Geniale Dilletanten im Albertinum Dresden

Das Albertinum Dresden setzt sich in der Ausstellung „Geniale Dilletanten“ mit der Subkultur der 1980er Jahre in der BRD und DDR auseinander.

Das Albertinum Dresden setzt sich in der Ausstellung "Geniale Dilletanten" mit der Subkultur der 1980er Jahre in der BRD und DDR auseinander.

[Pressereise] Wie überschreitet man Grenzen in einer Zeit, in der die innerdeutsche Grenze gegenwärtig ist? Sowohl in der BRD als auch in der DDR lehnten sich in den 1980er Jahren Subkulturen gegen die Gesellschaft auf. Mit welchen ähnlichen künstlerischen Ansätzen dies erfolgte, zeigt das Dresdner Albertinum in seiner aktuellen Ausstellung „Geniale Dilletanten. Subkultur der 1980er Jahre in West- und Ostdeutschland“. Erstmals geht es dabei auch um die „Szene Ost“, für die die Rebellion gegen das System teils deutliche Konsequenzen hatte.


Subkultur zwischen Musik, Kunst und Protest

Bereits seit 2015 tourt die Ausstellung „Geniale Dilletanten“ des Goethe-Instituts durch Deutschland. Zu sehen war sie bereits im Haus der Kunst in München vom 26.06. bis 11.10.2015 und im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg vom 23.01. bis 30.04.2016. Nun ist die Ausstellung über die Subkultur der 1980er Jahre noch bis zum 19.11.2017 im Albertinum in Dresden zu sehen – allerdings in einer anderen Form als bisher. Konzentrierte sich „Geniale Dilletanten“ zunächst auf die Szene in der BRD, kommt in Dresden nun endlich ein zweiter Schwerpunkt hinzu – die subkulturelle Szene der DDR. Gewissermaßen ist die Ausstellung damit jetzt erst vollständig, zwei Jahre nachdem sie erstmals gezeigt wurde.

Die Ausstellung in Dresden zeigt, wie sich – bedingt durch die verschiedenen Gesellschaftssysteme – die persönlichen Motive und Artikulation der Gegenkulturen auf beiden Seiten der Mauer voneinander unterschieden. Gleichzeitig werden aber auch Parallelen zwischen den Akteuren in West und Ost aufgezeigt. Auch in der DDR wurden hier Grenzen überschritten, allerdings anders als in der BRD und oft auch mit weitreichenden persönlichen Konsequenzen für die Akteure. Was im Westen Kunstfreiheit war, war im Osten geprägt von Bespitzelungen durch Stasi-Informanten und durch Festnahmen der Künstler, teils direkt von der Bühne weg.

Im Mittelpunkt des vom Goethe-Institut konzipierten Teils der Ausstellung, der aktuell auch in verschiedenen Goethe-Instituten weltweit gezeigt wird, stehen sieben Bands aus der damaligen BRD: Deutsch Amerikanische Freundschaft (D.A.F.), Einstürzende Neubauten, Freiwillige Selbstkontrolle (F.S.K.), Mania D./Malaria!, Palais Schaumburg, Der Plan und Die Tödliche Doris. Zur DDR wurde bisher nur die Band Ornament & Verbrechen thematisiert. Das Albertinum ergänzt die Ausstellung nun um DDR-Künstler wie A. R. Penck und die Gruppe Lücke frequentor, Helge Leiberg, Michael Freudenberg, Klaus Hähner-Springmühl, Cornelia Schleime, Ralf Kerbach, Christine Schlegel, die Dresdner Autoperforationsartisten, Matthias BAADER Holst, Moritz Götze oder Tohm di Roes. Als Bands und Künstler-Formationen werden AG Geige, Zwitschermaschine, 37,2, Pfff…, Rennbahnband, Kartoffelschälmaschine, Die letzten Recken, Die Gehirne und Die Strafe beleuchtet.


Interview mit Christoph Tannert

Für die Konzeption der Ausstellung war, neben Mathilde Weh vom Goethe-Institut und Mathias Wagner vom Albertinum, Christoph Tannert verantwortlich. Der Geschäftsführer des Künstlerhaus Bethanien in Berlin kuratierte den Ost-Teil von „Geniale Dilletanten“, zu dem er auch den Begleitband verfasste. Im Interview gibt er einen Einblick in die Hintergründe der Ausstellung:

Sowohl in West- als auch in Ostdeutschland entwickelten sich Subkulturen in den 1980er Jahren. Mit welchen Bedingungen hatte die „Szene Ost“ im Vergleich zur BRD-Szene zu kämpfen?

Christoph Tannert: „Es gibt zwischen West und Ost große und kleine Unterschiede. Fangen wir mit den grundsätzlichen Unterschieden an: Sämtliche Künstler in der DDR arbeiteten unter den gleichen „sozialistischen“ Systembedingungen. Dazu gehörten hohe sozialistische Ideale, die von der Parteiführung propagiert wurden, und ein zwanghafter Kollektivismus sowie die kritische Betrachtung von Individualitäten. Überall gab es Indoktrination mit Losungen, Phrasen, Sprechblasen, mit denen versucht wurde, Menschen zu erziehen und „auf Linie“ zu bringen. Es gab Zukunftsversprechen, die sich am Alltagsleben rieben (Stichwort: Mangelwirtschaft), ideologische Floskeln, Sprachregelungen und Maßnahmen der Bewußtseinsregulierung, nach denen sich die Normalität aber nicht zurechtbiegen ließ.

Schon von Anfang an, also seit der Gründung der DDR, zeigte sich, dass das „sozialistische“ Experiment nur mit Hilfe von Normierung, Kontrolle, Überwachung und Repression durchzusetzen war. Die Lehren der Partei wurden von den Staatsbürgern aber nur bruchstückhaft umgesetzt und gelebt, häufig ausgeblendet, ignoriert oder abgelehnt. Daraus folgte ein Leben in Lüge und Angst, in dem man zwar eine gesicherte Grundversorgung hatte, sich auf einfachem Niveau ernähren, kleiden und bei niedrigen Mieten wohnen konnte, aber nicht wirklich frei war. Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Reisefreiheit waren eingeschränkt, es herrschten Anpassung, Duckmäusertum und Denunziation.“

Wie entstand unter diesen Bedingungen in den 1980er Jahren die Subkultur, die in der Ausstellung angesprochen wird?

Christoph Tannert: „Seit den 1960er/70er Jahren (die Zeit des Free Jazz und der Hippies) war die damalige junge Künstlergeneration (also die Geburtsjahrgänge ab 1950) vielfach nicht länger bereit, sich dem staatlichen Druck zu beugen. Die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann im Jahr 1976 führte zu landesweiten Protesten. Darauf reagierte der Staat mit Strafmaßnahmen, was wiederum dazu führte, dass viele junge Leute gänzlich ihre Hoffnung verloren und die DDR nur noch verlassen wollten. Damals gab es einen rasanten Anstieg der Zahl der Ausreisewilligen.

Es gab aber auch Künstler, die nicht die DDR verlassen wollten und die mit viel Zivilcourage, Cleverness, Erfindungsreichtum und Angstlosigkeit versuchten, ihre Positionen gegenüber dem ’sozialistischen‘ Mainstream zu behaupten. Die 1980er Jahre in der DDR waren daher auch geprägt durch diverse staats-distanzierende Tendenzen. Mittlerweile traten die Jahrgänge ab 1960 deutlicher in Erscheinung. Es gab Punk, New Wave, Breakdance, Hip Hop, neue Elektronik. Junge Leute engagierten sich in einer subkulturellen Bürgerbewegung (oftmals unter dem Dach der Evangelischen Kirche) für Frieden und Menschenrechte und gegen Umweltverschmutzung.“

Wie arbeitete die künstlerische Szene, die sich so formiert hatte, unter den Bedingungen des DDR-Systems?

Christoph Tannert: „Während es unter westlich-kapitalistischen Bedingungen diverse Möglichkeiten gab, verschiedene Projekte zu produzieren und die Öffentlichkeit damit zu erreichen, z.B. mit Schallplattenproduktionen, Musikkassetten oder eigenen Zeitschriften, herrschte in der DDR nur staatliche Regulierung. In der Musik bestand ein staatliches Monopol von DDR-Plattenfirmen, in der Literatur gab es keine freie Buchproduktion – kritische Stimmen wurden zensiert und nicht verlegt – und auch in der Kunst waren freien Produktions- und Präsentationsmöglichkeiten nicht gegeben. Unter diesen Systembedingungen konnten Künstler, Schriftsteller oder Theaterleute nur unter dem Dach von Künstlerverbänden freiberuflich arbeiten. Rockbands mussten sich offiziell ‚einstufen‘ lassen, um öffentlich auftreten und Geld verdienen zu können.

All diese Verbote und Einschränkungen konnten jedoch nicht verhindern, dass eine kleine Anzahl von kritischen Künstlern und Aktivisten in den Subszenen aktiv wurde. Mit Auftritten in Wohnungen, in der freien Natur, in Kirchenräumen, in kleinen Clubs oder in Kulturhäusern setzten sie sich über die Einschränkungen hinweg. Es kam zur Zusammenarbeit kritischer Leute aus vielen Bereichen, von Malern, Musikern, Autoren, Tänzern, Schauspielern, Bühnenbildnern, Puppenspielern. Über die Grenzen der künstlerischen Bereiche bildeten sich intermediale Kooperationsformen: Musiker und ihre Bands stellten Kleinstauflagen von Musikkassetten her, es wurden eigene Grafik-Lyrik-Unikate und Poster gedruckt und die kirchliche Oppositionsbewegung druckte eigene Broschüren.“

Führte das zu einem besonderen Zusammenhalt innerhalb der subkulturellen DDR-Szene?

Christoph Tannert: „Innerhalb der Szenen praktizierte man gemeinsam den Bruch der Normen, die Übertretung von Grenzen. Man ignorierte die ’sozialistischen‘ Gegebenheiten und es wurde nicht mehr unterschieden zwischen erlaubt und nicht erlaubt. In diesem Bewußtsein war den Künstlern, Musikern, Autoren alles verwandt, was ebenso freiheitlich, offen und unabhängig gesinnt war, wie sie es auch zu sein versuchten.

Grundsätzlich war allen Künstlerinnen und Künstlern in den DDR-Subkulturen eigen, dass sie endlich Schluss machen wollten mit den ’sozialistischen‘ Phrasen, mit der Vereinnahmung der Massen, mit den Bespitzelungen. Sie wollten wahrhaftig leben, ohne Furcht, gegen die hülsenhafte Sprache und die ’sozialistischen‘ Heldendarstellungen. Während in der offiziellen DDR-Kultur alles abgelehnt wurde, was der bürgerlichen Avantgarde vom Anfang des 20. Jahrhunderts nahe stand sowie alle westlichen Entwicklungen der Abstraktion, der offenen Form und der gesellschaftskritischen Konzepte, bezogen die jungen Subkulturen der DDR ihre Kenntnis dieser Entwicklungen in ihre Arbeit bewusst mit ein. Sie versuchten ihre Experimente, ihren Anarchismus, Dadaismus, ihren gelebten Protest wie auch ihre Suche nach alternativen Formen in der „sozialistischen“ Praxis fruchtbar werden zu lassen.“

Gab es Berührungspunkte, Parallelen oder sogar Überschneidungen der Ost- und West-Szene in den 1980ern? Sprach man auch in der DDR von „Genialen Dilletanten“?

Christoph Tannert: „Der Begriff ‚Genialer Dilletantismus‘ wurde in der DDR eher nicht verwendet. Man kannte zwar das von Wolfgang Müller herausgegebene Buch gleichen Titels, wollte sich in Dresden, Leipzig, Karl-Marx-Stadt und Ost-Berlin aber davon unterscheiden.

Im Kern, in der frechen Geste, in der brutalen Distanzierung vom Herkömmlichen, im spielerischen Umwerten der Werte, im Eigensinn ähnelten die Konzepte im Osten aber denen im Westen. Ohne dass das große Publikum im Osten davon überhaupt Notiz nehmen konnte, denn die DDR-Subkulturen umfassten nur einen Kreis von ca. 200 Künstlern und ein Publikum von lediglich ein paar tausend Personen. Erst in den letzten Jahren der DDR wurde mit der Hörfunksendung „Parocktikum“, die ab 1986 vom Rundfunk der DDR produziert wurde, ein winziger offizieller Kanal für die weitestgehend illegalen MusikKassetten-Produktionen geöffnet. Damit begann die langsame Vereinnahmung dieses rockmusikalischen Teils der Gegenkultur. Auch das war, wie die systematische Bespitzelung der Szenen von innen, eine Stasi-Strategie.“

Die gezeigten Exponate stammen häufig aus Privatbesitz. Wie haben Sie nach den Ausstellungsobjekten recherchiert und wie kompliziert war es, die Besitzer dazu zu bewegen, sich an der Ausstellung zu beteiligen?

Christoph Tannert: „Ich habe seit Ende 70er Jahre selbst viel Material aus der DDR-Subkultur gesammelt und kenne daher sowohl die Produzenten, die Werke und Produkte und natürlich viele andere  Sammler, die sich für dieses Thema interessieren. Ohne dieses Netzwerk wäre es nicht möglich gewesen, diesen blinden Fleck der DDR-Subkultur zu bearbeiten.

Das Entgegenkommen der Leihgeber war überaus groß, gerade weil zu DDR-Zeiten diese Tendenzen ignoriert, nicht ernst genommen oder verboten wurden und weil es auch nach der ‚Wende‘ nirgendwo ein grundsätzliches Interesse gab, sich diesem Kapitel der Gegenkulturen zu öffnen. Natürlich wurden einzelne Künstler und Kunstwerke aus diesen Strömungen hier und da präsentiert, die meisten Künstler leben und arbeiten ja noch. Aber das Phänomen als solches wurde nicht im Überblick thematisiert.“

Die Ost-Szene war bisher vielen unbekannt, anders als die Bands und Künstler, die im Westen aktiv waren. Warum ist es wichtig, dass die Ausstellung jetzt die Ost-Akteure und ihre Hintergründe bekannt macht?

Christoph Tannert: „Es ist von großer Wichtigkeit, dass endlich auch kunstgeschichtlich anerkannt wird, was die Opposition in der DDR in all ihren Facetten ausmacht, was die künstlerischen Subkulturen an Risikobereitschaft und an Abenteuern gewagt haben und wie weit sie mit ihren Erprobungen des (fast) Unmöglichen gekommen sind. Gegenüber den West-Künstlern müssen sie sich hier nicht verstecken.“

Vielen Dank für das Interview!


Eine multimediale Ausstellung

Die alternativen Szenen in der BRD und der DDR in den 1980er Jahren werden im Albertinum Dresden anhand von Videos, Fotos und Hörbeispielen multimedial erfahrbar. Plattencover, Magazine, Plakate, selbstgebaute Instrumente und Bühnenrequisiten ergänzen die Ausstellung. Zudem werden ausgewählte Bilder der „Neuen Wilden“ gezeigt, u.a. von Bernd Zimmer, Helmut Middendorf, Martin Kippenberger und Rainer Fetting.

Schließlich sind auch verschiedene Filme zu den „Genialen Dilletanten“ in der Ausstellung zu sehen, z.B. der von Mathilde Weh produzierte Interviewfilm mit Protagonisten der Zeit, aber auch die Künstlerfilme von Yana Yo, Helge Leiberg, Brigitte Bühler und Dieter Hormel, Norbert Meissner, Christoph Doering und Ramona Welsh, sowie Filme zur Bildenden Kunst von Jacqueline Kaess-Farquet und zur Mode von Knuth Hoffmeister und Reinhard Bock.


Geniale Dilletanten. Subkultur der 1980er Jahre in West- und Ostdeutschland

Albertinum Dresden
15.07.-19.11.2017

musermeku dankt den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden für die Einladung zum Besuch des Museums und für die Übernahme der Kosten der Reise.


Header-Bild: Angelika Schoder – „Geniale Dilletanten“, Albertinum Dresden 2017


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Angelika Schoder

Über die Autorin

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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