[Ausstellung] Würde er heute noch leben, er hätte vielleicht einen der erfolgreichsten Hamburger Instagram-Accounts. Hans Meyer-Veden fotografierte seine Motive schon im letzten Jahrhundert auf eine Art, die man heute als typische Instagram-Ästhetik bezeichnen könnte: Schwarz/Weiß mit starken grafischen Linien, ikonische Hamburger Architektur wie die Speicherstadt, Design-Details in Treppenhäusern oder Straßenszenen in Altona. Direkt kommen einem bei der Ausstellung „Chiffren einer Stadt“ Hashtags wie #bnwphotography #architecturehunter oder #hamburgerecken in den Sinn. Das Jenisch Haus zeigt jetzt seine Bilder im Rahmen der Triennale der Photographie Hamburg, zusammen mit Arbeiten von Michael Meyborg, der mpz Filmgruppe und des Street-Art Künstlers TONA.
„Meine Photographien von Hamburg sind keine Hamburg-Bilder im herkömmlichen Sinn, keine Dokumente der Heimatkunde, der Denkmalpflege, der Hamburg-Geschichte oder der Tagesaktualität, obwohl sie ganz authentisch in Ottensen, in Altona und entlang des Elbe-Ufers photographiert worden sind.
Sie sind nicht gedacht für den bedingten Reflex der Nostalgie, für die Bestätigung gewohnter Klischees oder die Faszination von Kunststücken. Genau genommen sind sie für mich selbst gemacht.
Hans Meyer-Veden: Bilder von Hamburg (2008)
Der Flaneur Hans Meyer-Veden
Der 1931 in Stade geborene Fotograf Hans Meyer-Veden zog 1982 nach Hamburg. Von da an begann der Bildjournalist und Fotodesigner damit, den urbanen Raum zu fotografieren und den Wandel der Hansestadt zu dokumentieren. Bis zu seinem Tod im Jahr 2018 hielt er in seiner bis heute aktuell wirkenden Bildsprache viele typische Motive Hamburgs fest, etwa die Gassen, Hinterhöfe und Treppenhäuser von seinem Wohnort Ottensen im Bezirk Altona, die historischen Kontorhäuser der Speicherstadt oder die industrielle Architektur im Hafen. Er nahm verlassene Ecken oder skurrile Details in den Blick, aber auch die raue Schönheit der Natur am Elbstrand, in den Marschlanden und im Alten Land, oder die Struktur der Wasseroberfläche der Elbe.
Hans Meyer-Veden war immer auf der Suche nach Motiven. Zu Fuß durchstreifte er die Stadt und das Hamburger Umland. Immer dabei: seine Kamera. Nicht jedes Mal entstanden bei seinen Streifzügen Aufnahmen. Aber er wollte immer vorbereitet sein, falls ihm ein spannendes Motiv begegnen würde und die Lichtstimmung perfekt war. Häufig muss er dabei in den Tagesrandzeiten unterwegs gewesen sein, denn eines ist in den Bildern auffällig: Es sind keine Menschen zu sehen. Anders als die Vertreter der Street Photography, hielt er das urbane Leben fest, ohne die Bewohner in den Mittelpunkt zu rücken.
In seinen Werken sind übrigens nicht nur Menschen abwesend. Es fehlen auch Jahreszahlen zu den einzelnen Fotografien. Meyer-Veden sammelte seine Arbeiten in Mappen und gliederte diese lediglich nach Jahrzehnten oder nach Themen und Orten, etwa „Altona – 1980er“. Daher ist stets ersichtlich, wo die Bilder in etwa aufgenommen wurden, nicht aber wann genau diese entstanden.
Die Melancholie des Verfalls
Für den Fotografen selbst stellte der Ansatz der Menschenleere in seinen Bildern einen „radikale[n] Wechsel in der Gebrauchsweise von Photographie“ dar. Dies empfand er für sich als notwendig, als er 1982 in die Großstadt zog. Er wollte sich von der „Ästhetik eines repräsentativen Augenblicks“ lösen und sich stattdessen einer „auf das Ganze gerichteten Beobachtung“ widmen. Seine Aufnahmen sollen dazu auffordern, sie „mit dem Verstand zu betrachten, sie zu lesen und sie zu entziffern“, wie er es formulierte. Hans Meyer-Veden verstand seine Fotografien auch als eine Art Archiv der sozialen Prozesse einer Stadtgesellschaft. Die Melancholie des Verfalls sollte durch die Lust an der Transformation ins Positive gewendet werden.
Die Stiftung Historische Museen Hamburg zeigt nun rund 100 Handabzüge von Hans Meyer-Veden in der Ausstellung „Chiffren einer Stadt“. Zu sehen ist die Ausstellung im Jenisch Haus, dem ehemaligen Landsitz des Hamburger Senators Martin Johan Jenisch. Es wurde 1831–1834 nach Entwürfen von Franz Gustav Forsmann und Karl Friedrich Schinkel errichtet. Das heutige Museum liegt inmitten des Jenischpark, einem Landschaftspark im Westen Hamburgs mit Blick über die Elbe.
Weitere Perspektiven auf Hamburg
Die Fotografien von Hans Meyer-Veden werden von dem Kuratoren-Team der Ausstellung, bestehend aus Sebastian Lux, Jasmin Seck und Nicole Tiedemann-Bischop, ergänzt durch drei künstlerische Interventionen. Sie sollen dazu dienen, die Arbeiten des Fotografen thematisch zu vertiefen und weitere Perspektiven auf Hamburg einzubringen.
In einem Raum, in dem Fotografien von Altonaer Hinterhöfen zu sehen sind, wird eine Werkgruppe des Fotografen Michael Meyborg gezeigt, der das Leben der vor allem türkischstämmigen Gastarbeiter in Altona um 1980 dokumentierte. Zu diesem Raum gab es kurz nach Ausstellungseröffnung Diskussionen, da die Bilder von Meyer-Veden teils unordentliche oder verwahrloste Ecken abbilden und vermeintlich ein Bezug zu den Bildern von Michael Meyborg entsteht. Tatsächlich sind die Arbeiten der beiden Fotografen aber in keinem direkten Kontext zueinander zu betrachten. Während die Bilder von Meyer-Veden eher einen Einblick in den urbanen Verfall geben, der vielleicht stattfindet, wenn Menschen völlig abwesend sind, steht bei Meyborg die Gemeinschaft und das Miteinander im Mittelpunkt. Seine Bilder zeigen intime Einblicke in Familien oder Menschen beim Gebet. Aus der Gegenüberstellung der Werke ergibt sich daher eher ein Kontrast zwischen Menschenleere und Bildern mitten aus dem Leben.
Protest und Street-Art
In einem Nebenraum zeigt die Ausstellung „Chiffren einer Stadt“ zudem den Film „Terrible Houses in Danger“ der Videoaktivisten des Medienpädagogik Zentrums Hamburg (mpz). Hier geht es um den Protest der Hausbesetzer an der Hafenstraße bis 1985, einem der prominentesten Fälle von Hausbesetzung in Hamburg. In dem Film kommen die Akteure zu Wort und eröffnen so einen anderen Blickwinkel auf das Leben und Wohnen in der Hansestadt zu einem Zeitpunkt, zu dem auch Hans Meyer-Veden das urbane Leben festhielt. Wieder wird das Menschenleere in den Bildern des Fotografen durch die Perspektive von Bewohnern der Stadt ergänzt.
Schließlich gibt es in der Ausstellung noch eine Intervention mit den Arbeiten des Street-Art Künstlers TONA, der seine Stencils – also mit Schablonen gesprühte Motive – seit 1999 an verschiedenen Häuserwänden und Mauern in Hamburg platziert. Seine Motivation ist es, das Träumerische und Emotionale in einer kalt und rational erscheinenden Welt zum Vorschein zu bringen. Er fotografiert Kinder verschiedener Nationalitäten, arbeitet diese Persönlichkeiten mit einer Schablonentechnik zu Kunstwerken um und schickt sie auf Reisen: Er platziert die Kinder in jeweils einer anderen Stadt oder einem Land am anderen Ende der Welt und regt so zu Gedanken an, wem man da in die Augen schaut. Denn es sind echte Menschen, die TONA abbildet.
Was den Street-Artist mit dem Fotografen Meyer-Veden verbindet, ist das Interesse am urbanen Umfeld, an Leerständen und am Verfall von Architektur. Der Street-Art-Künstler nimmt für seine Motive oft die Ecken Hamburgs in den Blick, die verlassen scheinen. Einmal angebracht, werden die Stencils selbst zum Teil des urbanen Raums und verfallen oder verändern sich mit ihm.
Begleitend zur Ausstellung im Jenisch Haus hat TONA auch die Plakatwand am Altonaer Museum mit seinem Werk „YesYo“ gestaltet.
Chiffren einer Stadt: Fotografien von Hans Meyer-Veden
Jenisch Haus Hamburg
20.05.2022-13.02.2023
Bilder: Angelika Schoder – Jenisch Haus, Hamburg 2022
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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