Von Netflix bis Tinder: Marken-Kooperationen mit Museen

Ob Disney+, Netflix oder Tinder – immer wieder kommt es zu Marken-Kooperationen mit Museen. Ist das ein Modell der Zukunft, um Budgets im Kulturbereich aufzupolstern und neue Zielgruppen zu erreichen?

Ob Disney+, Netflix oder Tinder - immer wieder kommt es zu Marken-Kooperationen mit Museen. Ist das ein Modell der Zukunft, um kleine Budgets im Kulturbereich aufzupolstern?

[Debatte] Die finanzielle Lage vieler Museen wird immer angespannter, besonders seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie, in der viele Häuser monatelang schließen mussten. Wichtige Einnahmen fielen weg. Wie können Museen dieses Defizit ausgleichen? In Großbritannien und den USA findet man hier kreative Lösungen. Es ist eine Finanzierungsmöglichkeit, die in Print-Magazinen und bei Influencern schon seit Jahren gut funktioniert: Sponsored Content. Solche Marken-Kooperationen mit Museen sind bisher noch nicht weit verbreitet. Doch es gibt auch ein Beispiel aus Deutschland. Vielleicht ist das ein zukunftsfähiges Modell, um sich als Kulturinstitution neue Fördermöglichkeiten zu erschließen – und sogar neue Zielgruppen anzusprechen?


Sponsored Content in Museen

Zunächst klingt es erst einmal abschreckend: Sponsored Content in Museen? Man kennt das Format bisher meist aus Magazinen, von der Glamour bis hin zur Apotheken-Umschau. Hier wird zum Beispiel ein tolles Beauty-Produkt vorgestellt – alles sieht redaktionell aus, aber in der Ecke der Seite steht ganz klein „Anzeige“. Ebenso kennt man Sponsored Content aus Blogs. Auch hier sind Kooperationen mit Marken mittlerweile Standard, vom Food-Blog über Eltern-Blogs bis hin zum Lifestyle-Blog: Häufig taucht bei einigen Online-Publikationen der Vermerk „Kooperation“ oder „Werbung“ auf, weil der Inhalt in Zusammenarbeit mit einem Unternehmen oder einer Marke entstand.

Sollen Museen nun den gleichen Weg einschlagen und zur Werbefläche für Marken werden? Reicht es nicht, wenn man auf der Website zu einer Ausstellung nett die Sponsoren-Logos in die Fußzeile setzt und am Ende des Ausstellungsrundgangs eine Auflistung der Sponsoren abbildet? Müssen Marken und ihre Inhalte jetzt auch noch in der Ausstellung selbst vorkommen? Schrecklicher Gedanke! Aber: Warum eigentlich nicht?


Eine Skulptur mit Werbebotschaft

Es gibt tatsächlich einige Museen, die bereits mit Marken in Form von Sponsored Content zusammengearbeitet haben. So zeigte das Los Angeles County Museum of Art (LACMA) im November 2020 in seinem Außenbereich eine Installation der Künstlerin Alex Prager mit dem Titel „Farewell, Work Holiday Parties“. Insgesamt 15 lebensgroße Figuren von Personen waren in einer Art Party-Szene zu sehen. Sie sollten eine feuchtfröhliche Firmenfeier in einer „typischen Versicherungsgesellschaft“ darstellen.

Als Kuratoren der Installation wurden Rita Gonzalez und Liz Andrews aus dem Museumsteam genannt. Doch eigentlich stand hinter der Ausstellung eine Werbeagentur, die für die Miller Brauerei arbeitet. Die skurrile Installation mit betrunkenen Partygästen war Teil einer Werbekampagne für die Biermarke Miller Lite. Diese nutzte das Kunstwerk sogar in einem TV-Spot. Die Botschaft: Es ist nicht schlimm, wenn Corona-bedingt keine Firmenfeiern stattfinden können – die waren doch ohnehin nur peinlich.

Wer die Skulpturen vor dem LACMA sah, ahnte von diesem Werbehintergrund allerdings nichts. Für die Besucher war es einfach eine witzige – und vor allem „instagrammige“ – Kunst-Installation von Alex Prager. Nur eine dezente Objektbeschriftung erwähnte die Werbeagentur und die „Unterstützung von Miller Lite“. (Diese mangelde Transparenz zur Marken-Kooperation sorgte in der Zeitung Los Angeles Times durchaus auch für Kritik.)


Netflix im Museum

Im Oktober 2020 hatte die Ausstellung „The Queen and The Crown“ des Brooklyn Museum für Aufsehen gesorgt. In einer Kooperation mit dem Streaming-Anbieter Netflix zeigt das Museum die Arbeiten der beiden Kostümdesigner Gabriele Binder und Amy Roberts in einem virtuellen Raum, der eine Nachbildung des Lichthofs des Museums ist. Matthew Yokobosky, Kurator für Mode und Materialkultur, kombinierte für die Ausstellung die Kostüme aus den beiden Netflix-Serien mit thematisch passenden Objekten aus der Sammlung des Brooklyn Museum. Ein Klick auf die Kostüme und Exponate in der virtuellen Ausstellung öffnet ein Fenster mit weiteren Informationen zu den historischen Hintergründen. Direkt zugänglich sind aber auch Video-Ausschnitte aus den Serien, natürlich mit dem Verweis auf Netflix.

Für das Brooklyn Museum wird das wohl nicht die letzte Marken-Kooperation gewesen sein. Rafael Flores vom Museum betonte gegenüber artnet: „We’d love to work with Netflix again. We’d also welcome collaborations with companies that allow us to bring our mission, programs, and collections to broader audiences.“ Solange eine Marken-Kooperation die Ziele und Inhalte des Museums unterstützt, warum sollte man also nicht neue gemeinsame Projekte entwickeln?


Das Portrait von Baby Yoda

Kurz vor der Netflix-Kooperation mit dem Brooklyn Museum hatte bereits ein anderer Streaming-Anbieter seine Inhalte in Kooperation mit der National Portrait Gallery in London präsentiert. Disney+, der größte Konkurrent von Netflix, lancierte die zweite Staffel der Star Wars Serie „The Mandalorian“ mit einer Pop-Up Ausstellung in Covent Garden. Zentrales Werk war ein großformatiges Gemälde mit dem Titel „The Mandalorian and the Child“, das den Kopfgeldjäger Din Djarin zusammen mit Grogu zeigt, dem kleinen grünen Wesen, das als „Baby Yoda“ bekannt wurde. In der Ausstellung waren zudem Zeichnungen und Entwürfe zu „The Mandalorian“ von Künstlern wie Doug Chiang, John Park und Christian Alzman zu sehen, sowie Gemälde, die bekannte Star Wars Schauspieler zeigten, u.a. Alex Guinness, Thandie Newton und Riz Ahmed. Diese Portraits stammten aus der Sammlung der National Portrait Gallery.

Ros Lawler von der National Portrait Gallery betonte gegenüber der Zeitung Independent: „We hope that this unique collaboration between the Gallery and Disney+ will encourage new audiences and young people to our collection, allowing them to come face to face with their Star Wars heroes.“ Es ging dem Museum bei dieser Marken-Kooperation also auch darum, neue Zielgruppen zu erreichen und für die eigene Sammlung zu begeistern.


Von Amor bis Tinder

In Deutschland gab es bereits vor drei Jahren eine Marken-Kooperation mit einem Museen, und zwar die Ausstellung „What is Love? Von Amor bis Tinder“, die vom 7. Juli 2018 bis 27. Januar 2019 in der Kunsthalle Bremen gezeigt wurde. Auch hier ging es darum, über den Bezug zur Marke ein neues Publikum zu erreichen, was sich vielleicht bisher nicht für das Museum interessiert hat. Wir sprachen dazu mit der Kuratorin der Ausstellung, Jasmin Mickein, über die Zusammenarbeit zwischen dem Museum und der Dating-Plattform Tinder.

Im letzten Jahr gab es in den USA und Großbritannien immer wieder Kooperationen zwischen Museen und Firmen. Ausstellungen wurden hier genutzt, um nicht nur den Firmennamen in Form von Sponsoring zu platzieren, sondern auch inhaltlich eine Markenbotschaft zu transportieren. In Deutschland ist diese Art der Kooperation noch nicht verbreitet. Wie kam es bei der Ausstellung „Von Amor bis Tinder“ zur Zusammenarbeit zwischen der Kunsthalle Bremen mit der Dating-Plattform Tinder – und wie gestaltete sich die Kooperation?

Jasmin Mickein: „Sponsoring an sich ist für die Kunsthalle Bremen ein gewohntes Format, insbesondere als einem der wenigen privat getragenen Kunstmuseen Deutschlands. Ohne private Förderer und Sponsoren könnten wir die meisten Ausstellungsprojekte gar nicht realisieren.

Die Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Unternehmen [Tinder] kam über den Inhalt der Ausstellung zustande: Am Anfang stand unser Wunsch mit einer Ausstellung bewusst ein jüngeres Publikum zu erreichen und Nicht-Besucher*innen. Deshalb wählten wir ein Thema, das vor allem junge Menschen abholt. Online-Dating alleine hätte aber im Museum bei uns keinen Sinn gemacht, deshalb haben wir uns für den Bogen der Darstellung von Liebe von der Antike bis zur Gegenwart entschieden. Da passten Amor und Tinder gewissermaßen als Antipoden wunderbar zusammen. Erfreulicherweise stießen wir bei Tinder auf Zustimmung, da für das Unternehmen der Aspekt einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Thema Liebe und Partnerschaft interessant war.“

Die Dating-App Tinder kommt nicht nur im Titel der Ausstellung vor. Auch in der Ausstellung selbst haben sich Kunstakteure inhaltlich mit Tinder auseinandergesetzt. Inwiefern hat sich Tinder in die Ausstellungskonzeption und zu den hier thematisierten Inhalten eingebracht?

Jasmin Mickein: „Für die Ausstellung sind wir auf die Suche nach Kunstwerken zum Thema Online-Dating gegangen. Da Tinder polarisiert und als Synonym für Online-Dating verwendet wird, war es nicht überraschend für uns zu sehen, dass die meisten Künstler*innen sich bei dem Thema spezifisch mit Erfahrungen auf dieser App auseinandersetzen.

Unter anderem aus diesem Grund haben wir uns auch dafür entschieden, den Markennamen Tinder als alltagsgebräuchliches Synonym für Online-Dating in den Titel mit aufzunehmen. Darüber hinaus stellt der Titel für uns inhaltliche Dualität dar: Von Amor, der mit seinen Pfeilen die Liebe entfacht, bis zur Dating-App, bei der der von Tinder eingeführte Swipe-Modus, die Bewegung mit dem Finger auf dem Smartphone-Display, die große Liebe verspricht. Diese Dualität bildete auch den visuellen Auftakt der Ausstellung: Eine Skulptur von Amor stand Seite an Seite mir einer Installation zum Thema ‚Tindern‘. Darüber hinaus ist selbstverständlich, dass eine wichtige Absprache war, dass die Hoheit über Konzeption und Storytelling allein bei der Kunsthalle lag.“

Ziel der Ausstellung war es, neue Zielgruppen zu erreichen, also Menschen, die bisher vielleicht noch nie in der Kunsthalle waren. War es für dieses Ziel sogar vorteilhaft, einen Partner wie Tinder zu haben, also ein Unternehmen, dessen Angebot vor allem viele junge Menschen nutzen? Wie hat Tinder die Öffentlichkeitsarbeit und Werbung für die Ausstellung unterstützt?

Jasmin Mickein: „Teil der Kooperation war, dass die Ausstellung in der App durch eine Gutschein-Aktion beworben wurde, die zugleich ein Vorschlag für ein Treffen zu einem Date darstellte. Zudem wurde über die App zu einer ‚Tinder-Night‘ im Museum eingeladen mit einem prominenten Podcast-Duo und einer bekannten DJane.

Definitiv wurden durch diese Präsenz des Museums auf der App neue und junge Besucher*innen erschlossen. Eine Umfrage ergab, dass das Durchschnittsalter der Besucher*innen 37,6 Jahre betrug. Also rund 18 % jünger als zu sonstigen Sonderausstellungen. Außerdem waren rund 48 % der Besucher*innen Erstbesucher*innen. Normalweise liegt dieser Anteil in der Kunsthalle Bremen bei ca. 22 %.“

Worauf sollten Museen achten, wenn sie mit Unternehmen oder Marken eine Kooperation in Form einer Ausstellung eingehen, die über reines finanzielles Sponsoring hinaus geht sondern auch deren Inhalte thematisiert?

Jasmin Mickein: „Es ist wichtig, dass die inhaltliche Verantwortung beim Museum liegt. Dafür ist es essentiell, dass das Konzept und die Schlüssel-Aussagen im Vorfeld klar definiert sind, um zukünftige Missverständnisse oder Verstimmungen zu vermeiden. Klarheit tut beiden Seiten auf unterschiedliche Weise gut. Das Unternehmen will keine Katze im Sack kaufen und das Museum will sich nicht in der Pflicht fühlen, gefällig oder unkritisch zu sein.

Es erspart allen beteiligten Personen viel Schweiß und Nerven, wenn das Konzept und die Kernaussagen eines Projektes im Vorfeld klar formuliert sind. Klarheit kann allerdings auch weh tun. Denn sie kann dazu führen, dass eine Zusammenarbeit nicht stattfindet. Aber das ist langfristig besser, als ein nachhaltiger Konflikt beziehungsweise ein Image-Schaden auf der einen oder anderen Seite.“

Die Corona-Pandemie hatte eine monatelange Schließung von Museen zur Folge. Viele Kulturinstitutionen sind dadurch in finanzielle Bedrängnis geraden. Können Kooperationen mit Unternehmen und Marken eine Möglichkeit sein, diese Finanzierungsprobleme aufzufangen?

Jasmin Mickein: „Sponsoren sind an öffentlicher Wahrnehmung interessiert. Museen werden kaum einen Sponsor finden, der Geld für eine Ausstellung gibt, die nicht gezeigt wird oder der einfach ein Finanzloch stopft. Sehr wohl können Sponsoren aber interessiert sein, ein Projekt zu unterstützen, das Ausstellungen oder andere Kulturprojekte in den virtuellen Raum bringt und somit für eine Vielzahl von Menschen sichtbar macht. Besondere Zeiten erfordern besondere Lösungsstrategien.“

Vielen Dank für das Interview.


Kooperationen als Weg aus der finanziellen Krise?

Gerade wenn es um die Finanzierung geht, müssen einige Kulturinstitutionen schon seit Jahren besonders kreativ sein – das gilt nicht nur für private Museen, sondern selbst für manche Häuser in öffentlicher Hand. Die Corona-Pandemie hat die bis dahin ohnehin schon angespannte Lage einiger Institutionen noch weiter verschärft, immerhin fielen durch die monatelange Schließung der Museen die Einnahmen aus Eintrittsgeldern weg, ebenso musste auf Shop-Einnahmen verzichtet werden. Viele trifft zudem, dass Räumlichkeiten nicht für Events vermietet werden konnten und auch dass die Museumsgastronomie schließen musste, wirkt sich negativ aus. Alles in allem, die finanzielle Lage in Museen ist schwieriger denn je.

Unter diesen Umständen kann es vielleicht eine Möglichkeit sein, auf Marken und Unternehmen zuzugehen, um gemeinsame Projekte zu entwickeln und die Finanzierung dafür auf diesem Wege zu sichern. Wichtig ist es jedoch dabei sicherzustellen, dass die Zusammenarbeit nicht in reine Werbung abdriftet sondern weiterhin unabhängige Positionen dargestellt und vermittelt werden können. Und vielleicht kann durch solche Marken-Kooperationen auch ein weiteres Ziel von Museen verwirklicht werden: Die Erschließung neuer Zielgruppen.


Header-Bild: Angelika Schoder – Foto aus der Kunsthalle Bremen, bearbeitet 2021


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Angelika Schoder

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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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