[Rezension] Er kümmerte sich nicht um künstlerische Konventionen und hatte in seiner Wahlheimat London deshalb den Spitznamen „Der wilde Schweizer“: Johann Heinrich Füssli, oder auch Henry Fuseli (1741-1825), sorgte mit seinen Werken für Skandale, etwa mit seinem Bild „Die Nachtmahr“ (1781). Das Gemälde, das einen Alptraum-Dämon zeigt, der auf einer lasziv von einem Bett sinkenden Frau hockt, beförderte den Künstler zu schlagartiger Berühmtheit. Oft bevölkern Fantasiewesen und düstere Gestalten seine Bilderwelten. Inspitarion holte sich Füssli dabei aus der Literatur und von der Theaterbühne. Insbesondere das Werk von William Shakespeare und die Inszenierungen auf den Londoner Bühnen hatten es ihm angetan, wie die Publikation „Füssli. Drama und Theater“ zeigt.
Literatur und Theater als Inspirationsquellen
Das Natürliche stand im Werk von Johann Heinrich Füssli schon immer hinter dem Dramatischen zurück. [1] Wie Szenen aus Theaterstücken inszenierte der Künstler seine Bilder, mit ausladend gestikulierenden Protagonisten und stimmungsvollem Lichtspiel. Tatsächlich lag seine Inspiration weniger in der Realität als in der Welt der Literatur. [2] Füssli beschäftigte sich mit antiken und mittelalterlichen Sagen, aber auch mit zeitgenössischer Literatur, insbesondere mit Shakespeares Tragödien und Komödien sowie mit Miltons „Paradise Lost“, von dem sich später auch Gustave Doré inspirieren ließ.
Tatsächlich hatte sich Füssli mit Werken wie „Die drei Hexen“ (1785) zum Fachmann für die Darstellung des Übernatürlichen gemacht und bot sich damit an, auch mit der Umsetzung von weiteren Shakespeare-Stoffen als Künstler betraut zu werden. [3] Für eine Galerie zu Ehren des englischen Nationaldichters durfte der Schweizer deshalb Gemälde zu „König Lear“, „Heinrich IV“, „Hamlet“, „Der Sturm“, „Heinrich V“, „Macbeth“ und zum „Sommernachtstraum“ umsetzen. Auch mit der Darstellung anderer literarischer Werke wurde Füssli beauftragt. Zudem widmete sich der Künstler aus eigenem Interesse heraus fast ein Jahrzehnt lang der Illustration des literarischen Werkes von John Milton. [4]
Doch auch Theaterportraits und die Darstellung einzelner Szenen von der Bühne hatten es Füssli angetan. Dabei ging es ihm aber nicht nur um typische Posen von Darstellern, sondern vor allem um eine starke Faszination für das Theatralische. Die menschliche Anatomie konnte dabei auch schon mal zugunsten eines symbolhaften Ausdrucks vernachlässigt werden. [5]
Füsslis „Gothic Art“
Durch seine Darstellung übernatürlicher Phänomene wird Johann Heinrich Füssli oft als Hauptvertreter der proto-romantischen „Gothic Art“ genannt. Es sind besonders seine Hexendarstellungen aus „Macbeth“, seine Undine-Darstellungen oder seine Milton’schen Umsetzungen von Tod und Sünde, die ihm diesen Ruf einbrachten. Das Besondere im Werk von Füssli ist dabei, dass sich der Künstler nicht unbedingt wörtlich an seine literarischen Vorlagen hielt. Er verließ sich eher auf seine eigene Vorstellungskraft, um bestimmte Themen zu verdichten, auch zu übertreiben, und damit deren Bedeutung prägnanter darstellen zu können.
So wird König Lear in Füsslis Darstellung plötzlich zum vor Kraft strotzenden Greis, Shakespeares Feenwelt erhält Einflüsse aus dem englischen Volksglauben und der Insektenkunde und Satan wird in Miltons „Paradise Lost“ zum Helden. Bei vielen Stoffen nimmt der Künstler eine fast schon psychologische Interpretation vor und schafft mit seinen Werken Neuinterpretationen. [6] Darüber hinaus dachte Füssli sich auch selbst Geschichten aus, die er dann in Gemälden umsetzte, etwa von einem Kreuzritter, der nach seiner Rückkehr aus dem Krieg seine untreue Frau ermordet. Statt also nur aus einer literarischen Vorlage einen Schlüsselmoment für ein Bild herauszuarbeiten, hielt Füssli einen bestimmten dramatischen Moment in seinen Bildern fest, um diesem im Nachhinein eine Geschichte zuzuordnen. [7]
Shakespeare und das Londoner Theater
Wahrscheinlich kam Johann Heinrich Füssli erst in London das erste Mal in Kontakt mit den Dramen von Shakespeare. In England waren dessen Stücke bereits im 18. Jahrhundert ein Teil des Kanons und von großer Bedeutung für das nationale Selbstverständnis. In Deutschland kam Shakespeare hingegen erst durch theoretische Diskussionsgesellschaften ab etwa 1770 im Sturm und Drang größere Bedeutung zu. [8] Währenddessen war der Autor in England schon zum am häufigsten aufgeführten Dramatiker aufgestiegen. [9] Als Füssli 1764 als kultureller Vermittler in London tätig war, konnte er so Stücke Shakespeares erstmals auf der Bühne erleben, die er zuvor nur gelesen hatte. Der Künstler war sofort begeistert, nicht nur, weil er die renommiertesten Theaterschauspieler der Zeit erleben konnte. Die Faszination für die Arbeit der Darsteller auf der Bühne floss auch in seine Bilder ein. [10]
Füssli unterschied sich dabei von den Theatermalern seiner Zeit, welche in erster Linie die Stars der Bühne abbildeten und sich auf Portraits und charakteristische Gesten der verkörperten Rollen konzentrierten. Beim „wilden Schweizer“ sind jedoch nur selten Schauspieler zu erkennen; die Emotionen der Figuren des Stücks stehen im Vordergrund. Wo es in der Schauspielkunst ab der Mitte des 18. Jahrhunderts zunehmend um die Sichtbarmachung der inneren Gefühlszustände und Motivationen geht, so konzentriert sich auch Füssli in seinen Werken auf die Darstellung verborgener Gefühle. [11]
Die von Eva Reifert und Claudia Blank herausgegebene Publikation erschien 2018 bei Prestel als Begleitband zur Ausstellung „Füssli. Drama und Theater“, die vom 20.10.2018 bis 10.02.2019 im Kunstmuseum Basel zu sehen war (ISBN: 978-3-7913-5757-7). Der Band enthält, neben zahlreichen Werk-Abbildungen und ausführlichen Bildtexten, einen Überblick zu biographischen Episoden sowie Texte von u.a. Beate Hochholdinger-Reiterer, Alexander Honold, Thomas Luz, Caroline Rae und Eva Reifert.
musermeku dankt dem Kunstmuseum Basel für die kostenfreie Überlassung des Ausstellungskatalogs als Rezensions-Exemplar.
Header-Bild: Detail aus: Macbeth, Shakespeare: Die drei Hexen, Johann Heinrich Füssli (1785) – Wellcome Collection, CC BY
Wir brauchen deine Unterstützung
Werde jetzt Mitglied im musermeku Freundeskreis: Erhalte wöchentlich News zu Kunst und Kultur direkt per E-Mail, sichere dir den Zugang zu exklusiven Inhalten und hilf uns dabei, unsere Betriebskosten für musermeku.org zu decken.
Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
Fußnoten
[1] Dazu: Eva Reifert: Johann Heinricht Füssli: Große Literatur, sublime Gemälde. In: Füssli. Drama und Theater. Hg.v. Eva Reifert und Claudia Blank im Auftrag des Kunstmuseums Basel, München 2018. S. 19-35, S. 24
[2] Dazu: Ebd., S. 25f und S. 30
[3] Dazu: Ebd., S. 26
[4] Dazu: Ebd.
[5] Dazu: Ebd., S. 30
[6] Dazu: Ebd., S. 31 und Alexander Honold: Handlungen, Szenen und Momentum. Johann Heinricht Füssli und die Literatur. In: Ebd., S. 37-57 , S. 40f
[7] Dazu: Ebd., S. 32
[8] Dazu: Beate Hochholdinger-Reiterer: „Shakespeare Maler“. Johann Heinrich Füssli und das Londoner Theater. In: Ebd., S. 59-76, S. 63
[9] Dazu: Ebd., S. 65
[10] Dazu: Ebd., S. 66
[11] Dazu: Ebd., S. 74
Linktipps
Der Newsletter zu Kunst & Kultur
In unserem kostenlosen Newsletter informieren wir einmal im Monat über aktuelle Neuigkeiten aus dem Kunst- und Kulturbereich.