[Rezension] Anlässlich des 100. Bauhaus-Jubiläums 2019 zeigte das Land Nordrhein-Westfalen, dass der Einfluss der Kunst- und Designschule auch jenseits von Weimar, Dessau und Berlin bis heute sichtbar ist. Unter dem Motto „Bauhaus im Westen“ fanden im Laufe des Jahres zahlreiche Sonderausstellungen und Veranstaltungen statt, die die Akteure des Bauhaus, ihre Architektur und ihre Arbeiten im Design-Bereich in den Mittelpunkt stellten. Bereits im Vorfeld des Jubiläumsjahres fand unter dem Titel „Die Welt neu denken“ am 13. und 14. September 2018 auf dem Gelände des UNESCO-Welterbe Zollverein in Essen ein Symposion zum Thema statt. Anfang 2020 ist nun der Begleitband zum Symposion erschienen, der noch einmal einen Einblick in die Geschichte des Bauhaus im Westen bietet.
Bauhaus: Die Welt neu denken
Dem Symposion „Die Welt neu denken“ ging es um eine kritische Auseinandersetzung mit dem Bauhaus als einer der wichtigsten Reformschulen der Welt. Dabei sollte auch eine Kontextualisierung vorgenommen werden, also eine Einordnung in die Strömungen der Moderne. Die Rezeption sollte ebenso in den Blick genommen werden wie die teils widersprüchlichen Ideen des Bauhaus. Die Reihe „100 Jahre Bauhaus im Westen“ verweist darauf, dass das Bauhaus fest in der Geschichte von NRW verankert ist, etwa in der Stadt Hagen mit Karl Ernst Osthaus und Henry van de Velde und dem „Hagener Impuls“. Auch Krefeld als einstiges Zentrum der Seidenindustrie beherbergt Bauhaus-Architektur von Ludwig Mies van der Rohe und Lilly Reich und war Wirkungsstätte von Bauhaus-Lehrern wie Johannes Itten und Georg Muche. Zudem finden sich in den NRW-Sammlungen werke von Künstlern wie Wassily Kandinsky, Paul Klee oder Anni Albers. Und schließlich sind die Industriebauten des Essener Zollverein von Fritz Schupp und Martin Kremmer nicht nur Beispiele des Neuen Bauens, sondern auch UNESCO-Welterbe. [1]
Die Themen des Symposions zu Reformideen, Impulsen und Einflüssen des Bauhaus reichten von den Entwicklungen des Neuen Bauens und des Gestaltens im Rheinland und Westfalen bis hin zu Utopien der neuen Stadt und eines neuen Menschenbildes in der Moderne. Dabei ging es auch um die besonderen materiellen und ideellen Bedingungen im Westen Deutschlands.
Die Publikation „Die Welt neu denken“ versammelt nun Aufsätze und Essays, die die interdisziplinären Beiträge des Symposions aufgreifen. Es geht um den Kontext des Bauhaus, um die Architektur im Westen und um die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Zudem geht es um die Einflüsse des Westens auf die Bauhaus-Gründung, um die ideellen Wurzeln der Bewegung und um die Rolle der Industrie. Natürlich wird auch der Einfluss auf die Gestaltung an Rhein und Ruhr thematisiert, ebenso wie die Baudenkmalpflege. Schließlich werden auch die vom Bauhaus proklamierten Utopie-Ideen diskutiert, ein Thema, das über die geografische Verortung im Westen hinausgeht. [2]
Industriebauten in Westdeutschland
Schon vor der Gründung des Bauhaus im Jahr 1919 in Weimar entstanden im Westen erste Ideen, die sich später auf die Kunst- und Designschule auswirken sollten. Eine besondere Rolle spielte hier die Industriekultur und besonders die Industriearchitektur als wichtige Grundlagen der Moderne. Eine zentrale Person war hier der aus Hagen stammende Karl Ernst Osthaus (1874-1921), der Kunst, Industrie und Technik miteinander verband. Er gründete in seiner Heimatstadt 1898 das Folkwang Museum und regte als Mitglied des Werkbundes die Gründung des Deutschen Museums für Kunst in Handel und Gewerbe an. Wanderausstellungen sollten die Themen Kunst, Architektur und Kunstgewerbe präsentieren. Als Vorbild galt Walter Gropius’ Ausstellung „Vorbildliche Industriebauten“, die er für die Werkbund-Jahresversammlung 1909 konzipiert hatte. Im Jahr 1911 beauftragte schließlich Osthaus Gropius mit der Umsetzung der geplanten Ausstellung, die zunächst in Görlitz und Zwickau gezeigt wurde und in den beiden Folgejahren in viele weitere Städte in Westdeutschland wanderte. Die präsentierten Fotos von Industriebauten zeigten den Einfluss US-amerikanischer Architektur auf die Moderne in Deutschland. [3]
In den 1920er Jahren setzen sich im Industriebau die Materialen Stahl und Beton durch, Beispiele sind die Petrolkoksbunker der Rheinischen Elektrodefabrik in Hürth von 1917, die Betonkohlentürme der Zeche Hannibal in Bochum von Wilhelm Kreis aus dem Jahr 1923, die Zeche Sachsen in Hamm aus dem Jahr 1925 von Alfred Fischer oder die Kokerei und Grube Anna in Walsdorf aus dem Jahr 1926/27 von Erberich und Scheeben. Heute ist fast nichts mehr von dieser Architektur erhalten, andere Industriebauten im Westen zeugen aber noch von den Bestrebungen, Modernität und Rationalität in der Architektur zu vereinen. Zu den bedeutendsten Gebäuden zählt der Bau von Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969) für die Verseidag in Krefeld. Sein Entwurf von 1930 erinnert an das Fagus-Werk in Alfeld/Leine von 1911-14, entworfen von Walter Gropius (1883-1969) und Adolf Meyer. Die Kombination aus Geschossbau und Shedhalle folgt strengen Formen der Geometrie – ein Spiegel der Grundlagen für Technik und Industrie. [4]
Bauhaus, Backstein-Moderne und Stahlfachwerk
Neben der von Beton und Stahl geprägten Industriearchitektur findet sich im Westen auch Architektur aus Backstein. Obwohl die in den 1920ern verwendeten Ziegel eigentlich eher braun, violett-rot bis blau-schwarz waren und oft durch Kohlenstaub noch dunkler wirkten, wird diese Architektur auch als „rote Moderne“ bezeichnet bzw. einfach als Backstein-Moderne. Schon die Kölner Werkbundausstellung 1914 führte zu einer Renaissance der Verwendung von Backstein in der Architektur. Beispiele für Bauten in diesem Stil sind etwa die Schirmfabrik Brauer in Aachen, entworfen von Josef Bachmann im Jahr 1928, oder die AEG-Gebäude von Peter Behrens (1868-1940). Mit zu den bekanntesten Gebäuden künstlerisch gestalteter Backsteinarchitektur im Westen zählt das von Behrens entworfene Zentrallager der Gutehoffnungshütte (GHH), das zwischen 1921-26 erbaut wurde. Es ist ein Stahlskelettbau mit einer Backsteinhülle, nach dessen Vorbild eine Reihe weiterer Industriebauten entstanden, etwa die Emscher-Pumpwerke in Duisburg von Schmidthost und Schwelgern. [5]
Eine weitere vom Bauhaus abgeleitete Formensprache in der Industriearchitektur war das Stahlfachwerk, das Fritz Schupp (1896-1974) und Martin Kremmer (1894-1945) in den 1920ern entwickelten. Die zwischen 1928 und 1930 errichtete Zeche Zollverein war die erste Anlage, die vollständig in diesem von kubischen Formen geprägten Stil errichtet wurde. Beispiele wie diese Industrieanlage zeigen, wie die Architektur im Westen von den Einflüssen des Bauhaus profitiert hat. Dabei ging es nicht nur um die Übernahme von Formelementen, sondern auch um eine gesellschaftliche Grundeinstellung zur Industrie. [6]
Der Begleitband zum Symposion „100 Jahre Bauhaus im Westen“ mit dem Titel „Die Welt neu denken“, herausgegeben von Joachim Henneke, Dagmar Kift und Thomas Schleper, ist 2020 im Aschendorff Verlag erschienen (ISBN: 978-3-402-24648-1). Der Band enthält Beiträge zum Symposion, ergänzt durch historische und aktuelle Abbildungen, überwiegend zu Gebäuden mit Bezug zum Bauhaus.
die welt neu denken
Beiträge aus dem Eröffnungssymposion „100 jahre bauhaus im westen“, Hg.v. Joachim Henneke, Dagmar Kift, Thomas Schleper
Aschendorff Verlag, 2020
musermeku dankt dem LVR-Dezernat Kultur und Landschaftliche Kulturpflege für die kostenfreie Überlassung des Tagungsbands als Rezensions-Exemplar.
Fotos: Angelika Schoder – Essen, Oberhausen, Krefeld, 2019
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
Fußnoten
[1] Joachim Henneke, Dagmar Kift, Thomas Schleper: „100 jahre bauhaus im westen“: Befragung eines Mythos der Moderne, In: die welt neu denken. Beiträge aus dem Eröffnungssymposion „100 jahre bauhaus im westen“, Hg.v. Dies., Aschendorff Verlag 2020, S. 7-12, hier S. 7
[2] Ebd., S. 10f
[3] Walter Buschmann: Bauhaus und Industriebau in Westdeutschland, In: Ebd., S. 113-125, hier S. 113
[4] Ebd., S. 119
[5] Ebd., S. 120ff
[6] Ebd., S. 124
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