[Pressereise] Hört man den Namen Marc Chagall, denkt man vielleicht nicht unbedingt an Basel. Tatsächlich verbindet die Stadt und den Künstler eine lange Geschichte. Im Jahr 1933 wurde hier erstmals eine große Chagall-Retrospektive gezeigt. Und als das Kunstmuseum Basel Ende der 1930er Jahre damit begann, seine Sammlung zur Moderne aufzubauen, gehört Chagall mit zu den ersten Kunstschaffenden, dessen Werke angekauft wurden. Über die Jahre kamen zahlreiche weitere seiner Arbeiten in die Sammlung. Diese Gemälde und Grafiken sind nun, zusammen mit Fotografien und Dokumenten aus dem Archiv der Stiftung Im Obersteg, in der Ausstellung „Ich hätte gerne einen typischen Chagall“ zu sehen. Das Kunstmuseum Basel beleuchtet hier die entscheidende Rolle, die private Mäzene und Sammler für den frühen Erfolg von Marc Chagall hatten.
Die frühe Förderung von Chagall
Das Werk von Marc Chagall (1887–1985) war, wie die Ausstellung des Kunstmuseum Basel zeigt, aus vielen verschiedenen Blickwinkeln für Kunstsammler interessant. Er war in drei Kulturen zuhause, die nicht nur sein Leben, sondern auch seine künstlerische Arbeit prägten: zum einen war es die spirituelle Welt des osteuropäischen Judentums; dann war es der Einfluss der Kunst des vorrevolutionären und revolutionären Russlands; schließlich war es auch die Kunst der Moderne in Frankreich.
Mit zu den frühesten Förderern von Marc Chagall gehörte der Berliner Kunsthändler Herwarth Walden, den Chagall 1913 in Paris über den Dichter Apollinaire kennenlernte. Obwohl Walden die Arbeiten des Künstlers zu dem Zeitpunkt noch nie gesehen hatte, lud er ihn direkt ein, an dem von ihm geplanten ersten Herbstsalon in Berlin teilzunehmen, bei dem er der Öffentlichkeit neue avantgardistische Kunst präsentieren wollte. Von den drei Werken, die Chagall in seiner Ausstellung zeigte, war Walden so begeistert, dass er im Folgejahr die erste monografische Ausstellung Chagalls in seiner Galerie Der Sturm organisierte. Zu diesem Zeitpunkt war es die größte Ausstellung von Chagalls Arbeiten in Westeuropa mit 34 Gemälden und diversen Grafiken. Auch in der gleichnamigen Zeitschrift präsentierte Walden Bilder des Künstlers.
Noch im selben Jahr, kurz nach der großen Ausstellung in Berlin, reiste Chagall nach Witebsk in seine russische Heimat, wo seine sogenannten Juden-Bilder entstanden. Das Kunstmuseum Basel zeigt in seiner Ausstellung hier die drei Werke „Der Jude in Grün“, „Der Jude in Rot“ und „Der Jude in Schwarz-Weiß“. Als Motive für die Gemälde, die er aus Geldnot statt auf teurer Leinwand auf günstigem Karton malen musste, dienten ihm Personen und Eindrücke aus dem familiären und jüdischen Umfeld in Witebsk.
Ein Platz in privaten Sammlungen
Schon frühzeitig erhielt Marc Chagall in politisch schwierigen Zeiten finanzielle Unterstützung durch private Unterstützer und Projekte, die sein künstlerisches Werk förderten und einem weiten Publikum bekannt machten. Die Beweggründe seitens der Sammlerinnen und Sammler waren dabei durchaus divers: Es gab Kunstsammler, die allgemein Werke der zeitgenössischen russischen Kunst sammelten, dann gab es jene, die sich für die avantgardistisch anmutende Formensprache des Künstlers begeisterten, und es gab auch Interessenten, die sich besonders für Chagalls Werke mit Motiven zur jüdischen Kultur interessierten.
Zur letzten Gruppe zählte der Wissenschaftler und Mäzen Yakov Kagan-Chapchay, den Chagall 1916 in Moskau kennenlernte. Der russisch-jüdischen Sammler zählte zu den ersten Käufern von Werken des Künstlers. Im Umfeld von Kagan-Chapchay fanden sich zu der Zeit mehrere Kulturschaffende zum sogenannten Kreis für jüdisch-nationale Ästhetik Shomir zusammen. Ziel war es, die jüdische Kunst und Kultur in Russland zu stärken. Kagan-Chapchay initiierte und finanzierte viele Projekte zur jüdischen Kultur, unter anderem plante er ein Museum für jüdische Kunst in Moskau, für das er von Chagall etwa 30 Werke ankaufte. Als 1922 die Sowjetunion gegründet wurde und sich das politische Klima im Land verschlechterte, zog Chagall mit seiner Frau und Tochter nach Berlin. Kagan-Chapchay unterstützte ihn auch hier finanziell und ermöglichte es ihm, die Bilder aus seinem Besitz mitzunehmen, um sie dort auszustellen und zum Verkauf anzubieten. Zudem begann Chagall in Berlin druckgrafische Arbeiten anzufertigen. Im Kupferstichkabinett des Kunstmuseums Basel befinden sich heute insgesamt fünf Blätter aus dieser Zeit.
Im Jahr 1923 zog Chagall mit seiner Familie weiter nach Paris. Hier begann er Repliken von seinen verloren gegangenen Bildern anzufertigen, entdeckte aber auch neue Motive für sich, etwa die Welt des Zirkus. Sein Werk „Die Akrobatin“ von 1927 erregte die Aufmerksamkeit des Basler Sammlerpaars Maja und Emanuel Hoffmann-Stehlin. Die beiden kaufen das Bild und da sich besonders Maja Hoffmann-Stehlin für die avantgardistische Bildsprache Chagalls begeisterte, kaufte sie in den 1930er-Jahren noch weitere Werke von ihm. Als die erste große Chagall-Retrospektive 1933 in der Kunsthalle Basel stattfand, lernten sich Sammlerin und Künstler dann auch persönlich kennen.
Die Retrospektive in Basel war durch die Anregung des Sammlers Karl Im Obersteg organisiert worden, der Vorstandsmitglied im Basler Kunstverein war. Er sammelte zeitgenössische russische Kunst, wodurch er auch auf Chagall aufmerksam geworden war. Eigentlich wollte Karl Im Obersteg den Künstler dazu bewegen, sich an seiner geplanten Ausstellung russischer Kunst zu beteiligen, doch Chagall schlug statt dessen eine Einzelausstellung mit 120 bis 150 Werken vor. Wilhelm Barth, der Direktor der Kunsthalle Basel, war direkt begeistert von der Idee und ermöglichte die Umsetzung der Ausstellung. Dies war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft zwischen Chagall und dem Sammler Im Obersteg.
„Ich bin eben daran, meine Bilder etwas umzuhängen und hätte vor allem gerne einen typischen Chagall in meinem Wohnzimmer gegenüber dem Picasso.“
Brief von Karl Im Obersteg an Marc Chagall vom 23. Oktober 1935
Chagall in Basel
Für die Retrospektive in der Basler Kunsthalle im Jahr 1933 kamen Werke aus vielen europäischen Ländern zusammen, da zu diesem Zeitpunkt Chagall bereits in zahlreichen Museen und Privatsammlungen vertreten waren. In Basel befanden sich damals drei Gemälde: Maja Hoffmann-Stehlin steuerte „Die Akrobatin“ aus ihrer Sammlung zur Ausstellung bei, die Familie Witzinger war im Besitz des Gemäldes „Die Brücke von Passy und der Eiffelturm“ und Karl Im Obersteg hatte 1927 das Bild „Die Hochzeit“ erworben. Im Jahr 1936 tauschte dieser sein Bild gegen das Gemälde „Der Jude in Grün“ ein – weil er lieber einen „typischen Chagall“ wollte, wie er in einem Brief an den Künstler schrieb. Typisch war, aus der Sicht des Sammlers, ein Werk, das die jüdisch-russische Herkunft des Künstlers motivisch und in seiner Bildsprache wiedergibt. Im selben Jahr erwarb Im Obersteg außerdem den „Juden in Schwarz-Weiß“ und den „Juden in Rot“ bei Alexandre Kagan-Chapchay in Paris. Später gelangten noch weitere Arbeiten von Chagall in die Sammlung des Baslers.
Auch von Museen aus Deutschland wurden Gemälde von Chagall 1933 in der Basler Retrospektive gezeigt. Im Land selbst begegnete man zu diesem Zeitpunkt dem jüdischen Künstler, der sich dazu noch in seiner Arbeit mit jüdischen Inhalten befasste, bereits mit offenem Antisemitismus. Insgesamt 59 Werke von Chagall wurden 1937 vom NS-Regime als „entartete“ Kunst eingezogen und bis Oktober 1938 auf mehreren Stationen der Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt. Betroffen war auch das Gemälde „Die Prise (Rabbiner)“ von 1923–1926 aus der Kunsthalle Mannheim, das einen Rabbiner mit Schnupftabak beim Lesen eines Buch mit hebräischem Text zeigt.
Aktuell beleuchtet das Kunstmuseum Basel die Geschichte dieses Bildes in der Ausstellung „Zerrissene Moderne. Die Basler Ankäufe ‚entarteter‘ Kunst“. Das Gemälde „Die Prise (Rabbiner)“ war nicht nur Teil der Chagall-Retrospektive 1933 in Basel; es gehört auch mit zu den ersten Werken, die das Kunstmuseum Basel mit einem Sonderkredit des Regierungsrats des Kantons Basel-Stadt 1939 für den Aufbau seiner Sammlung zur Kunst der Moderne erwarb. Mittlerweile verfügt das Museum insgesamt über 17 Werke von Marc Chagall, darunter Ölgemälde wie „Der Viehhändler“ (1912), erworben 1948, oder „Meine Braut mit schwarzen Handschuhen“ (1909), erworben 1950. Auch Gouache-Malereien, Lithographien und Radierungen zählen heute zur Sammlung des Kupferstichkabinetts. Die zentralen Werke daraus sind nun in der Ausstellung „Ich hätte gerne einen typischen Chagall“ zusammen zu sehen.
Ich hätte gerne einen typischen Chagall
Kunstmuseum Basel
Kupferstichkabinett – Hauptbau, Zwischengeschoss
13.08.2022-22.01.2023
musermeku dankt dem Kunstmuseum Basel für die Einladung zum Besuch des Museums und für die Übernahme der Kosten der Reise.
Bilder: Angelika Schoder – Kunstmuseum Basel, 2022
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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