Twitter-Dämmerung: MMAUVS und der BayreuthFake

Im Sommer 2015 sorgte der Twitter-Account @BayreuthFest für Aufsehen, denn der Account war nicht echt: ein BayreuthFake eines Musik-Blogs.

Im Sommer 2015 sorgte der Twitter-Account @BayreuthFest für Aufsehen, denn der Account war nicht echt: ein BayreuthFake eines Musik-Blogs.

[Debatte] Wenn es um Institutionen in Sozialen Netzwerken geht, ist Skepsis geboten – zu schnell kann man auf Fake-Accounts hereinfallen. Wer hätte etwa gedacht, dass @BND_Deutschland wirklich Tweets des Bundesnachrichtendienstes versendet? Und wer glaubt, dass Vice tatsächlich unter @Vice_Is_Hip twittert? Wahrscheinlich niemand. Kompliziert wird es erst, wenn ein Account nicht völlig wunderliche Dinge kommuniziert, sondern tatsächlich mehr oder weniger seriöse, sympathische Inhalte verbreitet. Ein solcher Account war @BayreuthFest. Doch das vermeintliche Profil der Bayreuther Festspiele war nicht echt – ein BayreuthFake, wie etwa Deutschlandradio Kultur später schreiben sollte. Über den Grünen Hügel war die Twitter-Dämmerung hereingebrochen…


Der BayteuthFake der MMAUVS

Hinter dem Twitter-Account @BayreuthFest und dem damit verbundenen BayreuthFake steckte das Team um „Musik – mit allem und viel scharf“ – kurz: MMAUVS. Ihre Mission ist es, dass sich die „Ernste Musik(branche) locker macht“. Nun ist „locker machen“ manchmal schwierig und mit Klassischer Musik ist ohnehin nicht zu spaßen. Die fabelhafte Welt von Richard Wagner geriet in Bayreuth jedenfalls nun etwas aus den Fugen, sogar ein Anwalt sollte eingeschaltet werden. Was war passiert?

Am 25. Juli startete die Festspielsaison 2015 mit der Premierenvorstellung von „Tristan und Isolde“, inszeniert von Festspielleiterin Katharina Wagner und unter der musikalischen Leitung von Christian Thielemann. So weit, so unaufregend – wäre da nicht der neue Twitter-Account @BayreuthFest.

Pünktlich einen Tag vor dem Start der Bayreuther Festspiele, am 24. Juli 2015 um 17:41 Uhr, wurde also ein weiterer Schritt in die neuen Medien gewagt: „Hallo Twitter!“ Respekt! Da haben die Bayreuther Festspiele ergänzend zu ihrer Facebook-Seite aus dem Jahr 2010 also nun fünf Jahre später Verstärkung auf Twitter erhalten. Ein konsequenter Schritt, gilt doch Facebook in Marketingkreisen als solider, wenn auch etwas angestaubter B2C Kommunikationskanal, während Twitter im B2B Bereich nicht unterschätzt werden sollte. Der Kontakt zu anderen Häusern und Festivals, zu Journalisten und Medienmenschen – Twitter ist #ausgruenden der direkte Draht.

Wenig überraschend daher, dass der @BayreuthFest-Account innerhalb weniger Wochen starken Zuspruch erfuhr: Das Royal Opera House, das BBC Scottish Symphony Orchestra, New York Philharmonic oder eben 3sat Kulturzeit, rbb Kulturradio etc. Alles schien gut zu laufen, man scherzte charmant mit Followern, rief über Hashtags wie #MyNextWagner zur Interaktion auf, teilte unter #WhyILoveWagner Liebeserklärungen an einen der bekanntesten Leipziger Komponisten und hielt die Community bei Laune. Am 18. August 2015 um 18:28 Uhr zerplatze aber schließlich die Social Media Illusion: @mmauvs postete quasi ein Bekennerschreiben.


Wie kam es zu der Twitter-Aktion?

Bei MMAUVS engagieren sich in erster Linie Philipp Krechlak, Holger Kurtz, Lukas Manke, Juana Zimmermann, Laura Wikert und Sebastian Herold. Als wir von dem BayreuthFake erfuhren, wollten wir zuerst lachen, dann weinen und Du wirst nicht glauben, was dann geschah… Wir haben ein Interview geführt! Da Juana Zimmermann, die Initiatorin von @BayreuthFest, bereits mit kulturesque und dem Nordbayerischen Kurier im Gespräch war, haben wir uns dazu entschlossen, Philipp Krechlak für musermeku um ein Interview zu bitten.

Im Blogbeitrag zum BayreuthFake schreibt Juana Zimmermann, die den Account @BayreuthFest angelegt hat: „Wie wird man Social Media Manager der Bayreuther Festspiele? – 1. Erstelle ein Profil auf Twitter / 2. Fertig“. Kulturinstitutionen erstellen häufig umständliche Social Media Konzepte, bevor sie mit einem Account online gehen – bzw. lassen diese von Agenturen oder Beratern erarbeiten. Das kostet alles Zeit und Geld. Wie lässt sich im Hinblick darauf BayreuthFake einordnen?

Philipp Krechlak: „Juana hat das natürlich überspitzt formuliert. In Wahrheit steckte dahinter weit mehr Arbeit: Wir mussten nach der Registrierung die von uns angegebene Mailadresse verifizieren und dann auch noch gemeinfreies Bildmaterial für den Account goog… sorgfältig recherchieren. Das kann natürlich nicht jede Kulturinstitution leisten. Ich glaube nicht, dass es am Wollen scheitert.“

Ihr habt den Bayreuther Festspielen angeboten, den Account @BayreuthFest zu übernehmen – inklusive solider Follower-Basis. Zwischenzeitlich teilten die Festspiele mit, dass hier kein Interesse bestehe und auch in Zukunft ein Account bei Twitter nicht geplant sei. Erscheint das nachvollziehbar?

Philipp Krechlak: „Natürlich ist das nachvollziehbar. So ein Account macht neben ganz viel Spaß eben auch Arbeit. Und man muss nicht auf jeden Hype-Zug aufspringen. Da wir hinter dieser Entscheidung felsenfeste Konsequenz vermuten, bieten wir den Festspielen an, beim Löschen des Facebook-Accounts zu helfen, beim Deinstallieren des Internets und beim Ordern von hochmodernen elektronischen Schreibmaschinen via Fax.“

Nicht nur bei Twitter schlug eure Aktion große Wellen. Auch die Presse berichtete über @BayreuthFest – Focus Online, Süddeutsche Zeitung etc. Als virale Marketingkampagne schaffte es „Musik – mit allem und viel scharf“ sogar auf die Shortlist des #VSP15. Wie schätzt ihr die Resonanz auf den BayreuthFake ein?

Philipp Krechlak: „Es ist schön, dass historische Medien wie Print und Radio, die wir aus Erzählungen kennen, auf uns aufmerksam wurden. Aber wesentlich wichtiger für uns als Vertreter der neuen, sozial verarmenden Generation von Dauer-Onlinern (ich arbeite nebenberuflich für eine Klickfarm in Pakistan, Holger darf sich Juana bei Skype nur auf 50ms Ping nähern) ist, dass wir in Blogs und besonders in eurem passieren. An dieser Stelle kurz ein Bekenntnis: Ihr seid unsere Lieblingsblogger in der Kategorie ‚Museumsblogs mit M, gemischtes Doppel‘!

Die Publicity brachte (und bringt) viel Positives mit sich und war Teil unseres nicht vorhandenen Plans: Getreu dem Motto ‚Angriff ist die beste Verteidigung‘ hat uns die enorme mediale Aufmerksamkeit und das fast durchweg sehr positive Feedback aus der Onlinecommunity zunächst vor einem gut bezahlten Anwalt bewahrt. Unser Bekennerschreiben hatten wir schneller aus der Schublade als er (sie?) sagen konnte: ‚Hallo Siri. Was ist Twitter? Kann man das essen?‘ Die entstandene Öffentlichkeit und Sympathiewelle für unsere Aktion war natürlich super. Aber jetzt stehen wir unter Beobachtung und einem enormen Druck, was für einen noch tollererereren Kulturgag wir unseren Lesern (an dieser Stelle möchte ich die beiden grüßen!) als nächstes bieten werden, die jetzt gewisse Standards fordern für das Geld, das sie nicht zahlen.“

Wie geht es jetzt mit @BayreuthFest weiter? Die Festspielzeit 2016 naht…

Philipp Krechlak: „Bei uns sind alle Redaktionsmitglieder blogintern sehr stark ausgelastet und/oder betrunken, und ständig auf der Suche nach neuen Themen und Spielwiesen. Nenn‘ uns ruhig Kultur(heu)schrecken. Wir werden weiterziehen und können uns daher 2016 nicht um @bayreuthfest kümmern. Weshalb wir auf der Suche nach gleichwertigem Ersatz sind: Momentan laufen die ersten Bewerbungsgespräche für die Betreuung des Twitteraccounts für die Festivalsaison 2016.

Wir haben in unserem Stellenplan für dieses Projekt extra Platz geschaffen für ein Praktikum mit folgenden Spezifikationen: geisteswissenschaftlicher Master oder Doktor, exakt dreieinhalb Jahre Berufserfahrung im Kultursektor, sechs Monate 24/7-Betreuung des Twitteraccounts… und von Holger – nicht verhandelbar. Wir freuen uns über interessierte Zuschriften an papierkorb@musik-mitallemundvielscharf.de.“

Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg bei der Besetzung der Praktikantenstelle!


Das Internetz ist nur so eine Phase…

Es könnte einige überraschen, aber Facebook ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Egal wie sehr einem das weltweit größte Soziale Netzwerk ans Herz gewachsen ist – es gibt Menschen, die man dort nicht (mehr) erreicht. Weitsichtig ist es jedenfalls nicht, sich in Social Media einzig auf das Netzwerk mit dem rigorosen Algorithmus zu konzentrieren, das Reichweite nur noch dann ermöglicht, wenn man sein sauer erkämpftes Kommunikationsbudget melkt.

Keiner erwartet, dass die Bayreuther Festspiele sich ab 2016 um den Verstand snapchatten, Promi-Fotos von der Saison-Eröffnung durch Instagram jagen oder die Generalproben bei Periscope übertragen. Die Frage ist: Warum erwartet es eigentlich keiner? Ach richtig, weil schon Twitter nicht einmal in Erwägung gezogen wird, wie etwa in einem Beitrag im Nordbayerischen Kurier betont wird. Der Account @BayreuthFest werde nicht übernommen, es werde auch keinen eigenen Account geben. Punkt.


Skepsis gegenüber Social Media

Der Kurier-Beitrag von Kerstin Fritzsche zeigt die große Unsicherheit, die seitens des Kulturbereichs gegenüber Twitter besteht. Clemens Lukas von Kulturpartner, einer Agentur für Kulturmanagement, -strategie und -kommunikation, betont etwa, dass Twitter zu viel Arbeit machen würde und man dort nur „sehr junge“ erreichen würde. Eine interessante Perspektive einer Kultur-Agentur… Auch Jochen Koubek, Medienwissenschaftler an der Uni Bayreuth, betont im Interview mit Kerstin Fritzsche: „Warum die Festspiele twittern sollten, weiß ich auch nicht. Zumindest sollten sie aber verhindern, dass jemand anderes dies unter ihrem Namen macht.“

Weshalb der Professor für Angewandte Medienwissenschaft und Digitale Medien, der selbst allerdings nicht auf Twitter zu sein scheint, keinen Grund findet, warum die Bayreuther Festspiele auf Twitter sein sollten, ist schwer zu sagen. Eigentlich müsste er auf die große Bedeutung verweisen, die Twitter im Bereich der B2B Kommunikation zukommt, denn er betont schließlich ja auch im Interview: „Es hängt wirklich von der Zielgruppe ab, die man ansprechen möchte.“ In der Tat. Zwischenzeitlich ist jede größere Kulturinstitution bei Twitter vertreten, selbst in Deutschland und selbst im Theater- und Musikbereich. Zu den jüngsten Beispielen gehören hier etwa die Staatsoper Hamburg (@stattsoperHH) oder die Elbphilharmonie (@elbphilharmonie).

Neben der Präsenz anderer Kulturinstitutionen, mit denen man sich via Twitter vernetzen könnte, sind hier fast alle Print- und Rundfunkmedien, Onlinemedien sowie Social Media Influencer vertreten – also genau die klassischen Medien und Vertreter Neuer Medien, die man mit seiner Kommunikation erreichen möchte, damit diese wiederum das Zielpublikum erreichen.

Als Kulturinstitution sollte man daher vielleicht nochmals überdenken, ob bei Twitter tatsächlich keine relevanten Zielgruppen sind. Und man sollte generell hinterfragen, ob Facebook heute noch ausreicht, um alle Zielgruppen im Rahmen einer Kommunikationsstrategie zu erreichen, oder ob es ein bisschen mehr sein darf – vielleicht mit Twitter, Instagram und Co. – und mit etwas Glück vielleicht auch „mit allem und viel scharf“.


Header-Bild: Angelika Schoder – Bayreuth, 2015


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Angelika Schoder

Über die Autorin

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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