[Rezension] Der französische Grafiker und Maler Odilon Redon (1840 – 1916) gilt als einer der wichtigsten Vertreter des Symbolismus. Seine Werke, die sich mit dem Zugang zu unbewussten Prozessen befassen und die erfahrbare Realität hinterfragen, sind bevölkert von fantasievollen Wesen und Gestalten wie aus Albträumen. Nun widmet sich eine Ausstellung in den Niederlanden erstmals dem Einfluss, den Musik und Literatur auf das Werk des Künstlers ausübten.
Von Richard Wagner bis Edgar Allan Poe
Mit fast 200 Arbeiten verfügt das niederländische Kröller-Müller Museum über eine der bedeutendsten Sammlungen von Odilon Redon. Der Großteil der Werke wurde von der Namensgeberin des Museums, Helene Kröller-Müller, in den Jahren zwischen 1912 und 1930 persönlich gesammelt. Bereits 1929 stellte die in Essen gebürtige Kunstkennerin ihre Redon-Werke erstmals in Den Haag aus. 1938 wurde in Otterlo bei Arnheim schließlich das Kröller-Müller Museum durch den niederländischen Staat und die Stiftung De Hoge Veluwe errichtet, in dem heute die Sammlung zu sehen ist. Aktuell widmet sich das Museum in der Ausstellung „Odilon Redon. La littérature et la musique“ erstmals einem besonderen Aspekt in Redons Werk: seiner Verbindung zu Musik und Literatur.
Redon entwickelte schon in frühester Jugend eine große Liebe für Musik verschiedener Komponisten, von Johann Sebastian Bach über Hector Berlioz bis hin zu Richard Wagner. Sein älterer Bruder Ernest war selbst ein bekannter Komponist und Redon pflegte auch über seinen Bruder enge Kontakte in die Musikszene seiner Zeit. Er besuchte nicht nur regelmäßig Konzerte und tauschte sich mit Komponisten und Musikern aus, sondern er spielte auch selbst Violine.
Neben der Musik galt die zweite große Leidenschaft von Odilon Redon der Literatur. Angeblich bezeichnete er sie als „die größte aller Künste“. Redon war, neben seiner Tätigkeit als Grafiker und Maler, auch als Kunstkritiker und Autor aktiv. Seine Liebe zur bildenden Kunst und zur Literatur fand häufig Anknüpfungspunkte. Es kam vor, dass Redon die Texte befreundeter Dichter und Schriftsteller illustrierte. Aber er ließ sich für Zeichnungen und Gemälde auch von Autoren inspirieren, die er bewunderte, etwa Gustave Flaubert, Charles Baudelaire oder Edgar Allan Poe. [1]
Odilon Redon als Künstler verschiedener Disziplinen
Redon war nicht nur bildender Künstler, sondern blieb sein Leben lang auch der Musik und der Literatur eng verbunden. Beide Leidenschaften beeinflussten sein Schaffen als Maler und Grafiker, sowohl was die Inhalte anging, als auch was seine konzeptionelle Herangehensweise anbelangte. Häufig griff er Figuren aus der Literatur oder aus Musikstücken auf und stellte sie in seinen Gemälden und Zeichnungen dar. Odilon Redon ließ sich dabei von Mythen der Antike über mittelalterliche Romane bis bin zu Shakespeare-Stücken oder Wagner-Opern inspirieren.
Besonders die Vertrautheit mit der Struktur musikalischer Kompositionen beeinflusste Redons Schaffen. So schuf er beispielsweise Werkserien und griff immer wieder bestimmte Themen auf oder nutzte Variationen verschiedener Inhalte. Möglicherweise trug genau diese Arbeitsweise dazu bei, dass Odilon Redon zu einem der wichtigsten Symbolisten seiner Generation wurde. Seine Auseinandersetzung mit bildender Kunst, Literatur und Musik fügte sich schließlich genau in den zeitgenössischen Diskurs um den Zusammenhang verschiedener Künste und der Synästhesie, also der Kopplung mehrerer physisch getrennter Bereiche der Wahrnehmung. [2]
Der Typus der Femme Fatale in Redons Werk
In zahlreichen Werken von Odilon Redon spielen Frauengestalten eine zentrale Rolle. Besonders die Figur der Salome übte auf den Künstler eine besondere Faszination aus. Über mehrere Jahrzehnte hinweg widmete sich Redon immer wieder der Darstellung dieser biblischen Gestalt. Ob in Kohlezeichnungen, Ölgemälden oder Pastellzeichnungen – immer wieder griff er Details aus der Salome-Geschichte auf. Teils konzentrierte sich der Künstler dabei auf die Frauenfigur selbst, auf Salome und den Kopf von Johannes dem Täufer, oder nur auf den abgeschnittenen Kopf. Besonders die Frauengestalt – eigentlich eine femme fatale – hatte es Redon aber angetan. Hierbei orientierte sich der Künstler an der traditionellen Ikonografie. Dennoch weichen Redons Salome-Darstellungen aber von den Werken seiner Zeitgenossen ab.
Künstler wie etwa Franz von Stuck stellten Salome oft als typische femme fatale dar, als dämonische und gefährlich-sexualisierte Gestalt. Auch Flaubert griff diesen Typus in seiner Novelle „Hérodias“ (1877) auf, ebenso wie Richard Strauss in seiner Oper von 1905, basierend auf dem gleichnamigen Drama von Oscar Wilde aus dem Jahr 1891. Odilon Redon ließ sich von seinen Zeitgenossen hier beeinflussen, was sein Motiv anging. Hinsichtlich der Darstellung wählte Redon jedoch einen anderen Ansatz. Seine Salome-Darstellungen sind weder teuflisch, noch aggressiv oder lüstern. Bereits in seiner ersten Umsetzung des Motivs, eine Kohlezeichnung von 1877, ist Salome als klassische Schönheit dargestellt und wirkt eher milde und fürsorglich. Auch in anderen Auseinandersetzungen mit dem Thema erinnert die Frauenfigur eher an eine femme fragile – das Gegenteil der erotischen, mächtigen femme fatale. [3]
Dies zeigt, dass sich Odilon Redon in seiner Arbeit stark von zeitgenössischen Diskursen beeinflussen ließ, aber als Künstler auch eigene Wege suchte, sich mit Themen der Musik und der Literatur auseinanderzusetzen.
Der Begleitband zur Ausstellung „Odilon Redon. Literature and Music“, herausgegeben von Cornelia Homburg für das Kröller-Müller Museum, ist 2018 bei nai010 publishers erschienen (ISBN: 978-94-6208-422-3). Der Band auf Englisch enthält, neben zahlreichen Werk-Abbildungen und einer Werkliste, eine Bibliographie sowie Texte von u.a. Ted Gott, Jean-David Jumeau-Lafond, Line Clausen Pedersen, Dario Gamboni und Martha Lucy.
Odilon Redon. La littérature et la musique
Kröller-Müller Museum, Otterlo
02.06. – 09.09.2018
Ny Carlsberg Glyptotek, Kopenhagen
11.10.2018 – 20.01.2019
musermeku dankt dem Kröller-Müller Museum für die kostenfreie Überlassung des Ausstellungskatalogs als Rezensions-Exemplar.
Header-Bild: Details aus Odilon Redon: „A Mask Rings the Death Knell“ (1882), „The Spider“ (1887) und „The Marsh Flower: A Sad Human Face“ (1885) – alle Rijksmuseum, Public Domain
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
Fußnoten
[1] Dazu: Lisette Pelsers: Foreword, In: Odilon Redon. Literature and Music, Hg.v. Cornelia Homburg und Kröller-Müller Museum, Rotterdam 2018, S. 7f.
[2] Dazu: Cornelia Homburg: Introduction, In: Ebd., S. 11f.
[3] Dazu: Martha Lucy: Vision and Dread. Redon’s Femmes Fatales, In: Ebd., S. 142-171
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