[Kultur-Tipp] Der Norddeutsche Rundfunk ist eine der wichtigsten Medien-Institution in Hamburg. Jenseits von Radio, Internet-Angeboten und TV-Sendungen kann man den NDR jetzt auch aus einer anderen Perspektive kennenlernen: bei einem historischen Rundgang. Branka de Veer und Andrea Völker haben hierfür die Geschichte des Rundfunkgeländes, das zwischen Mittelweg und Rothenbaumchaussee liegt, umfassend aufgearbeitet. Der Rundgang verbindet Vergangenheit und Gegenwart und beleuchtet das NDR-Gelände als Ort, an dem vielfältige Geschichten aufeinandertreffen, von Architektur über Design bis hin zu bildender Kunst und natürlich der Medienproduktion. Wer hätte gedacht, dass sich unter dem heutigen Funkhaus mit seinem markanten Turm aus den 1930er Jahren einst eine Villa aus dem 19. Jahrhundert befand? Und wer hätte auf dem Rundfunkgelände einen ehemaligen Israelitischen Tempel vermutet? Bis heute ist der NDR-Rundgang ein absoluter Geheimtipp, den wir hier gern weiterempfehlen.

Das Funkhaus am Rothenbaum
Der NDR-Rundgang beginnt direkt am Funkhaus an der Rothenbaumchaussee 132, das seit fast 100 Jahren das Bild des Stadtteils Rotherbaum prägt. Es entstand 1930/31 nach Entwürfen des Architekturbüros Puls & Richter und fällt bis heute durch seinen markanten Turm mit Glasaufsatz auf. Im Mittelpunkt des Funkhauses befindet sich der Große Sendesaal, der zu seiner Entstehungszeit akustisch auf dem neuesten Stand war und flexibel genutzt werden konnte. Innen wie außen setzten die Architekten auf eine klare, moderne Formensprache. Nur wenige Kunstwerke gehörten zur Erstausstattung, alle mit direktem Bezug zum Rundfunk. Bei der Führung werden hier historische Fotos gezeigt von Kunst und Design-Elementen, die heute nicht mehr erhalten sind.
Man erfährt auch, dass die Wurzeln des Rundfunkgeländes zurück ins Jahr 1924 reichen, als die Nordische Rundfunk AG (NORAG) gegründet wurde. Zunächst nutzte die Sendeanstalt die sogenannte Engelbrecht’sche Villa aus den 1880er Jahren, von der heute nur noch Fotos erhalten sind. Mit dem Funkhaus, das an dieser Stelle unter Einbeziehung der Villa entstand, erhielt der Sender dann sein eigenes, modernes Zentrum. Doch schon kurz nach der Eröffnung veränderten die Nationalsozialisten den Bau. Spätere An- und Umbauten in den 1950er Jahren ließen die ursprüngliche Architektur immer weiter verschwinden. Blickt man heute auf das Gebäude, kann man sich kaum vorstellen, dass die Ursprünge in holzgetäfelten Räumen mit Kerzenleuchtern und Stuckdecken liegen.

Der Große Sendesaal und die Welte-Funkorgel
Mit Glück kann beim NDR-Rundgang auch der Großen Sendesaal besucht werden, wenn hier gerade keine Proben stattfinden. Das heutige Studio 1 ist das Herzstück des Funkhauses. Bei der Eröffnung Anfang der 1930er Jahre galt der dreigeschossige Raum als technisches Meisterwerk, denn Architektur und Ausstattung folgten ganz den Anforderungen der Akustik. Um Straßenlärm und Erschütterungen auszuschließen, wurde der Saal ins Innere des Gebäudes verlegt, umgeben von Nebenräumen und vollständig ohne Fenster. Eine doppelt verglaste Decke ermöglicht Tageslicht, ohne Geräusche hereinzulassen. Der Saal war von Anfang an vielseitig nutzbar: Er diente als Studio, Konzert- und Kirchenraum, als Bühne oder Probenraum. Bewegliche Wände, Filzverkleidungen und schwenkbare Seitenelemente ermöglichten es, Klang und Raum immer neu anzupassen. Sogar die Bühne und der Orchestergraben konnten abgesenkt werden. Eine ausgeklügelte Beleuchtung mit rund 5.000 Lampen sorgte zusätzlich für stimmungsvolle Effekte. In den folgenden Jahrzehnten wurde der Saal umgebaut; heute nutzt vor allem die NDR Bigband den Raum.
Ein zentrales Element im Sendesaal war von Anfang an die Welte-Funkorgel, die sich bis heute hier befindet. Sie wurde 1930 eingebaut und speziell für die Bedürfnisse des Rundfunks entwickelt. Mit rund 2.000 Pfeifen, mehreren Manualen und einem großen Klangspektrum ist sie in der Lage, ein komplettes Orchester zu ersetzen. Kirchenmusik, Schlager oder zeitgenössische Werke: diverse Musikstile können hier gespielt und direkt im Rundfunk gesendet werden. In den 1960er Jahren wurde sie zunächst nicht mehr genutzt, doch seit den 1980er ist die Funkorgel für Konzerte wieder in Betrieb. Der 1999 gegründete Verein der Freunde der Welte-Funkorgel sorgt bis heute für ihren Erhalt.

Der „Florentiner Mann“ von Hermann Blumenthal
Eine der bekanntesten Skulpturen auf dem NDR-Gelände ist die Bronze „Florentiner Mann“ (1937) des deutschen Bildhauers Hermann Blumenthal (1905–1942). Dessen Werke, vor allem seine Figuren, Porträtköpfe und Reliefs, zeichnen sich durch Klarheit, Ruhe und Strenge aus und zeigen oft ungewöhnliche Posen. Schon als Student erhielt Blumenthal viele Preise und Stipendien, doch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten endete seine Karriere, da die Kunst der Moderne nicht mehr gefragt bzw. sogar abgelehnt wurde. 1942 starb der Künstler mit nur 36 Jahren als Soldat. Seine bekanntesten Werke, der „Römische Mann“ und der „Florentiner Mann“, entstanden während seiner Aufenthalte in Rom und Florenz; die Städte konnte er dank Stipendien 1930/31 und 1936/37 besuchen.
Posthum erhielt Hermann Blumenthal noch einmal Aufmerksamkeit, da zu seinem 50. Geburtstag 1955 der „Florentiner Mann“ als Zeichen des Dankes für internationale Hilfe in die USA verschenkt wurde. Zuvor war die Skulptur in der Hamburger Kunsthalle ausgestellt worden. Im gleichen Jahr würdigten mehrere Ausstellungen das Gesamtwerk des Bildhauers und auf der ersten documenta in Kassel wurden zwei seiner frühen Figuren gezeigt. Bereits vor dieser Würdigung hatte der Norddeutsche Rundfunk im Jahr 1954 die Bronzeskulptur „Florentiner Mann“ erworben, von der insgesamt nur drei Abgüsse existieren. Die Skulptur zählt zu Blumenthals Gruppe der „Jünglinge“, die den idealisierten Körper eines jungen Mannes zeigen und an antike Vorbilder erinnern. Während die Kunst im Nationalsozialismus kämpferische Helden darstellte, wählte Blumenthal eine andere Sprache, fern von jeder Propaganda. Der „Florentiner Mann“ kniet auf einem Podest, die Arme hoch erhoben, die Fäuste aneinander gelegt. Seine angespannte Haltung lässt die Rippen am dürren Körper hervortreten und hat etwas Verletzliches, Defensives. Blumenthal strebte nach einfachen Formen, seine Figuren haben daher keine individuellen Gesichter, ihre Blicke gehen ins Leere. So wirkt auch der „Florentiner Mann“ entrückt und zeitlos.
Neben dieser Skulptur befinden sich auf dem NDR-Gelände noch die Bronze „Ätherwelle“ (1931/1988), die der Bildhauer Friedrich Wield dem Physiker Heinrich Hertz widmete, und die abstrakte Bronzeplastik „Triade“ (1963), die von Ulrich Beier im Auftrag des NDR entworfen wurde. Die Skulpturen werden je nach Wetterlage beim NDR-Rundgang besucht.

Der Israelitische Tempel an der Oberstraße
1931 eröffnete die jüdische Reformgemeinde einen neuen Tempel in Hamburg, der nicht nur als Synagoge, sondern auch als modernes Gemeindezentrum für Unterricht, Versammlungen und Feste gedacht war. Entworfen wurde das Gebäude von den Architekten Felix Ascher und Robert Friedmann, die den Ideen des Neuen Bauens folgten: klar, schlicht und funktional. Bauhaus-Künstler wie Naum Slutzky beteiligten sich an der Gestaltung, etwa mit Leuchten und besonderen Metallelementen.
In der Pogromnacht 1938 verwüsteten die Nationalsozialisten den Gebetsraum des Tempels. Kurz darauf musste die jüdische Gemeinde den Tempel zwangsweise an die Stadt Hamburg verkaufen. Das Gebäude wurde dann unterschiedlich genutzt, als Getreidelager, Kino und Redaktionssitz. 1949 wurde der Bau vom NDR übernommen und zum Musikhaus umgebaut. Eine Zwischendecke trennt seit dem Konzertsaal und Technikräume. In den folgenden Jahrzehnten fanden dann hier hier Konzerte statt, insbesondere mit zeitgenössischer Musik.
2000 erhielt der ehemalige Israelitische Tempel schließlich einen neuen Namen: Rolf-Liebermann-Studio, benannt nach dem Komponisten und langjährigen Leiter der Musikabteilung des Senders. Beim NDR-Rundgang kann man das Gebäude besuchen und auch in den Konzertsaal schauen, wenn hier keine Proben stattfinden.
NDR-Rundgang Rotherbaum. Kunst und Architektur
NDR – Norddeutscher Rundfunk
Hugh-Greene-Weg 1, 22529 Hamburg
Die Führung ist kostenlos.
Header-Bild: Angelika Schoder – ehemaliger Israelitischer Tempel an der Oberstraße, Hamburg 2025
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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