[Pressereise] Die Kyjiwer Gemäldegalerie gehört zu den bedeutendsten Kunstmuseen der Ukraine. Zur Sammlung des 1922 gegründeten Nationalmuseums zählen rund 14.000 Werke, unter anderem Ikonen aus dem 13. Jhd., aber auch Werke von Wolodymyr Borowykowsky, Iwan Aiwazowsky, Mychailo Wrubel oder Ilja Repin. Mit der Ausstellung „Born in Ukraine“ zeigt das Museum nun einige seiner Kunstschätze in Basel; insgesamt 49 Gemälde aus dem 18. bis ins 20. Jhd. Die Ausstellung hinterfragt anhand der Werke der hier vertretenen Kunstschaffenden die historische Nähe, aber auch eine deutliche Abgrenzung zu Russland.
Die Evakuierung von Sammlungsgütern
Nachdem im Februar 2022 die Invasion russischer Truppen in die Ukraine begann, war bald klar, dass auch die Hauptstadt Kyjiw von der Zerstörung des Krieges betroffen sein würde. In den folgenden Monaten plante die Kyjiwer Gemäldegalerie, so wie zahlreiche weitere ukrainische Museen und Kultureinrichtungen, die Sicherung ihrer Kulturgüter. Dass dies dringend notwendig werden sollte, zeigte sich spätestens am 10. Oktober 2022. An diesem Tag wurde das Museumsgebäude, die ehemalige Villa des ukrainischen Unternehmers und Kunstsammlers Fedir Tereschtschenko aus dem 19. Jhd., bei einem russischen Raketenangriff schwer beschädigt.
Neben der Organisation einer Aufbewahrung in Schutzräumen vor Ort, bat Yuri Vakulenko, der Direktor der Kyjiwer Gemäldegalerie, auch Museen in Europa um Hilfe. Werke aus zwei Ausstellungen, die bereits in Kyjiw gezeigt worden waren, sollten außer Landes in Sicherheit gebracht und hier einem internationalen Publikum zugänglich gemacht werden. Während das Musee d’Art et d’Histoire in Genf die Ausstellung „From Duck to Dawn“ im Musée Rath zeigte, ist im Kunstmuseum Basel aktuell die Ausstellung „Born in Ukraine“ zu Gast. Insgesamt gelangten so rund 100 Werke aus der Sammlung der Kyjiwer Gemäldegalerie über Polen in die Schweiz.
Perspektiven auf Kunst aus der Ukraine
Die Ausstellung in Basel, die gemeinsam von Kuratorinnen des Kunstmuseum Basel und der Kyjiwer Gemäldegalerie überarbeitet wurde, wirft einen Blick auf Kunst in und aus der Ukraine und betrachtet ihre komplexen historischen und gesellschaftlichen Hintergründe in Bezug zu Russland. Immerhin war die Ukraine einst Teil der Sowjetunion und die Kyjiwer Gemäldegalerie trug noch bis 2017 den Namen „Nationales Museum der russischen Kunst“. Wie „russisch“ sind also die Kunstwerke und die Kunstschaffenden selbst – und wo liegt ihre ukrainische Identität, auch über ihren Geburtsort hinaus? Bereits seit 2014 setzt sich die Kyjiwer Gemäldegalerie kritisch mit diesen Fragen auseinander und erforscht anhand der eigenen Sammlung, wo die Grenzen einer vermeintlich homogenen russischen Kunst und auch Kultur liegen. Ein Thema, das heute mehr denn je diskutiert werden muss.
Zu den in der Ausstellung vertretenen 31 Kunstschaffenden zählen u.a. Ilja Repin, Dmytro Lewytsky, Wolodymyr Borowykowsky, Archyp Kuyindschi, Mykola Jaroshenko und Dawyd Burliuk. Sie alle wurden auf ukrainischem Gebiet geboren, daher der Ausstellungstitel „Born in Ukraine“. Gleichzeitig sind diese Kunstschaffenden aber auch russisch geprägt; sie lebten und studierten häufig in Russland und galten damit lange als „russische“ bzw. als „sowjetische“ Künstler. Hinzu kommen in der Ausstellung auch Kunstschaffende wie Iwan Aiwazowsky, Lew Lagorio, Archyp Kuyindschi, Kostiantyn Kryschytsky, Isaak Brodsky und Dawyd Schterenberg. Ihr Werk ist von diversen kulturellen und nationalen Einflüssen geprägt, seien es jüdische, polnische, armenische oder griechische Traditionen. Durch eine Beleuchtung dieser Vielfalt bietet „Born in Ukraine“ einen differenzierten Blick auf Kunst, die zu lange als homogen „russisch“ betrachtet wurde.
Kunst im politischen Diskurs
Oksana Pidsucha, Co-Kuratorin von „Born in Ukraine“ und Direktorin des Museums der Ukrainischen Diaspora, betont im ausstellungsbegleitenden Interview, dass die Ausstellung auch die Aneignung von kulturellem Kapital kolonisierter Völker durch das Russische Kaiserreich und nachfolgend die Sowjetunion thematisiert: „Wir stellen die Frage nach der Notwendigkeit, die sogenannte ‚russische Kunst‘ zu überdenken und einige Zuschreibungen neu zu revidieren“, so Pidsucha. Als Beispiel nennt sie die Russische Avantgarde, die eine ganze Reihe von Akteuren der ukrainischen Avantgarde-Bewegung vereinnahmen würde, etwa Kasimir Malewitsch, der in Kyjiw geboren wurde und sich selbst als Ukrainer bezeichnete.
Auch wenn Malewitsch in die Ausstellung „Born in Ukraine“ passen würde, ist der Maler des „Schwarzen Quadrats“ hier nicht vertreten. Betrachtet werden aber Künstler, die in Russland ebenso bis heute vor allem als „russisch“ angesehen werden, wie etwa Ilja Repin. Auch wenn Repin, so wie zahlreiche andere aus der Ukraine stammende Kunstschaffende, im Russischen Kaiserreich gelebt und gearbeitet hatte, so war sein Leben und sein Werk doch untrennbar mit seinem Heimatland verbunden: „Er poetisierte die Geschichte dieses Landes, seine Natur, seine Menschen. Die ukrainische Weltanschauung empfand er sehr intensiv und spiegelte diese auch auf der Leinwand wider“, so Pidsucha. „Deswegen gehört sein Erbe in erster Linie zur ukrainischen Kultur“, wie die Kunsthistorikerin betont. Dieses Aufzeigen der kulturellen Hintergründe zahlreicher Kunstschaffender sei das Ziel der Ausstellung „Born in Ukraine“, so Pidsucha: „Wir wollen imperiale Mythen entlarven und die Kunstgeschichte der Länder entkolonialisieren, die einst von Russland besetzt waren. Wir bemühen uns, der Ukraine jenen Teil des imperialen Erbes zurückzugeben, der ihr gehört, und der Welt die reiche ukrainische Kultur in ihrer ganzen Vielfalt zeigen zu können.“
Born in Ukraine. Die Kyjiwer Gemäldegalerie zu Gast
06.12.2022-02.07.2023
Kunstmuseum Basel, Hauptbau
Der Eintritt zur Ausstellung ist kostenlos.
musermeku dankt dem Kunstmuseum Basel für die Einladung zum Besuch des Museums und für die Übernahme der Kosten der Reise.
Header-Bild: Isaak Brodski: Herbst im Park (1915), Kyjiwer Gemäldegalerie – Foto: Angelika Schoder, Kunstmuseum Basel, 2023
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Bei musermeku schreibt Dr. Angelika Schoder über Themen zur Digitalisierung, über Museen und Ausstellungen sowie über Reise- und Kultur-Tipps.
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