[Ausstellung] Im Oktober 2020 eröffnete in der Friedrichswerderschen Kirche in Berlin eine neu konzipierte Ausstellung zu Bildhauerwerken aus dem Bestand der Alten Nationalgalerie. In der Dauerausstellung mit dem Titel „Ideal und Form“ sind Plastiken und Skulpturen aus dem 19. Jhd. zu sehen. Von der Schinkel-Zeit bis zum Kaiserreich kann hier anhand von Werken aus der Berliner Bildhauerschule die künstlerische Entwicklung bis hin zur Moderne nachverfolgt werden. Während man im Hauptraum der Kirche insgesamt 50 Skulpturen von Johann Gottfried Schadow, Emil Wolff oder Adolf Brütt betrachten kann, widmet sich eine zweite Ausstellung auf der Empore dem Leben und Werk von Karl Friedrich Schinkel.
Die Friedrichswerdersche Kirche von Schinkel
Der preußische Architekt und Stadtplaner Karl Friedrich Schinkel (1781-1841) plante die Friedrichswerdersche Kirche am Werdreschen Markt zunächst im klassizistischen Stil. Auf Wunsch des Kronprinzen Friedrich Wilhelm sollte der Kirchenbau jedoch im „altdeutschen Stil“ entstehen, also im Stil der Gotik. Was die Proportionen angeht, setzte sich Schinkel aber dennoch durch; sein Ziel war es „die Gotik durch die Antike zu läutern“. Knappe finanzielle Mittel erlaubten nur die Errichtung eines einschiffigen Kirchenbaus. Schinkel orientierte sich in seinem Entwurf stilistisch an den Kapellen englischer Colleges.
Die Friedrichswerdersche Kirche, die zwischen 1824 und 1830 erbaut wurde, verweist mit ihrer Fassade in rotem Ziegel auf die benachbarten Kirchen St. Nikolai und St. Marien. Damit war die Kirche der erste repräsentative Backsteinbau in Berlin seit dem Mittelalter. Nach der Fertigstellung wurde das Gebäude von der deutschen und französischen Gemeinde genutzt. Anlässlich der 750-Jahr-Feier Berlins im Jahr 1987 wurde der Bau als Museumskirche umgewidmet. Seitdem dient die Friedrichswerdersche Kirche als Ausstellungsraum für die Alte Nationalgalerie.
An die ursprünglich sakrale Nutzung der Friedrichswerderschen Kirche erinnert heute im Innenraum noch die Kanzel, die Altarmensa und die teils originalen farbigen Glasfenster. Das Bauwerk ist übrigens der einzige in der Berliner Innenstadt erhaltene Kirchenbau von Karl Friedrich Schinkel, bei dem Fassade und Innenraum noch heute dem ursprünglichen Erscheinungsbild entsprechen.
Die Anfänge der Berliner Bildhauerschule
Im Jahr 1747 rief Friedrich der Große als erster preußischer Herrscher ein offizielles Hofbildhauer-Atelier ins Leben. Damit legte er den Grundstein für die Entwicklung der Bildhauerkunst in Berlin, die schließlich zu einer Berliner Bildhauerschule führte. Hofbildhauer waren zunächst drei in Frankreich ausgebildete Künstler: Francois-Gaspard Adam, Sigisbert-Francois Michel und Jean-Pierre Antoine Tassaert.
Von letzterem ist in der Friedrichswerderschen Kirche eine Bronze von Moses Mendelssohn aus dem Jahr 1785 zu sehen. Es ist ein psychologisierendes Porträt des jüdischen Philosophen, der die Idee der Toleranz zwischen den Religionen propagierte. Bei der ursprünglich in Marmor ausgeführten Büste assistierte Tassaert sein Schüler Johann Gottfried Schadow, der später die Berliner Bildhauerschule begründen sollte. Von ihm sind in der Ausstellung „Ideal und Form“ unter anderem zwei Grabmale zu sehen; das der Dorothee Louise Scheffler von 1809 mit einer Figur eines trauernden Genius mit gesenkter Lebensfackel und das des Grafen Friedrich Wilhelm von Arnim-Boitzenburg von 1801-03 mit der Figur der trauernden Witwe samt treuem Hund.
Zwischen Antike und Moderne
Nach den Vorstellungen eines der bedeutendsten Vordenkers des Klassizismus, Johann Joachim Winckelmann, konnte nur das persönliche Erleben antiker Kunstwerke einen Künstler vollenden. So wurde die Stadt Rom zum Treffpunkt der internationalen Bildhauer-Szene und auch jeder deutsche Bildhauer musste im Laufe seiner Ausbildung in Italien die Vorbilder der Antike studieren. Manche Bildhauer, etwa Ridolfo Schadow, der Sohn von Johann Gottfried Schadow, oder Emil Wolff, blieben fast ihr ganzes Künstlerleben in Italien. Hier restaurierten sie antike Skulpturen und adaptierten deren Stil für eigene neue Arbeiten.
In der Ausstellung „Ideal und Form“ sind besonders viele Arbeiten von Emil Wolff zu sehen, etwa die „Antikenergänzung eines Hermes“, die nach 1824 entstand. Es ist eine Rekonstruktion einer römischen Kopie, die nach einem griechischen Vorbild aus dem 5. Jhd. entstand. Wolff fügte der Skulptur einen Flügelhut hinzu, die dem Original fehlt. In der Friedrichswerderschen Kirche wird auch Wolffs Fragment einer „Circe“ von 1862 gezeigt, erkennbar an den Resten eines Zauberstabs unterhalb des Diadems. Mit diesem hatte die Zauberin, laut der Erzählung von Homer, die Gefährten des Odysseus in Schweine verwandelt. Der in der Ausstellung gezeigte Kopf ist ein Fragment einer 103 cm hohen Skulptur einer knienden Circe von Emil Wolff, die während des Zweiten Weltkrieges bei einem Luftangriff 1944 zerstört wurde.
Berlin in England und den USA
Am Anfang des 19. Jhd. galt den Berliner Bildhauern noch die Antike als idealer künstlerischer Maßstab; ein auf Ausgleich und Harmonie ausgerichtetes Erscheinungsbild wurde angestrebt. Dies änderte sich in der Mitte des Jahrhunderts. Nun wurden die Werke von Michelangelo und Bernini in ihrem kraftvollen und dramatischen Ausdruck zum Vorbild. Weltausstellungen und internationale Wettbewerbe trugen in dieser Zeit zur Verbreitung deutscher Bildhauerei bei. Von England bis nach Amerika verbreiteten sich nun die Berliner Werke. So finden sich Abgüsse von Werken der Berliner Bildhauerschule in den USA, etwa die „Amazone“ von August Kiss oder der „Löwenkämpfer“ von Albert Wolff.
Von August Kiss ist in der Ausstellung „Ideal und Form“ unter anderem die monumentale Marmorskulptur „Glaube, Liebe, Hoffnung“ von 1865 zu sehen, das letzte Werk des Bildhauers. Die Witwe des Künstlers plante zunächst, dass die fast fertige Skulptur sein Grab schmücken sollte. Gustav Blaeser stellte das Werk dann 1869 fertig. Letztendlich entschied sich die Witwe dann aber doch gegen die Platzierung auf dem Grab ihres Mannes und schenkte die Skulptur stattdessen der Berliner Nationalgalerie.
Von Berlin über Rom nach Paris
Um 1890 setzte sich in Berlin eine neue Generation an Bildhauern durch. Der neobarocke Pathos und das Monumentale der Vorgänger wich nun der künstlerischen Konzentration und Reduktion des Ausdrucks. Neben Rom wurde nun auch Paris mit Auguste Rodin zu einem neuen Zentrum moderner Bildhauerkunst für Künstler aus Deutschland.
In der Friedrichswerderschen Kirche sind hier unter anderem Arbeiten von Artur Volkmann zu sehen, etwa der „Nackte Jüngling“, der zwischen 1913 und 1918 in Paris entstand. Hierbei handelt es sich um getönten und farbig gefassten Marmor. Dieser steht in Kontrast zum von Wickelmann formulierten klassizistischen Ideal der „edlen Einfalt und stillen Größe“, verkörpert durch eine rein weiße Skulptur. Zunehmen lösten sich Künstler von dieser Vorstellung und experimentierten mit leichten Lasuren und partiellen Tönungen von Marmor.
Auch Volkmanns „Weibliche Idealbüste“ von 1876/77 entstand in getöntem und farbig gefasstem Marmor. Zusammen mit anderen sogenannten „Deutschrömern“ wie Hans von Maries und Adolf Hildebrand setzte sich Artur Volkmann in Italien mit dem Einfluss von wahrnehmungspsychologischen Erkenntnissen auf die bildhauerische Form auseinander. Die Künstler bevorzugten hier nicht nur die eigenhändige und direkte Bearbeitung des Steins, sondern experimentierten auch mit Farbakzenten auf dem Marmor.
Ideal und Form. Skulpturen des 19. Jahrhunderts aus der Sammlung der Nationalgalerie
Friedrichswerdersche Kirche
Werderscher Markt, Berlin
Header-Bild: Angelika Schoder – Friedrichswerdersche Kirche, Berlin 2023 – Skulptur „Eva mit ihren Kindern“ von Adolf Brütt von 1890.
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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