Von Warhol bis Lassnig: Trauer in der Kunst

Mit der Ausstellung „Trauern. Von Verlust und Veränderung“ widmet sich die Hamburger Kunsthalle einem Tabu-Thema, u.a. mit Werken von Felix Gonzalez-Torres oder Susan Philipsz.

Mit der Ausstellung "Trauern. Von Verlust und Veränderung“ widmet sich die Hamburger Kunsthalle einem Tabu-Thema.

[Ausstellung] Trauer kann man für vieles empfinden: Man trauert, nachdem eine Beziehung in die Brüche gegangen ist. Man trauert um Verstorbene. Man kann aber auch vertanen Chancen und ungenutzten Möglichkeiten hinterher trauern. Jeder von uns hat schon einmal einen großen Verlust erlebt, musste mit Enttäuschungen umgehen oder ist auf eine Art gescheitert. Mit der Ausstellung „Trauern. Von Verlust und Veränderung“ versammelt die Hamburger Kunsthalle nun vielfältige Positionen der Gegenwartskunst zu diesem Thema, beginnend bei bekannten Akteuren wie Andy Warhol und Maria Lassnig bis hin zu Nachwuchskünstlern wie Greta Rauer oder Aslan Ġoisum.


Künstlerische Positionen zur Trauer

Bereits zum dritten Mal greift die Kuratorin Brigitte Kölle für die Hamburger Kunsthalle in einer Ausstellung ein Tabu-Thema auf. Nach „Besser scheitern“ (2013) und „Warten. Zwischen Macht und Möglichkeit“ (2017) geht es nun um das Thema Trauer, das – so das Konzept – durch Verlust, aber auch durch Möglichkeiten der Veränderung geprägt wird. Anhand der Positionen von 28 Kunstakteuren des 20. und 21. Jhd. wird das Trauern anhand von Skulpturen, Gemälden, Fotografie, Video- und Klang-Installationen ausgelotet.

Trauer hat viele Facetten, dies zeigt die Ausstellung in unterschiedlichen Kapiteln: „Melancholie und Trauer“, „Trauer und Geschlecht“, „Kollektive Trauer“, „Trauer und Rebellion“, „Formen des Abschieds“ und „Die Unfähigkeit zu trauern“. Gezeigt werden Werke von u.a. Felix Gonzalez-Torres, Maria Lassnig, Philippe Parreno, Susan Philipsz, Thomas Schütte oder Andy Warhol.

Die Werke in der Ausstellung „Trauern. Von Verlust und Veränderung“ zeigen nicht nur ganz unterschiedliche Annäherungen an das Thema, sondern machen auch deutlich, dass Trauer auch einen politischen Aspekt haben und damit auf gesellschaftliche Zustände und auch Missstände verweisen kann.


Trauer und Protest

Der Tod von George Floyd am 25. Mai 2020 in Minneapolis machte einmal mehr deutlich, wie oft Schwarze rassistischer Gewalt durch die Polizei ausgesetzt sind. Nicht nur in den USA kam es daraufhin zu Protesten, die sich für #BlackLivesMatter einsetzten. Auch in Social Media kam es weltweit zu Solidaritätsbekundungen. Immer wieder tauchte dabei auch das historische Bild einer Fahne auf mit dem Schriftzug „A Man Was Lynched Yesterday“, u.a. bei Instagram gepostet von der NAACP – National Association for the Advancement of Colored People. Die Initiative nutzte die Fahne in den 1920er und ’30er Jahren, um auf die Lynchmorde an Schwarzen in den USA aufmerksam zu machen.

Inspiriert durch diese Protestfahne schuf Dread Scott (*1965) das Werk „A Man Was Lynched by Police Yesterday“ (2015) – als Reaktion auf die Tötung von Walter Scott. Auch Walter wurde von der Polizei getötet, auch er war Schwarz, so wie George Floyd. Auf die rassistische Polizeigewalt macht Scott aufmerksam, indem seine Fahne erweitert wird durch den Zusatz „by Police“. Die Arbeit von Dread Scott zählt durch die Diskussion, die der Tod von George Floyd nun erneut angestoßen hat, wohl zu den aktuell wichtigsten Werken in der Ausstellung der Hamburger Kunsthalle. [1]


Der Klang von Wehklagen

Für den Lichthof der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle schuf die Künstlerin Susan Philipsz (*1965) die Klanginstallation „Four Part Harmony“ (2020). Sie greift darin die keltische Tradition des Wehklagens auf, eine Art der öffentlichen, ritualisierten Totenklage. Ihr Sound Piece basiert auf dem irischen Lied „Keen for a Dead Child“ (Wehklage für ein totes Kind) in einer Fassung der Folk-Sängerin Kitty Gallagher. Philipsz sagt dazu:

„Die Wehklage erinnerte mich an ein Mantra, bei dem ein- und dieselben Töne permanent wiederholt werden. Ich habe die Musik bis auf die Grundelemente freigelegt und mich auf den Klang der einzelnen Töne konzentriert. Ich habe sie mit meiner eigenen Stimme gesungen und aufgenommen und in auf- und absteigenden Bögen arrangiert. Der Klang kommt aus vier verschiedenen Raumhöhen des Lichthofs und steigt und fällt in rhythmischen Mustern.“

Susan Philipsz [2]

In der Ausstellung „Trauern. Von Verlust und Veränderung“ findet sich noch eine weitere Klanginstallation von Susan Philipsz, „Lowlands“ (2008). Hier singt die Künstlerin drei unterschiedliche Versionen einer gleichnamigen schottischen Ballade aus dem 16. Jhd. Es ist ein Seemannslied, das von einem Ertrunkenen und seiner verlorenen Liebe handelt. Das Lied wird in leicht unterschiedlichen Versionen aus drei Lautsprechern abgespielt. Wie in Wellen überlappen sich die drei Lieder oder driften in ihrem Klang auseinander. Während man der Stimme von Philipsz lauscht, kann man von der Hamburger Kunsthalle übrigens seinen Blick über das Wasser der Binnenalster schweifen lassen. [3]


Theatralische Melancholie

Besonders aufwändig wurde in der Ausstellung die Videoarbeit „God“ (2007) von Ragnar Kjartansson (*1976) inszeniert. Auf einer Leinwand ist der in einen Smoking gekleidete Künstler zu sehen, der begleitet von einem Orchester die Worte „Sorrow conquers happiness“ (Kummer besiegt das Glück) singt.

Mal theatralisch übertrieben und mit großen Gesten, mal gefühlvoll und melancholisch dauert die musikalische Performance 30 Minuten; drei Worte werden zu einem ganzen Konzert. Die Videoleinwand steht dabei im Museum nicht für sich. Die Kulisse des Videos mit pinken Vorhängen wird im Ausstellungsraum der Hamburger Kunsthalle aufgegriffen, so als würde sich der Betrachter selbst in einem Theater befinden und dem Auftritt live auf der Bühne beiwohnen. [4]


Der Tod der Kennedys

Um Tode, die mit zu den wichtigsten Ereignissen in der amerikanischen Geschichte des 20. Jhd. zählen, geht es in gleich mehreren Werken in der Ausstellung „Trauern. Von Verlust und Veränderung“. Zunächst ist es der Tod des amerikanische Präsident John F. Kennedy, der am 22. November 1963 erschossen wurde. Die Hamburger Kunsthalle zeigt hierzu das Bild „Jackie“ (1964) von Andy Warhol (1928-1987). Es ist das Porträt der gefassten und doch von Trauer gezeichneten Witwe Kennedys, für das der Künstler ein Covermotiv des Life Magazine verarbeitete. Es zeigt Jacqueline Kennedy und ihre Kinder bei der Trauerfeier in Washington, D. C. Der Künstler zeigt die First Lady als „Ikone der disziplinierten Trauer“, als ein personifiziertes Symbol eines persönlichen und gleichzeitig auch nationalen Verlusts Amerikas. [5]

Mit dem Tod von Robert F. Kennedy, genannt Bobby, setzen sich in der Ausstellung Paul Fusco, Rein Jelle Terpstra und Philippe Parreno auseinander. Der Bruder von John F. Kennedy wurde am 6. Juni 1968 erschossen. Er galt als progressiver Präsidentschaftskandidat, der zu Zeiten des Vietnamkriegs für eine gerechte Gesellschaft ohne Diskriminierung stand. Seine Ermordung, kurz nachdem am 4. April bereits Martin Luther King Jr. ermordet worden war, sorgte für eine Welle der Trauer. Der Tod der beiden Männer, die auf eine Aufbruchstimmung hoffen ließen, erschütterte das ganze Land. Der Leichnam Bobby Kennedys wurde am 8. Juni mit einem Zug von New York City zur Bestattung nach Washington, D. C. transportiert. An den Gleisen warteten Hunderttausende Menschen, um ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen. Mit diesem Ereignis setzten sich die drei Künstler auseinander.

Der Fotojournalist Paul Fusco (*1953) fuhr selbst auf dem Zug mit. Für sein Werk „Funeral Train“ (1968) hielt er im Vorüberfahren die an den Gleisen stehenden Menschen in Bildern fest. Im Werk „The People’s View“ (2014-18) zeigt Rein Jelle Terpstra (*1960) die andere Perspektive, eine Auswahl der Aufnahmen von Zeitzeugen, die damals an den Gleisen standen und selbst fotografiert oder gefilmt hatten. Er kombiniert dies mit persönlichen Erinnerungsstücken, einem digitalisierten 8mm-Film sowie Dokumentationsmaterialien. Der Künstler Philippe Parreno (*1964) fertigte schließlich ein filmischen Reenactment der Zugfahrt an mit dem Titel „June 8, 1968“ (2009). Er stellt damit die Frage, wie dieses Ereignis von vor über 50 Jahren noch bis heute im kollektiven Gedächtnis der Vereinigen Staaten verankert ist. [6]


Universalität von Trauer

Um die politische Dimension von Trauer geht es in den 18 Bildtafeln von Willem de Rooij (*1969) mit dem Titel „Index: Riots, Protest, Mourning and Commemoration (as presented in newspapers, January 2000– July 2002) aus dem Jahr 2003. Die Bilder zeigen Menschen bei politischen Unruhen, Protesten und Trauerkundgebungen; Bildmaterial, das der Künstler der internationalen Presse entnommen hat. De Rooij lässt die Aufnahmen von weinenden, verzweifelten oder wütenden Menschen umkommentiert. Was aber auffällt, ist, dass sich sowohl die Personen in ihren Verhaltensweisen, als auch ihre Darstellung durch die Presse ähneln – unabhängig aus welchem Land die Aufnahmen stammen. Der Künstler stellt so eine Art Universalität von zum Ausdruck gebrachter Trauer im öffentlichen Raum dar. [7]


Variationen der Trauern

Zu den bewegendsten Werken in der Ausstellung der Hamburger Kunsthalle zählen die „Beweinungsbilder“ von Maria Lassnig (1919-2014), in denen sich die Künstlerin mit dem Verlust ihrer Mutter auseinandersetzt. Die ambivalente Beziehung thematisiert sie etwa im Gemälde „Balken im Auge / Trauernde Hände“ (1964), das ihre Gestalt abgewendet vom Leichnam der Mutter zeigt. Eines ihrer Augen wird von einem hellen Farbbalken durchstoßen, vielleicht ein Ausdruck ihrer Blindheit bedingt durch die Trauer um die Mutter. Die gesamte Bildserie Lassnigs erinnert an das christliche Thema der Beweinung. [8]

Mit zu den jüngsten Künstlerinnen in der Ausstellung zählt Greta Rauer (*1995). Ihre Werkgruppe „Fragmente“ (2019) besteht aus kleinformatigen Gemälden, die Ausschnitte einer Trauerfeier zeigen, sowie auf dem Boden des Ausstellungsraumes verstreute Splitter von Grabplatten, deren Inschriften zerbrochen sind. Die Künstlerin thematisiert damit den Beginn und das Ende eines Trauer- und Gedächtnisprozesses: Während kurz nach dem Tod die Trauer der Angehörigen noch groß ist, werden Gräber irgendwann von Friedhofsverwaltungen beseitigt, sobald die Grabpacht abgelaufen ist. [9]

Weitere Arbeiten in der Ausstellung befassen sich zum Beispiel mit Trauer in Ghana, anhand der farbenfrohen Särge von Ataa Oko (1919-2012) und Kudjoe Affutu (1985), oder mit dem Kreislauf des Lebens, verdeutlicht durch die Werke von Felix Gonzalez-Torres (1957-1996), die von Besuchern mitgenommen und dann vom Museum wieder aufgefüllt werden.


Trauern. Von Verlust und Veränderung

Hamburger Kunsthalle
07.02.-02.08.2020 (verlängert)


Fotos: Angelika Schoder – Hamburger Kunsthalle, 2020


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Angelika Schoder

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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Fußnoten

[1] Dazu: Dread Scott / Anonym: Trauer und Protest, In: Trauern. Von Verlust und Veränderung. Begleitheft zur Ausstellung. Hg.v. Brigitte Kölle für die Hamburger Kunsthalle. Hamburg, 2020, S. 28

[2] Dazu: Susan Philipsz: Wehklage, In: Ebd., S. 5

[3] Dazu: Susan Philipsz: Trauergesang, In: Ebd., S. 31

[4] Dazu: Ragnar Kjartansson: Trauer und Melancholie, In. Ebd., S. 10

[5] Dazu: Andy Warhol: Individuelle und kollektive Trauer, In: Ebd., S. 6

[6] Dazu: Paul Fusco, Rein Jelle Terpstra, Philippe Parreno: Blickwechsel der Trauer, In: Ebd., S. 11f

[7] Dazu: Willem de Rooij: Sichtbarkeiten der Trauer, In: Ebd., S. 26

[8] Dazu: Maria Lassnig: Beweiningsbilder, In: Ebd., S. 19f

[9] Dazu: Greta Rauer: Formen des Abschieds, In: Ebd., S. 16


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