Aus der Tiefe des Meeres: Das Mary Rose Museum

Jahrhunderte lang war das Wrack der Mary Rose vor der südenglischen Küste versunken. Das Mary Rose Museum erzählt nun die Geschichte dieses Kriegsschiffs und bietet einen spannenden Blick in die Zeit der Tudors.

Das Mary Rose Museum erzählt die Geschichte des Kriegsschiffs von Heinrich VIII. und bietet einen spannenden Blick in die Zeit der Tudors.

[Ausstellung] Als Heinrich VIII. im Jahr 1509 zum König von England gekrönt wurde, gab er zügig zwei Kriegsschiffe in Auftrag, eines davon war die Mary Rose. Das Schiff ereilte rund 34 Jahre nach seiner Erbauung das Schicksal, das den meisten Kriegsschiffen vorbestimmt ist: es kehrte von einer Schlacht nicht zurück. Am 19. Juli 1545 sank es während des dritten Französischen Krieges, nicht unweit des Hafens von Portsmouth entfernt. Von 500 Männern an Bord überlebten nur 35; das Schiff wurde zum Grab für einen Großteil der Besatzung, zusammen mit ihren Waffen und persönlichen Habseligkeiten.

Rund 437 Jahre lang lag das Schiffswrack vor der südenglischen Küste auf dem Meeresgrund, bis es 1971 wieder entdeckt wurde. In über 27.800 Tauchgängen wurde das Wrack erforscht, bis es 1982 geborgen werden konnte. Die Geschichte des Schiffs wird nun in Portsmouth im eigens dafür errichteten Mary Rose Museum erzählt. Die Ausstellung gewährt nicht nur einen Einblick in die historischen Hintergründe der Zeit der Tudors, sondern rückt auch die Arbeit der Besatzungsmitglieder in den Mittelpunkt. Erzählt werden diese Geschichten anhand von zahlreichen Artefakten, die vom Meeresgrund geborgen wurden. Es handelt sich dabei ausnahmslos um Originale; in der Ausstellung werden keine Replika geteigt. Das Highlight ist dabei das wohl größte Exponat, was man sich vorstellen kann: das 34 Meter lange Schiffswrack selbst.


Das Mary Rose Museum ist über das Gelände des Historic Dockyard in Portsmouth zugänglich.
Das Mary Rose Museum ist über das Gelände des Historic Dockyard in Portsmouth zugänglich. Das Museum liegt direkt hinter dem Museumsschiff HMS Victory, Nelsons Flaggschiff bei der Schlacht von Trafalgar.

Dem Meer entlockte Geschichte

Der Ausstellungsrundgang durch das Mary Rose Museum führt durch die Geschichte des Schiffes, von seiner Erbauung 1510 bis zu seinem Untergang im Jahr 1545. Doch die Geschichte der Mary Rose endet nicht mit ihrem Sinken, denn das Museum beleuchtet auch die Wiederentdeckung des Schiffswracks, dessen unterwasser-archäologische Erforschung und seine Bergung vom Meeresgrund. Dazu eröffnete erst vor wenigen Monaten ein immersives Museumsangebot, in dem diverse Menschen zu Wort kommen, die an der Erforschung und Bergung des Schiffswracks beteiligt waren.

Der Dokumentationsfilm „Dive the Mary Rose“ ist dabei als „4D-Kinoerlebnis“ konzipiert. Als Zuschauer erlebt man die teils computeranimierten Tauchgänge aus der Sicht eines Mitglieds des Taucher-Teams, von der Entdeckung der ersten Holzbalken des Schiffs am Meeresboden über die Ausgrabung des Wracks bis hin zur Bergung einiger der fast 19.000 Artefakte, die heute im Museum zu sehen sind. Der Höhepunkt des immersiven Kinoerlebnisses ist schließlich die Hebung der Mary Rose, durch die das Schiff nach rund 437 Jahren wieder an die Wasseroberfläche geholt wurde. Begleitet von einer beeindruckenden Geräuschkulisse und rüttelnden Bewegungen in den Kinositzen soll die weltweit größte Unterwasserausgrabung und -bergung für Museumsbesucher greifbar werden. Im Dokumentationsfilm kommt übrigens auch König Charles zu Wort, der 1982 als junger Mann die Bergung der Mary Rose miterlebte.

Die Hebung des Schiffswracks legte quasi den Grundstein für das heutige Mary Rose Museum, immerhin ist das 34 Meter lange Wrack das wichtigste Exponat in der Ausstellung. Bereits 1984 eröffnete ein erstes Museum in einer Schiffshalle auf dem Historic Dockyard in Portsmouth. Ab 2009 wurde dann um das Schiff herum ein komplett neues Museum erbaut, das 2013 eröffnet werden konnte. Durch eine aufwändige konservatorische Sicherung ist es heute möglich, das Wrack der Mary Rose von den drei Stockwerken des Museums aus zu betrachten. Dabei ist man nicht immer durch Glas getrennt, sondern kann, dank einer Luftschleuse, sogar direkt im selben Raum neben dem Schiffswrack entlang laufen.


Um das Wrack der Mary Rose zu schützen, wurde um das Schiff herum ein Museumsneubau errichtet.
Um das Wrack der Mary Rose zu schützen, wurde um das Schiff herum ein Museumsneubau errichtet, das in seiner Form an eine Auster erinnert. Darin kann das Schiffswrack von drei Etagen aus betrachtet werden.

Vom Untergang eines Kriegsschiffs

Nicht nur die Entdeckung und Bergung der Mary Rose wird in einem 4D-Kinoerlebnis am Ende des Ausstellungsrundgangs vermittelt. Bereits zu Beginn wird es immersiv, denn hier begegnet man einer Projektion von König Heinrich VIII. in Lebensgröße, kann die virtuelle Aussicht vom Oberdeck der Mary Rose genießen, sieht die englische und französische Flotte vorbeisegeln und ist dabei, wenn die Mary Rose ihre Kanonen abfeuert und kurz darauf sinkt.

Nach diesen Eindrücken in einem Projektionsraum gelangt man in die eigentliche Ausstellung, die sich über drei Stockwerke erstreckt und parallel zum Schiffswrack ausgerichtet ist. Von jedem Stockwerk aus kann man die Mary Rose aus verschiedenen Winkeln betrachten; durch eine Luftschleuse gelangt man dabei sogar in die Halle, in der sich die Überreste des Schiffs befinden. Blau angeleuchtet, als würde es sich noch auf dem Meeresgrund befinden, verdunkelt sich die Halle in regelmäßigen Abständen. Das Wrack wird so als dreidimensionale Leinwand genutzt, um auf die verschiedenen Decks Szenen zu projizieren, in denen man beobachten kann, wie die Schiffsbesatzung einst auf der Mary Rose arbeitete.


Aus dem Wrack der Mary Rose wurden rund 19.000 Artefakte geborgen.
Aus dem Wrack der Mary Rose wurden rund 19.000 Artefakte geborgen. In der Ausstellung im Museum sind ausgewählte Objekte davon zu sehen, unter anderem menschliche Überreste der Besatzung, persönliche Gegenstände, aber auch Waffen.

Leben und arbeiten an Bord

Die Ausstellung wirft immer wieder einen Blick auf das Leben und Arbeiten an Bord der Mary Rose. Insgesamt 465 Menschen überlebten das Kentern des Schiffes nicht; die persönlichen Gegenstände einiger von ihnen sind auch im Museum zu sehen. Neben den Schiffstruhen, die verschiedenen Mannschaftsmitgliedern zugeordnet werden können, lernt man auch die Personen selbst kennen, die auf der Mary Rose wichtige Funktionen einnahmen: der Kapitän, Sir George Carew, der Kanonenmeister, der Schiffszimmermann, der Schiffskoch, der Zahlmeister und ein Bogenschütze. Von ihnen konnten ihre Schädel geborgen werden; anhand gezeichneter Rekonstruktionen sind ihre Porträts in der Ausstellung zu sehen. Die Tragödie um den Untergang der Mary Rose wird so mit persönlichen Schicksalen verknüpft.

Untersuchungen der im Wrack gefundenen menschlichen Überreste zeigten, dass die meisten der rund 500 Männer an Bord zwischen 20 und 30 Jahre alt waren. Der älteste war über 40, das jüngste Besatzungsmitglied war wohl ein nur 10 Jahre alter Schiffsjunge. Bis auf 35 Mann verloren alle ihr Leben, vermutlich weil die Mary Rose, nachdem sie ihre Kanonen auf ein französisches Schiff gefeuert hatte, von Wind erfasst wurde und so Wasser in die Kanonenluken eindrang, bevor diese geschlossen werden konnten. Das Schiff wurde geflutet und versank so schnell, dass sich kaum jemand in Sicherheit bringen konnte. Auch Schiffshund Hatch, ein brauner Rüde, der einem heutigen Jack Russell Terrier ähnelte, war unter den Opfern, wie die Ausstellung zeigt.

Neben den verschiedenen Berufen an Bord werden in der Ausstellung auch zahlreiche historische Hintergründe der Tudor-Zeit beleuchtet, von der medizinischen Versorgung und der Essenzubereitung über die Bewaffnung eines Kriegsschiffes des 16. Jhd. bis hin zur Musik und Mode der damaligen Zeit. Doch auch wer sich für wissenschaftliche Forschung interessiert, kommt im Mary Rose Museum auf seine Kosten. Die Ausstellung wirft einen Blick auf die archäologische Recherche nach dem Wrack, beleuchtet die Methoden zur Datierung und Konservierung von Artefakten und zeigt, wie zu den Hintergründen der Besatzungsmitglieder recherchiert wurde. Hier wird die Mary Rose als eine Art spannender Kriminalfall präsentiert, der bis heute noch nicht ganz gelöst ist.


An Bord des Wracks der Mary Rose fand man diverse Kanonen und 1.635 Kanonenkugeln.
An Bord des Wracks der Mary Rose fand man diverse Kanonen, 1.635 Kanonenkugeln, 86 Schiffstruhen von Besatzungsmitgliedern mit persönlichen Gegenständen, 172 Langbögen und rund 2.300 Pfeile. Viele dieser Objekte sind im Museum zu sehen.

Mary Rose Museum

Main Rd, HM Naval Base
Portsmouth PO1 3PY


Bilder: Angelika Schoder – Mary Rose Museum, Portsmouth 2023


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Angelika Schoder

Über die Autorin

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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