[Debatte] Im Laufe der letzten Monate eröffneten immer mehr qietschbunte und spektakuläre Institutionen auf der ganzen Welt, die nur auf eines abzielen: Social-Media-Nutzer sollen hier die perfekten Kulissen für ihre Fotos finden. Der Sinn dieser Institutionen ist es nicht, Inhalte an die Besucher zu vermitteln. Ganz im Gegenteil: Es geht nur darum, möglichst Selfie-freundlich zu sein. Über Instagram, Pinterest, Snapchat und Co. werden immer mehr Besucher angelockt. Das Konzept funktioniert, die Bezeichnung der Institutionen verwirrt allerdings: Nicht wenige schmücken sich mit dem Zusatz „Museum“. Das wirft die Frage auf, was Museen heute eigentlich ausmacht.
Zu Besuch bei der Museums-Avocado
Betrachtet man das Museum of Ice Cream, das 2016 alle Social-Media-Plattformen im Sturm eroberte und sogar einen Webby Award für seine „Best Overall Social Presence (Brand)“ gewonnen hat, geht dessen inhaltliche Tiefe nicht weiter als der Boden einer Eiswaffel. Auch im Fall des in Los Angeles angesiedelten Museum of Illusions oder des Art In Island Museum in Manila muss man nicht lange fragen, worum es geht. Mehr als verrückte Selfie-Hintergründe sind hier nicht zu finden. Das Museum of Selfies in L.A. versucht wenigstens, dem Wort „Museum“ noch irgendwie gerecht zu werden, indem darauf verwiesen wird, man würde sich mit der „40.000-jährigen Geschichte des Selbstbildnisses“ befassen. Aber schließlich geht es doch vor allem wieder nur darum, an interaktiven Stationen den Besuchern möglich viele Selfie-Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen.
Am Ende unterscheiden sich diese „Museen“ nicht von Institutionen wie Dream Machine oder The Egg House in New York bzw. The Cado in San Diego. Letzteres gibt sich als „Avocado Museum Experience“ aus und wirbt mit dem Slogan „the green you love to ‘gram“. Kein Besucher würde in eine dieser Institutionen gehen, ohne ein Foto davon zu machen – mit sich selbst oder Freunden darauf, versteht sich. Nach dem Avocado-Toast ist das Selfie mit lebensgroßer Avocado im Hintergrund doch nur konsequent, oder?
Die instagrammigen Erlebniswelten folgen jedenfalls einer wichtigen Regel: Hauptakteur sind nicht die gezeigten Räume oder Objekte in ihnen, sondern die Besucher selbst. Es geht nicht darum, sich mit Kunst auseinanderzusetzen, Inhalte zu hinterfragen und vielleicht Rückschlüsse auf die Gesellschaft oder sich selbst zu ziehen. Abgesehen von einem oberflächlichen Thema, das lose einen Zusammenhang in den Institutionen herstellt, gibt es keinen Inhalt, über den reflektiert werden kann.
Die Hölle, das sind die anderen
In einem Monopol-Artikel über das Museum of Selfies bezeichnete Anika Meier die Institution als „Hölle in Millennial Pink“. Und denkt man an „Huis clos“ von Jean-Paul Sartre weiß man: Die Hölle, das sind die anderen. Daher funktionieren diese instagrammigen Erlebniswelten auch nicht alleine, sondern nur als Event. Statt individuellem Erleben, was in einem regulären Museum durchaus von vielen Besuchern angestrebt wird, sind die „Instagram-Höllen“ Teil einer social experience.
Man fotografiert sich gemeinsam, geht auf Entdeckungstour nach den besten Selfie-Spots in den Räumen, schaut sich Posen von anderen Besuchern ab und hat gemeinsam eine gute Zeit. Dem Leitsatz „Pics or it didn’t happen“ folgend, MÜSSEN die Eindrücke aus dieser Art von „Museumsbesuch“ später außerdem mit dem sozialen Umfeld geteilt werden – am besten noch weltweit in einem öffentlichen Social-Media-Profil. Der Besuch einer dieser gehypten Institutionen gilt dabei fast als Statussymbol. Auch wenn Kunstmuseen und die hier gezeigten Arbeiten sich ebenso für Selfies eignen, was Bilder mit dem Hashtag #artselfie oder #museumselfie seit Jahren beweisen, scheint der Besuch eines klassischen Museums weniger Anziehungskraft auszuüben, als der Besuch einer Institution, die rein auf Selfies ausgelegt ist. Hier ist immerhin kein pädagogischer Anspruch zu befürchten. Keiner erwartet, dass man sich mit Kunst auseinandersetzt oder über Inhalte nachdenkt. Nichts verwirrt oder bleibt unverständlich. Besonders für jüngere Besucher scheint das verlockend zu sein.
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Kunst oder Selfie-Station?
Kunstkritiker, die in den letzten Monaten die erwähnten Selfie-Erlebniswelten besucht haben, berichten oft, dass sich diese Orte zwar wunderbar fotografieren lassen. Beim Besuch wirken sie aber relativ billig und hinterlassen einen kitschigen Eindruck. Wer die Werke von Künstlern wie James Turrell oder Olafur Eliasson kennt, die für ihre Licht-Installationen bekannt sind, oder wer an Yayoi Kusama denkt, die mit ihren „Infinity Mirror Rooms“ fast wie die Erfinderin des Wortes „instagrammig“ wirkt, muss angesichts der schlecht gemachten Fotostationen verzweifeln, wie Kritiker Ben Davis bei Artnet im Bezug auf Dream Machine betont. Auch seine Kollegin Sarah Cascone fand am Museum of Ice Cream nicht viel Gutes.
In den Installationen von Künstlern wie Kusama, Turrell oder Eliasson treffen präzises Design, eine anspruchsvolle Verwendung von Materialien und ausgefeilte technische Elemente aufeinander und erzeugen bei Besuchern eine ganz besondere Stimmung. Für manche wird durch diese Kunstwerke ein „Hort der Entspannung“ geschaffen, für andere entsteht eine „berauschende Orientierungslosigkeit“. In den instagrammigen Erlebniswelten ist nichts davon zu finden. Eine tiefere Auseinandersetzung mit der Umgebung und ihrer Objekte ist nicht das Ziel. Es geht darum, ob die Fotos des Besuchs schön werden und ob sie am Ende viele Likes bekommen.
Wann ist ein Museum ein Museum?
Laut den „Ethischen Richtlinien für Museen“ von ICOM ist ein Museum „eine gemeinnützige, auf Dauer angelegte, der Öffentlichkeit zugängliche Einrichtung im Dienste der Gesellschaft und ihrer Entwicklung, die zum Zwecke des Studiums, der Bildung und des Erlebens materielle und immaterielle Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt beschafft, bewahrt, erforscht, bekannt macht und ausstellt.“
Man fragt sich, welche Forschung im Museum of Ice Cream wohl betrieben wird? Welche Zeugnisse des Menschen und seiner Umwelt sammelt das Museum of Illusions – und wird es sie für die Nachwelt bewahren? Auch beim kürzlich eröffneten Mori Building Digital Art Museum in Tokio muss man sich fragen, warum die vom Künstlerkollektiv teamLab erstellten Werke in einem Umfeld gezeigt werden, das als „Museum“ bezeichnet wird. Auf der Website zum Projekt wird wieder nur auf die social experience verwiesen, in die man eintauchen kann. Bildung, Vermittlung, Erforschung, Bewahrung – findet das hier überhaupt statt? Oder geht es rein um das Ausstellen?
Nicht jeder Raum, in dem Kunst gezeigt wird, ist ein Museum. Manche würden es eher Ausstellungsraum oder Erlebniswelt nennen. Andere würden wiederum Bezeichnungen wie „Instagrammer-Falle“ oder „Selfie-Hölle“ vielleicht passender finden.
Header-Bild: Angelika Schoder – Staatsoper Hamburg, 2016
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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