser, das sich durch die Felsen bewegt, und den kleinen Algen und Insekten, die in ihrer Nähe leben, eröffnet sich plötzlich eine ganze Welt. Und es ist diese für unsere menschlichen Ohren weitgehend unhörbare Welt, auf die ich mich beim Ephemeral Lake konzentriert habe“, so der Künstler.

In den letzten sechs Jahren arbeitete Steensen zunehmend mit Musikern und Komponisten zusammen, um den von ihm geschaffenen Welten Leben einzuhauchen. Klangkünstlerin Okkyung Lee erzeugt für „The Ephemeral Lake“ Vibrationen auf dem Cello, die von den Energien inspiriert sind, die unter dem Wüstenboden wirken. Lugh O’Neill arbeitet ergänzend mit Umgebungsgeräuschen, um die ungewöhnlichen musikalischen Kompositionen innerhalb der Installation zu schaffen. „Die virtuelle Umgebung wird auf die Architektur abgebildet, wobei Echos genutzt werden, um den Klang um einen herum zu erzeugen. Es ist wirklich eine Praxis der Verschmelzung von virtuellen Welten und physischer Architektur, insbesondere durch Klang“, wie es Steensen zusammenfasst.

Alles was in den beiden Ausstellungsräumen zu hören ist, soll auf die Besuchenden wie eine lebendige Komposition wirken. Der gesamte Ton mischt und verändert sich; ein Werk das sich nie wiederholt. Das Ziel des Werks ist es, bei den Betrachtenden den Eindruck entstehen zu lassen, dass die virtuelle Landschaft selbst lebendig wird: „Sie hat einen Rhythmus. Sie hat einen Puls. Diese Idee eines empfindungsfähigen Sees, der die gesamte Architektur des Gebäudes steuert“, so Steensen. „Wenn die Leute den Ephemeral Lake besuchen, hoffe ich wirklich, dass sie neugierig werden. Es ist eine neue Perspektive darauf, was ein See sein kann und wie die Welt tatsächlich aussehen kann.“


Jakob Kudsk Steensen: The Ephemeral Lake

Hamburger Kunsthalle, Kuppelsaal und Rotunde
12.04.-27.10.2024


Header-Bild: Angelika Schoder – Jakob Kudsk Steensen: The Ephemeral Lake, Hamburger Kunsthalle 2024


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Angelika Schoder

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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