[Rezension] Der britische Künstler David Hockney (*1937) ist bekannt für seine Experimentierfreude. Ob Druckgrafik, Zeichnung, Fotografie, Malerei in Öl oder sogar mit einem iPad – Hockney arbeitet vielseitig und abwechslungsreich, hinterfragt dabei aber immer Perspektiven, die persönliche Wahrnehmung oder sogar die Realität. In Kooperation mit der Tate präsentiert das Bucerius Kunst Forum in Hamburg nun eine retrospektiv angelegte Schau, die Werke aus über 60 Schaffensjahren des Künstlers zeigt, von ersten Zeichnungen in den 1950er Jahren bis zu aktuellen Fotografien.
In the Studio
Die Ausstellung im Bucerius Kunst Forum beginnt mit einem der jüngeren Werke von David Hockney: „In the Studio“ von 2017. Das wandgroße Werk, das den Künstler inmitten seines Studios zeigt, verdeutlicht seine Suche nach neuen Perspektiven. Hockney sagte 2016 in einem Interview mit der britischen Zeitung The Guardian: „Das Auge bewegt sich immer; wenn es sich nicht mehr bewegt, bist du tot. Die Perspektive ändert sich, je nachdem wie ich hinsehe, also verändert sie sich ständig.“ [1] Diesen Effekt einer sich verändernden Perspektive verdeutlicht das Werk „In the Studio“.
Für das Bild fertigte Hockney gemeinsam mit seinem Assistenten Jonathan Wilkinson Tausende Fotos von seinem Atelier an. Er selbst, alle Möbel und Werke wurden aus verschiedenen Perspektiven aufgenommen – am Computer wurden diese Bilder im Anschluss zu einem Gesamtbild zusammengefügt. So entstand ein Werk mit einer einzigartigen Raumwirkung, bei der mehrere Perspektiven gleichzeitig präsent zu sein scheinen. [2]
Demonstrations of Versatility / A Rake’s Progress
Die Ausstellung des Bucerius Kunst Forum ist nach dem Beginn mit „In the Studio“ grundsätzlich chronologisch gegliedert. Den eigentlichen Beginn markieren Werke, die Hockney 1962 in der Ausstellung „Young Contemporaries“ zeigte und die er mit „Demonstrationen der Vielseitigkeit“ betitelte. Bereits hier verschwimmen die Grenzen zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit – es tauchen schemenhafte Figuren, Graffiti-Elemente und Codes auf. Die Selbstverortung als Künstler, aber auch die damals noch strafbare Homosexualität, spielen eine wichtige Rolle in Hockneys Werk. [3]
Im Anschluss zeigt die Ausstellung den 16-teiligen Bilderzyklus „A Rake’s Progress“, den David Hockney nach seinem ersten Aufenthalt in den USA 1961 schuf. Inspiriert wurde der Künstler von William Hogarths Kupferstichen aus dem 18. Jhd., in denen der „Werdegang eines Wüstlings“ geschildert wird – daher der Titel. Im Zentrum der Bilderserie stehen Hockneys Erlebnisse und Begegnungen in New York, die hier anekdotisch abgebildet werden und sich mit Hogarths Geschichte des Protagonisten Tom Rakewell vermischen. [4]
Physique Pictorial / Illustrations for Cavafy
Swimmingpools und die Körper junger Männer – mit diesen Motiven wurde David Hockney berühmt. In diesem Ausstellungsabschnitt stehen Werke im Mittelpunkt, die den Einfluss der Umgebung von Los Angeles auf den Künstler zeigen: die Sonne Kaliforniens, die geometrische Architektur, die Bewegung von Wasser, die Natur mit ihren Palmen und die hier lebenden Menschen, besonders attraktive Männer. Schon bevor Hockney in den USA war, träumte er von Kalifornien. Beeinflusst war seine Vorstellung von Schwulenzeitschriften, besonders „Physique Pictorial“. Vor Ort entdeckte David Hockney dann einige der Models aus der Zeitschrift und begann diese zu malen. [5]
Um den männlichen Körper bzw. um die Liebe zweier Männer geht es auch in der Bilderserie „Illustrations for Cavafy“, die 1966 im Rahmen einer Reise nach Beirut entstand. Inspiration hierfür war die Lyrik des griechisch-ägyptischen Dichters Konstantínos Pétrou Kaváfis (1863-1933), auch bekannt als Constantine Cavafy. Hockney konzipierte den Zyklus von Radierungen als ein visuell aktualisierte Übersetzung von Kaváfis Gedichten. [6]
Towards Naturalism / Moving Focus
Die Werke, die ab Ende der 1960er Jahre entstanden, sind vom Blick der Fotografie beeinflusst. Mit der Anschaffung einer Pentax-35-mm-Fotokamera begann David Hockney sich mit der naturalistischen Wiedergabe von Licht und Schatten auseinanderzusetzen, ebenso mit der Darstellung von Tiefenwirkung. Auch zwischenmenschliche Beziehungen wurden für den Künstler interessant. Zentrale Werke sind hier „Mr and Mrs Clark and Percy“ (1970/71), ein Porträt des Modedesigners Ossis Clark mit der Stoffdesignerin Celia Birtwell und der Katze Percy, oder auch „My Parents“ (1977), das Titelmotiv der Ausstellung des Bucerius Kunst Forum, das die Eltern von David Hockney zeigt. [7]
Im Abschnitt „Moving Focus“ stehen Werke im Fokus, die vor allem in den 1980er Jahren entstanden. Hier begann Hockney zunehmend zu hinterfragen, ob Betrachter wirklich in eine feste Perspektive „gesperrt“ werden sollten. Nach der Auslotung eines Konzeptes von Zeit und Momentaufnahmen zwischenmenschlicher Beziehungen, widmete sich der Künstler nun der Erkundung der Dimensionen des Raumes. Hierfür begann er den Raum kubistisch zu zerlegen und mehrere Perspektiven eines Gegenstandes gleichzeitig darzustellen, insbesondere in Druckgrafiken. Als Motive wählte Hockney hier in erster Linie Stühle, den Innenhof des Acatlán Hotels und Portraits von Freunden und seiner Mutter. Insbesondere letztere sind stark von Picasso und dem Kubismus inspiriert. [8]
Experiences of Space / The Bigger Picture
Gegen Ende der 1980er Jahre stand weiterhin die Darstellbarkeit von Raumerfahrungen im Mittelpunkt der Arbeit von David Hockney. Der Künstler begann mit Digitalfotografie zu experimentieren und daraus Collagen mit verschiedenen Perspektiven zu komponieren. Auch Grafikprogramme, Fotokopierer und Faxgeräte kamen zum Einsatz. Zudem entwarf Hockney in dieser Zeit Bühnenbilder und Kostüme für diverse Aufführungen. [9]
Schließlich widmete sich Hockney ab dem Ende der 1990er auch großformatigen Landschaftsdarstellungen. Ein zentrales Werk in der Ausstellung des Bucerius Kunst Forum ist hier das mehrere Meter lange und intensiv Orange leuchtende Werk „A Closer Grand Canyon“ (1998). Das Motiv bietet die Möglichkeit, die physische und visuelle Erfahrung des Seins inmitten des offenen Raumes darzustellen. Der Titel „A Closer Grand Canyon“ bezieht sich darauf, dass Hockney das Medium der Fotografie immer mit einer Distanz verbindet. Die Malerei hingegen ermöglicht eine „nähere“ Raumerfahrung. Die 60 Leinwände, aus denen das Bild besteht, bilden in ihrer Zusammensetzung eine Art Raster, das bewusst als Gestaltungselement eingesetzt wird, um ein besonderes Raumgefühl beim Betrachter hervorzurufen. [10]
Die neue App des Bucerius Kunst Forum
Zum Start der Hockney-Ausstellung ging auch die neue kostenlose App des Bucerius Kunst Forum online. Die App dient als Multimedia-Guide, der Besucher auf Deutsch oder Englisch mithilfe von Audiotracks durch die Ausstellung begleitet. Neben ergänzenden Informationen zu den Werken der Ausstellung gibt die App für iOS und Android einen Einblick in die Künstlerbiografie, stellt Video-Inhalte zur Verfügung und informiert über Veranstaltungen des Bucerius Kunst Forum.
Für die App greift die Institution in Hamburg auf eine bewährte Software zurück: Guide Pilot von MicroMovie. Seit einigen Jahren kommt diese Software bereits in der App des Museum Barberini in Potsdam zum Einsatz. Ebenso wie im Fall des Museum Barberini wird auch im Bucerius Kunst Forum die App zu jeder neuen Sonderausstellung mit neuen Inhalten aktualisiert.
Der Begleitband zur Ausstellung „David Hockney. Die Tate zu Gast“, herausgegeben von Kathrin Baumstark für das Bucerius Kunst Forum, ist 2020 erschienen (ISBN: 978-3-7774-3537-4). Der Band enthält, neben zahlreichen Werk-Abbildungen, einer umfangreichen Künstlerbiografie und einer Auswahlbibliografie, Texte von Helen Little, Gregory Salter, Uwe M. Schneede und Lukas Schepers.
David Hockney. Die Tate zu Gast im Bucerius Kunst Forum
Bucerius Kunst Forum
01.02. – 13.09.2020
musermeku dankt dem Bucerius Kunst Forum für die kostenfreie Überlassung des Ausstellungskatalogs als Rezensions-Exemplar.
Header-Bild: Angelika Schoder – Bucerius Kunst Forum, Hamburg 2020
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
Fußnoten
[1] Martin Gayford: David Hockney on what turns a picture into a masterpiece, In: The Guardian, 26.09.2016
[2] Katrin Baumstark: In the Studio, In: David Hockney. Die Tate zu Gast, Hg.v. ders. für das Bucerius Kunst Forum, 2020, S. 192-197, hier S. 195
[3] Ebd.: Demonstrations of Versatility, S. 46-65
[4] Ebd.: A Rake’s Progress, S. 66-85
[5] Ebd.: Physique Pictorial, S. 86-99, S. 88f
[6] Ebd.: Illustration for Cavfy, S. 100-109, S. 102f
[7] Ebd.: Towards Naturalism, S. 110-129, S. 112f
[8] Ebd.: Moving Focus, S. 130-165, 132f
[9] Ebd.: Experiences of Space, S. 166-183, S. 168f
[10] Ebd.: The Bigger Picture, S. 184-191
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