The Mastermind: Ein Film über das Scheitern

Im Film „The Mastermind“ von Kelly Reichardt spielt Josh O’Connor einen gescheiterten Kunststudenten, der zum Kunstdieb wird und dessen Leben im Amerika der frühen 1970er Jahre immer weiter aus den Fugen gerät.

Im Film "The Mastermind" von Kelly Reichardt spielt Josh O’Connor einen gescheiterten Kunststudenten, der zum Kunstdieb wird.

[Film-Tipp] Wenn Kunstdiebstahl im Film inszeniert wird, geht es meist um präzise geplante Vorgänge, um geheime Aktionen und das Können absoluter Profis. Kelly Reichardts Film „The Mastermind“ (2025) zeigt nun einen Kunstraub, der das genaue Gegenteil von Filmen wie „Die Thomas Crown Affäre“ oder „Ocean’s Twelve“ ist. Wenn die Kunstdiebe mitten am Tag in das geöffnete Museum stolpern, mit Strumpfhosen über dem Kopf und mit Kissenbezügen unter dem Arm, um darin die auserwählten Gemälde einzupacken und diese dann durch den Haupteingang des Museums ins Fluchtauto zu hantieren, dann ist die Aktion alles andere als präzise, gekonnt oder professionell. Reichardt erzählt in ihrem Film die tragische Geschichte des „Mastermind“ hinter diesem Kunstdiebstahl, dessen Leben langsam aus den Fugen gerät.


Kunstdiebstahl als Selbstbehauptung

Der Film spielt im Amerika der frühen 1970er Jahre, es ist eine Zeit gesellschaftlicher Umbrüche, der Vietnamkrieg dauert an und Protestbewegungen formieren sich. In einem Vorort von Massachusetts treffen wir auf James Blaine Mooney (Josh O’Connor), kurz J.B., der einen Besuch des Framingham Art Museum dazu nutzt, die Sicherheitsvorkehrungen des Museums auszukundschaften. (Gedreht wurde übrigens in der Cleo Rogers Memorial Library in Columbus, die vom Architekten I.M. Pei entworfen wurde.) Während seine Kinder durch die Ausstellungsräume toben, überzeugt sich J.B. von der fehlenden Aufmerksamkeit des Wachpersonals und prüft, ob die Kunstwerke durch einen Alarm gesichert sind. In der Handtasche seiner Ehefrau Terri (Alana Haim) stiehlt er zunächst eine kleine Skulptur – als ersten erfolgreichen Test seines später geplanten großen Kunstdiebstahls.

Zu Hause angekommen, merkt man schnell, dass J.B. ein eher bedrückendes Leben führt. Sein Haus wirkt auf den ersten Blick zu eng, die Räume sind klein, die Farben gedämpft. Beim Abendessen muss sich der ehemalige Kunststudent, der nun Tischler ist, von seinen Eltern die Fragen gefallen lassen, wann er endlich wieder Arbeit findet – und warum er nicht so erfolgreich sein kann, wie andere Männer aus seinem Umfeld.

Die Regisseurin Kelly Reichardt zeigt ihren Protagonisten als einen Kunstdieb, der in seiner Durchschnittlichkeit versinkt und der seinen großen Coup vor allem deshalb plant, um aus einem Leben auszubrechen, das ihm längst zu eng geworden ist. Aus seiner Arbeitslosigkeit heraus beginnt J.B. Pläne zu schmieden, die mehr mit Selbstbehauptung als mit finanzieller Aussicht zu tun haben. Der Plan des Familienvaters wirkt fast absurd: Vier Gemälde des amerikanischen Künstlers Arthur Dove sollen aus dem regionalen Kunstmuseum gestohlen werden. Dabei ist es symptomatisch, dass es nicht um große Namen wie Rembrandt oder Picasso geht; J.B. hat es stattdessen auf die abstrakten Gemälde des weniger bekannten Modernisten abgesehen.

Zur Vorbereitung seines Plans geht J.B. immer wieder die Gänge des Museums ab, prüft die Befestigung der Kunstwerke, studiert das Wachpersonal. Der Film zeigt ihn dabei nie strategisch und selbstbewusst, sondern immer verunsichert, vorsichtig und leicht verloren, als wüsste er selbst nicht, ob er gerade tatsächlich einen echten Diebstahl plant oder sich nur in eine Rolle hineinträumt. Unterstützen sollen ihn zwei angeheuerte Komplizen: ein Bekannter, der eher aus Loyalität als aus Überzeugung mitmacht, und ein impulsiver Kleinkrimineller, der erst in letzter Minute hinzukommt – eine unüberlegte Kooperation, die J.B. später zum Verhängnis wird. Hier treffen Dilettanten aufeinander, ihre Gespräche sind brüchig, von Pausen durchzogen und von Misstrauen geprägt. Die Gemälde aus dem Museum zu entwenden wird entsprechend zum Desaster; nur durch sehr viel Glück gelingt der Plan.


Eine Geschichte des Scheiterns

Tollpatschig schaffen es die Männer, die Gemälde zu stehlen. Doch statt einem Erfolgsgefühl zeigt der Film Stille, unterbrochen vom schweren Atmen der Beteiligten. Statt zu feiern, muss J.B. nach dem Kunstraub direkt seine kleinen Kinder nach Hause bringen, die zu viel Fast Food gegessen haben und denen nun übel ist. In seinem Wohnzimmer hat der Kunstdieb nur kurz die Gelegengeit, seine Beute zu betrachten: liebevoll baut er die Gemälde vor seinem Sofa auf, in seinem ärmlichen Haus wirken die abstrakten Werke wie Frendkörper aus einer anderen Welt.

Reichardt setzt dabei konsequent auf eine Bildsprache, die das Scheitern miterzählt. Statt Hochglanzbilder nutzt sie matte Farben, herbstliches Licht und enge Räume, in denen der Staub sichtbar bleibt. Der Kameramann Christopher Blauvelt fängt die Szenen oft in statischen, leicht dezentrierten Einstellungen ein: Figuren verschwinden am Bildrand, als gehörten sie nicht ins Zentrum. Türen bleiben halb geöffnet, Objekte versperren den Blick – visuelle Hinweise darauf, dass J.B. nie wirklich die Kontrolle gewinnt.

Eine der eindrücklichsten Szenen zeigt J.B. beim Verstecken der Gemälde: Er klettert in einem Schweinestall eine wacklige Leiter hoch, unter den Armen die kostbaren Gemälde in Kissenhüllen gewickelt. Sein Körper schwankt, mit Mühe kann er schließlich die liebevoll für sein Diebesgut getischlerte Aufbewahrungsbox auf den Dachboden hieven. Beim Verstauen der Gemälde passiert dann beiläufig das Missgeschick: J.B. stößt versehentlich die Leiter um und muss sich, um wieder vom Dachboden zu entkommen, umständlich in den Mist des Schweinestalls fallen lassen. Auch hier zeigt sich, dass der Kunstdieb vor allem durch Inkompetenz glänzt und vom Pech verfolgt wird. Das Verstecken seiner Beute ist kein Triumph, sondern wird zur Slapstick-Nummer mit wortwörtlichem Absturz.

Parallel dazu zerfällt die Welt von J.B.: Von seiner Ehefrau Terri distanziert er sich immer weiter, er scheint schon länger auf dem Sofa zu schlafen. Spätestens als Ermittler im Haus der Familie auftauchen, um Fragen zum Kunstraub zu stellen, ist Terri klar, dass ihr Ehemann schuldig ist. Ein Komplize von J.B. war bei einem Banküberfall festgenommen worden, der Kleinkriminelle gestand bei der Gelegenheit auch gleich noch den Kunstraub und identifizierte ihn als den „Mastermind“ hinter dem Plan. Mit Glück wird J.B. die Kriminalbeamten wieder los und kann seine Frau mit den Kindern zu seinen Eltern schicken. Bald stellt sich heraus, dass auch sein anderer Komplize ihn verraten hat, und zwar an andere Kriminelle. Sie nehmen die Kunstwerke an sich, J.B. steht nun ohne Diebesgut da, dafür mit polizeilichen Ermittlungen gegen ihn.


Nervosität und Störgefühl

Neben dem vorsichtig und introvertiert spielenden Hauptdarsteller Josh O’Connor nimmt die Musik in „The Mastermind“ die zweite wichtige Rolle ein. Während O’Connors Figur meist in sich gekehrt und still wirkt, spiegelt der von Rob Mazurek komponierte Jazz-Soundrack die ganze Gefühlswelt des Kunstdiebs: mal nervös, unsicher und stolpernd, mal ungewiss treibend und fremd wirkend. Die Musik fügt sich ebenso wie die Hauptfigur nicht harmonisch in ihr Umfeld, sondern wirkt als Störfaktor, als Element der Unruhe.

Das letzte Drittel des Films gleicht einem langsamen Ausfransen. J.B. zieht von einer billigen Absteige zur nächsten, auf der Flucht vor dem Gesetz. Bei Freunden kann er nur kurz unterkommen, weil sie mit dem von der Polizei Gesuchten nichts zu tun haben wollen. Wie sich herausstellt, hat er die Gemälde scheinbar im Auftrag seines früheren Kunstprofessors gestohlen, der sie zu Geld machen sollte. Er war dumm genug, sich zu dieser leichtsinnigen Tat anstiften zu lassen und ist gescheitert. Nun steht er alleine da, denn auch seine Familie hat sich von ihm abgewendet. Weder zu seiner Frau noch zu seinen Eltern kann er zurückkehren.

Als J.B. in einem Hotel einen fremden Ausweis findet, schöpft er Hoffnung, diesen zu fälschen und damit nach Kanada zu fliehen. Um sich das Ticket dorthin leisten zu können, stiehlt er noch das Portmonee einer alten Dame – doch das Pech holt ihn schließlich ein. Das Ende des Films wirkt wie ein letztes großes Missgeschick, das dem gescheiterten Kunstdieb, der ursprünglich ein gescheiterter Kunststudent war, zustößt. Kelly Reichardt zeigt ihren Protagonisten als einen Mann, der aus seiner eigenen Geschichte gefallen ist, unfähig sie selbst zu Ende zu erzählen.


The Mastermind

USA, 2025
Regie: Kelly Reichardt

ab 16.10.2025 im Kino, danach bei MUBI


Header-Bild: The Mastermind © Ryan Sweeney 2025, Mastermind Movie Inc. via Filmfest Hamburg


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Angelika Schoder

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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