Emmanuelle Moureaux: Slices of Time

In der immersiven Installation „Slices of Time“ von Emmanuelle Moureaux werden Besucher dazu aufgefordert, eine Zeitlinie aktiv mitzugestalten.

In der immersiven Installation "Slices of Time" von Emmanuelle Moureaux werden Besucher dazu aufgefordert, eine Zeitlinie aktiv mitzugestalten

[Ausstellung] Was verbinden wir mit einem bestimmten Zeitpunkt – mit einem bestimmten Datum? „Slices of Time“ von Künstlerin und Architektin Emmanuelle Moureaux stellt genau diese Frage. In einer immersiven und interaktiven Installation wurden Menschen dazu aufgefordert, eine Zeitlinie aktiv mitzugestalten. Neben einem abstrakten Gewirr aus Jahreszahlen und Daten in 100 Farben entstand durch die Mitwirkung des Publikums ein Einblick in private Erlebnisse: Was geschah zu einem bestimmten Zeitpunkt und warum ist dies für mich persönlich ein wichtiges Ereignis?


Japanisch inspirierte Instagrammigkeit

Die farbenfrohen Installationen der Künstlerin und Architektin Emmanuelle Moureaux kann man durchaus als „instagrammable“ bezeichnen. Seit 1996 lebt die gebürtige Französin in Tokio. Hier gründete sie im Jahr 2003 „emmanuelle moureaux architecture + design“. Inspiration findet Moureaux in den Ebenen und Farben Tokios, in den engen Straßen mit ihren bunten Leuchtreklamen, aber auch in der traditionellen Raumgestaltung japanischer Häuser und Wohnungen. Besonders fasziniert sie das Konzept der japanischen Raumteiler und Schiebetüren.

Emmanuelle Moureaux arbeitet nach dem Prinzip des „shikiri“ – wörtlich übersetzt bedeutet das in etwa „einen Raum durch Farben teilen (erschaffen)“. Farben sind für die Künstlerin und Architektin dabei nicht nur ein Mittel zur nuancierten Gestaltung sondern sie setzt diese regelrecht als dreidimensionale Elemente im Raum ein. Sie arbeitet mit Schichten von Farben, um ein neues Raumgefühl entstehen zu lassen. Dabei ist es ihr wichtig, durch die Farbgestaltung bei den Betrachtern auch verschiedene Emotionen zu erzeugen und persönliche Empfindungen anzusprechen. Moureaux betont hierzu:

„Durch meine Kreation möchte ich, dass die Menschen Farben sehen, berühren und mit ihren Sinnen fühlen können. Die überwältigende Wirkung von Farben an einem Ort soll zeigen, dass Farben mehr als einen Raum erzeugen können. Durch Farben kann ein Raum geschaffen werden, der zusätzlich mit Schichten menschlicher Emotionen angereichert wird.“

Emmanuelle Moureaux

Eintauchen in ein Farbenmeer

Die bunte Installation „Slices of Time“ wirkte auf den ersten Blick wie ein Durcheinander von Farben und Formen. Erst auf den zweiten Blick bemerkte man, dass die im Raum schwebenden runden Formen aus vielen einzeln aufgehängten Zahlen bestehen. Besonders 0, 1 und 2 ließen sich außen entdecken – nach innen hin waren weitere Zahlen bis 9 erkennbar. Es war ein riesiger, raumfüllender Kalender, der hier dreidimensional im Raum abgebildet wurde. Frontal betrachtet, verschwammen hier alle Farben – erst von der Seite wurde klar, dass verschiedene Farben aufeinander folgen – Weiß, Gelb, Orange, Rot usw. Das genaue Jahr des Kalenders ließ sich unter der kompakten Installationsstruktur erkennen – hier waren mit etwas Abstand 4-er Gruppen aus Zahlen platziert.

Jemima Burrill, Kuratorin der NOW Gallery, betrachtete „Slices of Time“ als eine Möglichkeit, sich vom aktuellen politischen Chaos zu erholen. Immerhin eröffnete die Ausstellung kurz nach dem Brexit, dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. Der 31. Januar 2020 markierte für das ganze Land ein wichtiges historisches Ereignis – und so fand sich der Brexit auch im Zeitstrahl wieder, der die Installation von Emmanuelle Moureaux begleitete. Ausstellungsbesucher waren hier dazu eingeladen, für sie markante Zeitpunkte in ihrem Leben auf kleinen Klebezetteln zu notieren und diese an den Glaswänden der Galerie zu platzieren – parallel zur Installation. Dem bunten Gewirr aus Jahreszahlen und Daten wurden so ganz konkrete Ereignisse zugeordnet. Jeder Besucher war eingeladen, sich zu beteiligen.

Ende März 2020 kam es schließlich zu einem weiteren einschneidenden Ereignis: Alle Kulturinstitutionen in London wurden geschlossen, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verringern. Die Pandemie bietet definitv einige Anknüpfungspunkte, die sich in der Installation „Slices of Time“ hätten wiederfinden können. Vielleicht hätte ein Jugendlicher hier die Schließung seiner Schule vermerkt? Vielleicht hätte eine Büromitarbeiterin in der Installation ihren Wechsel ins Home Office eingetragen? Und bestimmt hätte das Team der NOW Gallery auch festgehalten, wann ihre Galerie schließen musste.


Zeit als persönlicher Fixpunkt

Emmanuelle Moureaux gelang es mit „Slices of Time“ das Konzept von Zeit in seiner Einfachheit, aber auch gleichzeitig in seiner Komplexität erfahrbar zu machen. Denn wie stellt man etwas dar, das nicht sichtbar ist – und dessen Empfindung für jeden relativ ist? Moureaux bildete in ihrer Installation die Idee von Zeit in einer Verbindung aus Farben und Formen ab und ermöglichte es jedem Betrachter, hier einen persönlichen Bezugspunkt zu finden. Gleichzeitig sollte dazu angeregt werden, über den eigenen Bezug zu Zeit nachzudenken.

Mit „Slices of Time“ war erstmals eine Installation von Emmanuelle Moureaux in Großbritannien zu sehen. Der Ort der NOW Gallery war hierbei zusätzlich von Bedeutung, denn die Galerie befindet sich auf der Halbinsel von Greenwich, ganz in der Nähe des Royal Greenwich Observatory. Das Observatorium nahe London gilt als Bezugspunkt für die Festlegung des Nullmeridians, zudem markiert die mittlere Ortszeit am Greenwich-Meridian auch die Zeitzone der Greenwich Mean Time (GMT). Es konnte also kaum einen besseren Ort geben, sich mit dem Konzept von Zeit auseinanderzusetzen, als hier in Greenwich. Für die NOW Gallery schuf Emmanuelle Moureaux eine Installation aus Ebenen von Zahlen in insgesamt 100 Farbschattierungen und einem abgegrenzten Bereich in Weiß. Die Installation verkörperte den Fluß der Zeit. Jede Zahlenschicht der runden, im Raum schwebenden Form stand dabei für die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eines Zeitabschnitts.


Die NOW Gallery in Greenwich

Die Halbinsel von Greenwich im Südosten von London befindet sich in einem Transformationsprozess. Hier entsteht Greenwich Peninsula, ein Stadtteil mit neuen Wohnungen, einem Park entlang der Themse und einem Design District, in dem eine Umgebung für Kunst und Kultur geschaffen werden soll. Konzeptionell vergleichbar ist das Projekt etwa mit dem Gelände der NDSM-Werft in Amsterdam, wobei in London noch stärker auf moderne Architektur gesetzt wird. Ein Teil davon ist die NOW Gallery, ein öffentlicher Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst, Mode, Design und Fotografie, gestaltet von Marks Barfield Architects.

Die NOW Gallery, die kostenlos besucht werden kann, konzentriert sich auf die Arbeit etablierter Kunstakteure, ebenso wie auf Nachwuchskünstler, Designer und Kreative. Dabei liegt der Schwerpunkt auf immersiven Installationen, die verspielt, fantasievoll und inspirierend auf die Besucher wirken sollen. Es geht um die Frage, wie Design zu Kunst werden kann und wie Künstler Design schaffen können, so die Kuratorin Jemima Burrill. Ergänzt werden die Ausstellungen durch Events, Performances und Musik.

Zudem kooperiert die NOW Gallery mit dem Empathie Museum, einer Reihe partizipativer Kunstprojekte, die darauf abzielen, die Welt aus der Perspektive anderer Menschen wahrzunehmen. Mit dem Schwerpunkt auf Storytelling und Dialog erforscht das Museum ohne festen Standort, wie Einfühlungsvermögen persönliche Beziehungen verändern kann und wie es dazu beiträgt, globale Herausforderungen wie Vorurteile, Konflikte und Ungleichheit zu hinterfragen.


Emmanuelle Moureaux: Slices of Time

05.02. – 19.04.2020 (vorzeitig beendet)
NOW Gallery, London – Greenwich Peninsula


Bilder: Angelika Schoder – NOW Gallery, London 2020


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Angelika Schoder

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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