Wie beeinflusst uns die Social-Media-Nutzung im Museum?

Zerstört die Social-Media-Nutzung im Museum unsere Aufmerksamkeitsspanne – oder widmen wir uns dadurch sogar länger der Kunst?

Zerstört die Social-Media-Nutzung im Museum unsere Aufmerksamkeitsspanne - oder widmen wir uns dadurch sogar länger der Kunst?

[Debatte] Um herauszufinden, wie viel Zeit Museumsbesucher mit dem Betrachten von Kunst verbringen und wie sich dies auf die Wahrnehmung des Ausstellungsbesuchs auswirkt, führten Lisa F. Smith und Jeffrey K. Smith im Jahr 2001 eine Besucherstudie im Metropolitan Museum of Art durch. [1] Viele Studienteilnehmenden beschrieben ihren Museumsbesuch in der Umfrage damals als überschwänglich positiv – obwohl sie durchweg nur wenige Sekunden mit einzelnen Werken verbracht hatten. Lange bevor die Social-Media-Nutzung im Museum überhaupt zum Thema wurde, stellte sich also bereits vor 20 Jahren in der Forschung die Frage: Wie können Menschen tief bewegt von Kunstwerken sein, obwohl sie diese nur relativ kurz betrachtet haben?


Wie lange betrachten Museumsbesucher Kunst?

Wie lange Museumsbesucher Kunst betrachten – und vor allem welche Werke von besonders vielen betrachtet werden – diese Frage ist bis heute aktuell. Im Juli 2021 wurde bekannt gegeben, dass die Istituzione Bologna Musei das ShareArt System einsetzen, eine Kameraüberwachung für Besucher. [2] Die Kameras sind an Kunstwerken platziert und erfassen, wie lange Personen ein Werk betrachten und wie nah sie diesem dabei kommen. Ziel ist es herauszufinden, wie die Kunstwerke besser im Raum platziert werden können. So könnte man anhand der erhobenen Daten etwa häufiger und länger betrachteten Werken mehr Platz einräumen oder weniger beachtete Kunstwerke an einer prominenteren Position präsentieren. Was die Betrachtungsdauer angeht, zeigen die Daten allerdings bisher ähnliche Ergebnisse wie die Studie im Metropolitan Museum of Art von 2001: Wenige Werke werden über 15 Sekunden lang betrachtet.

In der Studie von 2001 wurden 150 Personen bei der Betrachtung von sechs Werke aus der Sammlung des Metropolitan Museum of Art beobachtet. Zu den exemplarisch ausgewählten Werken zählte etwa das bekannte Gemälde „Washington Crossing the Delaware“ aus dem Jahr 1851 von Emanuel Gottlieb Leutze und Paul Cézannes „Die Kartenspieler“ von 1890/92. Die Forscher stellten fest, dass die durchschnittliche Zeit für das Anschauen eines Gemäldes nur 17 Sekunden betrug. Dies lässt den Schluss zu, dass die in der Umfrage von den Besuchern geäußerte Begeisterung für ihr Kunsterlebnis tatsächlich nur durch einen kurzen Blick auf die Werke hervorgerufen wurde.

Die Studie aus dem Jahr 2001 zeigt, dass die Aufmerksamkeit in Museen sich in den letzten Jahren nicht wesentlich verändert hat. Obwohl man Menschen aufgrund des heute gesteigerten mobilen Informationskonsums eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne zuschreibt: Nicht erst die „Smartphone-Generation“ konzentriert sich eher kurz auf Kunst. Schon lange bevor es Debatten um ausufernde Social-Media-Nutzung im Museum gab, verbrachten Ausstellungsbesucher nicht besonders viel Zeit mit den hier gezeigten Werken.


Steigert die Social-Media-Nutzung im Museum die Aufmerksamkeit?

Im Februar 2016 hatten Lisa F. Smith und Jeffrey K. Smith ihre Studie im Art Institute of Chicago mit mehr Studienteilnehmenden und mehr überwachten Kunstwerken wiederholt. [3] Die durchschnittliche Zeit für das Anschauen eines Gemäldes lag 15 Jahre nach der ersten Studie mit 21 Sekunden sogar über den Werten von 2001. Vielleicht kam diese Zeitverlängerung durch die Social-Media-Nutzung im Museum zustande? Die Studie erfasste nämlich auch, dass 35% der Besucher ein #museumselfie oder ein #artselfie machten. Und fürs Fotografieren braucht man schließlich ein bisschen mehr Zeit.

Immerhin haben viele Museen mittlerweile verstanden, dass es für die meisten Besucher heute einfach dazu gehört, Kunstwerke in einer Ausstellung zu fotografieren – und sich mitunter dabei auch selbst vor der Kunst abzulichten. Wer etwas Schönes erlebt, will es schließlich auf einem Foto festhalten – vielleicht um die Bilder später Freunden zu zeigen, möglicherweise auch nur für sich selbst, eventuell aber auch, um die Fotos aus dem Museum im Anschluss an den Besuch oder noch währenddessen für alle zugänglich online zu stellen. Über Soziale Netzwerke wie Facebook, Pinterest oder Instagram können so Eindrücke von einem Museumsbesuch schließlich mit der Öffentlichkeit geteilt werden und sogar ein weltweites Publikum erreichen.


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Social-Media-Fotos als Besuchermagnet

Bilder in Sozialen Netzwerken erzeugen Sehnsucht – nach materiellen Produkten wie Mode und Autos, aber auch nach Erlebnissen. Ein schöner Ort im Urlaub wird ebenso gepostet wie ein besonderer Moment, den man erlebt. Es überrascht daher nicht, dass auch Kultur-Erlebnisse hier ihren Platz finden, etwa ein Museumsbesuch. Viele Besucher dokumentieren die Architektur von Museumsgebäuden ebenso wie die Schönheit von ausgestellten Museumsobjekten und Kunstwerken. Das erweckt Neugier und Interesse bei anderen Kultur-Fans, das gleiche Erlebnis zu erfahren und wiederum selbst zum Smartphone oder zur Kamera zu greifen, um die eigene Perspektive festzuhalten.

Dass zum Beispiel ein gut gemachter Instagram-Account eines Museums eine ideale Plattform ist, um seine Inhalte zu präsentieren und damit Besucher anzulocken, ist längst bekannt. Doch immer mehr Museen wollen auch, dass Besucher ihre Erlebnisse mit anderen teilen, um ein breiteres Publikum für Ausstellungen zu erreichen. Dabei geht es nicht unbedingt nur um die Kooperation mit Influencern. Jeder Museumsbesucher kann schließlich ein „Influencer“ sein, wenn er anderen von seinem Kultur-Erlebnis berichtet – und damit Interesse am Museum weckt.


Müssen Museen jetzt „instagrammig“ werden?

Immer wieder wird diskutiert, wie „Instagram-kompatibel“ Museen und Galerien sein sollten. Damit ist nicht nur gemeint, dass die Institutionen das Fotografieren in Ausstellungen erlauben und sogar die Besucher gezielt dazu auffordern, die entstandenen Fotos in Social Media zu veröffentlichen. Instagram-tauglich bedeutet vor allem, dass Ausstellungen so gestaltet werden, dass sie auf Fotos besonders gut aussehen. Beispiele der letzten Jahre sind hier etwa „Willkommen im Labyrinth“ im Marta Herford und „Space Shifters“ in der Londoner Hayward Gallery im Jahr 2018 oder in diesem Jahr die Installation „Life“ von Olafur Eliasson in der Fondation Beyeler sowie die Retrospektive zu Yayoi Kusama im Berliner Gropius Bau.

Die genannten Ausstellungen wurden für die Besucher zu regelrechten Selfie-Attraktionen, da die gezeigten Kunstwerke sich als äußerst ansprechend für Fotos erwiesen. Die Instagrammability war jedoch von den Kuratoren dabei nicht immer beabsichtigt. Cliff Lauson, Senior Curator in der Hayward Gallery, betonte in einem Interview mit The Art Newspaper, dass es wenig überrascht, dass Menschen einzigartige Erfahrungen mit anderen (über Social Media) auch teilen wollen:

„In der Ausstellung ging es darum, dass Künstler innovative Materialien auf eine Art und Weise verwenden, die eine einzigartige Erfahrung schafft und den Betrachter zu einem Teil des Werks macht. […] Der Zwang zu dokumentieren, zu fotografieren und dies mit seinen Freunden zu teilen, könnte eine Erweiterung davon sein, da wir in einer Welt leben, die auf Erlebnissen basiert. Kein Wunder also, dass sich die Menschen hier so verhalten“.

Cliff Lauson, Senior Curator der Hayward Gallery [4]

Zum Umgang mit der Social-Media-Nutzung im Museum

Werden es Museen in Zukunft also einfach als angenehmen Nebeneffekt betrachten, wenn ihre Ausstellungen besonders fotogen sind – und damit auch Social-Media-Nutzer als Zielgruppe anlocken, die sonst gar nicht ins Museum gekommen wären? Oder werden Ausstellungen zunehmend bewusst daraufhin konzipiert Instagram-tauglich zu sein, damit sich ein größerer Besuchererfolg einstellt?

Die Frage zielt dabei letztendlich auch darauf ab, wie Museen ihre Besucher sehen: Werden sie weiterhin nur als Rezipienten von Inhalten wahrgenommen, also als Endkunden, oder sind die Social-Media-Nutzer doch auch potenzielle Vermittler und Botschafter, die man dafür einspannen kann, das Museum und seine Inhalte bekannter zu machen?


Header-Bild: Angelika Schoder – Altes Museum, Berlin 2019


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Angelika Schoder

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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Fußnoten

[1] Jeffrey K. Smith, Lisa F. Smith: Spending Time on Art, In: Empirical Studies of the Arts, Vol 19, Issue 2, 2001.

[2] S. Shah: Italian museum uses cameras to gauge the attractiveness of art, In: engadget, 19.07.2021

[3] Lisa F. Smith, Jeffrey K. Smith, Pablo P. L. Tinio: Time spent viewing art and reading labels, In: Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts, 11(1), 2017, S. 77–85.

[4] Ben Luke, The Art Newspaper: Art in the age of Instagram and the power of going viral – Zitat übersetzt von der Autorin.


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