[Ausstellung] Was im ersten Obergeschoss der Kunsthalle Bremen in Raum 30 gezeigt wird, ist eigentlich ein knapp 21-minütiger Film. Das Werk der Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist (*1962) ist allerdings nicht auf einer Leinwand oder auf einem Bildschirm zu sehen, sondern in einer dreidimensionalen, immersiven Installation. Der Name „Pixelwald Wisera“ gibt dabei einen Hinweis darauf, was die Idee dieser Präsentation ist: Wer sich in das Kunstwerk hinein begibt, findet sich in einem dunklen Raum wieder, umgeben von Klang und leuchtenden Kristallgebilden – eine Art Wald aus analogen Pixeln. Ergänzt wird der Name „Pixelwald“ durch den althochdeutschen Begriff „Wisera“, der für den Fluss Weser steht und damit auf die Stadt Bremen verweist, den ersten Standort eines Pixelwaldes in Deutschland.
„Der Pixelwald soll eine Erholung von unserer hochtechnologisierten Welt sein, in der uns Bildschirme tendenziell eher trennen.“ [1]
Pipilotti Rist
Ein Wald aus 3.000 Lichtern
Seit Februar 2025 wurde ein Raum in der Dauerausstellung der Kunsthalle Bremen von Pipilotti Rist in einen magischen, leuchtenden Ort verwandelt. Der „Pixelwald“, der neben informeller Malerei, Skulpturen und Kunst der Zero-Bewegung platziert ist, bietet nicht nur ein visuelles Erlebnis, sondern spricht auch das Gehör und die Vorstellungskraft an. Es ist eine immersive Einladung, in eine andere Welt einzutauchen und diese mit allen Sinnen zu erkunden.
„Pixelwald Wisera“ wurde eigens für die Kunsthalle Bremen geschaffen und knüpft an eine langjährige Verbindung mit der Künstlerin an. Bereits 2011 hatte Pipilotti Rist hier ihre farbenfroh-meditative Audio-Video-Installation „Bremer Lungenflügel“ gezeigt. Nun ist hier ein „Pixelwald“ zu sehen, als bisher einziges deutsches Exemplar. Weitere dieser Installationen finden sich im National Museum of Qatar, im Kunsthaus Zürich, im Ekebergparken in Oslo und im Museum of Fine Arts in Houston.
Auf den ersten Blick wirkt die Installation wie ein Zauberwald. Von der Decke hängen hier fast 3.000 kleine Leuchtkörper an 460 Ketten herab, die über 3.500 Kabel verbunden sind. Jedes der leuchtenden Objekte besteht dabei aus mehreren LEDs und ist von einer handgefertigten Hülle umgeben, die an Kristalle oder Stalaktiten erinnert. Diese leuchtenden Elemente sind jedoch keine einfachen Lichter, sie sind Bausteine eines dreidimensionalen Videos, also genau genommen Pixel. Anders als bei einem Fernseher oder Computerbildschirm sind diese Pixel allerdings im ganzen Raum vertikal und horizontal in alle Richtungen verteilt. Es ist, als wäre ein Bildschirm in tausende Stücke zerfallen und diese Stücke schweben nun frei durch den Ausstellungsraum.
Die auf den „Pixeln“ gezeigten Videos sind verschiedene Kamerafahrten durch Landschaften oder Detailaufnahmen, die mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und Schärfegrad gefilmt wurden. „Je unschärfer das Bild beispielsweise umso weicher, pulsierender das Licht in der Installation, je schärfer, desto hektischer“, erklärt die Künstlerin im Interview mit der Kuratorin Eva Fischer-Hausdorf. [1]
„Mir ist wichtig, dass Technik und Natur nicht als Gegenpol verstanden wird, sondern als Einheit. […] Ich möchte, dass Technik warm wirkt und auch den Respekt vor Technik ein bisschen wegnehmen.“ [1]
Pipilotti Rist
Eindrücke im flackernden Pixelwald
Anders als bei klassischen Video-Installationen gibt es im immersiven „Pixelwald Wisera“ keinen vorgegebenen Standpunkt, von dem aus man das Ganze betrachten sollte. Stattdessen wird man selbst Teil des Kunstwerks: Besuchende sind dazu eingeladen, sich durch das Licht wie durch ein lebendiges Bild zu bewegen. Dabei verändern sich die Eindrücke ständig, je nachdem wo man steht, wohin man schaut oder wie nah man den Lichtobjekten kommt. Nach nur kurzer Aufenthaltsdauer verliert man dabei völlig das Gefühl für den Raum und auch die Zeitdauer, die man hier verbringt.
Das Besondere an Pipilotti Rists Installation ist, dass die aus geschmolzenem thermoplastischen Granulat handgefertigten Leuchtobjekte darin nicht einfach nur die Farbe wechseln und blinken. Die kristallartigen Gebilde zeigen Fragmente eines Videos, das in Bewegung und Farbe auf vier verschiedene Musikstücke abgestimmt ist. Diese Musik erfüllt den Raum auf unterschiedliche Weise: mal ruhig und meditativ, mal voller Energie. Das Bild im Raum ist dabei so stark abstrahiert, dass man es nicht als Ganzes erkennen kann. Doch genau das ist von der Künstlerin so gewollt, denn es geht nicht um eine Geschichte, die man verstehen soll, sondern um das Gefühl, das beim Eintauchen entsteht.
Zudem ist der Künstlerin die Begegnung der Menschen in ihrer Installation wichtig, wie sie im Gespräch mit Kuratorin Eva Fischer-Hausdorf betont: Für Rist sind die Besuchenden im „Pixelwald“ die eigentlichen Akteure; die Dunkelheit der Installation soll ihnen dabei helfen, weniger Hemmungen zu haben, miteinander ins Gespräch zu kommen. Ihr Traum ist es, so Rist, dass im Pixelwald neue Freundschaften entstehen.
„Ich will den Menschen keine strikte Anweisung geben, wie sie sich bewegen, aber mein Wunsch wäre, dass sie sich gegenseitig wahrnehmen im Lichte der Pixel.“ [1]
Pipilotti Rist
Ein Erlebnis für die Sinne
Pipilotti Rists Arbeiten sind bekannt für ihre besondere Wirkung: Sie sind oft verspielt, manchmal überraschend. Der „Pixelwald“ in der Kunsthalle Bremen gehört zu einer Serie von Installationen, die die Künstlerin seit 2016 entwickelt. In ihnen löst sie das klassische Videobild auf und bringt es als leuchtende, bewegliche Skulptur in den Raum. Dabei entstehen Kunstwerke, die sowohl technisch raffiniert als auch emotional berührend sind. So wird auch im „Pixelwald Wisera“ das Videobild zu einem körperlichen Erlebnis. Es geht nicht nur darum, etwas zu sehen, sondern darum, mittendrin zu sein: ein immersives Erlebnis, das sich ein bisschen so anfühlen soll, als würde man sich durch ein Gehirn bewegen. Tatsächlich erinnern die an Fäden hängenden leuchtenden „Pixel“ in der Installation an Synapsen, also an die Verbindungen zwischen Nervenzellen, oder an die Muster, die man sieht, wenn man die Augen schließt: bunte, fließende Formen, die sich ständig verändern.
Die Idee zur Installation entstand aus dem Gedanken an das Erlebnis von Virtueller Realität, die man aber nur visuell und nicht physisch erkunden kann. Im „Pixelwald“ von Pipilotti Rist ist die digitale Welt real geworden, man kann sie betreten, berühren und sich frei darin bewegen. Gleichzeitig verschwimmen in dieser Arbeit die Grenzen zwischen Natur und Technologie, zwischen Körper und Bildschirm. Der leuchtende Wald wirkt künstlich und natürlich zugleich.
Ein anderer Aspekt, der für die Künstlerin wichtig ist, ist das gemeinsame Erleben: Pipilotti Rist wollte einen dreidimensionalen Raum schaffen, der zwar an ein virtuelles Erlebnis erinnert, bei dem man aber zusammen mit anderen Menschen zwischen den Pixeln hindurch wandeln kann. Rist lädt damit auch zum gemeinsamen Nachdenken und zum Austausch über die Installation an: Wo beginnt das Virtuelle und wo endet das Menschliche? Wie verändern digitale Bilder unsere Wahrnehmung? Und kann uns das Digitale auch ganz analog verbinden?
Pipilotti Rist. Pixelwald Wisera
Kunsthalle Bremen
seit 06.02.2025 in der Dauerausstellung
Header-Bild: Angelika Schoder, 2025
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
Fußnote
[1] Eva Fischer-Hausdorf: Pixelwald Wisera. Ein Interview mit Pipilotti Rist und Kaori Kuwabara, In: Blog der Kunsthalle Bremen, April 2025
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