[Ausstellung] Kaum ein Künstler des 18. Jahrhunderts hat die moderne Medienlandschaft so stark beeinflusst wie der englische Zeichner, Grafiker und Dichter William Blake (1757–1827). Seine Texte wurden von Bands wie The Doors oder U2 aufgegriffen, aber auch vom Okkultisten Aleister Crowley oder von Schriftstellern wie Dan Brown und Philip Pullman. Seine Bilder wurden als Plattencover genutzt, etwa von Bruce Dickinson für sein Blake-inspiriertes Album „The Chemical Wedding“ (1998), oder als literarische Referenz, wie in „Red Dragon“ (1981) von Thomas Harris. Auch bei zahlreichen Graphic Novels wird William Blake als Einfluss genannt, etwa von Alan Moore für „V for Vendetta“ (1982-85) oder für „Watchmen“ (1986/87). Und schließlich finden sich Blake-Zitate auch in Filmen, etwa in Ridley Scotts „Blade Runner“ (1982) oder in Simon Wests „Tomb Raider“ (2001).
Trotz dieser Popularität in diversen Medien, wurden und werden Blakes Werke außerhalb von Großbritannien nur selten gezeigt. In Deutschland waren Arbeiten des Künstlers erstmals 1975 zu sehen, in einer großen William-Blake-Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle. Nun, fast 50 Jahre später, zeigt das Museum wieder seine Werke in der Ausstellung „William Blakes Universum“. Erstmals sind hier auch sämtliche Blake-Bestände des Fitzwilliam Museum in Cambridge zu sehen sowie Werke aus der Sammlung von Geoffrey Keynes.
William Blake als künstlerischer Visionär
William Blake gilt als eine zentrale Figur der englischen Romantik. Geboren in London als Sohn eines Strumpfhändlers, zeigte Blake früh eine künstlerische Begabung, die er zunächst in einer Lehre als Kupferstecher und später an der Royal Academy of Arts weiter entwickelte. Blake lehnte allerdings den akademischen Konservatismus entschieden ab und ließ sich künstlerisch lieber von den Gemälden von Johann Heinrich Füssli (1741-1825) und von den Entwürfen des Bildhauers John Flaxman (1755-1826) inspirieren. Zu beiden Künstlern pflegte Blake auch Freundschaften. Weitere Inspirationsquellen waren für ihn die Arbeiten von Rafael, Michelangelo und Albrecht Dürer.
Aus seinen spirituellen Überzeugungen heraus entwickelte William Blake eine eigenständige künstlerische Sprache, die in einer Synthese aus bildender Kunst, Literatur und mystischer Philosophie ihren Ausdruck fand. Blake sah sich selbst nicht nur als Künstler, sondern auch als Prophet und Visionär. Seine Werke, die er als direkte göttliche Eingebungen betrachtete, sollten metaphysische Wahrheiten vermitteln und die spirituelle Erneuerung der Menschheit fördern. Inmitten der politischen und sozialen Umwälzungen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts, insbesondere unter dem Eindruck der Amerikanischen und Französischen Revolution, schuf Blake ein komplexes mythologisches System, das in seinen Hauptwerken „America a Prophecy“ (1793) und „Europe a Prophecy“ (1794) zum Ausdruck kommt. Zentral in diesen Werken ist der Konflikt zwischen den Kräften der Freiheit, verkörpert durch die Figur des „Orc“, und den repressiven Mächten, personifiziert durch „Urizen“. Diese mythologischen Figuren sind in Blakes Werken tief in religiöse und kosmologische Symbolik eingebettet und stellen den ewigen Kampf zwischen Erlösung und Unterdrückung dar.
Um seine Ideen grafisch umzusetzen, entwickelte William Blake die Technik der Reliefradierung. Diese Drucktechnik ermöglichte es ihm, Text und Bild in einem Verfahren miteinander zu kombinieren, etwa in seinen Werken „The Marriage of Heaven and Hell“ (1790-93) oder „Songs of Innocence and of Experience“ (1794). Doch nicht nur technisch unterschieden sich Blakes künstlerische und literarische Arbeiten von denen seiner Zeitgenossen. Durchdrungen von mystischer und spiritueller Symbolik, brachen die Werke von William Blake auch inhaltlich mit den Konventionen seiner Zeit. Die symbolische Bildsprache, die christliche, mythologische und esoterische Elemente miteinander kombiniert, soll dazu anhalten, die tieferen Ebenen der menschlichen Existenz zu erkunden – immerhin sah der Künstler seine Visionen als direkte Offenbarungen göttlicher Wahrheit. Mit seiner Text- und Bildsprache wurde William Blake so zum Vordenker des Symbolismus und Surrealismus und beeinflusste zahlreiche andere Kunstschaffende, insbesondere im späten 20. Jahrhundert.
Blake und seine Zeitgenossen
In der Ausstellung „William Blakes Universum“ zeigt die Hamburger Kunsthalle aktuell rund 120 Werke des englischen Künstlers, allen voran die vollständigen Blake-Bestände des Fitzwilliam Museum in Cambridge und zahlreiche Arbeiten aus der bedeutenden Sammlung von Geoffrey Keynes. Angefangen bei Blakes Zeit an der Royal Academy of Arts in London, über seine Beschäftigung mit der Kunst der Antike und der Renaissance, bis hin zu seiner Begeisterung für die mystischen Bildwelten der frühen Neuzeit, insbesondere des deutschen Philosophen Jakob Böhme, werden in der Ausstellung die entscheidenden Stationen in William Blakes künstlerischer Entwicklung betrachtet.
Die Ausstellung stellt Blakes Werk zudem anderen Kunstschaffenden gegenüber, die ihm als Inspiration dienten, die von ihm inspiriert wurden oder die ähnliche künstlerische Ansätze verfolgten. Hierzu zählt der Romantiker Philipp Otto Runge (1777–1810), der mit seinen Werken ebenfalls anstrebte, die geistige Erneuerung des Menschen in künstlerisch neuartiger Form sichtbar zu machen, etwa in seinem unvollendeten vierteiligen Zyklus „Zeiten“ (1802-1810). Auf mehreren Ebenen stellt Runge hier den Wechsel der Tages- und Jahreszeiten, der Menschenalter und der historischen Epochen dar – ein universeller Lebenszyklus als täglicher Prozess des Werdens und Vergehens. Blake und Runge kannten sich nicht, teilten aber eine tiefe Spiritualität und den Glauben an die Künste, die nach der Vereinigung mit dem Göttlichen streben.
William Blakes Darstellungen der Reise der Seele, vom Gefallensein bis zur Erlösung, werden in der Ausstellung zudem den Werken von Samuel Palmer (1805-1881) und Caspar David Friedrich (1774-1840) gegenübergestellt. Auch sie hatten einige Gemeinsamkeiten: Alle nutzten die Werke von John Flaxman als Bezugspunkt, waren in ihren Ausbildungen an Kunstakademien mit der Antike als Vorbild konfrontiert worden und lehnten die strengen Regeln ihrer akademischen Ausbildung ab. In der Ausstellung zeigt die Hamburger Kunsthalle hierzu etwa die siebenteilige Folge der „Lebensalter“ von Caspar David Friedrich, eine Bilderserie von Landschaftsmalereien, die der Künstler um eine rätselhafte, mystische Komponente erweiterte.
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
In der vergleichenden Einordnung von William Blakes Werk konzentriert sich die Ausstellung auf drei Schwerpunkte: die Vergangenheit mit Bezugspunkten zu Motiven der Antike und der Gotik, die Gegenwart mit Bezügen zu den politischen Umbrüchen in Europa und Amerika und die Zukunft mit der spirituellen Erneuerung als Motiv. Zunächst wird betrachtet, welche Bedeutung die klassische Antike und die Alten Meister für Blake und seine Zeitgenossen hatten. In verschiedenen Medien kopierten und imitierten Blake und seine Zeitgenossen historische Vorbilder, aber immer auch mit dem Bedürfnis, sich von den klassischen Idealen zu distanzieren.
Im Schwerpunkt blickt die Ausstellung auf Blakes „Prophezeiungen“ aus den 1790er Jahren, die um das Spannungsfeld zwischen Gefangenschaft und Freiheit kreisen. In den Werken geht es sowohl um physische Ketten, die die Körper versklavter Menschen fesseln, als auch um mentale Ketten, die durch die institutionalisierte Kirche und die rationale Philosophie angelegt werden. In „Europa, eine Prophezeiung“ (1794) greift Blake die politischen Ereignisse der Französischen Revolution und den daraus resultierenden Krieg zwischen Frankreich und England auf und interpretiert sie als apokalyptisches Potenzial für eine neue Ordnung. Blakes Erzählung verknüpft diese Geschehnisse mit der Geschichte von Jesus, dargestellt durch die Figur Orc. Zu Beginn der Geschichte wird Orcs Botschaft der Befreiung von Enitharmon, die die kirchliche Institution verkörpert, verschleiert. Diese Institution steht in Blakes Werk für die alte Ordnung, die die Menschheit einschränkt und täuscht. In der Erzählung über Europa werden die vier apokalyptischen Reiter – Hunger, Seuche, Feuer und Krieg – entfesselt.
Daneben zeigt die Ausstellung noch sieben von insgesamt 18 Tafeln aus „Amerika, eine Prophezeiung“ (1973). In diesem ersten Werk der „Continental Prophecies“ geht es um die Amerikanischen Revolution. Der Freiheitskampf der amerikanischen Kolonien gegen die britische Herrschaft wird bei Blake zur Schlacht kosmischer Kräfte. Der Künstler betrachtet hier das historische Ereignisse der Amerikanischen Revolution nicht nur als politisches, sondern auch als spirituelles Phänomen. Er sah die Revolution, ebenso wie die in Frankreich, als einen Ausdruck des göttlichen Willens, der die Menschheit von Unterdrückung befreien sollte. Zugleich mahnte Blake in seinem Werk vor der Gefahr, dass revolutionäre Impulse in neue Formen der Unterdrückung münden könnten.
Schließlich widmet sich die Ausstellung auch Blakes Spätwerk ab 1800. Zu dieser Zeit verließ der Künstler London und zog nach Felpham in Sussex, wo er als Assistent des Dichters William Hayley tätig wurde. Der Umzug markierte einen Wendepunkt in Blakes Kunst und Leben; er entwickelte einen „gotisch“ geprägten malerischen Stil und setzte sich intensiv mit historischen Persönlichkeiten wie dem Dichter Milton und dem deutschen Mystiker Jacob Böhme auseinander. Während dieser Zeit schuf Blake für seinen Mäzen Thomas Butts zwei Zyklen von Gemälden zu biblischen Themen, die in ihrer Bildkomposition interessante Parallelen zu Philipp Otto Runge aufweisen, dessen Werke denen von Blake hier gegenübergestellt werden.
William Blakes Universum
14.06.-08.09.2024
Hamburger Kunsthalle
Begleitend zur Ausstellung erschien eine Graphic Novel von Noëlle Kröger über das Leben von William Blake. Das Heft auf Deutsch oder Englisch liegt kostenlos im Museum zum Mitnehmen aus.
Header-Bild: William Blake: The Ancient of Days (Illustration aus Europe a Prophecy, 1794) – Hamburger Kunsthalle, 2024
Wir brauchen deine Unterstützung
Werde jetzt Mitglied im musermeku Freundeskreis: Erhalte wöchentlich News zu Kunst und Kultur direkt per E-Mail, sichere dir den Zugang zu exklusiven Inhalten und hilf uns dabei, unsere Betriebskosten für musermeku.org zu decken.
Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
Linktipps
Der Newsletter zu Kunst & Kultur
In unserem kostenlosen Newsletter informieren wir einmal im Monat über aktuelle Neuigkeiten aus dem Kunst- und Kulturbereich.