[Ausstellung] In Hamburg steht Glitzer zum ersten Mal im Zentrum einer Ausstellung, mit Star-Exponaten und vielen persönlichen Geschichten. Das funkelnde Material, wie wir es heute kennen, wurde 1934 in den USA erfunden und hat seitdem viele Bereiche des Lebens erobert: Bühnen, Partys, Proteste, Bastelstunden und Mode. Glitzer schmückt und polarisiert zugleich, es kann edel oder billig wirken, verspielt oder politisch. Die Ausstellung im MK&G – Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg thematisiert nun anhand von 40 internationalen Positionen aus Kunst und Gestaltung alle möglichen Aspekte rund um Glitzer, mit Werken von Jenny Schäfer oder Molly Soda, mit Entwürfen bekannter Designer, aber auch mit Fan-Kunst rund um Taylor Swift.

Die Geschichte des Glitzers
Die Ausstellung startet unter dem Motto „Glittermania“ mit einer kleinen Übersicht zur Geschichte von Glitzer, die zur Zeit der Neandertaler beginnt. Bereits vor über 50.000 Jahren nutzten Menschen schimmernde Mineralien als Körperfarbe oder Schminke. In Höhlenmalereien und auf Kleidung wurden glänzende Stoffe wie Mica oder Muscheln verarbeitet. Später nähten Menschen auf der ganzen Welt Pailletten und Metallstücke an ihre Kleidung, als Schmuck, Schutz oder Zeichen von Reichtum. Im Mittelalter entstanden Wörter wie „glizan“, woraus später „glitzern“ wurde. Sogar Leonardo da Vinci entwarf um 1480 eine Maschine, um Pailletten herzustellen.
Im 20. Jahrhundert wurde dann der moderne Glitzer erfunden, durch Zufall: Eine Maschine zum Schneiden von Fotos erzeugte glänzende Schnipsel. Henry F. Ruschmann erkannte das Potenzial und baute ein Glitzerunternehmen auf, zunächst nannte er die glitzernden Partikel „Schnibbles“ und später „Metallic Jewels“. Im Laufe der Zeit wurden neue Materialien für Glitzer erfunden und so fand das glitzernde Funkeln bald seinen Weg in Kunst, Mode, Musik und Film: von Disneys „Cinderella“ bis zu Stars wie David Bowie, Grace Jones oder Taylor Swift. In der Popkultur wurde Glitzer zu einem Symbol für Freiheit, Queerness und Selbstbewusstsein. Doch Glitzer kann auch eine Form von Widerstand darstellen: Bei Protestaktionen wie dem „Glitterbombing“ wird Glitzer gezielt als aufmerksamkeitsstarker Störfaktor eingesetzt und ist damit auch ein funkelndes Symbol für Sichtbarkeit.

Persönliche und künstlerische Glitzer-Exponate
Der erste Ausstellungsraum ist eine „Hall of Glitter“ voller persönlicher Glitzer-Gegenstände. Hierfür hatte das Museum einen Aufruf gestartet und sein Publikum nach glitzernden Lieblingsstücken gefragt. Aus allen Einsendungen wurden dann die spannendsten Objekte und die damit verbundenen persönlichen Geschichten für die Ausstellung ausgewählt. Zu sehen ist hier etwa ein glitzerndes Burlesque-Top von Martina aus Prag und ein mit Glitzer-Applikationen beklebtes Handy von Hanna aus Berlin. Wer die Geschichten zu den Exponaten erfahren will, muss die passenden Karten suchen, die an der Wand im Ausstellungsraum platziert sind. Hier entdeckt man zum Beispiel die Karte von Katharina aus Hamburg, die für die Ausstellung ihr „Turnierkleid Latein“ (2004) zur Verfügung stellt. Sie berichtet hier, dass es im Turniertanz bei Wettbewerben strenge Vorgaben gibt und Strasssteine erst ab einer bestimmten Klasse bei der Kleidung verwendet werden dürfen. Erst als Katharina die C-Klasse erreichte, durfte sie Strass beim Tanzen tragen. An dem in der Ausstellung gezeigten Kleid hat sie in stundenlanger Handarbeit jeden Stein einzeln mit einer Pinzette aufgeklebt, daher ist es ihr liebstes Glitzerstück.
Im nächsten Raum geht es unter dem Motto „Glitter Up!“ um die materiellen und symbolischen Eigenschaften von Glitzer. Er ist hartnäckig und bleibt überall kleben, ist als einzelnes Partikel fast unscheinbar, doch als große Masse unübersehbar. Die Exponate hier zeigen, wie vielfältig Glitzer eingesetzt wird: auf der Straße, in sozialen Medien, auf Bildern und Bühnen. Glitzer steht dabei nicht nur für Schönheit, sondern wird auch genutzt, um sichtbar zu werden, sich selbst zu behaupten und um für Toleranz zu kämpfen.
Bei „GLITTERfesto REDUX“ sammelte T.L. Cowan zum Beispiel 2012 im Umfeld von Occupy Wall Street über 150 Aussagen über Glitzer, die hier als Video gezeigt werden. Daneben ist Hannah Altmans Fotoserie „And Everything Nice“ zu sehen. Sie zeigt, wie Glitzer hilft, auf schwierige Themen wie Menstruation, Tränen oder Verletzungen zu blicken, ein außergewöhnlicher Protest gegen den Druck zur Perfektion, besonders bei jungen Frauen. Lorenzo Triburgo und Sarah Van Dyck zeigen daneben in der Fotoserie „Shimmer Shimmer“ einen Körper, der mit Glitzer bedeckt selbstbewusst gegen Geschlechternormen auftritt. Auch bei der feministischen Bewegung Marea Verde (dt. Grüne Welle) in Lateinamerika spielt Glitzer eine Rolle, als Zeichen von Stärke, Mut und Protest. In Mexiko wurde pinker Glitzer zum politischen Symbol, als Demonstrierende gegen Gewalt an Frauen protestierten, wie „Pink.Glitter.Violence“ (2019) von Mirjana Mitrović zeigt. Wie Glitzer neue Formen des Miteinanders sichtbar machen kann, zeigt auch Pansy St. Battie, ein nicht-binäres Model mit Behinderung, das Glitzer im Alltag und auf der Bühne nutzt. Der glitzernde Rollstuhl wird bei dem Model Teil einer Performance für mehr Sichtbarkeit.

Glitzer, von der Bühne bis ins Kinderzimmer
Wie Glitzer unsere Körper, Räume und Gefühle beeinflusst, thematisiert der Ausstellungsraum „Sparkle and Shine“. Die Kunstwerke hier erzählen von Momenten, in denen Freude und Traurigkeit aufeinandertreffen oder in denen Verkleidungen nicht nur verstecken, sondern auch etwas sichtbar machen. Zum Beispiel zeigt das australische Duo The Huxleys mit schrillen Kostümen und Popmusik, wie Glitzer gegen Regeln und Erwartungen wirkt. Zu sehen sind außerdem fünf funkelnde Perücken, die von Karl Gadzali und Mohamad Barakat-Götz für Drag-Performances gestaltet wurden, ganz bewusst mit viel Glitzer. Mit dabei sind auch Perücken der Hamburger Drag-Ikone Olivia Jones. Daneben ist ein glitzerndes „The Eras Tour“ Outfit (2024) eines Taylor Swift Fans zu sehen, ebenso wie ein Kostüm von Bill Kaulitz für die „Humanoid-Tour“ von Tokio Hotel (2010), entworfen von Dean und Dan Caten aka Dsquared2.
Besonders eindrucksvoll ist auch die Sammlung „20 Sets“, in der Regine Eurydike Hader kunstvolle Nageldesigns zeigt. Sie beweisen, dass Glitzer bei Nail Art mehr ist als Deko: die aufwändig gestalteten künstlichen Fingernägel drücken Kultur, Identität und Kreativität aus. Am Ende zeigt das Video „Ash Wednesday“ von Cao Guimarães und Rivane Neuenschwander eine stille Szene nach dem Karneval in Brasilien: Ameisen tragen hier Glitzerreste durch die Landschaft. Eine poetische Erinnerung daran, dass auch nach dem großen Glanz noch Spuren zurück bleiben.
Im nächsten Raum zum Thema „Teenage Glitter“ wird gezeigt, dass für viele Glitzer auch mit der Kindheit und Jugend in Verbindung steht. Gerade in Jugendzimmern sammeln sich Dinge mit Glitzer an, von Stickern über Kosmetik und Mode bis hin zur Raumdeko. Die Künstlerin Jenny Schäfer gestaltete für die Ausstellung dazu ein pinkes Zimmer, das an vergangene Jahrzehnte erinnert und von Träumen, Hobbys und dem Alltag von Jugendlichen erzählt. Sarah Drath verbindet in einer Videomontage hier zudem Filmheldinnen wie Disney-Prinzessinnen, Superheldinnen und Popstars zu einer Erzählung über das Erwachsenwerden. Daneben zeigt Quil Lemons in einer Fotoserie Schwarze Männer mit Glitzer-Make-up, ein Zeichen gegen einengende Männlichkeitsbilder. Auch Molly Soda nutzt Glitzer: In ihren GIFs, Slogans und Online-Collagen geht es um Freundschaft, Liebe und Identität. Mickalene Thomas zeigt mit „Afro Goddess looking forward“ zudem Glitzer auf Skateboards, ein Mix aus Kunst und Jugendkultur.

DIY-Stationen und Glitzer-Robo-Sauger
Zum Abschluss der Ausstellung dreht sich unter dem Motto „Glitter Craft“ alles um kreatives Basteln mit Glitzer: Sticker, Glitzerfolien, bunte Papiere, Stifte, Perlen, Strass und vieles mehr stehen zum ausprobieren bereit. Hier kann mit Glitzer selbst gestaltet und verziert werden. Die fertig gebastelten Objekte kann man dann im Ausstellungsraum aufhängen, damit sie Teil eines gemeinsamen Glitzerkunstwerks werden.
In kurzen Videos zeigen zudem fünf internationale Kunstschaffende ihre glitzernden Do-It-Yourself-Projekte und sprechen dabei über Kreativität, Gemeinschaft und ihren Umgang mit Kitsch und Klischees. Fleur Stiels aus den Niederlanden erklärt etwa, wie Basteln ihren Alltag und ihre Arbeit schöner gestaltet; Fiona Tretau kombiniert Glitzer mit Mode, Popkultur und Feminismus; María Domínguez Moreno erschafft auf ihrem Instagram-Account @doodlelingyou bunte Collagen voller Glitzer; Sam Reece zeigt mit dem „Shitty Craft Club“, dass Basteln einfach Spaß machen soll; und Damali Abrams aka The Glitter Priestess verbindet in ihren Arbeiten Glitzer mit Themen wie Black Feminism und urbaner Kultur.
Seit Anfang Juni wird die „Glitzer“-Ausstellung im MK&G außerdem durch die Installation „Puff Out“ (2017) des türkisch-belgischen Duos :mentalKLINIK ergänzt. In zwei benachbarten Ausstellungsräumen sind auf 300 Quadratmetern hier 16 Staubsaugerroboter unterwegs, die so modifiziert wurden, dass sie pinken Glitzer einsaugen und zugleich hinter sich wieder auspusten. Auf dem Boden hinterlassen sie so ihre Spuren und ziehen Muster; ein sich ständig veränderndes Glizerbild, bei dem nicht klar ist, ob es freudig oder melancholisch interpretiert werden kann: Wird der Glitzer gerade in Parystimmung verstreut oder ist die Feier vorbei und es werden die Spuren beseitigt? Die Installationen und multimedialen Arbeiten des Duos Yasemin Baydar und Birol Demir sind oft spielerisch und zeigen zugleich einen subversiven Umgang mit Materialien und Konsumästhetik. Auch bei „Puff Out“ geht es um Fragen von Künstlichkeit, Oberflächlichkeit und Inszenierung.
Glitzer
28.02.2025-26.10.2025
MK&G – Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Im Anschluss wird die Ausstellung vom 27.11.2025 bis 17.05.2026 im Kunstgewerbemuseum Winterthur in der Schweiz gezeigt.
Bilder: Angelika Schoder – Glitzer, MK&G Hamburg, 2025
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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