[Pressereise] Herumliegende Gummistiefel, vollgelaufene Regentonnen, Gärtner beim Unkraut jäten – ist das Kunst? Wäre neben dem geöffneten Gartentor keine Werkbeschriftung angebracht, man könnte fast daran vorbei gehen. In fremde Gärten schaut man schließlich nicht und eine künstlerische Performance erwartet man von Menschen beim Blumen pflanzen und Kompostieren eher auch nicht. Was aktuell hinter dem Grundstück der Fondation Beyeler zwischen Bäumen und Beeten stattfindet, trägt den Titel „Garten“. Im Rahmen der Ausstellung „Alexander Calder & Fischli Weiss“, die vom 29. Mai bis 4. September 2016 gezeigt wird, greift das Museum in Kooperation mit Peter Fischli damit ein Projekt wieder auf, dessen Premiere fast 20 Jahre zurück liegt.
Kunst im Gewöhnlichen
Peter Fischli (geb. 1952) und David Weiss (1946 – 2012) zählen zu den bekanntesten Gegenwartskünstlern der Schweiz. Als Duo Fischli Weiss konzipierten sie im Jahr 1997 ihr Projekt „Garten“ erstmals, und zwar als Beitrag für die Skulptur Projekte Münster, eine Großausstellung die alle 10 Jahre im öffentlichen Raum stattfindet. Hintergrund des Konzeptes war es, dass das Projekt von vielen Besucherinnen und Besuchern nicht als Kunst wahrnehmbar sein sollte.
Auch die Fondation Beyeler, die das Werk für die aktuelle Ausstellung in Kooperation mit Peter Fischli für den Sommer 2016 wieder aufgreift, setzt auf dieses Konzept. Zum einen befindet sich der Garten nicht auf dem Grundstück der Fondation Beyeler und steht damit nicht in direktem Bezug zum Museum. Der Garten ist quasi vor den eigentlichen Besuchern versteckt, hinter dem Berower Park gelegen. Dass sich der Kunst-Garten zwischen anderen Privatgärten befindet, komplettiert den Charakter des Privaten.
Der Garten ist frei zugänglich, das Gartentor ist nur angelehnt oder steht offen. Zum vorbeiführenden Pfad, der an den Rehbergerweg grenzt, einem vor Kurzem eröffneten Wanderweg mit Skulpturen von Tobias Rehberger, besteht ein Sichtschutz durch Bäume und hohe Hecken. Nur über das breite Gartentor können Passanten in den Garten von Fischli Weiss schauen. Die Beschriftung des Werks, angebracht auf einem kleinen Sockel neben dem Tor, könnte man zudem fast übersehen.
Bitte Pflanzen nicht pflücken
Im Garten sind mehrere Beete angelegt, es gibt einen Kompost, Rankhilfen und eine Art Unterstand. Das hier ausgelegte Stroh lässt vermuten, dass in diesem Garten auch Tiere gehalten werden könnten. Tatsächlich gibt es eine kleine Schaftsherde – jedoch nur auf dem angrenzenden Grundstück. Der dünne Zaun und die Ähnlichkeit der Gartengestaltung könnte vermuten lassen, dass die Gärten dem gleichen Besitzer gehören. Ein Trugschluss – tatsächlich sind die angrenzenden Grundstücke mitsamt den Schafen nicht Teil des Kunstprojekts.
Im Garten von Fischli Weiss werden, ebenso wie in den umliegenden Gärten, regionale Blumen, Kräuter, Obst und Gemüse angepflanzt. Während im Museum bei den Werken um „Vorsicht: Kunstwerke bitte nicht berühren!“ gebeten wird, weist die Beschriftung zum Eingang des Gartens daher folgerichtig darauf hin, hier die Pflanzen nicht zu pflücken. Dies soll nämlich den Gärtnern vorbehalten bleiben, die werktags die Pflanzen versorgen und mit dem geernteten Obst und Gemüse das angrenzende Restaurant Berower Park beliefern. Und auch Peter Fischli selbst kommt ab und an im Garten vorbei, wie Rahel Schrohe, kuratorische Assistenz der Ausstellung, in einem Interview mit MusErMeKu berichtet. Der Künstler nutzt die Zeit, um Dinge neu zu platzieren, umzuräumen und vielleicht auch, um die Besucher des Gartens zu beobachten.
Ratte und Bär, vergiftet?
Die Ausstellung „Alexander Calder & Fischli Weiss“ empfängt den Besucher im Foyer der Fondation Beyeler mit der Installation „Ratte und Bär (schlafend)“ von Fischli Weiss aus dem Jahr 2008. Während Bären (zumal ein Pandabär) in Schweizer Gärten wohl eher nicht anzutreffen sind, dürfte die eine oder andere Ratte schon zu den üblichen Gartenbewohnern gehören. So verweisen die beiden großen Kostümfiguren, die als mögliche Alter Egos von Fischli Weiss vermutet werden und die seit 1981 auch immer wieder in den Werken des Künstlerduos auftauchen, auch in gewisser Weise auf das Garten-Projekt. Vielleicht sind sie nämlich nicht „entspannt und schläfrig“, wie Theodora Vischer im Katalog zur Ausstellung anmerkt [1], sondern wurden durch Gift zur Strecke gebracht?
Tatsächlich ist um die Ecke des Foyers, gewissermaßen am Ausgang der Ausstellung in der Fondation Beyeler, auch Gift ausgestellt. Zwei Regalbretter, betitelt mit „Dünger etc., 1997/2016“, zeigen hier alles, was man für einen schönen bzw. ertragreichen Garten benötigt: neben einer Reihe an Düngemitteln gibt es hier auch Pestizide, Insektenfallen – und Rattengift.
Der imaginierte Gärtner
In ihrem Garten verdeutlichen Fischli Weiss den Zusammenhang von Natur und Künstlichkeit, von biologischer Entwicklung und eingreifender Beschränkung durch den Menschen. Insofern ist die Neuinszenierung des Gartens anlässlich der Ausstellung „Alexander Calder & Fischli Weiss“ naheliegend, geht es doch hier um „das Moment des labilen Gleichgewichts, eines prekären und gleichzeitig glücksverheissenden, immer nur temporären Zustands“, so Direktor Sam Keller und Ausstellungskuratorin Theodora Vischer im Katalog zur Ausstellung. [2]
Was im Garten von Fischli Weiss auf den ersten Blick natürlich wirkt, folgt in Wirklichkeit einem Plan. Zunächst sind es Gegenstände, die überall wie zufällig verteilt sind: ein Laubbläser auf dem Gartentisch, ein altes Radio, abgedeckt mit einer IKEA-Tasche auf gestapelten Gartenstühlen, Sonnencreme neben einer verrosteten Schraubzwinge. Die Gegenstände repräsentieren den „imaginierten Besteller des Gartens“, der von Fischli Weiss als „Bearbeiter und Nutznießer der Idylle“ gedacht ist. Er wird den Besuchern des Gartens gegenüber „dargestellt durch das Maß an Ordnung und Unordnung, Eifer und Beschaulichkeit, durch das Wachsen- und Gewährenlassen“, wie es im Konzept zum Garten von 1997 heißt. [3]
Die Gegenstände im Garten werden regelmäßig umgeräumt, teils bewusst, teils notwendigerweise, da sie von den Gärtnern, die den Garten von Fischli Weiss pflegen und bewirtschaften, auch genutzt werden. Betrachtet man die Gegenstände genau, fällt auf, dass nicht alle sinnvoll platziert sind. Einige haben sogar überhaupt nichts in einem Garten zu suchen.
Die Natur im labilen Gleichgewicht
Ebenso zufällig/gewollt verhält es sich mit den Pflanzen im Garten. Während auf den ersten Blick das Konzept „70% Bauerngarten, 30 % Schrebergarten“ nach Beeten geordnet erscheint, entpuppt sich die Bepflanzung bei genauerem Hinsehen teilweise als willkürlich – oder als absichtlich falsch. So sind mitten zwischen Blumen Nutzkräuter gepflanzt oder zwischen dem Gemüse blüht eine Staudenpflanze. Alles im Garten wird dabei nach Absprache mit dem Künstler Peter Fischli umgesetzt, so Rahel Schrohe im Interview.
Der Garten entspricht damit in gewisser Weise dem Spiel mit dem Prinzip des zufälligen Gleichgewichts, mit dem Fischli Weiss in anderen Werken arbeiteten, z.B. bei „Der Lauf der Dinge“, ein Film der 1987 entstand. [4] Der Zufall spielt zwar auch beim Garten eine wichtige Rolle, wird aber in feste Bahnen gelenkt. Am Ende steht ein Werk, das in seiner Vergänglichkeit den Eindruck von Natürlichkeit nur vortäuscht – tatsächlich ist es geplante Kunst.
Ergänzend zur Ausstellung erschien der Katalog „Alexander Calder & Fischli Weiss“, Hg. v. Theodora Vischer für die Fondation Beyeler, Hatje Cantz Verlag 2016, ISBN 978-3-906053-31-8.
Alexander Calder & Fischli Weiss
Fondation Beyeler
29. Mai – 4. September 2016
musermeku dankt Art & Design Museums Basel, der Fondation Beyeler, dem Vitra Design Museum sowie Swatch für die Einladung zum Besuch des Museums und für die Übernahme der Kosten der Reise.
Header-Bild: Angelika Schoder – Fondation Beyeler, 2016
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
Fußnoten
[1] Theodora Vischer: Labile Balance, In: Alexander Calder & Fischli Weiss, Hg. v. Theodora Vischer für die Fondation Beyeler, 2016, S. 16
[2] Sam Keller, Theodora Vischer: Vorwot, In: Ebd., S. 11
[3] Konzept für „Garten“, um 1996, In: Ebd. S. 251
[4] Dazu: Theodora Vischer: Labile Balance, In: Ebd., S. 17
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