Crossing Borders: Reisende Künstlerinnen im 19. Jahrhundert

Eine Ausstellung im Ateneum Art Museum in Helsinki bietet die Möglichkeit, zahlreiche Künstlerinnen des 19. Jahrhunderts aus den nordischen und baltischen Ländern sowie aus Polen und Deutschland neu zu entdecken.

Die Ausstellung "Crossing Borders" im Ateneum in Helsinki bietet die Möglichkeit, viele Künstlerinnen des 19. Jahrhunderts neu zu entdecken.

[Ausstellung] Im 19. Jahrhundert war es für Frauen nicht einfach, professionell künstlerisch tätig zu sein. Um gut ausgebildet zu werden, mussten sie reisen – und zwar in Städte wie Berlin, München, Dresden oder Düsseldorf. Die Ausstellung „Crossing Borders“ im Ateneum Art Museum in Helsinki widmet sich nun erstmals 55 Frauen, die trotz vieler Hindernisse ihren Weg als Künstlerinnen gegangen sind und dafür aus den nordischen und baltischen Ländern sowie aus Polen nach Deutschland reisten. Die Ausstellung zeigt rund 200 Gemälde, Skulpturen und Zeichnungen von Künstlerinnen wie Fanny Churberg, Ida Silfverberg und Victoria Åberg aus Finnland, aber auch von Frauen aus anderen Ländern, etwa Jeanna Bauck, Emmy Lischke oder Elisabeth Jerichau-Baumann. Viele der in der Ausstellung präsenten Künstlerinnen waren bisher kaum bekannt, ihre Werke wurden teils noch nie gezeigt.


Im 19. Jahrhundert mussten sich Künstlerinnen oft auf "angemessene" Themen beschränken wie religiöse Motive, Szenen aus dem Familienleben oder Porträts.
Im 19. Jahrhundert mussten sich Künstlerinnen oft auf „angemessene“ Themen beschränken wie religiöse Motive, Szenen aus dem Familienleben oder Porträts.

Der schwierige Weg zur Kunst-Karriere

Um 1800 war eine professionelle künstlerische Ausbildung für Frauen in Europa stark eingeschränkt und in der Regel nur Angehörigen der Oberschicht zugänglich. Frauen aus unteren sozialen Schichten waren weitgehend vom Kunstbetrieb ausgeschlossen und konnten höchstens in politischen Bewegungen wie der Arbeiterbewegung aktiv werden. Auch adlige Frauen hatten oft nur begrenzten Zugang zu formaler Ausbildung und wurden vor allem als Dilettantinnen betrachtet. Statt eines ernsthaften Kunststudiums waren für Frauen im 19. Jahrhundert Hobbys wie Zeichnen, Musik, Handarbeiten oder Tanz gesellschaftlich vorgesehen.

Da Frauen von den staatlichen Kunstakademien weitgehend ausgeschlossen waren, suchten sie alternative Ausbildungswege, etwa als Privatschülerinnen bei etablierten männlichen Künstlern. Während einige Lehrer sich aus Überzeugung der Förderung weiblicher Talente widmeten, war die Motivation anderer eher wirtschaftlicher Natur. Als Motive zugelassen waren meist nur als „angemessen“ geltende Bildthemen wie Stillleben, Blumenstücke, Porträts oder Landschaften. Landschaftsmalerei stellte jedoch aufgrund der erforderlichen Reisen eine zusätzliche Herausforderung für die Frauen dar, die zu der Zeit im Prinzip nicht allein reisen durften. Noch schwieriger war das Thema der Aktmalerei, damals ein zentraler Bestandteil einer akademischen künstlerischen Ausbildung. Da die Anwesenheit in gemischten Klassen als „störend“ galt, blieb Frauen der Zugang zu Aktmodellen fast vollständig verwehrt. Erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts öffneten einzelne Institutionen, wie in St. Petersburg oder London, auch Frauen den Zugang zu Aktmodellen.

Eine besondere Rolle in der Ausbildung von Künstlerinnen in Europa kam Deutschland zu. Die deutsche Kultur und Bildungslandschaft hatte über Jahrhunderte einen tiefgreifenden Einfluss auf die nordischen und baltischen Länder. Politische Umwälzungen wie der Deutsch-Französische Krieg oder die Weltkriege führten jedoch dazu, dass dieser Einfluss in der Forschung lange vernachlässigt wurde. Erst seit der Wiedervereinigung Deutschlands wird die Rolle deutscher Kunststädte für die Professionalisierung von europäischen Künstlerinnen wieder verstärkt untersucht – ein Ergebnis dieser Forschung ist nun die Ausstellung „Crossing Borders“.


Die Ausstellung zeigt auch zeitgenössische Kleider, die einen Eindruck davon vermitteln, wie die Künstlerinnen im 19. Jahrhundert arbeiten mussten.
Die Ausstellung zeigt auch zeitgenössische Kleider, die einen Eindruck davon vermitteln, wie die Künstlerinnen im 19. Jahrhundert arbeiten mussten.

Deutschland als Reiseziel für werdende Künstlerinnen

Im 19. Jahrhundert waren deutsche Kunstzentren wie Dresden, Düsseldorf, München, Karlsruhe und Berlin von zentraler Bedeutung für die Ausbildung zahlreicher Künstlerinnen aus dem Norden, dem Baltikum und Polen. Während Paris gegen Ende des Jahrhunderts als Kunstmetropole zunehmend in den Fokus rückte, wurde die Rolle deutscher Städte in der kunsthistorischen Forschung lange unterschätzt, insbesondere im Hinblick auf europäische Künstlerinnen.

Dresden war bereits um 1800 ein beliebtes Reiseziel auf der klassischen Bildungsreise durch Europa. Neben seinen Kunstsammlungen und seiner renommierten Kunstakademie zog die Stadt auch Künstlerinnen an. Die deutsche Malerin Caroline Bardua war dort ebenso tätig wie die Schwedin Evelina Stading, die 1824 Dresden besuchte und anschließend nach Italien weiterreiste. Eine zentrale Figur dieser frühen Phase war Matilda Rotkirch aus Finnland, die 1840/41 eine ausgedehnte Studienreise durch Europa unternahm. Ihre Reisetagebücher und Skizzen dokumentieren intensive Auseinandersetzungen mit Kunst und Landschaft. Die finnische Illustratorin Hilda Olson hielt sich etwa 20 Jahre später in Dresden auf. Sie begleitete den Naturforscher Alexander von Nordmann auf dem Weg zur Krim und fertigte über 300 wissenschaftliche Zeichnungen an, eine Pionierleistung in der naturwissenschaftlichen Illustration.

Auch Düsseldorf wurde ab den 1840er Jahren zu einem zentralen Ausbildungsort für Künstlerinnen aus Skandinavien. Zu den ersten gehörten Aasta Hansteen, Hedvig Erichsen und Christiane Schreiber. In den folgenden Jahrzehnten kamen zahlreiche weitere Malerinnen hinzu, darunter Amalia Lindegren, Jeanna Bauck und Elisabeth Jerichau-Baumann. Letztere erlangte große Bekanntheit und erhielt sogar Aufträge von königlichen Häusern, ein damals seltenes Privileg für eine Frau. Düsseldorf war zudem ein wichtiger Ausgangspunkt für spätere Studienaufenthalte in München, Berlin oder Paris. Auch finnische Künstlerinnen wie Augusta Soldan, Alexandra Frosterus-Såltin, Victoria Åberg und Fanny Churberg studierten in Düsseldorf. Viele von ihnen mussten sich zwischen künstlerischer Karriere und Familienleben entscheiden. Während einige, wie Jerichau-Baumann oder Frosterus, ihre Arbeit trotz Ehe fortsetzten, gaben viele andere ihre Laufbahn bei einer Heirat auf. Die Unterstützung durch Ehepartner spielte dabei eine zentrale Rolle, so förderte etwa der Kunsthistoriker Lorentz Dietrichson die Karriere seiner Frau Mathilde Bonnevie-Dietrichson.

Ebenfalls vergleichsweise gute Bedingungen für Künstlerinnen bot Karlsruhe, insbesondere unter dem Einfluss des norwegischen Landschaftsmalers Hans Gude. Kitty L. Kielland war eine der bekanntesten nordischen Künstlerinnen, die dort in den 1870er Jahren studierte. In einem Brief schilderte sie, wie sie gemeinsam mit anderen Künstlerinnen in einen Malkurs mit Aktmodell eintrat, ein bemerkenswerter Vorgang angesichts der damals noch weit verbreiteten Zugangsbeschränkungen für Frauen in der Kunstausbildung.

München entwickelte sich vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem internationalen Zentrum der Historienmalerei, zog aber auch viele Porträtmalerinnen an. Der 1882 gegründete Künstlerinnen-Verein München e.V. richtete eine eigene Kunstschule für Frauen ein. Künstlerinnen wie Jeanna Bauck, Bertha Wegmann, Harriet Backer oder Asta Norregaard bildeten hier Netzwerke und unterstützten sich gegenseitig. Einige lebten in Ateliergemeinschaften oder sogar in engen Partnerschaften, deren genauer Charakter sich heute aber nur schwer rekonstruieren lässt, nicht zuletzt aufgrund gesellschaftlicher Tabus gegenüber gleichgeschlechtlichen Beziehungen.

In Berlin gründeten Künstlerinnen, als Reaktion auf strukturellen Ausschlüsse in der Kunstszene, 1867 den Verein der Berliner Künstlerinnen, um gezielt Frauen zu fördern. Der Verein bot Ausstellungen, Unterricht, Stipendien, Reisekostenzuschüsse und eine eigene Pensionskasse. 1868 wurde eine eigene Kunstschule ins Leben gerufen, deren Lehrpläne sich an denen staatlicher Akademien orientierten. Zu ihren bekannten Absolventinnen zählten Käthe Kollwitz und Paula Modersohn-Becker. Trotz der rechtlichen Einschränkungen für Frauen setzte der Verein Maßstäbe in der Institutionalisierung weiblicher Kunstförderung und war Vorbild für weitere Vereinigungen. Er trug wesentlich zur Professionalisierung von Künstlerinnen im Deutschen Kaiserreich bei, in einer Zeit, in der weibliche Erwerbstätigkeit noch als sozialer Abstieg galt.


Neben Zeichnungen und Gemälden sind in der Ausstellung auch Skulpturen zu sehen.
Neben Zeichnungen und Gemälden sind in der Ausstellung auch Skulpturen zu sehen, die von den Künstlerinnen oft nur in Gips umgesetzt werden konnten, da das Gießen in Bronze für viele zu teuer war.

Die Neuentdeckung vieler Künstlerinnen

Die Ausstellung „Crossing Borders“ erzählt die Geschichten von 55 Künstlerinnen aus dem Norden Europas, dem Baltikum, Polen und Deutschland, die im 19. Jahrhundert ihren Weg in die professionelle Kunstwelt suchten. Beleuchtet werden dabei ihre Hintergründe und Schaffensbedingungen: Da Frauen an Kunstakademien lange Zeit nicht mit Männern gemeinsam studieren durften, mussten sie auf private Unterrichtsangebote ausweichen, eigene Ateliers mieten und ihre Modelle selbst organisieren. Viele spezialisierten sich daher auf Porträts, meist von Frauen oder Kindern. Doch einige Künstlerinnen porträtierten auch ihre Väter, Brüder, Ehemänner oder berühmte Persönlichkeiten.

Thematisch waren die Künstlerinnen oft auf „angemessen keusche“ Inhalte beschränkt: religiöse Motive, Szenen aus dem Familienleben oder sentimentale Darstellungen von Trauer und Trost. In Zeiten des Krieges durften sie keine Schlachten malen, so widmeten sich einige dem Leid der Zurückgebliebenen. Doch nicht nur thematisch wurden die Künstlerinnen eingeschränkt, auch das von ihnen erwartete Erscheinungsbild wurde zum Hindernis: Enge Korsetts und schwere Röcke behinderten die Bewegungsfreiheit beim Arbeiten, Reisen oder Landschaftsmalen erheblich. Die Ausstellung zeigt hier zeitgenössische Kleider, die einen Eindruck davon vermitteln, wie die Künstlerinnen im 19. Jahrhundert arbeiten mussten.

Für ihre künstlerische Ausbildung mussten Frauen im 19. Jahrhundert nach Dresden, Düsseldorf, München oder Karlsruhe reisen, wo sie studierten und sich vernetzten. Ein besonderer Fokus der Ausstellung liegt auf diesen Ausbildungsstätten. Auch die Umstände der Reisen werden beleuchtet, so war das Reisen für alleinstehende Frauen verpönt, häufig mussten sie von Verwandten oder älteren Frauen begleitet werden. Nur wenige, wie Elisabeth Jerichau-Baumann, wagten es, erst im fortgeschrittenen Alter allein zu reisen. Ihre Reisen führten manche sogar bis in den Nahen Osten oder nach Ägypten.

Neben zahlreichen Stilleben und Malereien nordischer Landschaften und italienischer Szenen zeigt die Ausstellung auch Skulpturen. Die Bildhauerei war ein Feld, das das lange als rein männlich galt. Auch wenn im 19. Jahrhundert auch Künstlerinnen Skulpturen schufen, konnten sie ihre Werke oft nur in Gips realisieren, da das Gießen in Bronze zu teuer war. Dennoch schufen sie eindrucksvolle Porträts berühmter Zeitgenossen, von Opernsängern bis zu Komponisten, und wurden teilweise sogar von Porzellanfabriken für Entwürfe engagiert. Andere Künstlerinnen schufen wissenschaftliche Illustrationen wie botanische oder zoologische Studien, etwa von Spinnen und Pflanzen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt in der Ausstellung auf den Zeichnungen der ersten wissenschaftlichen Illustratorin Finnlands, Hilda Olson.


Crossing Borders. Travelling Women Artists in the 1800s

07.03.-24.08.2025
Ateneum Art Museum, Helsinki

Im Anschluss an die Ausstellung in Ateneum in Helsinki werden einige der Werke im Kunstpalast in Düsseldorf in der Ausstellung „Künstlerinnen! Von Monjé bis Münter“ (25.09.2025-01.02.2026) zu sehen sein. Die Ausstellung widmet sich 30 Künstlerinnen, die im 19. Jahrhundert in Düsseldorf ausgebildet wurden.

Header-Bild: Angelika Schoder – Crossing Borders, Ateneum Art Museum, Helsinki 2025


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Angelika Schoder

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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