[Ausstellung] In Paris begegneten sich ihre Werke um 1900 immer wieder, nun zeigt die Alte Nationalgalerie erstmals seit 120 Jahren die Skulpturen von Camille Claudel (1864–1943) und Bernhard Hoetger (1874–1949) nebeneinander. Im Hintergrund der Kunstschaffenden lauert ein Zeitgenosse, von dem sich beide abzugrenzen versuchten: der französische Bildhauer Auguste Rodin. Doch auch wenn die Ausstellung in Berlin nun sogar den Untertitel „Emanzipation von Rodin“ trägt und einige seiner Skulpturen zeigt, so stehen doch Claudel und Hoetger klar im Mittelpunkt.
Im Jahr 1905 wurden ihre Werke erstmals vom Pariser Galeristen Eugène Blot in einer Doppelausstellung gezeigt, was für beide einen wichtigen Karriereschritt bedeutete: Für Hoetger war es der künstlerische Durchbruch in Paris, für Claudel betonte es ihre Eigenständigkeit als Bildhauerin, jenseits ihres berühmten Lehrers und Lebensgefährten Auguste Rodin. Damals wurden zwölf Bronzen von Claudel gezeigt, darunter heute international bekannte Arbeiten wie „La Vague“ (1897) oder „L´Âge mûr“ (1899), sowie 46 Werke von Hoetger, etwa der „Elberfelder Torso“ (1905) oder der „Blinde“ (1902), zusammen mit Gipsen und Zeichnungen des Künstlers. Nun treffen diese Werke wieder aufeinander und werden inmitten von Werken impressionistischer Zeitgenossen in Szene gesetzt. Ganz nebenbei erfährt man außerdem, mit welchen technischen Verfahren die Skulpturen einst angefertigt wurden.

Eugène Blot in Paris
Camille Claudel und Bernhard Hoetger nahmen an mehreren wichtigen Ausstellungen in Paris teil, darunter 1902 bei der Société nationale des Beaux-Arts sowie 1903 und 1904 beim bekannten Pariser Herbstsalon. Der Höhepunkt ihrer öffentlichen Präsenz war jedoch die Doppelausstellung im Dezember 1905 bei Eugène Blot; es war die umfangreichste Präsentation ihrer Werke in der renommierten Galerie am Boulevard de la Madeleine. Eugène Blot war auf Skulpturen spezialisiert und führte parallel die Gießerei, die er von seinem Vater übernommen hatte. Diese Kombination war ideal für die Zusammenarbeit mit Bildhauerinnen und Bildhauern und so arbeitete er mit Größen wie Auguste Rodin, Aristide Maillol und Edgar Degas zusammen.
Blot erwarb oft die Rechte daran, Skulpturen in Bronze gießen zu lassen, und verkaufte diese dann in seiner Galerie. Manchmal waren die Auflagen festgelegt, manchmal frei. Neben seinem Interesse an impressionistischer Malerei setzte er vor allem auf kleinere Skulpturen, die sich gut verkaufen ließen. Auch kunsthandwerkliche Objekte wie Lampen oder dekorative Alltagsgegenstände gehörten zu seinem Angebot. Einige Werke bewegten sich zwischen Kunst und Design, zum Beispiel Claudels „Am Kamin“ (Au coin du feu) oder Hoetgers „Lumpensammler“, die mit elektrischer Beleuchtung versehen waren. Solche Stücke passten genau in Blots Konzept.
Als engagierter Galerist unterstützte Blot vor allem junge oder weniger bekannte Kunstschaffende. Er verlieh zum Beispiel Werke an Ausstellungen und förderte seine Schützlinge als Mitglied von Ausstellungskomitees. Auch Claudel und Hoetger fanden in ihm einen wichtigen Unterstützer. Zwar brachte seine vorsichtige Preispolitik keinen großen Gewinn, doch seine Bemühungen sorgten für Sichtbarkeit und Verbreitung ihrer Kunst. Hier kommt der Ausstellung vom 4. bis 16. Dezember 1905 in der Galerie Blot eine besondere Bedeutung zu. Sie wurde in der zeitgenössischen Presse viel beachtet, doch leider ist von dieser Ausstellung heute nur wenig erhalten: ein schmaler Katalog und eine einzelne Fotografie. Für Claudel war die Ausstellung besonders wichtig, da sie ihr half, als eigenständige Künstlerin wahrgenommen zu werden. Auch Hoetger konnte durch die Schau sein Werk einem breiteren Publikum in Frankreich bekannt machen.
Eine historische Ausstellung heute
1905 waren in der Galerie Blot zwölf Bronzeskulpturen von Claudel zu sehen, darunter bekannte Werke wie „Die Flehende“, „Perseus“ oder „Die Schwätzerinnen“. Auch ihre „Flötenspielerin“ (Sirène), eines ihrer letzten Werke, war dabei und wurde besonders hervorgehoben. Daneben zeigte Blot 33 Bronzearbeiten von Hoetger sowie einige Gipsmodelle und Zeichnungen. Im Ausstellungskatalog wurde Claudel als eine der wichtigsten Künstlerinnen ihrer Zeit neben Berthe Morisot genannt. Hoetger wurde von Blot hingegen als aufstrebendes Talent gelobt, das unter Künstlern Bewunderung und manchmal sogar Neid hervorrufen würde. Besonders bemerkenswert war, dass mit dem „Elberfelder Torso“ (Grand Torse) erstmals ein Werk Hoetgers gezeigt wurde, das seinen neuen, ruhigeren Stil einleitete. Blot verdiente an der Ausstellung wenig. Er schrieb später, dass er nur wenige Werke Claudels verkaufen konnte, und das zu Preisen, die seine Kosten nicht deckten. Dennoch wurden bis 1936 rund 40 % der Claudel-Bronzen gegossen, bei Hoetger 34 % der gezeigten Werke.
Neben Skulpturen zeigte Blot auch 20 Zeichnungen von Bernhard Hoetger. Sie unterschieden sich deutlich von den klassischen Bildhauer-Zeichnungen des 19. Jahrhunderts, die sich oft an antiker Kunst und strengen Proportionen orientierten. Hoethers Aktzeichnungen zeigen klare Umrisslinien, die mit Aquarellfarben, meist nass-in-nass, koloriert wurden. Auguste Rodin fertigte ganz ähnliche aquarellierte Skizzen an, seine sind jedoch deutlich lockerer gezeichnet und fokussieren sich nicht so stark auf Körperhaltungen und Bewegung wie bei Hoetger. Rodin gilt hier als wichtiger Bezugspunkt, immerhin veränderte er die Bildhauerei zu seiner Zeit grundlegend: Er stellte Menschen nicht mehr idealisiert dar, sondern zeigte sie mit bewegten Oberflächen und unvollständigen, fast aus dem Stein herausgelösten Figuren. Das inspirierte viele seiner Zeitgenossen.
Für Camille Claudel war die Verbindung zu Rodin besonders wichtig, denn sie arbeiteten nicht nur zusammen, sondern hatten auch eine Beziehung. Durch diese Nähe konnte sie viel von ihm lernen und von seinem Netzwerk profitieren. Doch mit der Zeit wurde es für sie immer wichtiger, sich künstlerisch und wirtschaftlich selbstständig zu machen und sich von Rodin abzugrenzen. Diese Trennung war schwierig, weil manche ihrer Arbeiten fälschlich Rodin zugeschrieben wurden, etwa der Kopf des „Giganti“. Um sich von Rodin zu lösen, wandte sich Claudel kleineren, erzählerischen Skulpturen zu und schuf so ihren eigenen Stil. Im Gegensatz dazu suchte Bernhard Hoetger seine eigene Richtung, indem er monumentale Werke schuf.
Anhand des einzigen heute noch bekannten Fotos der Ausstellung von 1905 hat die Alte Nationalgalerie nun versucht, den Eindruck der Galerie Blot im Jahr 2025 wieder aufleben zu lassen. So wie damals in Paris werden die Skulpturen nun in Berlin zwischen großen Zimmerpflanzen und auf kunstvollen Sockeln und Arbeitspodesten präsentiert. Daneben werden Zeichnungen von Hoetger gezeigt, auch wenn es sich vermutlich um andere Werke handelt als die Arbeiten die in Paris gezeigt wurden, da hierzu keine Aufzeichnungen mehr existieren. Neben diesem Versuch eines historischen Rückblicks auf die Ausstellung vor 120 Jahren wird nun auch beleuchtet, wie unterschiedlich Claudel und Hoetger zu ihrer Zeit, aber auch nach ihrem Tod, jeweils wahrgenommen wurden – wegen ihres Geschlechts und ihrer jeweiligen Herkunft, aber auch wegen ihrer persönlichen Hintergründe.

Ein Zugang zu Camille Claudels Werk
Camille Claudel zeigte schon in ihrer Jugend großes Talent für die Bildhauerei. Mit zwölf Jahren erhielt sie Unterricht von Alfred Boucher, einem bekannten Künstler aus ihrer Heimatstadt Nogent-sur-Seine. Nach dem Umzug nach Paris im Jahr 1881 setzte sie ihre Ausbildung an der Académie Colarossi fort, einer der wenigen Kunstschulen, die auch Frauen aufnahm. Zusammen mit drei weiteren Künstlerinnen mietete sie ein Atelier, das sie eigenständig nutzte. Bald lernte sie Auguste Rodin kennen, bei dem sie Schülerin und später Mitarbeiterin wurde. Die beiden arbeiteten viele Jahre eng zusammen, künstlerisch wie auch privat. Ihre Beziehung zu Rodin war jedoch schwierig und machte es Claudel nicht leicht, als eigenständige Künstlerin anerkannt zu werden.
Trotz dieser Hindernisse fand ihre Kunst Beachtung: Sie stellte in verschiedenen Ausstellungen aus und ihre Werke wurden in der Pariser Kunstszene wahrgenommen. Ab 1902 unterstützte sie der Galerist Eugène Blot, der sich stark für ihre Arbeit einsetzte und ihre Skulpturen bekannt machte. In ihren letzten Pariser Jahren verschlechterte sich Camille Claudels psychischer Zustand zunehmend. Sie zog sich zurück, mied soziale Kontakte und zerstörte viele ihrer eigenen Werke. Dadurch schrumpfte ihr ohnehin schon kleines künstlerisches Gesamtwerk noch weiter. Bereits 1911 hatte sie aufgehört zu arbeiten; zwei Jahre später wurde sie auf Veranlassung ihrer Familie in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen. Sie verbrachte dort die restlichen 30 Jahre ihres Lebens.
Lange blieb ihr künstlerischer Beitrag unbeachtet, stattdessen standen ihre persönliche Beziehung zu Auguste Rodin und ihr tragisches Schicksal im Vordergrund. Erst nach ihrem Tod begann eine langsame Wiederentdeckung der Künstlerin, so würdigte das Musée Rodin in Paris 1951 ihr Werk in einer Ausstellung, unterstützt von ihrem Bruder Paul Claudel. Auch ihr Galerist Eugène Blot hatte bereits früh versucht, ihre Kunst durch Abgüsse bekannter zu machen. In den 1980er Jahren wuchs dann das öffentliche Interesse an Claudel, angeregt durch Filme, Biografien und eine zunehmende Auseinandersetzung mit Künstlerinnen in der Forschung. Das Werk der Bildhauerin wurde neu bewertet und stärker geschätzt, insbesondere im Vergleich mit anderen Bildhauern ihrer Zeit, wie etwa Bernhard Hoetger.
Bernhard Hoetger zwischen Paris und Deutschland
Der 10 Jahre jüngere Bernhard Hoetger begann seine Laufbahn als Steinmetz und leitete eine Werkstatt für christliche Kunst im westfälischen Wiedenbrück. Erst mit 24 Jahren entschied er sich für ein Kunststudium und lernte Bildhauerei bei Karl Janssen an der Kunstakademie in Düsseldorf. Im Jahr 1900 reiste er zur Weltausstellung nach Paris und besuchte dort auch die Rodin-Ausstellung im Pavillon de l’Alma. Beeindruckt von der Kunstszene beschloss er, in Paris zu bleiben. Der Einstieg war zunächst nicht leicht, es dauerte eine Weile, bis Hoetger Anschluss in den französischen Kunstkreisen fand. Mit kleineren Skulpturen im Jugendstil und impressionistischen Figuren gelang es ihm langsam, sich einen Namen zu machen. Schließlich stellte er in bekannten Pariser Salons aus, darunter im Salon des artistes français, der Société nationale des Beaux-Arts und im Salon d’Automne. Dort wurde auch die Kunstwelt auf ihn aufmerksam. Seinen größten Erfolg in Paris hatte er jedoch mit der gemeinsamen Ausstellung mit Camille Claudel in der Galerie von Eugène Blot.
1911 kehrte Hoetger dann dauerhaft nach Deutschland zurück und nahm zunächst eine Professur in Darmstadt an. 1929 zog er in die Künstlerkolonie Worpswede und schuf neben expressiven Skulpturen auch Gestaltungen für Gebäude und kunsthandwerkliche Objekte. In dieser Zeit entwickelte er einen neuen Stil, suchte sich neue Förderer und distanzierte sich von der Pariser Kunstwelt. Seine Mitgliedschaft in der NSDAP schützte ihn jedoch in den 1930er Jahren nicht vor der Ablehnung durch die Nationalsozialisten. Seine Werke wurden als „entartet“ eingestuft und galten als „undeutsche“ Kunst. Hoetger versuchte trotzdem unter dem NS-Regime anerkannt zu werden, allerdings ohne Erfolg. Seine Kunst sollte vom nordisch-germanischen Ideal geprägt sein, passte aber nicht zu den künstlerischen Vorstellungen der Nationalsozialisten. Aufgrund seiner Werke wurde Hoetger sowohl aus der Partei als auch aus der Reichskammer der Künste ausgeschlossen.

Wie Skulpturen entstehen
Neben den kunsthistorischen Hintergründen bietet die Ausstellung in der Alten Nationalgalerie auch einen Einblick in die technischen Herstellungsprozesse der Skulpturen: In Kooperation mit der Berliner Bildgießerei Noack zeigt das Museum noch heute gängige Techniken des Bronzegusses, das Sandguss- sowie das Wachsauschmelz-Verfahren. Die Werke von Claudel und Hoetger, die über Eugène Blot verkauft wurden, entstanden im Sandguss-Verfahren. Dabei wird ein Modell in Sand eingearbeitet, um eine Form zu schaffen. In die entstandene Form wird flüssige Bronze gegossen, die beim Abkühlen schrumpft. Deshalb ist das Modell etwas größer als die fertige Skulptur. Die Sandform kann nur einmal benutzt werden und muss für jeden neuen Guss neu hergestellt werden.
Einige Güsse von Hoetger wurden auch im Wachsausschmelz-Verfahren produziert. Dabei entsteht zunächst eine 1:1-Version des Modells aus Wachs, dieses wird mit Gusskanälen aus Wachs versehen und in einer feuerfesten Hülle eingeschlossen. Im Anschluss wird diese erwärmt, das Wachsmodell im Inneren schmilzt, läuft über die Gusskanäle ab und ein Hohlraum entsteht, dieser wird dann mit Bronze ausgegossen. Die Ausstellung zeigt beide Verfahren am Beispiel des 1932 von Renée Sintenis (1888-1965) entworfenen „Berlinale-Bären“, der von der Gießerei Noack für die Preisverleihungen des Filmfestivals seit 1951 hergestellt wird.
Camille Claudel und Bernhard Hoetger. Emanzipation von Rodin
06.06.-28.09.2025
Alte Nationalgalerie, Berlin
Die Ausstellung war in anderer Form vom 25. Januar bis 18. Mai 2025 im Paula Modersohn-Becker Museum in Bremen zu sehen. Im Anschluss wird sie vom 12. September 2025 bis 10. Januar 2026 im Musée Camille Claudel in Nogent-sur-Seine in Frankreich zu sehen sein.
Header-Bild: Angelika Schoder – Bernhard Hoetger: Torso (Kleiner Elberfelder Torso, 1905) aus dem Paula Modersohn-Becker Museum in der Alten Nationalgalerie, Berlin 2025,
Bilder: Angelika Schoder – Alte Nationalgalerie, Berlin 2025
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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