Jugendstil in Dortmund: Architektur- und Design-Highlights im Ruhrgebiet

Dem Jugendstil in Dortmund widmet sich das Museum für Kunst und Kulturgeschichte in einer aktuellen Ausstellung zu Architektur und Design.

Dem Jugendstil in Dortmund widmet sich das Museum für Kunst und Kulturgeschichte in einer aktuellen Ausstellung zu Architektur und Design.

[Pressereise] Um 1900 verbreitete sich der Jugenstil, eine Design- und Gestaltungsrichtung, die auch als Art Nouveau bezeichnet wird, in ganz Europa und darüber hinaus. Der Ausdruck Jugendstil geht zurück auf die von Georg Hirth im Jahr 1895 gegründete Kulturzeitschrift „Jugend“. Es war eine Gegenbewegung junger Künstler und Kunsthandwerker zum Historismus, aber auch zur Industrialisierung. Daher ist der Stil geprägt von modernen klaren Linien, aber auch von geschwungenen Formen, die an das Vorbild der Natur erinnern. Das Museum für Kunst und Kulturgeschichte widmet dem Jugendstil in Dortmund nun eine Sonderausstellung, die dazu einlädt, Architektur und Design in der ganzen Stadt zu entdecken. „Rausch der Schönheit. Die Kunst des Jugendstils“ zeigt, dass das Ruhrgebiet mehr zu bieten hat als rauhen Industriecharme.


Die Skulptur „Jugend“ (um 1905) von Wilhelm Wandschneider, Berlin, Sammlung MKK, im Hintergrund Zwei Putti (1911) von Friedrich Bagdons in der Ausstellung „Rausch der Schönheit“ im MKK Dortmund.

Rausch der Schönheit. Die Kunst des Jugendstils

Denkt man an Jugendstil in Deutschland, kommt einem vielleicht nicht direkt Dortmund in den Sinn. Doch tatsächlich zieren die Stadt mitten im Ruhrgebiet einige bedeutende Bauwerke mit Elementen im Jugendstil. Und auch das Museum für Kunst und Kulturgeschichte verfügt über eine umfangreiche Jugendstil-Sammlung. Diese geht auf Albert Baum zurück, den Gründungsdirektor des Dortmunder Museums. Er kaufte auf der Pariser Weltausstellung im Jahr 1900 die ersten Objekte im Jugendstil. Seit dem wuchs der Bestand des MKK über Jahrzehnte hinweg an. In der Ausstellung „Rausch der Schönheit“ zeigt das Museum nun seine Jugendstil-Sammlung erstmals in vollem Umfang – ergänzt durch wertvolle Leihgaben aus Privatbesitz.

Doch das MKK konzentriert sich nicht nur auf seine Sammlung, sondern betrachtet auch den Jugendstil in Dortmund und in der Region. In insgesamt sechs Schwerpunkten geht es um verschiedene Facetten des Jugendstils – von seinen Anfängen bis hin zu seinen vielfältigen Ausprägungen.


Jugendstil-Porzellanfiguren in der Ausstellung „Rausch der Schönheit“ im MKK Dortmund: „Spanische Tänzerin (Carmen)“ von Karl Himmelstoss (um 1911), Porzellanmanufaktur Rosenthal Selb; „Kugelspielerin“ von Walter Schott (1897), Königliche Porzellanmanufaktur Meissen (um 1900) und „Frau mit Reif und Papagei“ von Alfred Wilhelm Brandl (um 1910), Wiener Kunstwerkstätten, Gebr. Brandl, Berlin (v.l.n.r.)

Von Paris nach Dortmund / Vom Rausch der Schönheit

Alles begann im Jahr 1900 mit der Weltausstellung in Paris, bei der der Direktor des MKK auch die ersten Objekte für die Jugensstil-Sammlung des 1883 gegründeten Museums erwarb. In Dortmund inspirierten diese Objekte auch lokale Künstler und Kunsthandwerker, wie die Ausstellung zeigt. Als Anregung diente der Formenreichtum der Natur, aber auch japanische Kunst, die sich ebenfalls an Naturmotiven orientierte und eine klare Formensprache aufwies. Das MKK zeigt deshalb auch einige Werke japanischer Kunst, die als Inspiration für Jugendstil-Decors und kleine Skulpturen in dynamischen Bewegungen dienten.


Entwürfe für eine neue Gesellschaft / Universalkünstler und Gesamtkunstwerk

Der Jugensstil zeigte sich in allen Lebensbereichen, denn er sollte den Menschen und sein gesamtes Umfeld reformieren. Daher gab es Entwürfe zu einer Neugestaltung der Arbeitswelt nach außen, bis hin zum Wohnumfeld im Privaten. Das MKK zeigt hier in seiner Ausstellung Büro- und Wohndesigns, etwa Möbel und Einrichtungsgegenstände. Zu den Höhepunkten der Ausstellung gehören Raumkunstwerke der Darmstädter Künstlerkolonie sowie ganze Wohneinrichtungen von Joseph Maria Olbrichs oder Wilhelm Thiele.


Jugendstil und Moderne / Dortmund auf dem Weg in die Moderne

Einen besonderen Schwerpunkt in der Ausstellung des MKK erhält Richard Riemenschmid, der Wohneinrichtungen für die Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst entwarf. Hier wird der Übergang von Einzel-Designs zu serieller Produktion von Einrichtungen deutlich. Es zeigt sich, wie Kunst, Handwerk, Industrie und Wirtschaft verknüpft waren – ein System, das sich später beim Bauhaus fortsetzen sollte.

Im letzten Abschnitt der Ausstellung zeigt das MKK, wie sich das Stadtbild Dortmunds um 1900 veränderte. Repräsentative Großbauten wurden errichtet, die teils heute noch das Stadtbild prägen – auch wenn vieles durch Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Wer sich auf die Suche macht, findet Jugendstil an Häuserfassaden, in Kirchen und in Bauwerken der Industriekultur.


Die Immanuel Kirche im Dortmunder Stadtteil Marten wurde nach Entwürfen von Arno Eugen Fritsche errichtet.

Die Evangelische Immanuel Kirche

Die Immanuel Kirche im Dortmunder Stadtteil Marten wurde nach Entwürfen von Arno Eugen Fritsche zwischen 1906 und 1908 im Stil des Historismus errichtet, mit Anlehnungen an Elemente der romanischen Architektur. Der Innenraum der Kirche steht mit seiner Gestaltung im Jugendstil im Kontrast zur Außengestaltung. Auch wenn die Ornamente im Inneren der Kirche auf den ersten Blick sehr bunt wirken, kommen eigentlich nur wenige Farben zum Einsatz: Hellblau und Mintgrün an den Wänden und unterschiedliche Beige- und Brauntöne bei den Ornamenten. Die Bodenfließen sind in dunklem Rot gehalten und über der Orgel hinter dem Altar sind Verzierungen in einem Goldton zu finden.

Ziel der Farbgestaltung ist es, den Raum zu öffnen und weiter wirken zu lassen. Anders als in mittelalterlichen Kirchen haben die Farben hier keinen Symbolcharakter. Die Verzierung im Innenraum der Kirche besteht vor allem aus stilisierten Blumen und Blättern, griechischen Kreuzen sowie Spiralformen und geschwungenen Linien. Damit ergibt sich ein Gesamteindruck, der an Jugendstil-Ausprägungen aus Osteuropa erinnert.


Die Innenkuppel der Kirche wird in ihrem Zentrum von einem farbigen runden Glasfenster mit eine Tauber geschmückt.

Jugendstil in der Immanuel Kirche

Am meisten beeindruckt in der Immanuel Kirche die flach gewölbte Innenkuppel, deren Mitte ein farbiges rundes Glasfenster bildet. Hierauf zu sehen ist eine Taube, die den Heiligen Geist symbolisiert. Umringt wird das Glasfenster von Stuck-Blüten und einem Kranz aus Strahlen. Umgeben ist das Mittelelement der Kuppel von Darstellungen der vier Evangelisten Mattheus, Markus, Lukas und Johannes in ihrer Form als Engel, Löwe, Stier und Adler.

Die mehrteiligen Glasfenster im oberen Bereich der Kirche stammen aus der Kölner Werkstatt Staiger & Weitlich. Sie zeigen an drei Seiten der Kirche musizierende Engel und Kinder. Im unteren Teil der Kirche, wo schlichte Glasfenster verbaut sind, findet man Säulen und Steinbögen, die mit keltischen Flechtmustern verziert sind.

  • Evangelische Immanuel-Kirche Marten | Bärenbruch 17-19 | 44379 Dortmund

Das Portal der Maschinenhalle der Zeche Zollern II/IV, gestaltet von Bruno Möhring.

Die Zeche Zollern in Dortmund

Die Zeche Zollern ist Teil der „Europäischen Route der Industriekultur“ und Ankerpunkt der „Route der Industriekultur“ im Ruhrgebiet. Der Name des seit 1955 stillgelegten Steinkohle-Bergwerks im Dortmunder Stadtteil Bövinghausen erinnert an die Fürstenfamilie der Hohenzollern.

In der Hochzeit der Industriekultur Ende des 19. Jahrhunderts standen großen Bergbaugesellschaften in Konkurrenz zueinander. Ein Führungsanspruch sollte durch den Bau von besonders aufwändigen sogenannten „Musterzechen“ verdeutlicht werden. So entstanden Bergwerke als architektonische Gesamtkunstwerke, etwa die Zeche Zollern. Seit 1898 wurden die Gebäude der Zeche errichtet, u.a. ein Verwaltungsgebäude mit Lohnhalle und Waschkaue, ein Magazin und Zechenwerkstätten, eine Kokerei und eine Ammoniakfabrik. Die Kohlenförderung begann im Jahr 1902 und schon 1905 wurde in einem Reiseführer auf die Schönheit der Zeche Zollern II/IV hingewiesen, allen voran auf die Maschinenhalle mit ihren Jugendstil-Elementen.


Von innen ist das Portal der Maschinenhalle der Zeche Zollern II/IV mit Bleiglasfenstern im Jugendstil gestaltet.

Eine Kathedrale der Industriekultur

Die Maschinenhalle der Zeche Zollern entstand nach den Entwürfen des Berliner Architekten Bruno Möhring zwischen 1902 und 1903. Der Stahlfachwerkbau steht für den Beginn der modernen Industriearchitektur, denn er zeigt Elemente des Historismus und Jugendstil bis hin zur Moderne. Im Inneren der Halle sind noch die historischen Maschinen ausgestellt, etwa eine elektrische Fördermaschine. Zudem sind hier auch die farbig verglasten Fenster zu sehen, die den Hintergrund für das aufwändig gestaltete Jugendstil-Portal bilden. Von diesem Portal aus zielt die zentrale Blickachse im Inneren der Halle direkt auf die elektrische Schaltwand aus Marmor. Über der Schaltwand, die auf einem mehrstufigen Podest steht, hängt eine große Uhr, die ebenfalls im Jugendstil gestaltet ist.

Dem Engagement einer kleinen Gruppe ist es zu verdanken, dass die Maschinenhalle im Jahr 1969 unter Denkmalschutz gestellt wurde. Zu den Unterstützern gehörten u.a. der Architekt Hans Paul Koellmann und das Fotografen-Ehepaar Bernd und Hilla Becher sowie Karl Ruhrberg und Jürgen Harten von der Kunsthalle Düsseldorf. Mit der Rettung der Zeche vor dem Abriss wurde in Deutschland ein neuer Zweig der Industriedenkmalpflege begründet, denn es war das erste Mal, dass hier ein Industriebau zum Denkmal ernannt wurde. So entstand auch das LWL-Industriemuseum mit seinen heute acht Standorten.


Das Historische Hansa-Sudhaus wurde 1912 von Emil Moog gestaltet.

Dortmund als Bierstadt

Mit dem Aufstieg Dortmunds zur Industriestadt ist auch die Geschichte des Brauereiwesens verbunden. Das Bierbrauen erlebte zwar schon im Mittelalter eine Blütezeit in der Freien Reichsstadt, doch erst im Zuge der Industrialisierung wurde Dortmund als „Bierstadt“ bekannt. Zur Jahrhundertwende um 1900 galt die Stadt mit 30 Brauereien als regelrechte Brau-Metropole. Im Laufe der Zeit fusionierten die Brauereien und heute werden alle Traditionsbiere in der Actien-Brauerei an der Steigerstraße hergestellt, wo sich auch das Brauerei-Museum befindet.

Das Brauerei-Museum wurde 1981 gegründet, zunächst als „Lehrmuseum“ auf dem Gelände der Dortmunder Kronen-Brauerei. Nachdem die Actien-Brauerei das Unternehmen übernommen hatte und die Produktionsstätte geschlossen wurde, musste das Museum vorerst im Jahr 2000 schließen. An seinem aktuellen Standort in der Steigerstraße wurde das Brauerei-Museum schließlich 2006 wieder eröffnet. Nun ist das Museum auf dem Gelände der Dortmunder Actien-Brauerei untergebracht, im historischen Maschinenhaus von 1912 und in der Maschinenhalle der ehemaligen Hansa-Brauerei von 1968.


Das Brauerei-Museum Dortmund beinhaltet auch Verzierungen im Jugendstil, etwa dieses Wandmosaik.

Das Brauerei-Museum Dortmund

Das Dortmunder Brauerei-Museum ist in einem historischen Gebäudekomplex unergebracht, der ein Beispiel der regionalen Industriekultur ist. Hierzu zählen das repräsentativ gestaltete Maschinenhaus von Emil Moog und das denkmalgeschützte Sudhaus von 1912, das seit 1989 unter Denkmalschutz steht. Im Brauerei-Museum sind bis heute die Spuren der früheren Brauereiarbeit zu finden, immerhin war das Sudhaus mit seiner Einrichtung aus den 1950er und 1960er Jahren bis 1984 in Betrieb.

Im historischen Sudhaus der Hansa-Brauerei finden sich auch Spuren des Jugendstil, auch wenn das Gebäude selbst eigentlich im Stil des Historismus errichtet wurde. Über der zentralen Tür im Sudhaus ist eine beeindruckende Wanddekoration angebracht, die als Mosaik ein Wikingerschiff mit Dortmunder Wappen auf dem Segel zeigt. Das Mosaik erinnert in seiner Gesataltung an das Bodenmosaik des Alten Hafenamtes in Dortmund. Dies hat ein ganz ähnliches Motiv, nämlich eine mittelalterliche Kogge mit gehissten Segeln, auf denen der Dortmunder Adler zu sehen ist.


Eine Jugendstilfassade in der Lübecker Straße 34-36 in Dortmund. Das Gebäude wurde von dem Architekten F. Meyer 1902/03 erbaut.

Jugendstil in Dortmund

Wer Jugendstil-Architektur in Dortmund entdecken möchte, sollte im Kaiserstraßenviertel beginnen. Das Viertel liegt östlich der ehemaligen Wallanlagen Dortmunds. Als in der Stadt der industrielle Aufschwung einsetzte, wurde das Viertel um die Kaiserstraße zur bevorzugten Wohnlage für die Oberschicht. Entsprechend prächtig sind hier die Häuser gestaltet, was sich bereits an ihren Fassaden zeigt. Zum Viertel gehört auch der Ostenfriedhof, auf dem Grabmale von Mitgliedern bekannter Dortmunder Familien zu finden sind. Die teils unter Denkmalschutz stehenden Gräber zeigen u.a. Skulpturen aus dem Atelier des Bildhauers Benno Elkan.

Neben zahlreichen Gebäuden im Jugend- und Heimatstil im Kaiserstraßenviertel ist auch die Lübecker Straße sehenswert. Die Hausfassaden hier zählen wohl mit zu den schönsten im Stadtgebiet. Doch auch das Kreuzviertel hat prächtige Wohnhäuser zu bieten. Als sich um 1900 hier Firmen ansiedelten, zogen auch wohlhabende Beamte in das Viertel, die ihre Wohnhäuser im Jugendstil gestalten ließen.


Das sogenannte „Märchenhaus“ in der Kaiserstraße 75 wurde um 1902/03 von Adolf Kessemeier gestaltet.

Architektur-Spaziergang in Dortmund Ost

Begleitend zur Ausstellung „Rausch der Schönheit“ wurde ein digitaler Stadtspaziergang für den Osten Dortmunds konzipiert. Beginnend am Museum für Kunst und Kulturgeschichte können hier bekannte und weniger bekannte Orte und Akteure des Jugendstils entdeckt werden.

Die Tour erfolgt mithilfe der App Actionbound, die kostenfrei für iOS und Android heruntergeladen werden kann. Eine eigens hier erstellte Route mit dem Titel „Im Rausch der Schönheit“ führt die Nutzer von Ort zu Ort und vermittelt an jeder Station Wissenswertes zum Jugendstil in Dortmund. Der Spaziergang dauert etwa 90 Minuten und kan alleine oder in einer Gruppe unternommen werden.


Rausch der Schönheit. Die Kunst des Jugendstils

Museum für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund
09.12.2018 – 23.06.2019

musermeku dankt dem Museum für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund sowie Dortmund Tourismus für die Einladung zum Besuch der Institutionen und für die Übernahme der Kosten der Reise.


Bilder: Angelika Schoder – Dortmund 2019,
Header-Bild: Die Immanuel Kirche im Dortmunder Stadtteil Marten nach Arno Eugen Fritsche


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Angelika Schoder

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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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