[Travel Ticket] Die kleine Stadt Hilversum wird gerne als das Hollywood der Niederlande bezeichnet. Ob Casting-Shows wie The Voice oder Reality-Formate wie Big Brother: Ohne die Einflüsse aus der Medienstadt in der Nähe von Amsterdam wäre die deutsche Fernsehlandschaft heute um einige Formate ärmer. Doch Hilversum hat mehr zu bieten als niederländische TV-Geschichte. Hier findet sich wegweisende modernistische Architektur, historische Sehenswürdigkeiten und eine lebhafte Gastro- und Kneipenlandschaft. Jeden Samstag kann man in Hilversum außerdem etwas besuchen, was es nicht mehr oft in der Region gibt: einen typischen niederländischen Wochenmarkt, natürlich mit Tulpen, Gouda und den besten Kibbeling.
Das Stadtmuseum von Hilversum
Im ehemaligen historischen Rathaus aus dem 18. Jhd. befindet sich heute das Stadtmuseum von Hilversum. Das Bauwerk, das ab 1881 auch als Gerichtsgebäude genutzt wurde, gehört zu den ältesten Häusern der Stadt. Noch immer sind im Raum der ehemaligen Ratskammer Deckenmalereien aus dem 19. Jhd. erhalten. Als 1931 das neue Rathaus von Hilversum eröffnet wurde, ein modernistischer Bau nach Entwürfen des bekannten Architekten Willem Marinus Dudok, wurde das historische Gebäude am Kerkbrink nach diversen anderen Nutzungen schließlich zum Museum.
Inhaltlich konzentriert sich das Stadtmuseum von Hilversum in regelmäßig wechselnden Ausstellungen auf Medienkunst und Fotografie. Hierzu zählen auch jährliche Ausstellungen zum Preis „De Zilveren Camera“, der wichtigsten niederländischen Auszeichnung für Fotojournalistik und Dokumentarfotografie. Darüber hinaus befasst sich das Museum auch mit digitaler und Videokunst, mit Gaming und Animation oder mit Lichtkunst.
- Museum Hilversum | Kerkbrink 6, 1211 BX Hilversum
Die Vituskirche
Die katholische Kirche St. Vitus ist nicht nur das höchste Gebäude in Hilversum, sondern hat mit 98 Metern auch den vierthöchsten Kirchturm der Niederlande. An gleicher Stelle wurde bereits 1786 ein Vorgängerbau errichtet, der sich aber gegen Ende des 19. Jhd. als zu klein erwies. Mit dem Entwurf eines neuen Kirchenbaus wurde dann Petrus Josephus Hubertus Cuypers beauftragt, zu dessen bekanntesten Gebäuden das Rijksmuseum und der Hauptbahnhof in Amsterdam zählen, beide errichtet im Stil der Neorenaissance. Insgesamt wurden in den Niederlanden darüber hinaus rund 100 Kirchen nach den Entwürfen von Cuypers errichtet oder umgebaut.
Gemeinsam mit Frans Stolzenberg betrieb Cuypers zudem ein Atelier für Kirchenkunst. Werke aus diesem Atelier finden sich auch in der 1892 eingeweihte Sint-Vituskerk wieder, etwa die Pieta, der Vitus-Altar, der Altar des Antonius und alle Steinstatuen an den Kirchenseiten. Auch Kunstwerke aus der Vorgängerkirche finden sich im neuen Kirchenbau, dazu zählen Holzstauen der Jungfrau Maria und des Namensgebers der Kirche, dem Heiligen Veit, auf lateinisch auch Vitus genannt. Veit gehört zu den Vierzehn Nothelfern und wird als Fürsprecher bei Feuer und drohendem Blitzeinschlag angerufen; auch bei Krämpfen und Anfällen gilt er als zuständig. Er ist zudem der Schutzpatron u.a. der Apotheker, Gastwirte, Bierbrauer, Tänzer und Schauspieler. Insbesondere letzteres hat sich im Laufe der Geschichte als sehr passend für Hilversum herausgestellt, immerhin werden im nahe gelegenen Mediapark heute zahlreiche TV-Sendungen und Shows produziert. Auch aus der Kirche selbst finden regelmäßig Fernsehübertragungen statt.
- Sint-Vituskerk | Sint Vitusstraat, 1211 PB Hilversum
Mediapark und Medienmuseum
Hilversum ist die Heimat des niederländischen Fernsehens und diverser Radio- und Online-Produktionen. Im Mediapark, dem größten Mediencluster in Europa, entstehen zahlreiche TV-Formate, die mittlerweile weltweit erfolgreiche Ableger hervorgebracht haben, zum Beispiel „Das Supertalent“. Insbesondere im Bereich Reality-TV und Casting-Formate haben sich Produktionen aus Hilversum als wegweisend herausgestellt – auch fürs deutsche Fernsehen. Zudem haben hierzulande beliebte Gameshows, Kochshows oder Dating-Formate niederländische Vorbilder.
Wer mehr erfahren möchte, sollte an einer der „Hillywood-Touren“ durch den Mediapark teilnehmen, die immer an Wochenenden stattfinden. Unterwegs mit einem skurrilen kleinen Zug auf Rädern, erfährt man Wissenswertes über die hier ansässigen Produktionen und Sender und darf auch einen Blick in die Bühnengestaltung und die Requisiten-Abteilung werfen.
Am Rande des Mediapark befindet sich das Nederlands Instituut voor Beeld & Geluid, nach eigener Aussage das „interaktivste Medienmuseum der Welt“. In der neu gestalteten Ausstellung geht es um den Einfluss der Medien auf unser tägliches Leben. Denn schließlich ist heute fast jeder permanent mit diversen Medien in Kontakt – oft bereits schon ab dem Kleinkindalter. Im Museum wird der Besucher vom Medienkonsumenten zum Medienproduzenten: Man kann sich als Nachrichtensprecher ausprobieren, zur Reporterin werden, als Influencer in Erscheinung treten oder ein eigenes Spiel kreieren. Dabei geht es nicht nur um das kreative Ausprobieren, sondern auch um das Hinterfragen von Produktionsprozessen in den Medien: Wie erkennt man Fake News? Wo versteckt sich Schleichwerbung? Und wie werden Geschichten erzählt? Immer mit dabei ist die Kamera, die diverse Videoaufnahmen anfertigt. Diese fließen in den „Medienreaktor“, einen endlosen Strom von Medienbildern, in dem Ausstellungsbesucher dann neben dem regulären TV-Programm auftauchen. Wer möchte, kann die Videos seiner Erlebnisse im Museum auch in einer App sammeln und sich nach dem Besuch per E-Mail zusenden lassen.
- Nederlands Instituut voor Beeld & Geluid | Media Parkboulevard 1, 1217 WE Hilversum
Die Architektur von Willem Marinus Dudok
Wer sich für Architektur der Moderne begeistert, dem sollte Willem Marinus Dudok (1884-1974) ein Begriff sein. Der Stil seiner Bauwerke ist stark von der Amsterdamer Schule geprägt und kann mit dem des amerikanischen Architekten Frank Lloyd Wright verglichen werden. Zu seinen bekanntesten Gebäuden zählen das Stadttheater in Utrecht oder die Koninklijke Hoogovens in Velsen. Sein Hauptwerk ist jedoch in Hilversum zu finden; kein anderer Architekt prägte die Stadt so stark wie Dudok. Insgesamt 75 Gebäude hat er in Hilversum realisiert, vom Stadion über diverse Schulen bis hin zum außergewöhnlichen Rathaus.
Das Rathaus mit seinem 48 Meter hohen Turm, für dessen Planung der Architekt rund 10 Jahre benötigte, besteht aus kubistischen Formen und spielt mit den Perspektiven einer asymmetrischen Fassade. Dudok nutzte für das Gebäude eine Kombination aus Beton und Stahl und ließ für den Bau extra gelbe Ziegelsteine in einer speziellen länglichen Größe entwickeln. Um die horizontalen Linien der Fassade zu verstärken, setzte er schräge Schattenfugen zwischen diesen Ziegeln. So erschuf er ein beeindruckendes Gebäude mit nach außen hin streng geometrischer Wirkung. Errichtet wurde das Rathaus von 1928 bis 1931 auf dem ehemaligen Anwesen des Landhauses „Den Witten Hull“, dessen Fundamente noch immer im Keller des Gebäudes sichtbar sind. Hier ist heute das Dudok Architectuur Centrum ansässig, in dem auch eine Dudok-Ausstellung besichtigt werden kann.
Das Gebäude ist übrigens ein Gesamtkunstwerk von Willem Marinus Dudok, denn er gestaltete nicht nur die Architektur, sondern auch die farbenfrohe Innenausstattung. Von Dekorationen, Tür- und Fensterbeschlägen bis hin zu den Möbeln und Polstern trägt vieles seine Handschrift. Wer einen Blick in das Innere des Rathauses werfen möchte: Das Dudok Architectuur Centrum bietet hier regelmäßig Führungen an.
- Raadhuis Hilversum | Dudokpark 1, 1217 JE Hilversum
Der Wochenmarkt von Hilversum
Immer mittwochs und samstags ist Markttag in Hilversum, jeweils von 8 bis 16 Uhr. Mit einem Angebot von frischen Blumen, Kleidung und Stoffen, Fisch, Wurst, Obst und Gemüse, Backwaren und Käse ist es ein typisch niederländischer Wochenmarkt. Natürlich gibt es hier auch traditionelle Snacks wie Waffeln und Friet bzw. Patat, also frische Pommes, die man typischerweise mit Frittensauce oder Mayonnaise isst. Auch eines des niederländischen Nationalgerichte ist hier zu finden: Kibbeling. Das Fischfilet, meist aus Kabeljau, wird im Backteig frittiert und mit Remoulade gegessen.
Wer mehr als einen Snack auf dem Markt möchte, wird übrigens direkt nebenan in der MOUT Foodhall fündig. Hier gibt es Gerichte aus der vietnamesischen oder chinesischen Küche, vegane Bowls, Fisch oder Burger. Zudem ist hier die Gooische Bierbrouwerij ansässig. Das sorgt nicht nur für eine rustikale Atmosphäre, sondern ermöglicht es auch, das Bier der Brauerei direkt am Brauort zu verkosten. In insgesamt 14 Braukesseln, die je 2.000 Liter fassen, entstehen diverse Sorten mit lokalen Zutaten, etwa mit Buchweizen oder Kastanie.
- Markt in Hilversum | Langgewenst 95, 1211 BA Hilversum
- Foodhall MOUT | Marktplein 1, 1211 DZ Hilversum
Weitere Sehenswürdigkeiten in Hilversum
Der Botanische Garten
Hilversum wird auch als Gartenstadt bezeichnet, denn die Stadt grenzt unmittelbar an das Goois Natuurreservaat Zuiderheide, ein Naturschutzgebiet mit Heidelandschaft. Wer Natur innerhalb der Stadt erleben möchte, kann den Botanischen Garten Pinetum Blijdenstein besuchen, der in den 1920er Jahren angelegt wurde. Das Pinetum Blijdestein war einst Teil der Universität Amsterdam und umfasst vor allem diverse Nadelbaumarten, Mammutbäume, rund 140 Rhododendren-Arten sowie Pflanzen aus Tasmanien. In Gewächshäusern beheimatet der Botanische Garten zudem diverse tropische Pflanzen.
- Goois Natuurreservaat Zuiderheide | Naarderstraat 1, 1251 AW Laren
- Botanische tuin Pinetum Blijdenstein | Van der Lindenlaan 125, 1217 PK Hilversum
Das Widerstandsdenkmal
Inmitten des Rosengartens von Hilversum befindet sich das von Piet Esser 1949 gestaltete Denkmal, das an den niederländischen Widerstand im Zweiten Weltkrieg erinnert. Die Bronzeskulptur eines knienden Mannes mit erhobenen Armen soll die Erhebung aus Elend und Demütigung darstellen. Die Inschrift am Sockel des Denkmals ist ein Gedicht von Garmt Stuiveling mit den Zeilen „Die Freiheit des Landes lebt | Geboren aus dem Tod“.
- Verzetsmonument | Bergweg 1217, 1217 RN Hilversum
Der Alte Wasserturm
Im Jahr 1893 wurde der alte Wasserturm von Hilversum im neoromanischen Stil von der Compagnie Générale des Conduites d’Eau erbaut. Er steht im Stadtteil Trompenberg und befindet sich auf dem höchsten Punkt der Stadt, immerhin auf 27 Metern, was man in den Niederlanden schon als hoch bezeichnen kann.
- Oude Watertoren | Jacobus Pennweg 16, 1217 JH Hilversum
musermeku dankt amsterdam&partners für die Bereitstellung des I amsterdam Amsterdam & Region Travel Ticket, mit dem man in Amsterdam sowie im Umland der Stadt die öffentlichen Verkehrsmittel und Bahnen nutzen kann.
Bilder: Angelika Schoder – Hilversum, 2023
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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