[Ausstellung] Ob Fridays for Future, die Corona-Kreise oder Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt – der rumänische Künstler Dan Perjovschi (*1961) setzt sich in seinen Zeichnungen mit den wichtigsten Themen unserer Gesellschaft auseinander. Auf Papier, auf Wänden oder in Social Media kommentiert er ironisch, nachdenklich, philosophisch oder einfach witzig aktuelle gesellschaftspolitische Ereignisse und regt zum Nachdenken an. Aktuell sind seine Arbeiten im Horst Janssen Museum in Oldenburg zu sehen, aber auch an dessen Fassade, die Dan Perjovschi begleitend zur Ausstellung „Drawing Your Attention“ im Sommer 2020 selbst bemalt hat.
Gesellschaftskritik mit Strichmännchen
Dan Perjovschi selbst nennt seine reduzierten Zeichnungen „Urban“ oder „Naked Drawings“. Es sind oft einfache Strichmännchen und wenige Linien, mit denen der Künstler teils komplexe gesellschaftliche Fragestellungen verdeutlicht. Zahlreiche Beispiele zeigen sich aktuell an der Fassade des Horst Janssen Museum in Oldenburg: Zwei Kreise sind nebeneinander positioniert, der eine mit abstehenden Strichen als Sonne erkennbar, der andere mit T-förmigen Fortsätzen als Virus zu identifizieren. Die Zeichnung ist überschrieben mit den Worten „The Mallorca Dilemma“. Auf simple Art übt der Künstler so Kritik am Verhalten vieler Menschen, dass sie unbedingt im sonnigen Süden Urlaub machen müssen und dabei die Gefahren der COVID-19 Pandemie nicht ernst genommen werden.
Eine andere Zeichnung an der Glasfassade des Museums zeigt zwei Figuren in der Horizontalen, die eine überschrieben mit „Leopold“, die andere mit „Lenin“. Letztere ist mit einer Sprechblase und den Worten „Oh Hello!“ versehen. Wer sich mit aktuellen Debatten um koloniales Erbe befasst, erkennt sofort, dass Dan Perjovschi hier die Entfernung von bestimmten Denkmälern aus dem öffentlichen Raum kommentiert. Lenin-Büsten und Denkmäler, die in Osteuropa und der DDR auf Plätzen und in öffentlich Gebäuden präsent waren, sind schon lange „gestürzt“ und entfernt worden. Folglich begrüßt Lenin in Perjovschis Zeichnung aus dieser Position heraus den belgischen König Leopold II., dessen Denkmäler nun im Zuge einer Aufarbeitung der Kolonialgeschichte und unter dem Einfluss der Black Lives Matter Bewegung endlich kritisch hinterfragt und auch bereits von öffentlichen Orten entfernt werden.
Teils verzichtet Dan Perjovschi sogar ganz auf Zeichnungen und reduziert seine Statements auf Worte. So bringt er mit dem Satz: „Black Lives Matter But Not So Much In The Mediterrana“ an der Fassade des Horst Janssen Museum zum Ausdruck, dass viele grundsätzlich gegen Gewalt gegenüber Schwarzen sind, aber dennoch wegschauen, wenn im Mittelmeer afrikanische Flüchtlinge ertrinken.
„Ich spüre, dass es meine Mission ist, schwarz-weiß-Zeichnungen zu nutzen, um Nuancen und Schichten der Beurteilung zu schaffen. Die Dinge entwickeln sich so schnell und können so rasch in die falsche Richtung gehen (Rassismus, Fundamentalismus), daher können nur schnellhändige Zeichnungen fertigwerden und die Dinge im Gleichgewicht halten.“
Dan Perjovschi im Gespräch mit Ann-Katrin Günzel, In: KUNSTFORUM International, Bd. 268, S. 238
Corona und die Kunstwelt
Neben Zeichnungen und Statements zu gesellschaftspolitischen Fragen sind an der Fassade des Museums auch Kommentare zur Museums- und Kunstwelt zu sehen, für die Perjovschi ebenfalls bekannt ist. So findet sich hier etwa eine Zeichnung mit der Überschrift „Who’s Who in the Arts System“ – darunter eine Gruppe von Figuren, die nicht etwa auf ein Bild schaut, sondern auf die kleine Objektbeschriftung neben dem eigentlichen Kunstwerk.
In der Ausstellung selbst finden sich zahlreiche weitere aktuelle Kommentare zum Kunst- und Museumsbetrieb, auch unter dem Einfluss von Corona. Eine Zeichnung zeigt etwa ein Gebäude mit der Bezeichnung „Museum“ und einem Banner mit der Aufschrift „Blockbuster Show“. Vor dem Museum hat sich eine Menschenmenge gebildet – alle wollen hinein. Die Zeichnung heißt „New Realities“, denn aus dem Museum ruft ein Männchen der Menge draußen zu: „No / Hold On / No! / Stop – Stay Out“. Eine andere Zeichnung, die wieder nur auf Text basiert, listet verschiedene Orte der Kunstwelt auf auf: Museums / Biennials / Fair / Galleries / Off Spaces / Collections. Alle Begriffe sind durchgestrichen – darunter steht: „Let’s see what art will you do now?“.
Grafische Kunst
Bereits nach seinem Studium der Malerei in Bukarest löste sich Dan Perjovschi von der Arbeit mit Farben und begann, sich auf das Thema Grafik zu konzentrieren. Für ihn entsprach diese Entscheidung einem radikalen Schritt, sein Ziel war es die „hässlichen grauen Zeiten“ vor dem Zusammenbruch des Kommunismus besser darzustellen. Nach dem Ende der Diktatur in Rumänien im Jahr 1989 begann er schließlich, die erste unabhängige Wochenzeitung Rumäniens mit dem Namen Revista 22 zu illustrieren.
Der internationale Durchbruch gelang Dan Perjovschi, als er im Jahr 1999 den rumänischen Pavillon der Biennale in Venedig gestaltete. In den folgenden Jahren beteiligte er sich an weiteren Biennalen und stellt international aus, etwa 2006 in der Tate Modern in London, 2007 im MoMa in New York und in der Kunsthalle Basel oder 2016 in der Kunsthalle Hamburg.
In der Ausstellung „Drawing Your Attention“ im Horst Janssen Museum sind aktuelle Arbeiten von Perjovschi an der Fassade des Gebäudes zu sehen. Im Inneren des Museums werden sowohl ältere als auch neue Zeichnungen gezeigt. Eine zentrale Arbeit ist „Anthropoteque“ aus der Sammlung des Ludwig Forum Aachen, eine filigrane Installation aus rund 5.000 Zeichnungen. Daneben sind auch Illustrationen für die rumänische Wochenzeitung Revista 22 zu sehen, die aus der Sammlung des Studienzentrums für Künstlerpublikationen der Weserburg Bremen stammen.
Dan Perjovschi: Drawing Your Attention
Horst Janssen Museum, Oldenburg
17.07.-13.09.2020
Bilder: Angelika Schoder – Horst Janssen Museum, Oldenburg – Dan Perjovschi: „Drawing Your Attention“
Wir brauchen deine Unterstützung
Werde jetzt Mitglied im musermeku Freundeskreis: Erhalte wöchentlich News zu Kunst und Kultur direkt per E-Mail, sichere dir den Zugang zu exklusiven Inhalten und hilf uns dabei, unsere Betriebskosten für musermeku.org zu decken.
Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
Linktipps
Der Newsletter zu Kunst & Kultur
In unserem kostenlosen Newsletter informieren wir einmal im Monat über aktuelle Neuigkeiten aus dem Kunst- und Kulturbereich.