[Ausstellung] Das Book of Kells, das etwa um das Jahr 800 entstand, zählt zu den beeindruckendsten Werken der mittelalterlichen Buchkunst. Es enthält die vier Evangelien des Neuen Testaments in lateinischer Sprache und ist mit farbenfrohen Ornamenten, keltischen Knoten und außergewöhnlichen Tierdarstellungen versehen. Das Buch überstand Jahrhunderte voller Kriege, Raubzüge und religiöser Umbrüche und ist heute im Trinity College in Dublin zu sehen. Eine multimediale Ausstellung gibt hier einen Einblick in die Geschichte der mittelalterlichen Handschrift und ermöglicht es in dessen Geschichte in einer immersiven Installation einzutauchen.

Die Buchkultur im frühen Mittelalter
Die „Book of Kells“ Ausstellung zeigt zunächst die Buchherstellung in mittelalterlichen Klöstern als zentrales Element geistlichen Lebens. Mönche widmeten sich hier dem Abschreiben, Illustrieren und Studieren heiliger Texte. Sie selbst besaßen meist kleine Evangelienbücher für den persönlichen Gebrauch, doch wohlhabende Abteien waren auch im Besitz aufwendig gestalteter Codices mit prachtvoller Ausstattung. Hierzu zählte auch das Book of Kells. Dass dieses aufwändige Manuskript bis heute erhalten geblieben ist, ist eine große Ausnahme, denn von den unzähligen vergleichbaren Büchern aus den ersten Jahrhunderten des Christentums sind heute vermutlich weniger als zehn Prozent noch erhalten.
Ein eindrucksvolles Beispiel für den Verlust solcher Werke ist das legendäre Buch von Kildare. Der walisische Historiker Gerald von Wales (Giraldus Cambrensis) beschrieb es 1185 als ein Manuskript von überirdischer Schönheit; er glaubte, es sei „nicht von Menschenhand, sondern von Engeln“ geschaffen worden. Heute gilt es als verschollen. So ist das Book of Kells eines der wenigen reich verzierten Manuskripte aus dem Mittelalter, das heute noch erhalten ist. Für die Herstellung solcher Bücher verwendeten Mönche vor rund 1200 Jahren natürliche Pigmente aus der Natur, die aus Pflanzen, Mineralien oder Flechten hergestellt wurden. Das Pergament solcher Manuskripte bestand aus Kalbsleder; für das Book of Kells wurden zum Beispiel rund 185 Häute verwendet, um die 340 Blätter bzw. 680 Seiten herzustellen.

Die Geschichte des Manuskripts
Seinen Ursprung hat das Book of Kells vermutlich auf der Insel Iona, die einst zum irischen Königreich gehörte und heute Teil von Schottland ist. Hier entstand das Buch in einem Kloster, das vom heiligen Columban von Iona (Colm Cille) im 6. Jahrhundert gegründet wurde. Als sich Iona zu einem geistigen Zentrum im irischen Einflussbereich entwickelte, begannen um das Jahr 800 hier vermutlich die Arbeiten an einem aufwändig illustrierten Manuskript. Doch Iona war für das Buch nicht sicher; die Insel wurde immer wieder von Wikingern überfallen. Ein besonders brutaler Überfall im Jahr 806, bei dem etwa 70 Mönche ermordet wurden, zwang die Ordensgemeinschaft zur Flucht. Die wichtigsten Heiligtümer, darunter möglicherweise auch das Book of Kells, wurden von Iona nach Irland gebracht. Wann genau das Manuskript die kleine Insel verließ, ist unklar. Es gibt Theorien, dass das Buch auch erst 878 weggeschafft wurde. In jedem Fall war der Transport nach Irland riskant, viele ähnliche Transporte mit Reliquien scheiterten, weil die Boote die Seefahrt nicht überstanden. So verschwanden mutmaßlich zahlreiche Reliquien von St Colum Cille und St. Patrick im Meer.
In Irland wurde das Buch dann vermutlich im Kloster Kells aufbewahrt und nicht nur zu liturgischen Zwecken genutzt, sondern auch als Heiligtum des Colum Cille verehrt. Doch auch in Kells war das Manuskript diversen Gefahren ausgesetzt, so wurde es 1007 gestohlen. Wahrscheinlich ging es den Dieben um den prächtigen Einband, denn nach zwei Monaten wurde das Buch ohne Einband und mit fehlenden Seiten wieder entdeckt. Im 17. Jahrhundert war das Manuskript dann erneut in Gefahr, als während der irischen Konfessionskriege Kells verwüstet wurde. Die Klosteranlage wurde 1641 beschädigt und später von den Soldaten Oliver Cromwells als Lager genutzt. Um das Manuskript zu schützen, wurde das Buch vom damaligen Gouverneur von Kells, dem Earl of Cavan, 1653 zur Aufbewahrung ins Dublin Castle gesendet. 1661 übergab es der anglikanische Bischof Henry Jones dann dem Trinity College, wo es sich bis heute befindet.

Die Gestaltung des Manuskripts
In der Ausstellung wird nicht nur die Entstehung und Bedeutung des Manuskripts beleuchtet; auch ein Einblick in besonders aufwändig gestaltete Seiten wird ermöglicht, wie etwa die „Chi-Rho-Seite“. Die Seite gehört zum Matthäus-Evangelium, dem ersten der vier Evangelien im Neuen Testament, und ist ein Beispiel der Insular Art, eine Mischung aus keltischer und christlicher Kunst, in der zahlreiche Seiten des Manuskripts gestaltet sind.
„Chi Rho“ ist ein Monogramm für Christus und besteht aus den griechischen Buchstaben Chi (Χ) und Rho (Ρ). Diese Buchstaben wurden zu einem Symbol verschmolzen und stehen am Anfang des Wortes „Christus“ auf Griechisch. Die Darstellung dieses Symbols steht im Mittelpunkt der Chi-Rho-Seite. Solche Symbole waren im frühen Christentum weit verbreitet und finden sich auch in anderen mittelalterlichen Handschriften wie den Lindisfarne Gospels oder dem Book of Dimma.
Wie zahlreiche Seiten im Book of Kells ist auch die Chi-Rho-Seite voller kleiner versteckter Symbole. Zwischen abstrakten Mustern aus Spiralen, verschlungenen Linien und Wirbeln sind Tiere, Insekten, Engel und Schlangen zu entdecken. Viele dieser Figuren haben eine tiefere christliche Bedeutung, zum Beispiel stehen Engel für göttlichen Schutz, Schlangen können auf die Auferstehung hinweisen und Pfauen symbolisieren Unsterblichkeit. Die kunstvollen Bilder und Symbole dienten als visuelle Erzählung, um die Inhalte der Bibel zu erklären, denn zur Entstehungszeit des Buchs konnten nur sehr wenige Menschen lesen.
Schon in der vorchristlichen Zeit waren viele der im Manuskript gezeigten Symbole ein wichtiger Bestandteil der irischen Kunst. Als das Christentum im 4. Jahrhundert nach Irland kam, übernahmen Mönche viele dieser alten, heidnischen Kunstformen und passten sie für christliche Inhalte an. Daraus entstand der einzigartiger Stil, der keltische, byzantinische, römische und ägyptische Einflüsse vereint und der auch das Book of Kells prägt. Viele Kunstschaffende ließen sich von diesem Stil inspirieren, etwa Elizabeth und Lily Yeats, die Schwestern des Schriftstellers William Butler Yeats, die Textilien für Kirchen wie die Honan Chapel in Cork gestalteten.

Das Book of Kells in Dublin
In der Alten Bibliothek des Trinity College ist das Book of Kells öffentlich ausgestellt. Zu sehen sind hier jeweils immer nur zwei Original-Seiten, die alle paar Wochen umgeblättert werden. Dank einer digitalen Version ist das Manuskript aber auch online zugänglich und kann digital durchgeblättert werden.
Neben der Ausstellung und dem Buch selbst kann am Trinity College auch die Installation „The Book of Kells 360“ im sogenannten Roten Pavillon auf dem Campus besucht werden. Hier ist eine immersive Präsentation zu sehen, in der man in die Geschichte und Bilderwelten des mittelalterlichen Buches eintauchen kann.
The Book of Kells Experience
Trinity College, Dublin
Header-Bild: Angelika Schoder – The Book of Kells 360, Trinity College, Dublin 2024
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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