Von Dune bis Alien: HR Giger trifft auf Mire Lee

Wie aus düsteren Träumen entsprungen wirken die Arbeiten von HR Giger und Mire Lee, die in der aktuellen Ausstellung im Berliner Schinkel Pavillon geschickt miteinander kombiniert werden.

Wie aus düsteren Träumen wirken die Arbeiten von HR Giger und Mire Lee, die im Berliner Schinkel Pavillon miteinander kombiniert werden.

[Ausstellung] Die Skulpturen, Zeichnungen und Gemälde des Großmeisters der xenomorphen Wesen HR Giger begegnen aktuell im Berliner Schinkel Pavillon den mechanisch-vegetierenden Installationen der südkoreanischen Künstlerin Mire Lee und treten miteinander in einen unheimlichen Dialog. Dass sich das Ganze inmitten einer Kulisse ereignet, in der klassizistische Elemente und DDR-Design miteinander verschmelzen, verstört zusätzlich und komplettiert damit den angenehm schauderhaften Gesamteindruck.


HR Giger: Von Dune bis Alien

Die Ausstellung wird vor allem Fans des Schweizer Künstlers Hans Rudolf Giger (1940-2014) anlocken, insbesondere wenn sie sich für seine Arbeit für Hollywood-Produktionen wie „Dune“ oder „Alien“ begeistern. Tatsächlich finden sich im Schinkel Pavillon dazu wichtige Werke: Zum einen ist es im ersten Stock die zentrale Präsentation von „Harkonnen Environment“ (1981), ein Set von Tisch und Stühlen. HR Giger entwarf diese für Alejandro Jodorowskys Verfilmung des Science-Fiction-Romans „Dune“ von Frank Herbert, an der auch Salvador Dali und Mick Jagger beteiligt sein sollten. Jodorowsky beauftragte Giger damit, die Bilderwelt von Baron Harkonnen zu entwerfen: angefangen bei der Familie Harkonnen, deren Heimatplaneten und ihrem Schloss, das als Symbol für Maßlosigkeit, Habgier und Unterwerfung stehen sollte. Im für Giger typischen Stil verschmelzen bei „Harkonnen Environment“ organische und technische Strukturen, wobei die Arbeit eine über Leichen gehende brutale Herrschaft zu verdeutlichen scheint.

Jodorowskys „Dune“ kam letztendlich nie zustande, stattdessen landeten Gigers Entwürfe bei Ridley Scott, der 1980 die Regie des Films übernehmen sollte. Auch Scott setzte „Dune“ aufgrund von Meinungsverschiedenheiten mit dem Produzenten nicht um, nutzte aber schließlich einige Elemente von Gigers Harkonnen-Entwürfen für sein „Alien“ Prequel „Prometheus“ (2012).

Direkt für Scotts ersten „Alien“ Film aus dem Jahr 1979 entwarf Giger allerdings den Xenomorph, eine außerirdische Spezies, die so wandelbar wie aggressiv ist und mittlerweile einen festen Platz in der Reihe der ikonischen Hollywood-Filmmonster einnimmt. Hierzu sind in der Ausstellung im Schinkel Pavillon mehrere wichtige Arbeiten vertreten. Eine zentrale Position im Ausstellungsraum in der ehemaligen „Schinkel Klause“, dem Untergeschoss des Pavillons, nimmt Gigers Skulptur „Necronom (Alien)“ (1990) ein. Es ist ein lebensgroßer Xenomorph mit ausgefahrenen Krallen.


Einblicke in Gigers Ideenwelt

Neben Gigers „Necronom“ Skulptur ist das Gemälde „Necronom IV“ (1976) zu sehen, das Ende der 70er Jahre Ridley Scotts Aufmerksamkeit erregte und als Grundlage für die Erschaffung des Alien in dessen gleichnamigem Film diente. In einem Nebenraum sind zudem Skizzen und Notizbücher von HR Giger zu sehen, welche die Entwicklung der Alien-Kreatur und anderer Spezialeffekte für den Film „Alien III“ von David Fincher aus dem Jahr 1992 zeigen. Noch nie zuvor ausgestellte private Tagebücher von Giger gewähren zudem einen Einblick in die Gedankenwelt des Künstlers. In seinen Notizen echauffiert er sich etwa darüber, dass das Filmstudio FOX bei weiteren Filmen der „Alien“-Reihe seinen Namen nicht im Abspann nennen würde; ab Teil 4 sollte er auch keine Tantiemen mehr für die Verwendung seiner Xenomorph-Figur erhalten.

Darüber hinaus zeigt die Ausstellung im Schinkel Pavillon von HR Giger auch frühe Ölgemälde, Tuschezeichnungen und Skulpturen. So beginnt die Ausstellung mit Gigers ikonischen „Birthmachine“ Zeichnungen (1967 und 1965–66) und der Skulptur „Suitcase Baby“ (1967). Die Auseinandersetzung mit pränataler Psychologie sowie dem Trauma seiner eigenen Geburt sind wiederkehrende Motive in Gigers Werk. Bei „Birthmachine“ mischt sich dieses Thema mit dem Grauen des Künstlers vor dem nuklearem Wettrüsten im Kalten Krieg. Frühe Arbeiten wie „Phantom der Oper“ (1966), „Atomkinder“ (1967), „Cthulu (Genius)“ (1967) oder „Frau mit Kind“ (1967) zeigen zudem Gestalten als Paarung von Mensch und Maschine – eine Reaktion auf Themen wie biologische Kriegsführung, Industrialisierung und die fortschreitende Technologisierung der Gesellschaft, die HR Giger bewegten.


Mire Lee: Mechanisch-organische Wesen

Die südkoreanische Künstlerin Mire Lee (*1988), die heute in Amsterdam lebt und arbeitet, wurde mit ihren kinetischen Skulpturen und „quasi-alchemistischen“ Installationen bekannt. Sie erschafft Gebilde aus Silikon, PVC-Schläuchen, Polyester und Baumaterialien, durch deren organähnliche Verbindungen und Gefäße zähflüssige Substanzen zirkulieren oder zu wuchernden Krusten gerinnen. In ihren Arbeiten setzt sich die Künstlerin mit Fetischen, erotischem Begehren und Ängsten der Gegenwart auseinander. Lees komplexe Arrangements ähneln lebenden Organismen mit verfremdeten Gliedmaßen oder mechanischen Gedärmen. Insbesondere die für den Schinkel Pavillon neu entwickelten Installationen – als Antwort auf die Arbeiten von HR Giger – erinnern an verwachsene Körperteile und artifizielle Stoffwechselprozesse.

Im Schinkel Pavillon stehen die Arbeiten von Mire Lee teils für sich, etwa die neue kinetische Skulptur „Untitled“ (2021). In einem kleinen gekachelten Nebenraum der Ausstellung windet sich das Objekt, das an die düsteren Arbeiten des Schweizer Künstlers Jean Tinguely erinnert, am Boden. Schlammspuren suggerieren, es wäre gerade aus einem Abfluss gekrochen und würde nun vielleicht versuchen zu fliehen. Die Skulptur beinhaltet Teile von Lees älterem Werk „Ophelia“, denn die Künstlerin recycelt häufig gebrauchte Materialien, um ihre, wie sie sagt, oft „bedauernswerten“ Wesen zu erschaffen.

In einem weiteren Nebenraum ist die Bewegtbildarbeit „Faces“ (2018) zu sehen. Die Arbeit entstand, nachdem die Künstlerin während eines Aufenthalts in Paris 2015 den Lockdown der Stadt in Folge der Bataclan-Anschläge miterlebte. Neben der medialen Berichterstattung über die Terroranschläge setzte sich Lee damals mit „Grope Porn“ auseinander, einem Genre der Pornografie, in dem nichtsahnende junge Frauen in öffentlichen Verkehrsmitteln belästigt werden. Das Zusammentreffen filmischer Zeugnisse kollektiv erlebter Traumata – terroristische Anschläge oder öffentlicher sexueller Missbrauch – inspirierte sie zu diesem Werk. „Faces“ ist eine Sammlung nicht-sexueller Sequenzen japanischer Grope-Porn-Videos, gezeigt werden die Momente, bevor die Übergriffe beginnen.


Ein Treffen merkwürdiger Gestalten

Meist werden im Schinkel Pavillon Mire Lees Arbeiten im direkten Bezug zu den Werken von HR Giger präsentiert. So liegt mitten auf dem Tisch von „Harkonnen Environment“ Lees neu geschaffene Skulptur „Endless House: Large Egg“ (2021). Mit ihrem fleischigen Innenleben erinnert die Arbeit an ein Lebewesen, das brutal verspeist wurde – in diesem Fall vielleicht vom Vielfraß Baron Harkonnen persönlich. Die Skulptur hat wie ein Ei eine harte Schale, in diesem Fall aus Beton, und ein fragiles Inneres. Inspiriert wurde die Arbeit übrigens von einer Geschichte der Hentai-Künstlerin Crimson, in der ein Wesen auftaucht, dessen Haut plötzlich klitorisartig überempfindlich wird, so als wäre das Innere nach außen gestülpt worden. Umgeben ist „Harkonnen Environment“ von Lees rosafarbenen, bauchigen Kreaturen mit wuchernden, nabelschnurartigen Tentakeln. Die „Carrier-offsprings“ (2021) verweisen auf die sogenannte Vorarephilia, die Sehnsucht danach, ein Lebewesen zu verschlingen oder von ihm verschlungen zu werden, um zwei Subjekte in eine pränatale Einheit zurückzuführen. Die „Carriers“ können ihrem Namen nach aber auch als Träger etwa von Nachkommen oder Krankheiten gesehen werden. So werden sie zu Körpern in verschiedenen Stadien zwischen Überfluss und Unvollständigkeit, Fülle und Leere, Wachstum und Zerfall.

Im Untergeschoss schuf Mire Lee passend zum oktogonalen Raum des Schinkel Pavillon einen Sockel, der dessen Form aufgreift. Dieser wird zum Schauplatz einer „dämonischen, roh-erotischen Liebesgeschichte“, wie es Kuratorin Agnes Gryczkowska formuliert: Gigers Alien-Skulptur „Necronom“ (1990) trifft auf Lees neu geschaffene animatronische Arbeit „Endless House“ (2021). Die Installation der Künstlerin ist inspiriert von Friedrich Kieslers „Endless House“, einem architektonischen Projekt, das nie verwirklicht wurde. Der Entwurf sah einen biomorphen Raum vor, den Kiesler als endlos betrachtete, „wie der menschliche Körper – es gibt keinen Anfang und kein Ende“. Dieses Prinzip kehrt Lee um; ihr „Endless House“ ist eine Metapher der Angst vor dem Eingeschlossensein in einem Körper, der endlos missbraucht wird. Die Skulptur verweist auch auf eine Art emotionaler Gefangenschaft in Verbindung mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS), bei der Schwierigkeiten der Grenzfindung zwischen dem Selbst und dem Anderen symptomatisch sind. Betrachtet man Gigers und Lees Skulpturen direkt nebeneinander, so scheint es, als sei „Endless House“ entweder ein Opfer von Gigers Xenomorph – oder eine seiner Entwicklungsvorstufen.


Morbides in DDR Architektur

Der 1969 von Architekt Richard Paulick erbaute Schinkel Pavillon liegt im Park des Berliner Kronprinzenpalais, direkt neben der Friedrichwerderschen Kirche. Das DDR Baudenkmal wird durch seine ungewöhnliche Ausstellungsarchitektur geprägt. Zu den Ausstellungsräumen zählt auch die unter Erich Honecker berühmt gewordene ehemalige DDR-Gaststätte, die „Schinkel Klause“ im Erdgeschoss des Pavillons.

Von außen erinnert das achteckige, rundum verglaste Gebäude in seiner Architektur an die Zeit des Klassizismus, als wäre es um 1800 erbaut worden und nicht in der DDR-Zeit. Auch die Wandgestaltung im Inneren mit an die Antike angelehnten Ton-Reliefs und die Wandbemalungen im Hauptraum der ehemaligen „Schinkel Klause“ sind an die Zeit des Klassizismus angelehnt. Im Kontrast dazu stehen Elemente der DDR-Moderne, angefangen beim Treppenhaus mit seinem Stahlgeländer und den Glaslampen bis hin zum dunklen Steinboden im ersten Stock und der auffälligen Deckengestaltung.

Insbesondere die oktogonalen Haupträume des Pavillons schaffen mit ihrer Gestaltung eine Art Raumschiff-Atmosphäre und bilden den perfekten Rahmen für die alptraumhaften Wesen von HR Giger und Mire Lee.


HR Giger & Mire Lee

Schinkel Pavillon, Berlin
18.09.2021-02.01.2022


Header-Bild: HR Giger & Mire Lee: Ausstellungsansicht – Schinkel Pavillon, 2021 © Schinkel Pavillon, Mire Lee, Antenna Space, Shanghai, Tina Kim Gallery und HR Giger Museum, Foto: Angelika Schoder


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Angelika Schoder

Über die Autorin

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.

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