[Ausstellung] Ob Erich Kästner, Hannah Arendt oder Max Horkheimer – Barbara Niggl Radloff hatte sie alle vor der Kamera. Als Fotojournalistin porträtierte sie zahlreiche Prominente aus der Literatur- und Kunstszene. Im Jahr 2018 wurde der Nachlass der Fotografin in die Sammlung des Münchner Stadtmuseums aufgenommen. Aus den über 2.500 Abzügen und dem Negativ-Archiv mit insgesamt mehr als 50.000 Aufnahmen entsteht nun die Ausstellung „Vertrauliche Distanz“.
Der Blick der Fotojournalistin
Barbara Niggl wurde 1936 in Berlin geboren, zog aber bereits in frühster Kindheit mit ihrer Familie ins bayerische Feldafing am Starnberger See. Zunächst absolvierte sie eine Ausbildung am privaten Institut für Bildjournalismus in München bei Hans Schreiner. Später arbeitete sie ab 1960 als Verlagsfotografin für die Münchner Illustrierte – hier war sie als einzige Frau in dieser Position angestellt. Bis 1966 war sie zudem für Scala International tätig. Sie fotografierte vor allem Reportagen über Mode und gesellschaftliche Themen, doch sie portraitierte auch zahlreiche Prominente aus der Literatur-, Kunst- und Kulturszene, etwa Truman Capote, Evelyn Waugh, Max Frisch, Günter Grass, Friedrich Dürrenmatt oder Heinrich Böll. Veröffentlicht wurden ihre Fotografien etwa in der Süddeutschen Zeitung, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und in Magazinen wie der Brigitte.
Im Jahr 1961 heiratete sie den Maler Gunther Radloff, dessen Nachnamen sie zu ihrem annahm. Bereits 1962 wurden ihre Fotografien in der Ausstellung „Fotostories. 222 Fotos von 7 Bildjournalisten“ im Fotomuseum im Stadtmuseum München gezeigt. Ab 1986 porträtierte sie die Gäste des Münchner Künstlerhauses Villa Waldberta in Feldafing, dem Ort, in dem sie seit 1966 mit ihrem Mann lebte. Zu den von ihr Portraitierten zählten unter anderem Imre Kertész, Sarah Kirsch, Boris Michailov oder Ljudmila Ulitzkaja. Vor allem ab Mitte der 1990er Jahre wurden die Arbeiten der Fotografin in verschiedenen Ausstellungen gezeigt, etwa 1996 im Deutschen Historischen Museum in Berlin oder 1998 im Badischen Kunstverein in Karlsruhe. Im Jahr 2010 verstarb Barbara Niggl Radloff schließlich in Feldafing. Seit 2018 befindet sich der Nachlass der Fotografin im Münchner Stadtmuseum.
Portraitfotografie in der Kunst- und Kulturszene
Bereits während ihrer Ausbildung am Institut für Bildjournalismus in München befasste sich Niggl Radloff mit der Portraitfotografie und insbesondere mit dem Portraitieren von Prominenten. Auch in ihrem späteren Werk gehörte die Portraifotografie zu den Schwerpunkten der Fotojournalistin. Ihr Anspruch war es dabei den „Individualist[en] als Gegenpol zur Schilderung des anonymen Menschen“ zu begreifen. [1] Egal wie bekannt das Gegenüber der Fotografin war, es gelang ihr meist die Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sehr nahbar abzubilden – oft in spontan wirkenden Situationen. Anders als viele Kollegen ihrer Zunft versuchte Niggl Radloff nicht, die Prominenten als glamouröse Stars oder überhöhte Intellektuelle darzustellen, sondern eine Augenhöhe zum Betrachter herzustellen, indem sie als Fotografin verschiedene Blickwinkel und Perspektiven einnahm.
Die Fotografin war immer auf der Suche nach dem Menschen hinter der Fassade, eine Anlehnung an den Bildjournalismus der 1950er Jahre mit dem Verweis auf die Humanistische Fotografie, deren Grundsätze sich auch in der Fotografie des LIFE-Magazins zeigen. Aus diesem Blickwinkel portraitierte Niggl Radloff zunächst vor allem bekannte, aber auch alltägliche Persönlichkeiten im München der Nachkriegszeit. Später hielt sie auch Begegnungen auf Reisen nach Paris oder Rom fest. Zahlreiche dieser Portraits zeigt das Münchner Stadtmuseum in der geplanten Ausstellung „Vertrauliche Distanz“.
Vertrauliche Distanz
Auch wenn Niggl Radloff ikonische Portraits vieler bekannter Persönlichkeiten schuf und ihre Arbeiten in Ausstellungen zu sehen waren, ist ihr Werk bis heute keinem großen Publikum bekannt. Das Münchner Stadtmuseum hat nun nicht nur viele bedeutende Fotografien der Fotojournalistin unter einer Creative-Commons-Lizenz online gestellt, sondern würdigt sie auch in der kommenden Ausstellung „Vertrauliche Distanz. Fotografien von Barbara Niggl Radloff 1958–2004“. Kuratiert wird die Ausstellung von Maximilian Westphal und Ulrich Pohlmann in Zusammenarbeit mit Nadine Isabelle Henrich, Stipendiatin im Programm „Museumskurator*innen für Fotografie“ der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung.
Die Ausstellung stellt eine Reihe an Highlights aus dem Gesamtwerk der Fotografin vor und verortet ihre Bilder im Kontext der „humanistischen Fotografie“ sowie des zeitgenössischen Pressewesens. In der Online-Sammlung des Münchner Stadtmuseums kann man bereits jetzt schon einen Einblick in das Werk der Fotografin erhalten.
Vertrauliche Distanz. Fotografien von Barbara Niggl Radloff 1958-2004
Münchner Stadtmuseum
19.11.2021 bis 20.03.2022
- Mehr zum Thema: Hintergrund-Gedanken. Bildräume in den Porträtfotografien von Barbara Niggl Radloff, Masterarbeit von Maximilian Westphal an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 2017
Header-Bild: Münchner Stadtmuseum, Sammlung Fotografie, Archiv Barbara Niggl Radloff – Lale Andersen, 1962, FM-2019/1.6.4.2 – CC BY-SA 4.0 – beschnitten und bearbeitet
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
Fußnoten
[1] Zitiert nach: Barbara Niggl Radloff: Porträtfotografien im München der Nachkriegszeit, Sammlung Online – Münchner Stadtmuseum
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