[Debatte] Die ACC Galerie in Weimar sieht sich selbst als Zentrum für interdisziplinären Austausch. Die von einem gemeinnützigen Verein getragene Institution möchte eine kritisch praktizierende Kommunikations- und Produktionsplattform bieten – und setzt dabei auf Partizipation des Publikums. In einer geplanten Mitmach-Ausstellung sollen Kunst-Interessierte selbst zu Ausstellungsmachern werden. Dies soll neue Blickwinkel auf Kunst ermöglichen und natürlich auch das Publikum stärker an die ACC Galerie binden. Denn der Galeriebereich ist stark in Bewegung und von Institutionen ist Kreativität und Flexibilität gefragt, wenn sie gesellschaftlich relevant bleiben wollen.
Bauhaus und darüber hinaus
Gegründet wurde das ACC in Weimar vor über 30 Jahren, im Dezember 1988. Noch existierte damals die DDR und in einem besetzten Haus trafen Wohngelegenheit auf Kultur-Ideen. Zunächst gab es Konzerte und Partys, aber auch Filmvorführungen. Schließlich wurde ACC zu einem Zentrum für Kultur, ein Galerie-Raum für bildende Kunst, Vorträge und Lesungen. Mit dem aktuellen Ausstellungsprojekt „Spracherneuerung!“ knüpft die ACC Galerie im Bauhaus-Jubiläumsjahr an ein Thema an, was auch für die Kunstschule von zentraler Bedeutung war: Am Bauhaus ging es den Akteuren nicht nur um die Gestaltung von Objekten – auch die Sprache sollte neu gestaltet werden. Schließlich musste das „Neue“ irgendwie beschrieben und besprochen werden. Man erfand neue Wörter, änderte die Schreibweise in Kleinschreibung oder schuf eine neue Syntax.
Dieser Spracherneuerung widmet sich die ACC Galerie u.a. mit Texten von Adolf Behne (1885-1948), der zum Ghostwriter des Bauhaus-Direktors Walter Gropius wurde, oder anhand der Schriften von Siegfried Ebeling (1894-1963), der das Haus der Zukunft mit „kommunizierenden“ Wänden prophezeite. Auch Ernst Fuhrmann (1903-1952) kommt zu Wort, der in seinen Schriften die Philosophie mit der Biologie verband, oder der Journalist Frank Matzke (1903-1952), der die Gefühle der jungen Generation am Ende der Weimarer Republik in seinem Manifest „Jugend bekennt! So sind wir“ (1930) formulierte. Diese, und viele weitere Akteure, wollten das Neue ihrer Zeit in einer erneuerten Sprache zum Ausdruck bringen. In der ACC Galerie in Weimar treffen nun die Stimmen, Texte und Gedanken der „Spracherneuerer“ aus der Zeit des Bauhaus in einer begehbaren akustischen Installation aufeinander. Ergänzt wird die Installation durch grafische Textarbeiten des Künstlers Matthew Lloyd.
Partizipation in der ACC Galerie: Jeder ist ein Ausstellungsmacher
Das Ausstellungskonzept und die Gestaltung zu „Spracherneuerung!“ stammt von Janek Müller. Wir baten ihn um die Beantwortung einiger Fragen zu einem Projekt, das zum Abschluss von „Spracherneuerung!“ geplant ist. Vom 8. bis 10. November soll nämlich eine Mitmach-Ausstellung mit dem Titel „Ich sehe was, was Du nicht siehst?!“ die Frage aufwerfen: Was ist Kunst? Das Besondere an dem Projekt ist, dass die Teilnehmer nicht nur dazu aufgefordert werden, Kunstwerke aller Art zur Ausstellung einzureichen, sondern sie sollen auch selbst zu Ausstellungsmachern werden. In den Räumen der ACC Galerie soll also gemeinsam eine Ausstellung gestaltet und sich dabei über Kunst ausgetauscht werden.
„Uns geht es darum, wie wir miteinander ins Gespräch kommen über das Zeigen und Ausstellen selbst“, so Janek Müller. Beim Aufbau einer Ausstellung geht es schließlich nicht allein darum, für jedes Ausstellungsstück einfach nur einen gut beleuchteten Platz im Raum zu finden. Wie ausgestellt wird, was nebeneinander installiert wird, das beeinflusst auch den Blickwinkel des Publikums und die Geschichte, die erzählt wird. „Es entsteht eine besondere Atmosphäre, denn oft begegnet ja nicht nur das Publikum den Ausstellungsstücken zum ersten Mal. Auch die Objekte selbst begegnen sich in einer Ausstellung oft erstmals. Sie nehmen im übertragenen Sinne Kontakt miteinander auf und kommen in eine Art Gespräch“, erklärt Janek Müller.
Durch das gemeinsame Arrangieren, Aufstellen und Hängen von Objekten, durch das Ausprobieren von Wirkungen der Werke aufeinander, soll die Gruppe der Ausstellungsmacher den Arbeiten näherkommen und sich intensiv mit diesen beschäftigen. Es geht außerdem darum, zusammen über das „Machen“ von Ausstellungen allgemein nachzudenken. „Wir hoffen, dass hier viele Mitmachende viele Blickweisen, Sehgewohnheiten und ästhetische Vorstellungen einbringen werden. Das Ganze ist also auch eine Art Schule des gemeinsamen Schauens“, so Janek Müller zum Konzept hinter der Mitmach-Ausstellung.
Ein Austausch über die Frage: Was ist Kunst?
Die ACC Galerie bittet ihr Publikum, ganz unterschiedliche Objekte zur Mitmach-Ausstellung vorzuschlagen. Dann soll gemeinsam diskutiert werden: Welches Werk kommt in die Ausstellung? Wie wird es inszeniert und mit anderen Arbeiten kombiniert? Die Galerie gibt dabei keine festen Kriterien vor. Vielmehr gilt es, in der Gruppe zu besprechen, ob es überhaupt Auswahlkriterien gibt – und wie diese aussehen können. „Für uns ist nicht das Entscheidende, dass wir in unserem Projekt eine Lösung dafür finden, was ‚gute‘ und ’schlechte‘ Kunst ist. Die einzelnen Ausstellungsstücke in einen spannenden Dialog zu bringen, indem wir selbst in einen Dialog kommen, das ist für uns das Wesentliche an unserem spielerischen Experiment“, erläutert Janek Müller.
Der Ausstellungsmacher geht davon aus, dass die Mitmach-Ausstellung zu spannenden Diskussionen führen wird. „Je mehr Mitmachende sich begegnen und je mehr Ausstellungsstücke wir gemeinsam kennenlernen, umso zahlreicher werden wahrscheinlich auch die Ansichten darüber sein, welche Ausstellungsstücke miteinander, nebeneinander und zueinander passen oder eben nicht.“ Janek Müller wünscht sich deshalb, dass möglichst zahlreiche Objekte für die Mitmach-Ausstellung vorgeschlagen werden: neue Werke und solche mit Geschichte, Fundstücke, Skizzen oder Bilder. „Es geht darum, welche unterschiedlichen Vorstellungen vom ‚Gelungenen‘ wir haben und ob wir uns gemeinsam auf ein besonderes, für diese Ausstellung zutreffendes ‚Gelingen‘ einigen können“, so Janek Müller. Er versteht das Motto des Projektes „Ich sehe was, was Du nicht siehst?!“ deshalb als Einladung zu einem „gestaltenden Sehen und sehenden Gestalten“, wie er es formuliert.
Janek Müller sieht hier auch einen klaren Bezug zum Bauhaus, um dessen Ideen es ja auch in der Ausstellung „Spracherneuerung!“ geht, an die sich die Mitmach-Ausstellung anschließt. Er hofft, dass das partizipative Projekt in der ACC Galerie erst der Auftakt für weitere Projekte sein wird. „Vielleicht entwickelt sich eine Gruppe ganz unterschiedlicher und diverser Leute, die in Zukunft Interesse haben, gemeinsam an inhaltlichen Ausstellungsideen und natürlich auch an deren Gestaltung in und mit der ACC Galerie tätig zu werden. Das entwickelt sich sicher langsam, aber wir wollen uns mit dieser Mitmach-Ausstellung in diese Richtung aufmachen.“
Beweglichkeit als Überlebensstrategie einer Kulturinstitution
Projekte wie die Mitmach-Ausstellung „Ich sehe was, was Du nicht siehst?!“ und ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm ermöglichen es der ACC Galerie, zusätzliche thematische Bögen zu spannen und mit vielfältigen Formaten auf die Inhalte der wechselnden Ausstellung zu reagieren. „Zum einen schaffen wir damit weitere Möglichkeiten für das Publikum und die Künstler, miteinander in einen Austausch zu treten. Zum anderen regen Lesungen, Vorträge und Musikveranstaltungen dazu an, sich die Inhalte unserer Ausstellungen auch auf andere Weisen zu erschließen. Dadurch kann man quasi nochmal durch andere Fenster auf die Kunstwerke schauen, als das ein Rundgang durch die Ausstellungsräume alleine kann“, erläutert Janek Müller.
Der Austausch und das Eröffnen von neuen Blickwinkeln spielte für die ACC Galerie schon immer eine wichtige Rolle, wie der Ausstellungsmacher betont. Er kann sich sogar vorstellen, dass diese Themen in Zukunft noch wichtiger für die Galerie werden. „Wir erleben, dass es großes Interesse gibt, sich auch schwierigere Inhalte von Ausstellungen zu erschließen und sich mit Kontexten auseinanderzusetzen, die vielleicht nicht gleich offensichtlich sind. Es ist nicht mehr so, dass Besucherinnen und Besucher einfach nur schweigend, maximal flüsternd, vor Ausstellungsstücken verweilen wollen. Das Interesse ist groß, sich darüber auszutauschen, was und wie man sieht. Warum sollten wir als Galerie nicht auf dieses Interesse reagieren?“, so Janek Müller.
„Wir versprechen uns, dass diese Veranstaltungen kleine ‚Stufen‘ bauen, um in die Vorstellungswelten von zeitgenössischer Kunst besser einsteigen zu können. Zudem sind wir offen für neue Formate und gewagte Ideen“, betont der Ausstellungsmacher und fügt hinzu: „Sicher funktioniert eine solche Arbeitsweise nicht für jede Galerie. Für uns ist diese Form der Beweglichkeit aber eine Überlebensstrategie.“
ACC Galerie Weimar e.V.
Burgplatz 1 + 2
99423 Weimar
Spracherneuerung!
(23.08. – 10.11.2019)
Ich sehe was, was Du nicht siehst?!
(08. – 10.11.2019)
Header-Bild: Angelika Schoder – Hamburg, 2023
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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