Der mystische Philosoph Jacob Böhme

Der Philosoph Jacob Böhme beeinflusste zahlreiche Künstler, von William Blake bis zum Bauhaus. Dies zeigt eine Ausstellung im Residenzschloss Dresden.

Jacob Böhme beeinflusste zahlreiche Künstler, von William Blake bis zum Bauhaus. Dies zeigt eine Ausstellung im Residenzschloss Dresden.

[Pressereise] Seine Suche nach einer universellen Theorie, die Wissenschaft und Glaube vereint, galt als revolutionär. Er beeinflusste zahlreiche Künstler, wie etwa Philipp Otto Runge, Caspar David Friedrich, aber auch William Blake oder einige Künstler des Bauhaus. Und dennoch: Der Philosoph und Mystiker Jacob Böhme ist heute kaum noch bekannt. Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden rücken den Gelehrten anlässlich des Reformationsjubiläums nun wieder in den Fokus der Öffentlichkeit und widmet ihm jetzt erstmals eine Sonderausstellung.


Zwischen Literatur, Philosophie, Religion und Kunst

Etwa 100 Jahre nach dem Beginn der Reformation wurde das traditionelle Weltbild durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse erschüttert. In dieser Zeit suchte Jacob Böhme (1575–1624) nach einer spirituellen und philosophischen Erneuerung. Sein Ziel war es, durch seine Schriften Religion und Wissenschaft miteinander in Einklang zu bringen und eine Art „universelle Theorie“ zu schaffen. Seinem ersten Werk „Aurora“ (1612), welches die Grundlage seiner Theorie bildet, folgten zahlreiche weitere Schriften. Sie verbreiteten sich schnell unter seinen Anhängern und wurden in ganz Europa rezipiert.

Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zeigen nun in der Schlosskapelle des Dresdner Residenzschlosses die Ausstellung „Alles in Allem“, die sich mit Böhmes Leben und Wirken befasst. Es werden zahlreiche Werke von Künstlern gezeigt, auf die Böhmes Theorien einen nachhaltigen Einfluss hatten. Neben Grafiken, Gemälden und Kunstobjekten aus der Zeit um 1600 zeigt die Ausstellung auch Zeichnungen, Radierungen oder Gemälde von Künstlern wie Philipp Otto Runge, William Blake, Hans Arp, Wassily Kandinsky oder Johannes Itten.


Die Gedankenwelt von Jacob Böhme

Die Ausstellungsgestaltung ist an den Entwurf von Jacob Böhmes „Philosophischer Kugel“ angelehnt. Das Konzept dahinter ist ein „begehbares Gedankengebäude“, das die zentralen Begriffe von Böhmes Schriften aufgreift: Natur, Finsternis, Schöpfung, Kosmos, Wiedergeburt, Licht und Freiheit.

Ergänzt werden die sieben Schwerpunkte durch zwei einleitende Ausstellungsabschnitte. Der erste Abschnitt widmet sich der Vorstellung von Böhmes zentralem Werk „Morgenröte im Aufgang – Aurora“ als Ausgangspunkt der Ausstellung. Zu sehen ist hier das originale Manuskript aus dem Jahr 1612, in dem Böhme die Grundzüge seiner Philosophie entwarf. Der zweite Abschnitt widmet sich dem Blick auf Böhmes Netzwerk und ermöglicht die Erkundung von dessen Einfluss in ganz Europa, u.a. mithilfe interaktiver Displays. Hier zeigt sich, dass Böhme einen großen Kreis an Freunden und Unterstützern hatte, mit denen er in regem Kontakt stand und Ideen austauschte.


Böhmes Einfluss auf die Künstler der Romantik

Die Ausstellung „Alles in Allem“ im Dresdner Residenzschloss zeigt zahlreiche Werke von Künstlern, die von Böhmes Mystizismus beeinflusst wurden. In der Epoche der Romantik waren dies beispielsweise nicht nur Dichter wie Ludwig Tieck (1773-1853) oder Novalis (1772-1801), sondern auch bildende Künstler wie Philipp Otto Runge (1777-1810). Dieser entwickelte ab 1801 eine neue, symbolhafte Bildsprache, die stark an Böhme erinnert. Es ging ihm um die Darstellung einer göttlichen Verbindung zwischen allem, aber auch um den Gegensatz von Licht und Dunkelheit, als Metapher für den Kampf zwischen Gut und Böse.

Auch in den Werken von Caspar David Friedrich (1774-1840) finden sich ähnliche mystizistische Motive, die man auf den Einfluss von Böhmes Konzepten zurückführen könnte. Allen voran rückt das Gemälde „Kreuz im Gebirge“ in den Fokus, das ein Gipfelkreuz im Licht der untergehenden Sonne zeigt. Der Kontrast aus Hell und Dunkel greift Böhmes Hauptmotiv auf, ähnlich wie auch in den Werken seines Zeitgenossen Philipp Otto Runge. [1]


William Blakes „Nachtgedanken“

Auch zahlreiche Werke des englischen Dichters und Künstlers William Blake (1757-1827) werden in der Dresdner Ausstellung gezeigt. Blakes Verbindung zu Jacob Böhme führt über den schwedischen Mystiker Emanuel Swedenborg (1688-1772). Zunächst war Blake Anhänger der „Kirche des neuen Jerusalem“, die auf Swedenborg zurückgeht. In seinem Buch „The Marriage of Heaven and Hell“ (1790-1973) verwies er später in einer Kritik an Swedenborg direkt auf Böhme. Während er Böhmes Arbeit als intellektuellen Schaffensprozess wahrnahm, attestierte er Swedenborg nur noch ein „mechanisches Talent“. In einem Briefwechsel vom September 1800 verwies Blake noch einmal explizit auf Böhme, dessen Schriften ihm „die Schrecken in den Himmeln“ offenbart hätten.

Einen starken Einfluss von Böhmes Werk auf die Arbeit von William Blake zeigt sich auch im Verweis auf die erste englische Werkausgabe von Böhmes Schriften. Es handelt sich um die von William Law erstellten Böhme-Übersetzungen, die zwischen 1764 und 1781 in vier Bänden erschienen. Ergänzt wurden die Bände mit Darstellungen aus Dionysus Andreas Frehers „Hieroglyphica Sacra“. Blake zeigte sich von diesen fasziniert und so erinnern die in Blakes Aquarell-Illustrationen eingefügten Textfenster in seinen „Nachtgedanken“ („Night Thoughts“ von Edward Young – ca. 1795-1797) an die Gestaltung der Law-Ausgabe von Böhmes Schriften. [2]


Jacob Böhme und das Bauhaus

Die Einflüsse von Jacob Böhmes Theorien und Konzepten spiegeln sich bis ins 20. Jahrhundert hinein – etwa in den Werken von Johannes Itten, Wassily Kandinsky und Hans Arp. Auch Werke dieser Künstler sind in der Ausstellung „Alles in Allem“ vertreten.

Johannes Itten (1888-1867) befasste sich bereits vor seinem Ruf ans Bauhaus 1919 mit theosophischen, philosophischen und esoterischen Lehren. Sein Werk ist geprägt von der Idee einer Lösung vom Materiellen hin zu einer Darstellung von Ideen, verdeutlicht etwa in seinem „Turm des Lichts“, einer Architektur-Farb-Licht-Klang-Plasik. Dieses Konzept einer „Entmaterialisierung der Materie“ charakterisierte auch Böhmes Schaffen. In Schrift-Bildern wie dem 1922 entstandenen „Einatmen, ausatmen“ bezieht sich Itten schließlich direkt auf Böhme – wenn auch eher in einer Reflexion über dessen Ideen und nicht unmittelbar in Zitat-Form.

Ebenso wie Itten befasste sich auch Wassily Kandinsky (1866-1944) mit der Frage, wie sich über Formen und Farben geistige Inhalte vermitteln lassen. Besonders in der Zeit zwischen 1908 und 1910 setzte sich Kandinsky intensiv mit verschiedenen spirituellen Lehren auseinander, parallel zur Entwicklung seiner Idee einer abstrakten Kunst. Kandinsky teilte mit Böhme die Vorstellung, dass der Natur ein verborgener geistiger Inhalt (das Göttliche) innewohnt, welcher sich vermitteln lässt – in Kandinskys Fall durch die Mittel der abstrakten Kunst.

Möglicherweise kam Kandinsky auch über seinen Bekannten Hans Arp (1886-1966) mit Jacob Böhmes Lehren in Kontakt. Beide kannten sich seit 1912. Arp lernte die Schriften Böhmes schon in seiner Kindheit kennen und diskutierte diese später mit Hugo Ball. Zu dieser Zeit entwickelte er auch seine Formensprache der „fluid ovals“ als Zeichen der natürlichen Metamorphose. Arp bezeichnete diese als „kosmische Formen“, welche Zellen als grundlegende Einheit allen organischen Lebens repräsentieren – eine Verkörperung des göttlichen Wirkens. [3]


Alles in Allem. Die Gedankenwelt des mystischen Philosophen Jacob Böhme

Residenzschloss Dresden
26.08.-19.11.2017


Das Residenzschloss

Nach Bombenangriffen auf Dresden im Frühjahr 1945 war das Residenzschloss fast völlig ausgebrannt. Der Wiederaufbau erfolgte erst vor wenigen Jahren, nach der deutschen Wiedervereinigung. Die Ausstellung „Jacob Böhme – Alles in Allem“ befindet sich in der Schlosskapelle. Zum Eingang gelangt man über den Hausmannsturm. Die Kapelle des Dresdner Residenzschlosses ist vor kurzem komplett restauriert worden, hier ist erstmals eine Ausstellung zu sehen.

Fast alle Flügel des Residenzschlosses werden als Ausstellungsfläche genutzt. Hier finden sich das Historische und das Neue Grüne Gewölbe, das Kupferstich-Kabinett, die Rüstkammer und das Münzkabinett, die alle zu den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) gehören. Wer alle Ausstellungen im Residenzschloss sehen möchte, sollte ausreichend Zeit mitbringen.

musermeku dankt den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden für die Einladung zum Besuch des Museums und für die Übernahme der Kosten der Reise.


Header-Bild: Angelika Schoder – Residenzschloss Dresden, 2017


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Angelika Schoder

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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Fußnoten

[1] Dazu: Holger Birkholz: Verkündigen der Morgenröte. Böhmes Rezeption in der Romantik, In: Alles in Allem. Die Gedankenwelt des mystischen Philosophen Jacob Böhme, Hg.v. Claudia Brink und Lucinda Martin im Auftrag der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Sandstein Verlag 2017, S. 133-150.

[2] Dazu: Luisa Calé: William Blakes „Nachtgedanken“. Zwischen Buch, Körper und Kosmos, In: Ebd., S. 151-166.

[3] Dazu: Yvonne Wagner: Die Harmonie der Gegensätze. Die Kunst von Iden, Kandinsky und Arp im Spiegel der Schriften Böhmes, In: Ebd., S. 167-185.


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