Edward Hopper: Malerei in Zeiten von Einsamkeit und Isolation

In der Ausstellung „Edward Hopper. Ein neuer Blick auf Landschaft“ widmet sich die Fondation Beyeler einem bisher weniger beachteten Motiv des Künstlers.

In der Ausstellung "Edward Hopper. Ein neuer Blick auf Landschaft" widmet sich die Fondation Beyeler einem bisher weniger beachteten Motiv des Künstlers.

[Rezension] Wie müsste Malerei in Zeiten des Corona-Virus aussehen? In jedem Fall weite Landschaften, menschenleer, sowie Szenen einer Stadt, in der Personen nur vereinzelt auftauchen oder zueinander Abstand halten. Sogenanntes Social Distancing, die räumliche Trennung zu anderen, beherrschen die Figuren in Edward Hoppers Gemälden in Perfektion. Wer hätte gedacht, dass die aktuelle Ausstellung in der Fondation Beyeler und die begleitende Publikation mit ihren Motiven so gut den Zeitgeist von 2020 treffen könnte? Kein anderer Künstler fängt wohl die Atmosphäre von Einsamkeit und Distanz besser ein, als Edward Hopper. Und vielleicht sind Hoppers Werke genau jetzt deshalb so aktuell wie nie zuvor.


„Die Landschaften von Edward Hopper sind, wie alle seine Gemälde, von Melancholie und Einsamkeit geprägt. Oft vermitteln sie das Gefühl von Unheimlichkeit und Bedrohung.“ [1]


Menschenleerer Zeitgeist

Das Feuilleton und auch Social-Media-Nutzer sind sich einig: Edward Hopper (1882–1967) ist der Künstler der Stunde. Besonders häufig steht das Gemälde „Cape Cod Morning“ (1950) hier im Fokus: Es zeigt eine Frau im roten Kleid, die aus dem Erker eines Hauses in die Landschaft schaut. Sie stützt sich mit beiden Händen auf einen Schreibtisch und starrt angestrengt durch die geöffneten Fensterläden. Das Bild von Hopper, einem der bedeutendsten amerikanischen Maler des 20. Jhd., mag Betrachter lange zu Spekulationen angeregt haben. Worüber denkt die blonde Frau nach? Warum ist sie an diesem sonnigen Morgen im Haus und nicht draußen? [2] Seitdem sich viele Menschen im März 2020 wegen des Corona-Virus zu Hause in Quarantäne begeben mussten und das öffentliche Leben in ganz Europa vorübergehend zum Stillstand kam, sieht man Edward Hoppers Gemälde nun mit anderen Augen. Plötzlich versteht man die Frau, die sich so krampfhaft an ihrem Tisch festhält und im Haus gefangen zu sein scheint.

Es ist fast unheimlich, wie passend die Edward-Hopper-Ausstellung der Fondation Beyeler und der begleitende Ausstellungskatalog heute erscheinen. Im Mittelpunkt stehen Aquarelle und Ölgemälde der 1910er bis ’60er-Jahre, die vor allem einsame Natur und urbane Landschaften zeigen. Hier wird Hoppers Liebe zur „tristen Ödnis“ der typischen „American Scene“ deutlich. [3] Das Thema Landschaft wurde bisher kaum in den Fokus von Ausstellungen zu Edward Hopper gerückt und auch einige Werke sind der Öffentlichkeit kaum bekannt. Mit „Edward Hopper. Ein neuer Blick auf Landschaft“ ermöglicht die Fondation Beyeler in Kooperation mit dem Whitney Museum of American Art, New York nun eine spannende Perspektive auf bestimmte Facetten in Hoppers Werk, die es neu zu entdecken gilt.

Einen besonderen Einblick bietet auch der 3D-Film „Two or Three Things I Know about Edward Hopper“, den der Regisseur Wim Wenders extra für die Fondation Beyeler schuf. Wenders greift hier Motive aus den Bildern von Edward Hopper auf und setzt die charakteristische melancholische Stimmung aus den Werken des Künstlers filmisch um.


Ein neuer Blick auf Landschaft

Edward Hopper wird am 22. Juli 1882 in Nyack, New York geboren. Von 1899 bis 1905 studiert er Werbegrafik und Malerei an der New York School of Art. Später arbeitet er als freier Illustrator und Grafiker für New Yorker Werbeagenturen. Sein Erfolg als Maler kommt spät, Hopper ist bereits über 40 Jahre alt, als sich Ausstellungs- und Verkaufserfolge mit seinen Aquarellen und Ölbildern einstellen. Im Jahr 1933 findet die erste Retrospektive des Künstlers im Museum of Modern Art, New York statt. 1950 und 1964 folgen Retrospektiven im Whitney Museum of American Art, New York. Nachdem Edward Hopper im Jahr 1967 verstirbt, gelangt sein Nachlass mit über 3.000 Arbeiten an das Whitney Museum. [4]

Die Fondation Beyeler widmet ihre aktuelle Ausstellung und den begleitenden Katalog nun der Vorstellung verschiedener Landschaftsthemen im Werk von Edward Hopper.


„Im Unterschied zur akademischen Tradition scheinen Hoppers Landschaften unbegrenzt zu sein; sie sind – gedanklich – unendlich und scheinen immer nur einen kleinen Teil eines enorm grossen Ganzen zu zeigen.“ [5]


Felsen – Licht und Schatten

Die Felsenküsten von Maine und Massachusetts sind ein häufig wiederkehrendes Motiv in Hoppers Bildern. Zwischen 1914 und 1929 verbrachte der Künstler hier immer wieder seine Sommer. Besonders beeindruckte ihn das Spiel aus Licht und Schatten; fast abstrakt wirken seine Bilder dieser Küstenlandschaften. Hopper hielt seine Eindrücke von Steinen und Felsen in erster Linie auf Aquarellen, mit Kreide und Grafitstift fest, etwa im Bild „Rocks and Cove“ (1929). [6]


Menschen und Landschaft

Edward Hopper malte häufig fremde Menschen, denen er zufällig bei Spaziergängen durch die Stadt begegnete. Aber er hielt auch Personen in seinen Werken fest, die ihm nahe standen, etwa seine Frau, die Malerin Josephine Verstelle Nivison (1883-1968). Meist ging es dem Künstler dabei nicht um die naturgetreue Abbildung individueller Gesichtszüge, sondern um die Abbildung des Menschen in seiner Umgebung. Seine Ehefrau diente ihm dabei oft als Modell, zu erkennen ist sie aber fast nie.

Auffällig ist, dass in Hoppers Bildern Personen meist alleine oder zu zweit, aber distanziert voneinander erscheinen. In seinen Landschaftsgemälden wandert der Blick der dargestellten Menschen oft auf einen Punkt außerhalb des Bildes, der für den Betrachter nicht nachvollziehbar ist. Neben dem bereits erwähnten „Cape Cod Morning“ ist das Bild „High Noon“ (1949) ein weiteres Beispiel. Auch hier wird die Frauengestalt durch die Architektur des sie umgebenden Hauses von der Natur abgegrenzt. [7]


Schiffe und Leuchttürme

Da Hopper am Hudson River aufwuchs, zeichnete er schon früh Boote, Segel- und Dampfschiffe. Auch in späteren Jahren tauchen nautische Motive immer wieder in seinen Bildern auf, ob mit Blick vom Wasser her wie in „The Bootleggers“ (1924) oder vom Land aus wie bei „Lee Shore“ (1941). Neben Segel- oder Ruderbooten werden auch immer wieder Leuchttürme als Motiv in den Werken des Künstlers genutzt, etwa der Leuchtturm von Cape Elisabeth in Maine, den der Künstler im Sommer 1927 mehrfach malte. Häufig zeigen diese Bilder das Spannungsverhältnis zwischen Natur und Zivilisation. [8]


„Hoppers Landschaftsgemälde lassen den Eindruck entstehen, es ginge eigentlich um etwas Unsichtbares, das sich ausserhalb des Bildes abspielt.“ [9]


Häuser und Landschaft

Die Darstellung von Architektur ist ein zentrales Thema in den Werken von Edward Hopper. Besonders kleinere Häuser im nordamerikanischen Kolonialstil tauchen immer wieder in seinen ländlichen Bildern auf, vielleicht weil die Gebäude in der Entstehungszeit der Werke als Sinnbild einer rückständigen Vergangenheit galten. In Hoppers New Yorker Stadtansichten sind hingegen Häuser im „Second Empire“-Stil abgebildet, etwa im Bild „The City“ (1927). Modernere Gebäude sind hier zwar im Hintergrund zu sehen, haben für den Künstler aber keinen Reiz. Auffällig sind die vereinzelten menschlichen Figuren, eine soziale Interaktion findet nicht statt.

Doch nicht nur Menschen, auch Häuser stellt Hopper gerne vereinzelt dar, etwa „Captain Kelly’s House“ (1931), das einsam an Bahngleisen liegt. Die umgebende Landschaft vermittelt den Eindruck von Abgeschiedenheit. [10] Ikonisch ist schließlich auch Hopper Bild „House by the Railroad“ (1925), das dem Regisseur Alfred Hitchcock als Vorbild für die Bates-Villa im Film „Psycho“ (1960) diente. [11]


Verkehrswege

Edward Hoppers Landschaften sind selten unberührt. Häufig zeigen seine Bilder menschliche Eingriffe in die Natur, ob durch Gebäude, Straßen oder Eisenbahnschienen, etwa im Bild „Railroad Sunset“ (1929).

Als sich das Ehepaar Hopper 1927 ein Auto kaufte, begann der Künstler von dessen Rücksitz aus während der Fahrt Zeichnungen und Aquarelle von der vorbeiziehenden Landschaft anzufertigen. So entstand auch „Cars and Rocks“ (1927), eines der ersten Bilder, auf denen Hopper Autos darstellte. Meist bleiben in seinen Werken die Straßen jedoch leer. [12]


Der Wald

In Hoppers Bildern wird der Wald häufig unheimlich und undurchdringlich dargestellt. Immer wieder malt der Künstler Straßen, die entlang eines Waldes verlaufen und die sich dann in der Dunkelheit verlieren, etwa in einem seiner bekanntesten Bilder „Gas“ (1940). Hier ist eine leuchtend rote Tankstelle zu sehen, die sich als Infrastruktur der Zivilisation von dem düsteren Wald im Hintergrund abhebt. Wer kann ahnen, was sich im Wald verbirgt? [13]


„Kunst ist in so hohem Maße ein Ausdruck des Unbewussten, dass mir scheint, dass sie dem Unbewussten das Wichtigste verdankt und das Bewusstsein nur eine untergeordnete Rolle spielt.“

Edward Hopper, 1939 [14]

Der Begleitband zur Ausstellung „Edward Hopper. Ein neuer Blick auf Landschaft“, herausgegeben von Ulf Küster für die Fondation Beyeler, ist 2020 erschienen (ISBN: 978-3-7757-4647-2). Der Band enthält, neben zahlreichen Werk-Abbildungen und einer umfangreichen Künstlerbiografie, Texte von u.a. Erika Doss, David M. Lubin und Katharina Rüppell.


Edward Hopper

Fondation Beyeler
26.01.-26.07.2020

musermeku dankt der Fondation Beyeler für die kostenfreie Überlassung des Ausstellungskatalogs als Rezensions-Exemplar.


Header-Bild: Angelika Schoder – Winterthur, 2018


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Angelika Schoder

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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Fußnoten

[1] Sam Keller und Ulf Küster: Vorwort und Dank, In: Edward Hopper. Ein neuer Blick auf Landschaft, Hg.v. Ulf Küster für die Fondation Beyeler, 2020, S. 8

[2] Jo Hopper, die Ehefrau des Künstlers, lieferte ihre eigene Interpretation zu dem Bild: „Eine Frau vergewissert sich mit einem Blick nach draussen, ob das Wetter trocken genug ist, um Wäsche aufzuhängen.“ – Zitiert nach: David M. Lubin: Hopper und Hitchcock. Landschaften des Geistes, In: Ebd., S. 97-104, hier S. 100 – Verweis auf: Josephine Hopper, zitiert nach „Gold for Gold“, In: Time, 30.05.1955, S. 72

[3] Siehe: Erika Doss: Edward Hopper in Cape Ann, 1928, In: Ebd., S. 47-54, hier S. 48 – Verweis auf: Erika Doss: Hopper’s Cool: Modernist and Emotional Restraint, In: American Art, 29/3, Herbst 2015, S. 2-27

[4] Dazu: Katharina Rüppell: Biografie, In: Ebd., S. 128-138

[5] Keller, Küster: Vorwort, In: Ebd., S. 8

[6] Dazu: Ebd., S. 34

[7] Dazu: Ebd., S. 41

[8] Dazu: Ebd., S. 68

[9] Keller, Küster: Vorwort, In: Ebd., S. 8

[10] Dazu: Ebd., S. 82

[11] Dazu: Lubin: Hopper und Hitchcock, S. 103 – Verweis auf: Josephine Hopper, Tagebucheintrag vom 16.06.1960 mit Bezug auf: Archer Winston: Ragen and Outrages, In: New York Evening Post, 13.06.1960, S. 41

[12] Dazu: Ebd., S. 88

[13] Dazu: Ebd., S. 114

[14] Edward Hopper an Charles H. Sawyer, 19.10.1939, In: Ebd., S. 10


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