[Ausstellung] In einer Zeit die von politischen Konflikten, Naturkatastrophen und Kriegen bestimmt wird, erscheint die Frage danach, was Schutzräume ausmacht, hochaktuell – nicht nur in Finnland. Aufgrund seiner Geschichte ist das Land im Nordosten Europas besonders sensibilisiert für dieses Thema und so überrascht es nicht, dass die Helsinki Biennale 2025 unter dem Motto „Shelter: Below and Beyond, Becoming and Belonging“ steht.
Seit 2021 lädt das HAM Helsinki Art Museum alle zwei Jahre finnische und internationale Kunstschaffende und Kunst-Kollektive dazu ein, sich mit einem aktuellen Thema auseinanderzusetzen. In diesem Jahr wurden 37 Akteure dazu aufgerufen, mit ihren Werken gleich drei Orte in und um die finnische Hauptstadt zu bespielen: den Esplanade Park am Marktplatz, das HAM Helsinki Art Museum in der Innenstadt und die Insel Vallisaari, die etwa 20 Minuten vor der Küste von Helsinki liegt. Insgesamt sind 57 Kunstwerke und Installationen bei der Helsinki Biennale 2025 vertreten, die alle um das Thema kreisen, was Zuflucht und Schutz ausmacht. Etwa die Hälfte aller Arbeiten werden im Rahmen der Biennale zum ersten mal gezeigt, etwa „Learning To Be Better Lovers“ (2025) von Katie Holten oder „SaariBird“ (2025) von Ernesto Neto. Daneben sind auch ältere Werke von u.a. Yayoi Kusama oder Ólafur Elíasson zu sehen.

Shelter: Below and Beyond, Becoming and Belonging
Die Helsinki Biennale 2025 bringt Kunstschaffende aus der ganzen Welt zusammen: Vertreten sind 30 verschiedene Kulturen, mit einem besonderen Fokus auf die nordischen Länder, Lateinamerika und Asien. Insgesamt 37 Akteure und Kollektive befassen sich anhand von Installationen, Keramiken, Klangkunst und in traditioneller Handwerkskunst mit dem Thema „Schutzräume“. Bei der Konzeption der Biennale ließen sich die beiden Kuratorinnen Blanca de la Torre und Kati Kivinen dabei insbesondere von Vallisaari inspirieren. Die abgeschiedenen Insel vor der Küste Finnlands wurde früher für militärische Zwecke genutzt und war daher lange Zeit für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Die Natur konnte sich hier Jahrzehnte lang frei entfalten und blieb unbeeinflusst von menschlichen Einflüssen. Das einzigartige Ökosystem der Insel, das vielen Tier- und Pflanzenarten ein Zuhause bietet, steht symbolisch für einen Schutzraum im eigentlichen Sinne. Vor diesem Hintergrund stellt die Biennale die Frage, was Schutz in einer Zeit globaler Herausforderungen bedeuten kann, nicht nur für uns Menschen, sondern auch für Tiere, Pflanzen, Gewässer, Insekten und andere natürliche Elemente.
Die Helsinki Biennale 2025 will Kunst als einen Ort des Rückzugs, aber auch des Nachdenkens zeigen. Denn Schutzräume können nicht nur als sicherer Ort genutzt werden, sondern auch als Raum für Beziehungen, die das Miteinander aller Lebensformen umfasst. So regen die vertretenen Kunstwerke dazu an, insbesondere unsere Verbindung zur Natur neu zu denken und zeigt, wie eng unser eigenes Wohlergehen mit unserer Umwelt verknüpft ist, von Tieren, Pflanzen, Pilzen und Insekten bis hin zu Mineralien. So zeigen die Kunstwerke diverse Formen des Schutzes, indem sie mal emotionale Sicherheit geben, mal neue Sichtweisen ermöglichen und mal Mitgefühl wecken. Viele der Werke befassen sich auch mit der Rolle der Natur in unserem Leben. Sie erzählen Geschichten aus der Perspektive von Tieren oder Pflanzen und geben Impulse für ein besseres Zusammenleben. Andere Arbeiten betonen auch das Wissen indigener Gemeinschaften, die oft über ein tiefes Verständnis für natürliche Zusammenhänge verfügen.

Das Helsinki Art Museum als Herzstück der Biennale
Das HAM Helsinki Art Museum gehört zu den wichtigsten Kunstinstitutionen Finnlands und Skandinaviens. Es verwaltet über 10.000 Kunstwerke, darunter die städtische Sammlung Helsinkis, die sich vor allem auf finnische Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts konzentriert. Seit 2015 werden im sogenannten Tennispalast in Helsinki wechselnde Ausstellungen sowie Dauerpräsentationen gezeigt, darunter die Sammlung Leonard und Katarina Bäcksbacka sowie Tove Janssons bekannte Fresken. Darüber hinaus ist das HAM auch für die Kunst im öffentlichen Raum in Helsinki zuständig und organisiert seit 2021 die Helsinki Biennale für zeitgenössische Kunst.
Im Rahmen der Biennale zeigt das HAM unter anderem im Foyer die Skulptur „Flowers that Bloom Tomorrow“ (2011) der japanischen Künstlerin Yayoi Kusama (*1929). Die glänzende Oberfläche der Skulptur ist mit leuchtenden Polka-Dots überzogen, ein Markenzeichen der Künstlerin, das an ihre frühen Blumenbilder erinnert. Die überdimensionale Blume wirkt zugleich fröhlich und unheimlich, fast wie ein fremdartiges Wesen aus einem Science-Fiction-Film. Mit ihren vielen „Augen“ und wurzelartigen Fortsätzen erinnert sie an eine mutierte, fleischfressende Pflanze, die bereit ist die Museumsbesucher zu verschlingen.
Im Obergeschoss des HAM setzt sich die Ausstellung mit den Werken von 14 weiteren Kunstschaffenden fort, unter anderem mit der Skulptur „The Giant Hogweed“ (2020) der schwedischen Künstlerin Ingela Ihrman (*1985). Die Skulptur zeigt einen acht Meter hohen Riesenbärenklau (Heracleum mantegazzianum), eine ursprünglich aus dem Kaukasus stammende Pflanze, die heute als invasive Art gilt. Sie bedroht in Europa die Landwirtschaft und Ökosysteme und kann durch ihren phototoxischen Saft auch für Menschen gefährlich sein. Ihrman zieht mit ihrem Werk Parallelen zwischen der aggressiven Ausbreitung der Pflanze und der alles verzehrenden Kraft von Liebe und Verlangen. Zur Ausstellung gehört auch ihre erotische Kurzgeschichte „Green Fingers“. Ergänzt wird das Werk durch „The Stegocephalia from Bjuv“, eine Installation über ein urzeitliches Amphibien-Fossil, das in einer Kohlemine in Südschweden entdeckt wurde.
Gezeigt wird hier auch der Film „Teardrops of Our Grandmother“ (2023) von Jenni Laiti (*1981), einer Sámi Künstlerin und Umweltaktivistin, und Carl-Johan Utsi (*1978), einem Sámi Fotografen und Reentierhalter. Ihr Kurzfilm ist eine poetische Reflexion über das Überleben in einer bedrohten Welt: Die samische Lebensweise ist eng mit Winter, Kälte und den acht arktischen Jahreszeiten verbunden. Durch die globale Erwärmung verändern sich diese Jahreszeiten, was das Überleben indigener Gemeinschaften und arktischer Tierarten gefährdet. Das Video betont die untrennbare Verbindung zwischen Land und Mensch und zeigt, wie Umweltzerstörung auch menschliches Leid verursacht. Das Künsrtler-Duo ruft dazu auf, langsamer zu leben und der Natur die nötige Zeit zur Heilung zu geben, um gemeinsam im Einklang zu bleiben.
- HAM Helsinki Art Museum | Eteläinen Rautatiekatu 8, 00100 Helsinki

Kunstwerke zwischen Wald und Küste auf der Insel Vallisaari
Nur 20 Minuten mit der Fähre von Helsinki entfernt befindet sich der größte Ausstellungsort der Helsinki Biennale 2025: die Insel Vallisaari. Vom Keisarinluoto-Kai am Marktlatz von Helsinki legen halbstündlich Fahrten zur Insel ab; die Fähre ist kostenpflichtig, der Besuch der Biennale auf der Insel selbst ist kostenlos. Die Insel blick auf eine lange Geschichte zurück, so wurde sie im Schwedisch-Russischen Krieg 1808 als Militärbasis genutzt, um die Nachbarinsel Suomenlinna zu belagern. Nach der Unabhängigkeit Finnlands 1917 nutzte das Militär Vallisaari als Waffenlager, etwa für Torpedos und Minen, außerdem fanden auf der Insel Wetterbeobachtungen statt. Die finnischen Streitkräfte gaben die Inseln 2008 auf und Vallisaari wurde 2016 für die Öffentlichkeit als Ausflugsziel erschlossen. Für die Biennale bietet die Insel einen außergewöhnlichen Rahmen, zwischen unberührter Natur und militärischen Gebäuden.
In einem ehemaligen Waffenlager zeigt die mexikanische Künstlerin Tania Candiani (*1974) zum Beispiel die beiden Installationen „Subterra“ (Subterranean, 2025). Die Werke widmen sich den unsichtbaren Kräften, die das Leben über und unter der Erde verbinden. Im Mittelpunkt stehen unterirdische Netzwerke in Wäldern und die komplexen Abhängigkeiten innerhalb von Ökosystemen. Eine eigens komponierte Klanglandschaft lenkt die Aufmerksamkeit auf nicht-menschliches Leben und ein begleitendes Video zeigt wachsende Wurzeln, die neben echten, in Glasgefäßen hängenden Wurzeln präsentiert werden. Im Nebenraum befinden sich organisch wirkende Glasskulpturen, die zugleich Zerbrechlichkeit und Stärke symbolisieren sollen.
Allein auf den Klang konzentriert sich die Installation „The Weep of Trees“ (2021-23) des finnischen Kunstkollektivs Band of Weeds, die sich in einer Art Gewächshaus erleben lässt. Das Werk übersetzt pflanzlichen Stress in Musik: Inspiriert vom Kalevala-Gedicht über die klagende Birke verarbeitet die Klanginstallation Daten eines Forschungsprojekts der Universität Helsinki. In einem 60 Jahre alten Wirtschaftswald wurde die Hälfte der Bäume gefällt; die verbliebenen Bäume reagierten messbar mit Stress. Sensoren erfassten ihre Emission flüchtiger organischer Verbindungen vor und nach der Durchforstung. Diese Daten wurden in musikalische Klänge umgewandelt und mit weiteren Naturaufnahmen kombiniert, als ein Echo auf das Leid der Bäume und ihre „Sprache“.
Eine andere Wahrnehmung der Natur will auch die „Viewing Machine“ (2001/03) des isländisch-dänischen Künstlers Ólafur Elíasson (*1967) ermöglichen. Ein riesiges bewegliches Kaleidoskop zeigt Spiegelungen der umgebenden Natur: Es lässt sich auf das Meer richten, aber auch auf die Felsen von Vallisaari oder auf den Wald der Nachbarinsel Kuninkaansaari. Selbst eine kleine Veränderung der Ausrichtung der „Sehmaschine“ ändert das ganze Bild – und natürlich lassen sich auch andere Personen durch das Kunstwerk beobachten und optisch in zahlreiche spiegelnde Fragmente zerstreuen. Elíassons Werk macht die Vielfalt menschlicher Wahrnehmung sichtbar und eröffnet spielerisch neue Perspektiven auf Natur, Landschaft und das eigene Sehen.
Einige Werke auf Vallisaari widmen sich auch der Tierwelt, etwa „Stranding“ (2025) der finnischen Künstlerin Sara Bjarland (*1981). Die Installation sieht die Insel als Rückzugsort, den sich Menschen mit anderen Arten teilen. Obwohl oder vielleicht eher weil das Schwimmen für Menschen hier verboten ist, tummeln sich Tiere wie Vögel und Otter ungestört im Wasser. Am felsigen Ufer der Insel hat Bjarland eine Gruppe von Skulpturen platziert, die an aufblasbare Badespielzeuge erinnern. Diese in Bronze gegossenen Objekte stellen Meeressäuger dar und wirken halb aufgeblasen, als wären sie achtlos zurückgelassen worden. Zwischen Komik und Melancholie schwankend, erinnern die Formen aber auch an eine gestrandete Delfingruppe, möglicherweise Opfer menschlicher Eingriffe oder Umweltveränderungen. Die Installation greift auch das Thema Plastikmüll ironisch auf, indem sie flüchtige Wegwerfobjekte in dauerhafte Kunstwerke verwandelt: ein Kommentar über unser Verhältnis zur Natur und unseren ökologischen Fußabdruck. Die Installation wurde eigens für die Helsinki Biennale 2025 in Auftrag gegeben. Im Anschluss wird „Stranding“ als dauerhaftes öffentliches Kunstwerk im Stadtraum von Helsinki installiert.
- Vallisaari Insel – freier Eintritt, kostenpflichtige Fähre zur Insel vom Marktplatz, Keisarinluoto-Kai

Kunst im Esplanade Park
Der Esplanade Park, der zwischen dem Schwedischen Theater und dem Marktplatz von Helsinki liegt, zeigt während der Biennale die Werke von fünf Kunstschaffenden. Rund um die Statue des finnischen Nationaldichters Johan Ludvig Runeberg (1804-1877) sind hier etwa Flaggen der irischen Künstlerin Katie Holten (*1975) zu sehen. Holtens Kunst thematisiert die Klimakrise und den Verlust biologischer Vielfalt. Sie betont in ihren Werken die enge Beziehung zwischen Mensch und Pflanzen, die im Anthropozän stark gestört wurde. Mit ihren Werken versucht sie ein neues Verständnis dieser Verbindung zu fördern und sucht nach Heilung der Entfremdung des Menschen von der Natur in einer existenziellen Krise.
In ihrem Werk „Learning To Be Better Lovers“ (2025), das für die Helsinki Biennale 2025 in Auftrag gegeben wurde, hat sie ein „Forest Alphabet“ entwickelt, eine Schrift des Waldes. Angeregt von der reichen Pflanzen- und Pilzvielfalt auf der Insel Vallisaari, vor allem von Nadel- und Laubbäumen sowie von Moosen und Flechten, entwarf Holten eine individuelle TrueType-Schrift, die man auf der Website der Helsinki Biennale auch herunterladen kann. Mit diesem Alphabet lädt sie Betrachtende dazu ein, das Ökosystem des Waldes neu zu entdecken und kreative, artenübergreifende Erzählformen zu entwickeln. Sie zeigt ihr „Forest Alphabet“ sowohl auf Flaggen im Esplanade Park, die Wörter wie LOVE darstellen, sowie auf der Insel Vallisaari. Im ehemaligen Feuerwehrdepot der Insel, das sie zur Waldschule umgestaltet hat, zeigt sie Zeichnungen, Texte und Materialien aus ihrem Projekt „Learning to Be Better Lovers“ und lädt Besuchende auch zu gemeinsamen Spaziergängen, Workshops und künstlerischen Aktionen ein.
Ein weiteres Werk im Esplanade Park ist die Skulptur „Luce e Ombra“ (Light and Shadow, 2014) des italienischen Bildhauers Giuseppe Penone (*1947). Seine über zwölf Meter hohe, baumartige Bronzeskulptur thematisiert den Wandel und die Verbundenheit von Mensch und Natur. Penone sieht die Trennung zwischen Arten als künstlich, denn seiner Auffassung nach ist alles Leben miteinander verflochten. In seiner Arbeit reflektiert er über die Ähnlichkeit biologischer Formen, etwa zwischen Baumringen und Fingerabdrücken, aber auch über die zerstörerischen Spuren menschlichen Handelns. Seine Skulptur bei der Biennale zeigt einen blattlosen Baum, dessen Krone sich wie eine Hand zum Himmel streckt. Eine glatte Granitkugel auf der Spitze steht im Kontrast zur organischen Form als Sinnbild für Zeit, Natur und menschlichen Einfluss.
- Esplanadi | Pohjoisesplanadi, 00130 Helsinki – freier Eintritt
Helsinki Biennale 2025
08.06.-21.09.2025
musermeku dankt Helsinki Partners für die Helsinki Card und den Zugang zur Biennale.
Header-Bild: Angelika Schoder – Ólafur Elíasson: Viewing Machine (2001/2003) – Vallisaari, 2025,
Bilder: Angelika Schoder – Vallisaari & Helsinki, 2025
Wir brauchen deine Unterstützung
Werde jetzt Mitglied im musermeku Freundeskreis: Erhalte wöchentlich News zu Kunst und Kultur direkt per E-Mail, sichere dir den Zugang zu exklusiven Inhalten und hilf uns dabei, unsere Betriebskosten für musermeku.org zu decken.

Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
Linktipps
Der Newsletter zu Kunst & Kultur
In unserem kostenlosen Newsletter informieren wir einmal im Monat über aktuelle Neuigkeiten aus dem Kunst- und Kulturbereich.