Multimedialer Dialog: Bacon – Giacometti

In der Fondation Beyeler treffen Alberto Giacometti und Francis Bacon erstmals in der Ausstellung „Bacon – Giacometti“ aufeinander.

In der Fondation Beyeler treffen Alberto Giacometti und Francis Bacon erstmals in der Ausstellung "Bacon - Giacometti" aufeinander.

[Pressereise] Auf der einen Seite der Schweizer Bildhauer, der die menschliche Gestalt zu fragilen Bronzeskulpturen verzerrte – auf der anderen Seite der Britische Maler, der seine Protagonisten in engen Raumkonzepten deformierte: Alberto Giacometti und Francis Bacon treffen erstmals in der Fondation Beyeler in einer umfangreichen Ausstellung aufeinander. Raum für Raum treten ihre Werke hier in einen Dialog. Dabei stehen sich in der Ausstellung „Bacon – Giacometti“ nicht nur Skulpturen und Gemälde gegenüber, sondern auch die Arbeitsräume beider Künstler als multimediale Projektionen.


Begegnung zweier Künstler

Das Werk Alberto Giacomettis (1901 – 1966) scheint nach Vergleichen mit anderen Künstlern geradezu zu drängen. Wie sonst lässt es sich erklären, dass in den letzten Jahren besonders die Skulpturen des Schweizers immer wieder in Dialog treten sollten – etwa mit Bruce Nauman in der Frankfurter Schirn (28.10.2016 – 22.01.2017), mit Pablo Picasso im Pariser Musée Picasso (04.10.2016 – 05.02.2017) oder aktuell mit Ferdinand Hodler im Kunstmuseum Winterthur (21.4. – 19.8.2018). Die Fondation Beyeler setzt jetzt diesen Dialog der Künstler mit Francis Bacon (1909 – 1992) fort. Bereits in der Vergangenheit trafen in den Sammlungspräsentationen Werke der beiden Künstler vereinzelt aufeinander. Zur Sammlung Beyeler gehören etwa Giacomettis komplette Figurengruppe für die Chase Manhattan Plaza mit „Homme qui marche II“ (1960) und Bacons Triptychon „In Memory of George Dyer“ (1971) sowie „Lying Figure“ (1969). Nun erweitert die Fondation Beyeler diesen Dialog und stellt rund 100 Arbeiten in der Ausstellung „Bacon – Giacometti“ einander gegenüber. Kreative Verbindungen, aber auch die Unterschiede der beiden Künstler treten so intensiv zum Vorschein.

Sowohl Giacometti als auch Bacon nutzten Deformation und Verzerrung, um das Wesen ihrer Modelle hervorzuarbeiten. Während der eine versuchte, die Anwesenheit einer individuellen Person in seinem Werk zu beseitigen, setzte der andere stattdessen das Mittel der Unschärfe ein. Neben vielen konzeptionellen und thematischen Parallelen bietet die Ausstellung in der Fondation Beyeler gleichzeitig aber auch eine Konfrontation der beiden so unterschiedlichen Künstler. Spannend ist, dass sich Bacon und Giacometti gut kannten. Sie trafen sich erstmals in den frühen 1960er Jahren, einander vorgestellt wurden sie wahrscheinlich von der britischen Malerin Isabel Rawsthorne. Sie war Giacomettis und angeblich auch Bacons (einzige weibliche) Geliebte und inspirierte beide Künstler zu verschiedenen Werken. Allein Bacon schuf zwischen 1964 und 1970 insgesamt 14 Bilder von ihr, davon fünf Triptycha.


Zwei Wahrnehmungen einer Persönlichkeit

Bacon hatte Rawsthorne bereits in den späten 1940er-Jahren in London kennengelernt. Ihre außergewöhnliche Persönlichkeit, aber auch ihr markantes Äußeres, inspirierte ihn zu mehreren Porträts, u.a. „Three Studies for Portrait of Isabel Rawsthorne“ (1965). Bacon schuf hier einen Triptychon mit zwei rahmenden Porträts im Halbprofil und einer zentralen Ansicht. Die befreundete Malerin erscheint in ihrem Äußeren verzerrt und deformiert – Bacon ging es um den Ausdruck ihres willensstarken Wesens.

Giacometti hatte in seinem Werk „Femme au chariot“ (um 1945) die Künstlerin bereits zwanzig Jahre zuvor festgehalten. Es war eine Erinnerung daran, wie er sie in Paris auf dem Boulevard Saint-Michel von Weitem gesehen hatte. Fast lebensgroß ist Giacomettis Skulptur von der in die Ferne blickenden Rawsthorne. Die Skulptur markiert einen wichtigen Wendepunkt in Giacomettis Werk hin zu seinen grazilen, hohen Figuren der Nachkriegszeit. Zuvor schuf Giacometti noch sehr viel kleinere Skulpturen, die über die Zeit sogar immer winziger geworden waren.


Die Ateliers von Alberto Giacometti und Francis Bacon

Organisiert wurde die Ausstellung von Ulf Küster für die Fondation Beyeler, in Kooperation mit der Direktorin der Fondation Giacometti, Catherine Grenier, und dem Bacon-Experten Michael Peppiatt. Ihnen war es wichtig, nicht nur die Arbeiten der beiden Künstler gegenüberzustellen, sondern auch ihre Arbeitsweise. Sowohl Giacometti als auch Bacon arbeiteten nämlich beide inmitten großer Unordnung und regelrechtem Chaos in sehr beengten und überfüllten Ateliers. Aus diesem Grund ermöglicht die Ausstellung auch einen Blick in die beiden Zentren des künstlerischen Schaffens. Mittels multimedialer Projektionen in Originalgröße macht die Fondation Beyeler das Arbeitsumfeld der Künstler für Museumsbesucher erfahrbar.

Im eigens für die Ausstellung entwickelten Multimediaraum werden anhand historischer Fotografien die Ateliers der beiden Künstler rekonstruiert. Die zwei raumfüllenden Projektionen sind mit den Stimmen Bacons und Giacomettis unterlegt, die über ihre Arbeit und ihre Arbeitsumgebungen sprechen. Giacomettis Tonspur stammt von Archivaufnahmen, die Regisseur Jean-Marie Drot für seine Dokumentation „Un homme parmi les hommes: Alberto Giacometti“ (1963) genutzt hatte. Bacons Kommentare sind zum einen aus der BBC-Produktion „Francis Bacon: Fragments of a Portrait“ (1966) entnommen, sowie aus der ITV-Sendung „The South Bank Show – Francis Bacon“ (1985).


Einblicke in Giacomettis Räumlichkeiten

Alberto Giacometti empfing in seinem Pariser Atelier in der Rue Hippolyte-Maindron 1926, in dem er rund 40 Jahre lang bis kurz vor seinem Tod arbeitete, unzählige Persönlichkeiten wie Jean Paul-Sartre, Michel Leiris oder Marlene Dietrich. Die Fondation Beyeler zeigt in der Ausstellung 37 Fotografien aus verschiedenen Jahrzehnten, aufgenommen von Fotografen wie René Burri, Sabine Weiss, Robert Doisneau oder Ernst Scheidegger. Zu sehen sind hier nicht nur die Räumlichkeiten, sondern auch Giacomettis Modelle, etwa der japanische Philosophieprofessor Isaku Yanaihara, Giacomettis Galerist Pierre Matisse, aber auch seine Frau Annette.

Die multimediale Projektion des Ateliers in schwarz/weiß erfolgt auf einer Leinwand, auf der sich in einer Art Zeitraffer-Kaleidoskop die Fotografien aus verschiedenen Jahren überlagern und ineinander blenden. Direkt gegenüber zu Giacometti, im gleichen Raum, befindet sich die Atelier-Projektion zu Francis Bacon. Beide Projektionen werden abwechselnd gezeigt.


Bacons gestapeltes Chaos

Francis Bacon hatte fast niemandem Zutritt zu seinem kleinen und chaotischen Atelier in den Reece Mews Nr. 7 im Londoner Stadtteil South Kensington gewährt. Der kleine Raum über einem einstigen Pferdestall, der nur über ein kleines Dachfenster verfügte, wurde von Bacon etwa 30 Jahre lang genutzt. Hier stapelten sich fast wie bei einem Messy zahllose Zeitungen, Büchern, zerknüllte und zerrissene Fotografien, ausgeschnittenen Bilder und Arbeitsmaterialien. Verteilte Bilder dienten Bacon dabei als Vorlage und Inspiration für seine Gemälde.

Die 4,80 m x 8,90 m große Projektionsfläche in der Fondation Beyeler entspricht dabei der Originalgröße der Londoner Räumlichkeit von Bacon. Das Museum zeigt 15 farbige Aufnahmen, die der Fotograf Perry Ogden kurz nach dem Tod Bacons angefertigt hatte. Diese Fotos werden auf den Atelier-Grundriss auf den Boden des Museums projiziert als eine Art schwindelerregendes, schwimmendes Bildermeer. Einen ähnlichen Eindruck von Schwindel könnte übrigens auch Francis Bacon selbst von seinem Atelier gehabt haben, wie Kurator Ulf Küster bei einer Führung betont. Bacon habe nämlich durchaus häufiger angetrunken gearbeitet – möglich, dass sein Atelier so auch für ihn ein bisschen verschwamm und sich drehte.


Der Begleitband zur Ausstellung „Bacon – Giacometti“, herausgegeben von Catherine Grenier, Ulf Küster und Michael Peppiatt für die Fondation Beyeler, ist 2018 im Hatje Cantz Verlag erschienen (ISBN: 978-3-906053-47-9). Der Band enthält Werkabbildungen, Kurzbiografien und Texte u.a. von Ulf Küster, Catherine Grenier, Michael Peppiatt, Hugo Daniel und Sylvie Felber.


Bacon – Giacometti

Fondation Beyeler
29.04. – 02.09.2018

musermeku dankt der Fondation Beyeler für die Einladung zum Besuch des Museums und für die Übernahme der Kosten der Reise.


Bilder: Angelika Schoder – Fondation Beyeler, 2018


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Angelika Schoder

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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