Whose Jizz Is This? Peaches‘ singende Fleshies im Hamburger Kunstverein

Die Sängerin und Performance-Künstlerin Peaches betritt mit der Ausstellung „Whose Jizz is This?“ im Hamburger Kunstverein ein neues künstlerisches Feld.

Die Sängerin und Performance-Künstlerin Peaches betritt mit der Ausstellung "Whose Jizz is This?" im Hamburger Kunstverein ein neues künstlerisches Feld

[Ausstellung] Haben Sex Toys Gefühle? Wovon träumen sie und welche Wünsche haben sie? Diese Frage stellt sich Merrill Beth Nisker (*1966) aka Peaches aktuell im Hamburger Kunstverein. Die kanadische Electroclash-Sängerin, Musikproduzentin, Theater-Akteurin und Performance-Künstlerin betritt mit der Ausstellung „Whose Jizz Is This?“ ein neues künstlerisches Feld. Ins Zentrum ihrer als Gesamtkunstwerk zu verstehenden Ausstellung setzt Peaches die „Fleshies“. Diese Sex Toys existieren in ihrer eigenen Welt und wollen nur eines: Endlich groß rauskommen!


Power to the Fleshies

Für Peaches ist die Ausstellung „Whose Jizz Is This?“ eine neue Ausdrucksform als Künstlerin. Die größte Herausforderung war es, performative Arbeiten zu entwickeln, ohne dass sie dabei selbst als Person im Zentrum steht. Für ihre erste institutionelle Einzelausstellung entschied sich Peaches daher, den Fokus auf ein recht absurdes Sex Toy zu lenken: die Fleshies. Sie entdeckte diese röhrenförmigen Silikon-Objekte zufällig in einem Online-Video und war sofort davon fasziniert und entsetzt gleichermaßen.

Der weibliche Körper wird hier auf eine Röhre reduziert, auf der einen Seite eine Vagina und auf der anderen Seite ein Mund, der nicht nur aus Lippen besteht, sondern auch mit einer Zunge und sogar Zähnen versehen ist. Die Künstlerin erinnerte der Anblick dieser Objekte zunächst unwillkürlich an Hühnchen, wie sie gegenüber Bettina Steinbrügge, Direktorin des Hamburger Kunstvereins, im Rahmen eines Künstlergesprächs betonte. So wie Hühner für Massenproduktion genutzt werden und am Ende gar nicht mehr in ihrer eigentlichen körperlichen Form existieren, so ähnlich verhält es sich auch mit diesen Objekten. Es ist ein Produkt, das auf den menschlichen Konsum reduziert ist.


Die Geschichte der Fleshies

Die Ausstellung „Whose Jizz Is This?“ (dt.: Wessen Wichse ist das?) beginnt auch direkt mit einem Erklärvideo, das die Fleshies vorstellt und ihre Vorzüge als Sex Toy erläutert. Der Name „Fleshies“ ist übrigens von den Toys selbst gewählt, so das Konzept von Peaches. In der Ausstellung treten die Objekte selbstbewusst und selbstbestimmt auf und berichten von allem, was sie bewegt. Sie wollen nicht auf passive Löcher reduziert werden und beabsichtigen, sich gänzlich von der Interaktion mit Menschen zu lösen. Was sie anstreben, ist, eine befriedigte, autarke Gemeinschaft zu werden. Für Peaches sind die Fleshies definitiv queer; sie sind nicht feministisch sondern „fleshie-istisch“.

Die Idee hinter der Ausstellung ist die Frage: Was wäre, wenn die Fleshies erkennen würden, dass sie nicht länger bloße Nutzobjekte sein müssen? Sie sind mit allem ausgestattet, um sich selbst zu genügen. „They don’t need humans. Hashtag #fuckhumans“, stellt Peaches im Rahmen des Künstlergesprächs fest. Die Objekte entwickeln in der Ausstellung ein Bewusstsein, beginnen zu sprechen und eine demokratische Gesellschaft für sich zu erschaffen. Peaches wählte für die Ausstellung im Hamburger Kunstverein eine narrative Form, in deren Kern es um aktuelle Fragen zu Sex, Queerness, Empowerment und Politik geht – alles vereint in einer Art „dekonstruiertem Musical“.


Eine Installation in 14 Szenen

„Whose Jizz Is This?“ vereint alle künstlerischen Ausdrucksweisen, mit denen Peaches in ihrer bisher 20 Jahre umfassenden Karriere gearbeitet hat. Musikproduktion, Live-Performance, Video, Bühnen- und Beleuchtungsgestaltung werden im Hamburger Kunstverein zu einer konzeptionell abgestimmten Installation. Die 14 Szenen sind hier dramaturgisch aufeinander aufbauend und in ihrer Aktion getimed. So wird der Besucher immer an den Ort geführt, an dem das Geschehen stattfindet. Auch das zeigt die Selbstbestimmung der Fleshies: Sie leiten den Besucher durch die Ausstellung und zeigen wo’s lang geht – im wahrsten Sinne des Wortes.

Skulpturen und Animatronics erweitern das kreative Feld von Peaches in dieser Ausstellung. Ihre Arbeiten erinnern dabei stark an den Schweizer Bildhauer Jean Tinguely (1925-1991) und seine kinetische Kunst. In seinen Maschinenplastiken griff er abstrakte Elemente von anderen Künstlern wie Kasimir Malewitsch oder Wassily Kandinsky auf und entwickelte diese weiter. Seine beweglichen Plastiken reichen dabei von witzig bis verstörend, etwa „Carnaval (Fasnachts-Brunnen)“ (1977, Theaterplatz, Basel) oder „Mengele Totentanz“ (1986, Museum Tinguely, Basel). Ähnlich sind auch einige der Arbeiten von Peaches angelegt. Während ein „Gedenkbrunnen“ aus Fleshies sich fröhlich gegenseitig mit „Jizz“ bespritzt, versucht die mechanische Skulptur „Lab.Oratory Lick“, die an eine Art halb-zerlegten Terminator-Fleshie erinnert, bei sich selbst Cunnilingus auszuüben.


Der Hamburger Kunstverein als Bühne

Für die Ausstellung „Whose Jizz Is This?“ dient der Kunstverein in Hamburg als einzigartige Bühne. In einem regulären Museum wäre eine Installation dieser Art wohl kaum möglich, wie Direktorin Bettina Steinbrügge im Gespräch mit der Künstlerin betont. Die 14 Szenen der Ausstellung sind sehr anspruchvoll, nicht nur was ihren Platzbedarf angeht, sondern auch hinsichtlich der eingesetzten Technik. Es kommt Wasser zum Einsatz und ein Laser, den Peaches in dieser Art sonst in ihren Bühnenshows nutzt, erstrahlt im Nebel. Eine aufwändige Soundcollage ist zudem auf eine komplexe Lichtinstallation im gesamten Ausstellungsraum abgestimmt.

Feuchtigkeit, Licht und technische Komplexität dürften es daher für die meisten Museen unmöglich machen, Werke aus der Ausstellung – oder die gesamte Installation – ohne weiteres zu zeigen. Der Kunstverein kann als Institution hier die Grenzen zu einem klassischen Museum überschreiten. Während Museen in erster Linie ihre Sammlung sowie Leihgaben schützen müssen, sind für einen Kunstverein konservatorische Risiken gering. Schließlich kann ein Kunsterein seine Ausstellungsfläche temporär für besondere Projekte zur Verfügung stellen und sich ganz auf die entsprechenden Bedürfnisse von Kunstwerken einstellen.

Solche „Open Spaces“ für Kunst sind nicht leicht zu finden. Daher sollte man die Möglichkeit nutzen, „Whose Jizz is This?“ im Hamburger Kunstverein zu sehen. Die Chancen, dass die Installation durch weitere Kulturinstitutionen touren kann, ist nämlich nicht allzu groß.


Peaches. Whose Jizz is This?

Kunstverein in Hamburg
10.08. – 20.10.2019


Header-Bild: Angelika Schoder – Hamburger Kunstverein, 2019


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Angelika Schoder

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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