[Pressereise] Ein „Deko-Künstler“ wollte er niemals sein. Seine Werke sollen Haltung vermitteln, diskutiert werden und Kontroversen auslösen. Die Fondation Beyeler widmet Georg Baselitz nun anlässlich seines 80. Geburtstags eine Retrospektive. Wir sprachen jetzt mit Nadine Koller, Assistenzkuratorin der Baselitz-Ausstellung, über das umfangreiche Projekt, das in Kooperation mit dem Hirshhorn Museum entstanden ist.
„Sie müssen etwas bringen, was das Publikum wahnsinnig irritiert. Das Publikum irritieren heißt, gegen Konventionen verstoßen, um ins Gespräch zu kommen. Das Gespräch soll ja sein, nicht das Publikum mit etwas zu konfrontieren, was die Welt verbessert. Es soll nur so sein, dass das Publikum eine neue Chance bekommt, nachzudenken, etwas Neues zu sehen, irritiert zu sein. Einfach neuen Spuren folgen.“
Georg Baselitz im Interview mit der Fondation Beyeler am 16.02.2018
Baselitz, der Provokateur
Vor kurzem feierte Georg Baselitz seinen 80. Geburtstag. In zahlreichen Interviews stellte der Künstler unter Beweis, dass er keinesfalls altersmilde oder unkritisch geworden ist. Als Künstler will Baselitz zwar eigentlich keine Kommentare zur Geschichte abgeben – er sei ja selbst Teil der Geschichte, wie er einst gegenüber der WELT betonte. Seine Bilder in ihrer Inhaltsschwere, die würden allerdings gerade zu „von Geschichte triefen“, so der Künstler im Interview. Die Fondation Beyeler widmet ihm jetzt eine umfangreiche Ausstellung – ein Querschnitt aus 60 Jahren Schaffenszeit.
Bekannt wurde Baselitz u.a. durch seine auf dem Kopf stehenden Gemälde. Doch nicht nur seine künstlerische Perspektive erscheint verdreht. Besonders in den letzten Jahren machte der Maler, Grafiker und Bildhauer immer wieder auch durch persönliche Äußerungen über Politik von sich reden, etwa vor kurzem in der ZEIT. Kritische Reaktionen darauf, etwa von Soziologe Harald Welzer, ließen nicht lange auf sich warten. Doch die regelmäßige Inszenierung als Provokateur scheint von Baselitz bewusst gewählt. Künstler müssen schließlich Haltung vermitteln, dies lehrte er auch seinen Schülern an der Hochschule der Künste, der heutigen UdK.
Sein früherer Meisterschüler Norbert Bisky betont dazu im Interview mit Deutschlandfunk Kultur, was Baselitz immer vorgelebt hat: Künstler sollten stets skeptisch bleiben, sich den Mächtigen nicht zu Hofnarren machen und hinterfragen: „Was sollen Bilder heute eigentlich?“. Die Werke müssen, geht es nach Baseitz, möglichst unbequem sein – nicht bloße Dekoration. Vielleicht ist diese Haltung auch der Grund für seine öffentlichen Äußerungen, mit denen er immer wieder versucht, Kontroversen und Diskussionen anzustacheln.
Baselitz in der Fondation Beyeler
Georg Baselitz gilt als einer der wenigen zeitgenössischen Maler und Bildhauer, die tief in der Geschichte der europäischen und amerikanischen bildenden Kunst verwurzelt sind. Von seinen Helden- und Fraktur-Bildern der 1960er-Jahre bis hin zu seinen auf dem Kopf stehenden Motiven, mit denen er in den 1970er- und 1980er-Jahren berühmt wurde – Baselitz wird als Erfinder einer figurativen Bildsprache gefeiert und wird zu den wichtigsten Künstlern des 20. und 21. Jahrhunderts gezählt.
Die Fondation Beyeler und den Künstler verbindet eine lange Geschichte. Seit 1989 bzw. seit 1995 befinden zwei wichtige Werke von Baselitz in der Sammlung Beyeler, und zwar „Weg vom Fenster“ (1982) und „Verschiedene Zeichen“ (1965). Ernst Beyeler hatte mit dem Künstler 1986 und 1992 bereits zwei Einzelausstellungen durchgeführt. Jetzt folgt eine umfangreiche Retrospektive.
Die Ausstellung hätte vielleicht risikofreudiger ausfallen können, wie Maria Männig bei Art in Crisis betont. Sie ist aber grundsätzlich gelungen, das betont nicht nur Annekathrin Kohout bei sofrischsogut. Auch der Künstler selbst zeigt sich mit seiner Ausstellung zufrieden. Im Rahmen des Artist Talk mit Kurator Martin Schwander am 16. Februar 2018 in der Fondation Beyeler äußert sich Georg Baselitz zufrieden: „Die Räume in Basel sind einfach großartig. Und ich dachte, vielleicht sind meine Bilder muffig hier – das war meine Befürchtung. Aber sie sind keineswegs muffig, sondern sie sind doch sehr erfrischt. Sie sehen ja unbeschädigt aus über die Zeit.“ An der Ausstellung sei „nicht leichtsinnig“ gearbeitet worden, wie Baselitz im Talk betont: „Es gab eine Vorgabe, die hieß: Highlights. Und 60 Jahre Highlights – ich glaube da würde die Stadt nicht ausreichen, was meine Arbeit betrifft. Also wir mussten uns sehr beschränken. Wir haben das Beste herausgezogen oder bestellt – weil ja alle Werke irgendwo anders sind. Und was wir bekommen konnten, hat eine sehr gute Linie gehabt.“
Die Retrospektive in dieser Form umzusetzen, war kein leichtes Unterfangen. Wir sprachen jetzt mit Nadine Koller, Assistenzkuratorin in der Fondation Beyeler, über die Planung und Entstehung der Baselitz-Ausstellung.
Interview mit Nadine Koller
Die Ausstellung in der Fondation Beyeler umfasst rund 90 Werke von Baselitz, und zwar aus jeder Schaffensphase des Künstlers. Hierzu zählen neben seinen Gemälden auch Skulpturen. Nach welchen Kriterien wurden die Werke ausgewählt? Und wie gestaltete sich hier die Zusammenarbeit mit dem Künstler?
Nadine Koller: „Vom Umfang her ist die Ausstellung aktuell sicherlich einzigartig. Die Planung der Ausstellung hat mehrere Jahre gedauert. Baselitz hat allein schon über 2.500 Gemälde geschaffen. Insofern ist die Retrospektive in der Fondation Beyeler jetzt auch eine große Beschränkung. Die Werkauswahl geht auf eine enorme Recherchearbeit zurück. Einige Werke wurden jahrelang nicht ausgestellt, kommen aus Privatsammlungen oder galten sogar zeitweise als nicht auffindbar. Hier war der Austausch mit dem Künstler sehr wichtig um zu besprechen, was man in die Retrospektive aufnehmen möchte und wo sich die Werke befinden. Das hat sehr viel Vorbereitungszeit erfordert.
Mit dem Künstler fand im Vorfeld der Ausstellung daher eine sehr enge Zusammenarbeit statt. Georg Baselitz hat sich die Räume in der Fondation Beyeler genau angeschaut und er hat sich selbst sogar ein kleines Modell gebaut. Gemeinsam mit seinem Sekretär Detlev Gretenkort hat er sich sehr stark mit der Hängung auseinandergesetzt und auch bei gegenseitigen Besuchen mit dem Kurator fand ein reger Austausch darüber statt, wie man die Werke im Raum präsentieren kann. Auch mit dem Archiv Baselitz gab es einen intensiven Dialog, der wirklich sehr spannend für uns war.
Zum Aufbau der Ausstellung kam Georg Baselitz dann auch persönlich ins Museum. Für ihn war es ein spezieller Moment, auf seine 60 Jahre umfassende Schaffenszeit zurückzublicken. Einige Werke hatte er selbst seit den 1960er Jahren nicht mehr gesehen. Ich glaube es war spannend für ihn, diesen Werken nun wieder zu begegnen.“
Das Hirshhorn Museum wird die Baselitz-Ausstellung von Juni bis September 2018 zeigen, nach dem Ende der Ausstellung in der Fondation Beyeler. Welchen organisatorischen Aufwand bedeutet dieser „Ausstellungsumzug“ für beide Häuser?
Nadine Koller: „Man steht in ständigem Austausch. Die Ausstellungen werden nicht ganz gleich sein, denn die Räumlichkeiten der Fondation Beyeler unterscheiden sich von den Räumlichkeiten in Washington. Dort wird es mehr Platz geben, was es ihnen ermöglicht, mehr Werke dazu zu nehmen. Man muss auch berücksichtigen, dass nicht alle Leihgaben für beide Stationen der Ausstellung zugesagt wurden. Daher gibt es auch Unterschiede in der Werkauswahl bei beiden Ausstellungen.“
Parallel zur Ausstellung in der Fondation Beyeler präsentiert das Kunstmuseum Basel „Werke auf Papier“ von Georg Baselitz. Kann man hier, ergänzend zur Zusammenarbeit mit dem Hirshhorn Museum, sogar von einer Kooperation dreier Museen sprechen?
Nadine Koller: „Die Fondation Beyeler arbeitet schon seit langem regelmäßig mit dem Kunstmuseum Basel zusammen. Aber die Baselitz-Ausstellung ist das erste Mal, dass diese Kooperation öffentlich sichtbar wird. Es bietet sich jetzt die einmalige Möglichkeit, dass man ein umfangreiches Baselitz-Erlebnis in Basel hat. Das Kunstmuseum zeigt seine Zeichnungen und diese Ausstellung ist ebenfalls retrospektiv angelegt. Das ergänzt sich zur Retrospektive der Werke in der Fondation Beyeler ganz wunderbar.
Die Malerei ist sicher für Baselitz das Medium Nummer eins. Aber er ist eben auch Bildhauer und Grafiker. Durch die beiden parallel stattfindenden Ausstellungen versteht man diesen Menschen, diesen Künstler, noch besser. Man kann so nachvollziehen, wie er mit Ideen umgeht, wie er sie auf Papier bringt, wie seine Strichführung ist. Man bekommt einen umfassenden Einblick in sein Handwerk.“
Die beiden Ausstellungen ermöglichen es, Baselitz in seinem künstlerischen Schaffen umfangreich kennenzulernen. Neben seinem Werk als Künstler bringt Baselitz sich aber immer wieder auch gerne kontrovers als Person in den öffentlichen Diskurs ein. Wie geht man als Museum damit um?
Nadine Koller: „Das Medieninteresse, vor allem zum 80. Geburtstag von Baselitz, war enorm. Und grundsätzlich ist es gut, wenn Debatten angestoßen werden, insofern sie die Kunst in den Fokus rücken. Man sollte dabei aber nicht vergessen, dass es eigentlich um die Kunst geht – und die sollte bei Georg Baselitz als Künstlerpersönlichkeit im Vordergrund stehen. Man kann den Menschen aber nicht von seiner Kunst trennen. Gerade bei Baselitz braucht es seine Biografie, um seine Kunst zu verstehen. Seine Herkunft, seine Themen – das spiegelt sich in seinem Werk.“
Vielen Dank für das Interview.
Baselitz / Georg Baselitz. Werke auf Papier
Fondation Beyeler
21.01. – 29.04.2018
Kunstmuseum Basel
21.01. – 29.04.2018
musermeku dankt der Fondation Beyeler und dem Kunstmuseum Basel für die Einladung zum Besuch des Museums und für die Übernahme der Kosten der Reise.
Header-Bild: Angelika Schoder – Fondation Beyeler 2018
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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